IMI-Analyse 2004/019 - in: AUSDRUCK - Das IMI-Magazin (August 2004), S. 17-18

Profil chinesischer Nation


von: Andreas Seifert | Veröffentlicht am: 11. August 2004

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Die Diskussion nationaler Identität ist im China der 90er Jahre gegenüber den vorangegangenen Jahrzehnten vielschichtiger geworden und wird angesichts der „Bedrohung“ durch die Globalisierung zu einem Problem für die alleinherrschende kommunistische Partei. Diese verliert im Spannungsfeld regionaler Separationsbestrebungen, ökonomischer Disparitäten und außenpolitischer „Herausforderungen“ zusehends die alleinige Definitionsmacht des Begriffs „Nation“. Die unterschiedlichen aus anderen Reihen kommenden Antworten nach nationaler und regionaler Identität und die damit verknüpften Ansprüche beeinflussen Chinas Auftreten auf der internationalen Bühne.

Die Bilder der beijinger Nord-Korea-Konferenzen, an denen Vertretern von sechs Staaten (u.a. Nord-Korea, USA, China und …) teilnehmen sind nicht nur aufgrund der Steifheit des Ambientes erschreckend. Die körperliche Distanz der Teilnehmer ist Ausdruck der hier vertretenen scheinbar unvereinbaren Positionen, wie auch die regelmäßigen und solitären Statements der chinesischen Verhandlungsleitung kaum einen Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Fortschritte der Verhandlungen im Millimeterbereich zu finden sind: wortgewaltige Umschreibungen einer Hoffnung auf Besserung. Dabei ist es gar nicht so sehr der Gegenstand der Verhandlungen der hier im Vordergrund stehen soll, als das Umfeld indem Beijing versucht, sich als ein zuverlässiger Akteur im internationalen Rahmen zu etablieren.
Nach dem Ende des Koreakrieges 1953, in dem Millionen Chinesen auf der Seite der Truppen des kommunistischen Revolutionsführer Kim Il Sungs gekämpft haben und Hunderttausende in Lagern und auf dem Schlachtfeld gestorben sind, ist in der jungen VR China erstmals ein Bewusstsein für die „Nation“ geschaffen worden. Mithilfe des Koreakrieges wurde die „chinesische Nation“ überhaupt das erste Mal für die Bevölkerung greifbar definiert: es waren „chinesische Soldaten“ und nicht Hilfstruppen einer kommunistischen Dynastie die im ehemaligen Vasallenstaat Korea kämpften. Durch die tiefgreifende Mobilisierung weiter Teile der Bevölkerung für den Krieg und die Heroisierung Gefallener im Nachhinein wurde der Krieg und die chinesische Beteiligung dauerhaft im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Somit klingt in der Rolle Beijings gegenüber Nord-Korea weit mehr mit, als nur der Topos des sozialistischen Bruderlandes, dem man, auch wenn man sich selbst bereits voll und ganz einer kapitalistischen Warenwirtschaft zugewandt hat, die rote Stange hält. Beijing ist so auch zum Vertreter nord-koreanischer Interessen aufgestiegen und hat diese Rolle gerade in den letzten Jahren mit Erfolg praktiziert, ja dadurch sogar Profil gewonnen.
Umgekehrt verbinden China und Nordkorea inzwischen mehr ungelöste Konflikte, als positive Erlebnisse. Die Hunger-Flüchtlinge aus Korea, deren Speerspitzen es manchmal auf ein Botschaftsgelände in Beijing schaffen und um Aufnahme kämpfen, sind im Nordosten Chinas zu einem ökonomischen und sozialen Problem geworden, daß zu verschweigen selbst in der weitgehend homogenen Medienlandschaft Chinas immer schwieriger wird. Auch die provokante Eröffnung der ersten, nach chinesischem Vorbild organisierten Wirtschaftssonderzone Nordkoreas an der Grenze zur VR China beeinflusst aus der Sicht Beijing die Entwicklung der (chinesischen) Region nicht gerade positiv. Latente Grenzkonflikte, die seit der Gründung der VR Chinas bestehen, sind bis heute nicht gelöst. Sie werden wohl auch nicht zu lösen sein, ohne die sich anspannenden Beziehungen noch weiter zu belasten.[1] Kim Jong Ils Besuche in Beijing, die, wie alles was der Sohn und legitimen Nachfolger Kim Il Sungs als große Führer tut oder lässt, in aller Geheimniskrämerei veranstaltet wurden, sind chinesischen Kommentatoren zufolge, nicht immer mit den gewünschten Fortschritten verlaufen.[2]
Das sozialistische Band der Beziehungen ist also um ein historisches und ein ökonomisches zu ergänzen. Jedes dieser Bänder mag angespannt sein und ein jedes wirkt zurück auf die chinesische Gesellschaft. Anders als in Nordkorea jedoch sind in Beijing die Uhren weitergelaufen und nach über 50 Jahren Entwicklung steht Beijing heute dem einstigen Kriegsgegner Washington näher, als den Verwandten in Pjöngjang. So steht vermittelt auch der, über den Koreakrieg definierte Nationalitätsbegriff in Frage – bzw. das Monopol der kommunistischen Partei, zu definieren, was Nation ist und damit auch, was im Interesse der Nation ist.
Phil Deans macht einen, für diese Debatte relevanten Aspekt aus, wenn er neben dem staatlichen, durch die kommunistische Partei vorstrukturierten Nationalismus, der in der Beurteilung nicht nur für die nordkoreanischen Positionen sehr wichtig ist, einen zweiten Nationalismusdiskurs innerhalb der chinesischen Bevölkerung verortet, der sich keineswegs in die Strategien der Partei fügen muss. Folgt man Deans so ist es dieser Diskurs und das nationalistische Sediment, das er Zutage fördert, der Beijing derzeit und in der Zukunft wohl noch stärker daran hindern könnte, sich an multilateralen Lösungen zu orientieren.
„Während man in den letzten Jahren ein immer stärkeres chinesisches Engagement an multilateralen Institutionen beobachten konnte, so ist die chinesische Führung doch bemüht, nur solche internationale Kooperationen durchzuführen, die nicht im Widerspruch zum populären Nationalgefühl stehen. Das Thema Souveränität ist so verwoben mit der Agenda des Natonalismus, daß alle Änderungen gefährlich werden können.“[3]

Außenpolitische Aspekte als innenpolitische Variable

Seit den frühen 90er Jahre ist Beijings Einfluss auf die internationale Gemeinschaft aufgrund seines immer stärker werdenden ökonomischen Potentials und seiner sich reformierenden Armee stetig gewachsen. Das sich dabei die Volksrepublik in den letzten Jahren erfolgreich für die Positionen „nationale Selbstbestimmung“ und „Nichteinmischung“ stark gemacht hat, hat ihr nicht nur den Beifall all der Länder eingetragen, deren repressiven Systeme sich weit außerhalb international anerkannter Standards bewegen, sondern auch bei all denen die angesichts einer starken Rolle der USA und der zunehmenden Globalisierung den eigenen staatlichen Handlungsrahmen immer stärker eingeschränkt sehen. Beijings Argument der „Nichteinmischung“ hat allerdings auch eine chinesische Binnendimension, die einerseits im Verhältnis zu Taiwan, aber auch im Umgang mit den Grenzregionen und den dort anzusiedelnden Autonomiebestrebungen zu finden ist. Die chinesische Regierung hat es letztlich geschafft, die Repression gegenüber den Autonomiekräften innerhalb der Provinz Xinjiang an der Grenze nach Zentralasien als ein Element des „inn

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erchinesischen Kampfes gegen den Terrorismus“ zu verkaufen. Anders ausgedrückt haben sie die geostrategische und innenpolitische Frage, nach dem Einfluß auf eine an Rohstoffen reiche Region und dem Umgang mit der indigenen Bevölkerung vor Ort, mit dem internationalen „Kampf gegen den Terror“ verknüpft und damit weitgehend einen Freibrief für ihr Vorgehen erlangt. Fortgesetzte Menschenrechtsverletzungen in chinesischen Gefängnissen und willkürliche Repressionen gegenüber politischen Dissidenten sind im Gefolge des 11. September aus den Schlagzeilen verschwunden und tauchten erst wieder Ende 2003 auf. Und selbst dort wo sie in den Medien stehen, erscheinen sie weit hinter den ökonomischen Erfolgsmeldungen.

Nationalismus als Antwort

Ökonomische Disparitäten haben das soziale Gefüge der Volksrepublik nachhaltig ins Wanken gebracht. Die Ungleichzeitigkeit der ökonomischen Entwicklung hat die soziale Schichtung nicht nur in der Vertikalen verändert, sondern auch im großen geografischen Rahmen zementiert. Innerhalb der boomenden Ostprovinzen ist das Gefüge der Berufsgruppen, wie das potentieller Karrierewege durcheinander gekommen und hat innerhalb der städtischen oder ländlichen Regionen neue Zentren und Variablen geschaffen.
Zum anderen sind die Westprovinzen und Bereiche Nord- und Mittelchinas in der ökonomischen Entwicklung zurückgefallen. Schon Mitte der 90er Jahre wurden Szenarien eines zerbrechenden Riesenreiches bemüht, um die potentiellen sozialen Konflikte aufzuzeigen. Die Stärkung des Nationalbewusstseins war in den 80er Jahren eine der staatlichen Antworten auf diese Bewegung: mit ihm sollte die nationale Einheit gewahrt werden. Direkte Ausflüsse dieser Politik waren nicht nur ein latenter Ausländerhass, der sich in rassistischen Übergriffen auf afrikanische Austauschstudenten 1990/91 am deutlichsten äußerte, sondern auch das bewusste Aufleben anti-japanischer Tendenzen und die mediale Sensibilisierung gegenüber zum Beispiel der Frage der Schulbücher in Japan und der darin enthaltenen Darstellung der japanischen Kriegsverbrechen in China seit 1985. Die Verknüpfung von „Antiforeignism and Modernization in China“, so ein Buchtitel von 1984[4], ist wiederum nicht völlig neu, doch die Vorzeichen der chinesischen Wirtschaftsentwicklung haben sich seit 1978 stetig geändert. Heute, Anfang des 21. Jahrhunderts steht die ökonomische Integration Chinas in den Weltmarkt im Zentrum politischer Bestrebungen. Umgekehrt, und auch dies ist nicht wirklich neu, hat sich die Kompensation eigener, als ungerecht empfundener, sozialer Nachteile über das externe Muster ausländischer Sündenböcke durchaus bewährt. Tatsächlich gehen viele Chinesen davon aus, daß z.B. AIDS ein von Außen durch reisende Ausländer an China herangetragenes Phänomen ist und letztlich auch auf diese beschränkt bleibt, was wiederum zu einer unglaublichen Ignoranz möglicher Ansteckungsgefahren führt.
Verstärkt wird dieser Nationalismus durch die Abgeschlossenheit regionaler Zusammenhänge. Die Identitäten der Wanderarbeiter sind dabei wiederum prägnante Beispiele, da diese selbst in den zur Anonymität tendierenden Großstädten wie Shanghai, Beijing oder Tianjin nicht integriert werden, sondern in ihren Landsmannschaften fortleben. Dies geht so weit, daß sie selbst staatliche Institutionen ihrer Heimat mitbringen und quasi exterritoriale Enklaven neben den Großstädten ausbilden.[5] Die städtische Bevölkerung und Institutionen drängen sie zudem in die unteren Einkommensklassen ab und verwehren ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht. Als weiterer Faktor dieser ohnehin angespannten Situation macht man vereinzelt auch ethnische Konflikte innerhalb Chinas aus, die sich über die Wanderarbeiter verbreiten und neuen sozialen Sprengstoff bilden. So löst sich dann allerdings auch die ohnehin fragile Konstruktion von China als einem Vielvölkerstaat auf, in dem alle „wie eine große Familie“ leben. Wenn hier soziale Konflikte als ethnische Unterschiede erleben lassen, schränkt dies den Rahmen der Instrumentalisierbarkeit der „chinesischen Nation“ als Motor ökonomischer Entwicklung und zur Verdeckung tatsächlich vorhandener Unterschiede ein. Der langsame Prozess der ethnischen Durchmischung hat hier, wie verschiedene andere Untersuchungen zeigen, durchaus einen positiven Effekt indem er die Verknüpfung sozialer Zustände mit ethnischer Herkunft erschwert.

Patriotische Politik?

Chinas Interesse, sich in internationale Zusammenhänge einzubringen und die eigene ökonomische Entwicklung an die internationale Gemeinschaft zu koppeln ist in den letzten Jahren angewachsen und wird weiter anwachsen. Gerade im brisanten Feld der Energieversorgung ist dies zu beobachten. Chinesischer Nationalismus bildet nicht nur den Hintergrund innerchinesischer Debatten um wirtschaftliche und politische Reformen, sondern er wirkt zurück, auf Chinas internationale Rolle. Das Blitzlicht der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad, in deren Gefolge Studenten massiv vor der amerikanischen Botschaft in Beijing demonstriert haben, ist eines der Beispiele an denen deutlich wird, dass die Regierung der VR China kaum mehr an der Anerkennung nationalistischer Tendenzen innerhalb der eigenen Bevölkerung vorbei kommt. Die Autonomie der volksrepublikanischen Regierung, zu bestimmen worin guter Patriotismus besteht, schwindet rapide und die Versuchung für die Politiker wird größer, Legitimität und Zuspruch durch nationalistische Äußerungen zu erreichen nimmt zu. Unterm Strich erhöht es sogar die Gefahr, dass China nicht nur die konservative Position „nationaler Selbstbestimmung“ ausbauen wird, sondern sich mit der VR China ein nationalistisch geprägter Gegenpol zum Globalisierungsmodell amerikanischer Prägung aufbaut. Ob hieraus dann im Automatismus die Erhöhung der Gefahr gewaltsamer Konfliktlösungsstrategie steigt, sei dahin gestellt.

Endnoten

[1] Daniel Gomà Pinilla, Border Disputes between China and North Korea, China Perspektives, No. 52, März 2004.

[2] Li Dunqiu, „Jin Zhengri xuanfeng“: san ci fanghua de chongjibo (Kim Jong Il-Wirbelwind“: Stoßwellen dreier Besuche in China), Shijie zhishi (World Affairs), No. 10, Mai 2004, S. 30-31.

[3] Phil Deans, State Patriotism versus Popular Nationalism in the PRC, IIAS-Newsletter, No. 34, Juli 2004, S. 10.

[4] Liao Kuang-Sheng, Antiforeignism and Modernization in China, Hongkong 1984.

[5] Der prominente Fall des (illegalen) Zhejiang-Dorf, das nach der südlichen Provinz benannt ist, aus der seine Einwohner stammen, aber vor den Toren Beijing liegt bildet hier nur die Spitze. Siehe auch Li Zhang, Contesting Crime, Order and Migrant Spaces in Beijing, in: Chen/Clark/Gottschang/Jeffery (Hg.), China Urban, Durham 2001, S. 201-222.

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