IMI-Standpunkt 2004/028 - gekürzt in: Wissenschaft & Frieden 02/2004

Frieden ist der Ernstfall

Lothar Liebsch, Oberstleutnant a.D. hat ein Buch vorgelegt,

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 14. April 2004

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dass hiermit allen Leserinnen und Lesern von Wissenschaft und Frieden wärmstens ans Herz gelegt werden soll: „Frieden ist der Ernstfall – Die Soldaten des Darmstädter Signals im Widerspruch zwischen Bundeswehr und Friedensbewegung“, Kassel, 2003.

Seit 1983 gibt es das so genannte „Darmstädter Signal“, eine Vereinigung kritischer Soldaten. Dr. Lothar Liebsch hat als jemand, der bis heute in die konkrete politische Arbeit des Darmstädter Signals eingebunden ist, die öffentlich zugänglichen und internen Unterlagen des Darmstädter Signals ausgewertet. Lothar Liebsch hat damit so etwas wie die politische Geschichte des Darmstädter Signals geschrieben.

Doch was ist das Darmstädter Signal und seit wann gibt es den Arbeitskreis? „… am 24. September 1983“ trafen sich „siebzehn aktive Soldaten und drei Mitarbeiter der Bundeswehr in Darmstadt und gründeten den Arbeitskreis Darmstädter Signal. Sie widersprachen in ihrer“ (Gründungs-)“Erklärung der Notwendigkeit der atomaren Nachrüstung und bezweifelten zugleich die Richtigkeit der“ damals „gültigen NATO-Strategie.“ (Seite 8) Hauptkritikpunkt der Soldaten war 1983 der so genannte „NATO-Doppelbeschluss“ mit dem bekanntlich neue Atomwaffen in Westeuropa stationiert werden sollten. Liebsch stellt allerdings folgendes klar: Die NATO-Stationierungsentscheidung war „nicht Auslöser, sondern nur eine Bedingung für die Gründung des Arbeitskreises“ (Seite 22). Er zitiert Helmuth Prieß, Mitbegründer und Sprecher des AKs, dass die Zeit für das Darmstädter Signal“ reif gewesen sei. Eine im Nachhinein wichtige Sachlage: Dadurch überlebte das Darmstädter Signal später folgende entscheidende politische Veränderungen im Bereich der Militärpolitik.

Liebsch ermöglicht den Leser/innen die zugespitzte politische Situation 1983 noch einmal mitzuerleben, aus Sicht von Soldaten, die die damalige offizielle NATO-Politik öffentlich kritisierten: Wieder Helmuth Prieß auf dem Kirchentag 1983 „Als Soldat der Bundeswehr solidarisiere ich mich mit denen, die tatsächlich Frieden schaffen wollen mit weniger Waffen. Und ich ergänze: Jeder Soldat auf dieser Welt ist ein Soldat zuviel“ (Seite 23). Zentral für das Verständnis des Darmstädter Signals sind die Forderungen im Gründungsaufruf: Neben der Kritik an Stationierung von Atomwaffen und konkreten Abrüstungsforderungen waren die Hauptforderungen an die deutsche Regierung gewandt: „Die konsequente Umsetzung des defensiven Charakters der Bundeswehr (Punkt 5), Schrittweise Verringerung des Rüstungsexports in Länder der sogenannten 3. Welt. (Punkt 6)“ (Seite 26)

Sehr spannend ist nachzulesen, welche Auswirkungen der Gründungsaufruf in der Gesellschaft (u.a. rechtliche Abgrenzung von der DKP) und vor allem innerhalb der Bundeswehr hatte. Das „Verteidigungsministerium“ reagierte von Anfang an mit direkten politischen Angriffen und politischer Diffamierung. In der Gesellschaft verbreitete sich der Gründungsaufruf stattdessen massenhaft.

Bis 1989 stieg die Mitgliederzahl regelmäßig an (bis zu 200), ab 1989 stagnierte sie und ab 1992 fielen die Zahlen. Auch die Zusammensetzung des AK veränderte sich immer mehr hin zu nicht mehr aktiven Soldaten. Das hat nach Lothar Liebsch folgende Gründe: 1. 1992 schieden eine Reihe aktiver Stabsoffiziere mit Erreichen der Altersgrenze aus, 2. viele jüngere Offiziere, die als Zeitsoldaten in der Bundeswehr waren schieden ebenfalls aus, 3. das Darmstädter Signal verteidigte das so genannte „Soldatenurteil“ (Zulässigkeit des Tucholsky-Spruchs: „Soldaten sind Mörder“ und – und das scheint mir entscheidend zu sein und Vorbedingung für die beiden ersten Punkte zu sein: das Darmstädter Signal kritisierte „den Wandel des deutschen Militärs – von der Verteidigungs- zur Interventionsstreitmacht“ und bestand auf dem grundgesetzlich festgelegten Auftrag zur Landesverteidigung. (Seite 37) Diejenigen Soldaten, die dies ebenso sahen beendeten meist ihren Dienst in der Bundeswehr. Die politische Veränderung spiegelte sich in den Mitgliedszahlen wieder. Zugleich sind damit die wesentlichen Themen des AK Darmstädter Signal benannt, mit denen sich der AK nach außen beschäftigte und bei denen er öffentlich wahrgenommen wurde. Für mich, als jemand, der in den 90er Jahren erstmals direkte Berührung mit Mitgliedern und Aktivisten des AK Darmstädter Signal bekam, ist sehr aufschlussreich, welchen harten Angriffen und Auseinandersetzungen die AK-Mitglieder ausgesetzt waren (und sind). Im Buch detailliert beschrieben am Beispiel des Major Volker Thomas (Seiten 185 bis 202). Umso beeindruckender, dass die Mitglieder des AK dennoch kontinuierlich weiter arbeiteten.

Lothar Liebsch selbst ist die Kritik an Kampfeinsätzen der Bundeswehr sehr wichtig. Die Auseinandersetzung um den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien hatte Auswirkungen bis hinein in die Strukturen des Darmstädter Signals. Der Vorstand konnte sich zu Beginn der Angriffe nicht auf eine von Helmuth Prieß vorbereitete Stellungnahme zur Einstellung der Angriffe einigen. Erst auf einem Arbeitskreistreffen ca. einen Monat nach Kriegsbeginn wurde die Stellungnahme von Prieß sinngemäß mit 12:2:1 verabschiedet. Die anwesenden aktiven Soldaten waren gegen, die ausgeschiedenen Soldaten für die Resolution. Die Kriegsbefürworter traten danach aus dem AK aus. Der Förderkreis, der nicht unwesentlich auch aus SPD und Grünen Parlamentariern bestand und der eigentlich nicht für die politische Arbeit gedacht war, mischte sich nun direkt politisch ein. Ein offener Konflikt entstand, der mit dem Austritt vieler Anhänger von SPD und Grünen aus dem Förderkreis des AK endete.

Lothar Liebsch schreibt abschließend: „In Deutschland war Krieg also wieder Mittel staatlicher Interessenspolitik geworden. Damit war genau der Zustand eingetreten, vor dem der Arbeitskreis beizeiten gewarnt hatte. So blieb ihm trotz des ungewollten Auseinanderdriftens seiner eigenen und der herrschenden Auffassung von zukunftsfähiger Sicherheitspolitik, keine Alternative zur Praxis, Kampfeinsätze der Bundeswehr bedingungslos abzulehnen.“ (S. 241) „Die Mehrheit des Darmstädter Signals lehnte Kampfeinsätze der Bundeswehr auch dann strikt ab, wenn sie von einer rot-grünen Bundesregierung befohlen wurde.“ (S. 240)

Lothar Liebsch gelingt mit seinem Buch „Friede ist der Ernstfall“ eine sachliche und zugleich spannend zu lesende Darstellung der konkreten Geschichte des AK Darmstädter Signal. Die wesentlichen politischen Ereignisse der deutschen Militärpolitik von 1983 bis heute spiegeln sich im Buch sehr gut wieder. Ein auf jeden Fall lesenswertes und empfehlenswertes Buch!