IMI-Analyse 2004/017

Sicherheit und Menschenrechte

Die Stellungnahme des Internationalen Gerichtshofs zur Mauer

von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 16. Juli 2004

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Am 8. Dezember 2003 stellte die Vollversammlung der Vereinten Nationen einen simple Frage „Was sind die rechtlichen Konsequenzen, die sich aus dem Bau der Mauer …. ergeben?“ (Resolution ES-10/14) Die Mauer, die die israelische Regierung zur Zeit in den besetzten Gebieten einschließlich Ost-Jerusalem baut, stellt keine Grenzanlage im klassischen Sinn dar, da sie ganz überwiegend nicht an der Grenze zwischen Israel und den besetzten Gebieten verläuft sondern sich immer wieder viele Kilometer tief in palästinensisches Gebiet erstreckt.
Seit im Jahr 2003 die israelische Regierung den Bau einer Sperranlage in palästinensischem Gebiet begonnen hat, regt sich auch der Widerstand gegen dieses Bauwerk. Dieser Widerstand äußert sich überwiegend auf zwei Ebenen. Auf der einen Seite versuchen die betroffenen Bewohner zusammen mit israelischen und internationalen Unterstützern in direkten gewaltfreien Aktionen den Bau zu blockieren (vgl. hierzu Aviv Lavie in Wissenschaft und Frieden 3/2004; http://www.iwif.de/wf304-23.htm) bisher gelang es auf diesem Weg nur in einem Fall den Verlauf der Mauer zu ändern. Eine zweite Ebene des Widerstands ist die juristische. Vor israelischen Gerichten kämpfen betroffene Palästinenser zusammen mit israelischen Unterstützern mit leider nur in Einzelfällen beachtlichen Erfolgen gegen den Verlauf der Mauer. Auf politischer Ebene formiert sich der Protest nur sehr schleppend. Dies gilt für die Diskussion in Israel, da bis in weite Teile der Linken hinein, die Mauer als legitime Selbstverteidigung verstanden wird, genauso wie für die internationale Diskussion, da besonders die US-Regierung die Mauer als „Kampf gegen den Terror“ akzeptiert und die europäische Union beschränkt sich in der Regel auf milden Tadel. Durch die Vetomacht USA gebremst blieben auch die Vereinten Nationen bis jetzt weitgehenden tatenlos. Um diesen Stillstand auf politischer Ebene zu umgehen, bezog sich die Vollversammlung der Vereinten Nationen, wiederum auf die juristische Ebene des Problems und bat den Internationalen Gerichtshof (International Courts of Justice / ICJ) um eine rechtliche Stellungnahme. Der ICJ gab nun diese Stellungnahme ab und die Verantwortung für das weitere Vorgehen an die Staatengemeinschaft zurück.

Die rechtlichen Implikationen des Baus der Mauer in den besetzten Gebieten

Das Gericht hatte die Aufgabe zu klären, ob die Mauer entsprechend der Begründung der israelischen Regierung als notwendiger Schutzwall gegen den Terror zu werten ist oder ob der Bau und der Verlauf ein nicht akzeptabler Eingriff in die Rechte der palästinensischen Bevölkerung darstellt. Das Ergebnis überraschte wohl niemanden, die Deutlichkeit der Formulierung und die hohe Konsequenz der Anwendung völkerrechtlicher Grundsätze durchaus.

In der Antwort die am 9. Juli 2004 der Öffentlichkeit präsentiert wurde, stellt das Gericht klar, dass „Israel das Recht und sogar die Pflicht hat auf die zahlreichen und tödlichen Gewaltakte gegen seine zivile Bevölkerung zu reagieren, um das Leben seiner Bürger zu schützen …“. Doch diese Recht auf Selbstverteidigung ist nicht schrankenlos, denn „die getroffenen Maßnahmen müssen in Konformität mit dem maßgeblichen Bestimmungen des Völkerrechts bleiben.“ (Vgl. Par. 138-141). Aus Sicht des ICJ ist der jetzige Verlauf der Mauer nicht die einzige Alternative zum Schutz der israelischen Bevölkerung. Das Gericht „ist nicht überzeugt, dass der spezifische Verlauf den Israel für die Mauer gewählt hat, notwendig ist um seine Zielvorgaben bezüglich der Sicherheit zu erreichen.“ Die Verletzung der Rechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten und die Einschränkungen in ihrem alltäglichem Leben „können nicht mit militärischen Anforderungen oder durch nationale Sicherheit oder Öffentliche Ordnung begründet werden.“ (Vgl. Par. 123-127) Alle Sicherheitsziele ließen sich auch durch einen Mauer entlang der Grenzen von vor 1967 („grüne Linie“) erreichen und zum Schutz der Bewohner der (illegalen) israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten würden jeweils lokale Sicherungsanlagen den gleichen Schutz erreichen.
Der Bau der Mauer verletzt nach dem Urteil der Richter das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, es verstößt gegen das Besatzungsrecht und die Menschenrechtsbestimmungen.

Als Folge dieser Einschätzung ist es nur konsequent wenn das Gericht mit vierzehn zu einer Stimme festhält, dass „der Bau der Mauer … dem Völkerrecht widerspricht.“ Daraus folgt die Verpflichtung für die israelische Regierung diesen illegalen Zustand zu beenden. Israel „ist verpflichtet den Bau der Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten unverzüglich zu beenden.“ Der bisher gebaute Teil der Mauer (sofern er nicht auf der tatsächlichen Grenze gebaut ist) muss „unverzüglich abgebaut werden“. Darüber hinaus haben die geschädigten Palästinenser Anspruch auf Kompensation. „Israel ist verpflichtet Reparationen zu leisten für alle Schäden, die durch den Bau der Mauer entstanden sind …“.

Schon im Vorfeld der Befassung des ICJ mit der Mauer-Problematik tobte eine heftige Debatte darüber ob der ICJ überhaupt die Kompetenz habe, sich mit dem Thema zu befassen. Leider haben neben USA und Israel auch Deutschland und die EU öffentlich erklärt (und dem Gericht zu Protokoll gegeben), dass ihrer Ansicht na

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ch eine solche Anhörung der Lösung des Konfliktes nicht dienlich sei. Die Deutsche Regierung „argumentierte“ u.a. damit, dass diese Anhörung eine Umsetzung der Road Map gefährde. Zur Mauer steht im Road Map Text allerdings kein einziges Wort – gleichzeitig ist es allen Beteiligten klar, dass die Existenz der Mauer eine Umsetzung der Road Map komplett unmöglich macht.

Schwerwiegender als die inhaltlichen Einwände gegen die Arbeit des ICJ ist jedoch einmal mehr die weitere Unterhöhlung der Bedeutung der demokratischen Elemente im Rahmen der Vereinten Nationen. Die Vollversammlung (in der jedes Land eine Stimme hat) besitzt im Gegensatz zum elitären (und wohl kaum demokratischen) Sicherheitsrat strukturell ohnehin wenige Machtmittel. Es ist aber ihr gutes Recht, den internationalen Gerichtshof bei allen Themen, die die Vollversammlung für wichtig hält, um eine (unverbindliche!) juristische Stellungnahme zu bitten. Selbst dieses Recht soll ihr nun von den reichen und einflussreichen Staaten abgesprochen werden. Der ICJ geht deswegen in seinem Gutachten ausführlich (vgl. Par. 13-42) darauf ein, weshalb der ICJ das Recht hat, sich zu dem vorliegenden Thema zu äußern und dass es allein Sache der Vollversammlung ist, die Nützlichkeit des Gutachtens zu bewerten.

Bemerkenswert an der Stellungnahme ist, dass es nicht nur Aufforderungen an den Staat Israel enthält sondern an „alle Staaten“. Die Verantwortung für das Fortbestehen der illegalen Situation liegt also nicht allein in der betroffenen Region. „Alle Staaten sind verpflichtet, die illegale Situation, die durch den Bau der Mauer entstanden ist, nicht anzuerkennen“. Dazu gehört auch das Verbot der Beihilfe, konkret darf kein Staat „dabei helfen, die illegale Situation aufrechtzuerhalten“. Besonders in die Pflicht genommen werden die Unterzeichnerstaaten der 4. Genfer Konvention, sie haben die „Verpflichtung …zu gewährleisten, dass Israel sich gemäß dem humanitären Völkerrecht … verhält.“
Der Ball liegt nun wieder bei den Vereinten Nationen. Die Vollversammlung und der Sicherheitsrat sind aufgefordert, „zu erwägen, welche weiteren Aktionen nötig sind, um die illegale Situation zu beenden.“

Internationaler Druck oder Beihilfe?

Das Mauer-Urteil hat jedoch heftige Kritik bei der US-Regierung hervorgerufen und folglich ist kaum davon auszugehen, dass der Sicherheitsrat in absehbarer Zeit – oder wenigstens nicht vor den US-Wahlen handlungsfähig sein wird. Das Thema Israel und Palästina soll ganz offensichtlich kein Wahlkampfthema werden. Nicht nur die Bush-Regierung auch der US-Präsidentschaftskandidat John Kerry lehnte das Gutachten ab. Der „Zaun“ sei eine legitime Antwort Israels auf den Terror erklärte Kerry am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in West Virginia.

Unter solchen Rahmenbedingungen ist es von zentraler Bedeutung, dass wenigstens die Europäische Union als wichtiger Handels- und Kooperationspartner Israels die sorgfältig begründete Stellungnahme des Hauptrechtssprechungsorgans der vereinten nationen ernst nimmt. Beim Treffen der Europäischen Außenminister in Brüssel am 13.7.2004 verlautete, der Beschluss des Gerichts müsse „sorgsam geprüft werden“, eine klare und einstimmige Verurteilung der Mauer war nicht zu vernehmen. In wagen Andeutungen erklärte der niederländische Außenminister Bernard Bot (die Niederlande hat zur Zeit die Ratspräsidentschaft inne), dass eine mangelnde Kooperationsbereitschaft Israels Konsequenzen haben könne. Bot teilte mit, „unsere Hilfe und Unterstützung für Israel muss Hand in Hand gehen mit politischem Dialog.“ Doch damit hat er offensichtlich, den Charakter des Urteils nicht erfasst. Der internationale Gerichthof erklärte klar, dass die Mauer in ihrem jetzigen Verlauf einen eklatanten Rechtsverstoß darstellt, der beseitigt werden muss, das gilt ganz unabhängig davon ob und wann eine Friedenslösung gefunden wird. Der Friedensdialog ist zwar mehr als dringend nötig, der Rückbau der Mauer ist aber eine Verpflichtung, die „unverzüglich“ umzusetzen ist und die selbst dann gilt, wenn der Friedensprozess scheitert.

Dass die Androhung von Konsequenzen für Israel nicht wirklich ernst zunehmen ist, zeigt etwa die Kooperation bei Galileo. Nur einen Tag nach dem Treffen der EU-Außenminister einigten die EU-Kommission und die israelische Regierung auf eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit bei dem EU-Satellitennavigationssystem, das genauso wie das US-kontrollierte GPS-Projekt auch militärische Einsatzoptionen eröffnet.

Wenn nun neue Kooperationen ohne Bedenken eingegangen werden, dann kann wohl kaum davon ausgegangen werden, dass von Seiten der Europäischen Union das Assoziierungsabkommen mit Israel ernsthaft auf den Prüfstand gestellt wird. Doch genau dies wäre nötig, da das Assoziierungsabkommen die Einhaltung des Völkerrechts als Grundvoraussetzung der Kooperation zwischen Israel und der EU vorsieht. Wenn die Europäische Union allerdings weiterhin keine Schritte unternimmt um ernsthaft Druck in Richtung Einhaltung der Menschenrechte zu erzeugen, dann wird sie selbst unglaubwürdig aber vor allem macht sie sich mitschuldig an den Verstößen, denn der ICJ hat ganz explizit „alle Staaten“ dafür verantwortlich erklärt, sich um die Einhaltung von Völker- und Menschenrecht zu bemühen. An dem Willen sich dieser Verantwortung zu stellen kann zur Zeit jedoch gezweifelt werden.

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