Pressebericht - in: junge Welt vom 12.05.2004

Deutsche Zustände anno 2004

Nach Demos zum Tag der Befreiung vom Naziregime: Antifaschisten verprügelt und diffamiert

von: Markus Bernhardt / Jana Frielinghaus / junge Welt / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 12. Mai 2004

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Markus Bernhardt / Jana Frielinghaus

Bei Demonstrationen, die am 8. Mai aus Anlaß des Tages der Befreiung vom Faschismus unter anderem in Dresden und Rostock stattfanden, kamen mehrfach Schlagstöcke zum Einsatz. Gleichzeitig wurden Veranstaltungen von Neonazis durch die Polizei geschützt. In Dortmund nahm die Lokalpresse kleine Rangeleien am Ende einer antifaschistischen Demonstration zum Anlaß zu suggerieren, die Organisatoren hätten Gewalt organisiert. Alltag in Deutschland fast 60 Jahre nach dem Ende der Nazibarbarei.

In Dortmund hatten am Samstag rund 300 Menschen an einer antifaschistischen Demonstration teilgenommen. Nach deren Abschluß kam es zu leichten Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und alkoholisierten Punks, die der Aufforderung, das Gebiet um den Neonaziladen »Buy or Die« zu räumen, nicht nachkommen wollten. Der Laden war Ziel der Demonstration gewesen. Den Vorfall nahm die örtliche Presse dankbar auf. Bereits in der Vergangenheit hatten Westdeutsche Allgemeine (WAZ), Ruhr-Nachrichten und andere Blätter versucht, antifaschistische Aktivitäten des im Dortmunder Stadtrat vertretenen »Linken Bündnisses« als gewalttätig zu diffamieren.

In der Innenstadt von Dresden protestierten am Samstag rund 400 Antifaschisten gegen einen Aufmarsch der Jung- und Altnazivereinigung Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO). Die Polizei setzte gegen die Demonstranten Schlagstöcke und Reizgas ein. Der rechte Aufmarsch konnte dadurch ungehindert vonstatten gehen. Dennoch gelang es Antifaschisten, den Platz, auf dem die Rechten ihre Abschlußkundgebung abhalten wollten, teilweise zu besetzen und deren Kundgebung durch Lärm massiv zu stören.

Gleichwohl konnten die Rechten am 8. Mai direkt an der Dresdner Synagoge vorbeiziehen und antisemitische Parolen skandieren. Die Polizei hatte sie – in Abänderung der ursprünglichen Demoroute – direkt an dem Gotteshaus vorbeigeleitet.

Zu heftigen Übergriffen

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der Polizei und zu mehreren Festnahmen kam es auch in Rostock, wo am Samstag Antifaschisten aus vielen Städten und Gemeinden an den Tag der Befreiung erinnerten. »Plötzlich und grundlos«, so Thorsten Brandt, Sprecher der Antifa Rostock, seien die Beamten mit Gewalt zwischen die Demoteilnehmer gegangen und hätten mehrere Personen festgenommen. Andere seien dabei verletzt worden. Ein Bus auswärtiger Demonstranten sei stundenlang durch Vorkontrollen aufgehalten, eine festgenommene Person auf der Polizeiwache mit Tritten verletzt worden.

Gegen die zahlreichen Neonazis in der Stadt habe die Polizei dagegen nichts unternommen. Deren Kundgebung am Abend sei von ihr weiträumig abgesperrt und geschützt worden. Rechtsextreme hätten später einzelne Antifaschisten angegriffen und sie teilweise schwer verletzt, so Brandt.

Im rheinland-pfälzischen Marienfels demonstrierten am Samstag etwa 300 Menschen gegen einen Aufmarsch von 150 Neonazis. Ein breites, vom DGB mobilisiertes Bündnis verhinderte, daß die kleine Gemeinde den Rechten überlassen blieb. Anlaß des Aufzuges der Neonazis war die Zerstörung eines Gedenksteins für zwei Waffen-SS-Verbände, darunter die Leibstandarte »Adolf Hitler«, in der Nacht zum 30. April durch Unbekannte.

Auf dem Friedhof des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen im Emsland trafen sich am Samstag rund 200 deutsche und niederländische Antifaschisten zum 20. Mal zu einer internationalen Kundgebung zum Tag der Befreiung. Der deutsche Redner Uwe Reinecke, Mitglied des Beirats der Tübinger Informationsstelle Militarisierung, konstatierte, daß der Buchenwald-Schwur »Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg« ebenso wie der Artikel 139 des Grundgesetzes, nach dem alle Entnazifizierungs- und Entmilitarisierungsmaßnahmen unverändert weiter gelten sollen, offenbar von Staats wegen lange vergessen sind.

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Original: http://www.jungewelt.de/2004/05-12/013.php

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