Pressebericht - in: junge Welt vom 13.04.2004
Ostermarsch gegen EU-Verfassung: Irak nur ein Nebenkriegsschauplatz?
jW sprach mit Willi Hoffmeister (DKP), Mitorganisator des Ostermarsches Ruhr und Abgeordneter des Linken Bündnisses in der Bezirksvertretung Innenstadt-Nord in Dortmund
von: Markus Bernhardt / junge welt / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 13. April 2004
Interview: Markus Bernhardt
F: Wie fällt Ihre Bilanz des diesjährigen Ostermarschs Ruhr aus?
Sehr positiv. Sowohl die Zusammenarbeit im Vorfeld mit zum Teil neu hinzugestoßenen Friedensfreunden als auch die Beschäftigung mit dem eher schwierigen Thema EU-Verfassung haben sich als Erfolg erwiesen. Die Menschen kennen den Inhalt der Verfassung noch gar nicht, kaum jemand hat den Entwurf je in den Händen gehalten. Da kann man nicht die Betroffenheit erwarten, die seinerzeit bei der Stationierung der Pershing-Raketen zu spüren war.
F: Ist das Thema EU-Verfassung nach ihren Eindrücke in den Köpfen der Ostermarschierer angekommen?
Wir haben es geschafft, daß das Thema endlich zur Kenntnis genommen wurde. Selbst innerhalb der Friedensbewegung ist diese Verfassung lange Zeit nicht beachtet worden. Jetzt endlich wird über Verfassungsartikel diskutiert, die Kriegsgegner demnächst zu Verfassungsgegnern machen. Noch im Dezember des vergangenen Jahres ahnte kaum jemand, daß in dem Verfassungstext von einer Pflicht für Mitgliedsstaaten, »ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«, zu lesen sein wird. Weltweit einzigartig ist auch, daß laut dieser Verfassung die Gründung eines »Amts für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten« vorgesehen ist.
F: In Zeiten des Frontalangriffs auf den Sozialstaat scheinen sich die Menschen mehr über ihre eigene Existenz denn über die Kriege in der Welt zu sorgen. Hat sich das auf die Mobilisierung ausgewirkt?
Bei der Vielzahl von Feldern, in denen die Bundesregierung versagt, ist es schwer, die größten Mißstände und die Zusammenhänge dahinter zu erkennen. Den Zusammenhang zwischen Ausgaben für Rüstung und Kürzungen im Sozialhaushalt sehen die Menschen schon. Es ist nur so, daß die Mitglieder aus den Ortsverbänden von SPD und Grünen anders als zu Zeiten der Regierung Kohl mitverantwortlich für die heutige Misere sind. Trotz parteiintern geäußerter Kritik würden sie nicht gegen ihre eigene Politik auf die Straße gehen.
F: War es ein Fehler des Vorbereitungskreises, nicht stärker in Richtung auf den Irak-Krieg zu mobilisieren?
Der noch längst nicht beendete Krieg im Irak war natürlich eines der Themen des Ostermarsches. Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung hat in seinem Redebeitrag in Duisburg auf die völkerrechtswidrige Besatzung hingewiesen und die Besatzungssoldaten aufgefordert, ihren Dienst zu verweigern. Tagesaktuell kann und will der Ostermarsch aber nicht sein. Und mit dem Thema EU-Verfassung haben wir den Hebel an einer Stelle angesetzt, die für uns in den nächsten Jahren immer größere Bedeutung haben wird.
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Original: http://www.jungewelt.de/2004/04-13/015.php