IMI-Standpunkt 2004/021 in: Zeitung gegen den Krieg 17/2004

Neuer Verfassungsbruch: Truppe gegen den Feind im Innern

Wann rühren sich die Gewerkschaften?

von: Ulrich Sander | Veröffentlicht am: 3. April 2004

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Artikel 79 des Grundgesetzes besagt: „Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt.“ Dagegen wird laufend verstoßen: z.B. Artikel 26 (Verbot des Angriffskrieges und seiner Vorbereitung) und 87a (Bundeswehr nur zur Verteidigung) blieben Teil der Verfassung, aber die Bundeswehr betätigt sich aggressiv und bereitet neue Angriffskriege vor. Zudem ist sie in einer Weise im Innern eingesetzt, die verfassungswidrig ist: Sie stellte 1000 Soldaten ab, die als Polizeikräfte vor US-amerikanischen Einrichtungen stehen, um die USA bei ihrem Krieg gegen den Irak personell zu entlasten. Die Grundlage dieses Tuns ist eine das Grundgesetz brechende Interpretation des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht. Diese Interpretation erweist sich als Änderung des Grundgesetzes ohne Änderung seines Textes, und dies ist verfassungswidrig.

Die Regierungsparteien SPD und Grüne legen zudem diese Interpretation noch sehr weit aus, denn das Verfassungsgericht machte die Einsätze der Bundeswehr immerhin noch von Entscheidungen des Parlaments abhängig. Künftig wollen die Kriegsparteien Rot-Grün die Regierung zum Einsatz der Bundeswehr ermächtigen; nur wenn 5 Prozent der Abgeordneten – ca. 30 Personen – eine Behandlung im Parlament verlangen, soll dies sich damit befassen,. Doch dann sind die Soldaten schon im Hindukusch oder anderen Weltgegenden unterwegs. Wer wollte sie da zurückholen?

Die Bundeswehr soll nach Meinung der CDU/CSU auch im Innern verstärkt eingesetzt werden. Sie legte dazu einen Antrag zur Verfassungsänderung vor. Schon im September 2001 hatte Edmund Stoiber “ islamistische Umtriebe benennend – gefordert: Die ganze Gesellschaft müsse darauf eingestellt werden, dass die freiheitliche Lebensordnung „durch Tausende von irregeleiteten fanatischen Terroristen mit möglicherweise Millionen Unterstützern“ massiv bedroht sei. Deshalb fordern CDU und CSU seit langem den Einsatz der Bundeswehr im Innern “ gegen die eigene Bevölkerung.

In den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien kommt Minister Peter Struck diesen dringenden Forderungen nach, allerdings besteht er darauf, diese Forderungen nicht durch eine Verfassungsänderungen zu legitimieren. Die Regierung möchte den bequemen Weg des Verfassungsbruchs ohne Änderung der Verfassung und ohne Abstimmung mit den nötigen Zweidrittel-Mehrheiten beibehalten. Deshalb heißt es in den VPR: „Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann. Grundwehrdienstleistende und Reservisten kommen dabei in ihrer klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes und ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger, zum Einsatz.“

Der Einsatz gegen Terroristen und andere Gefahren im Innern wird so zur Sache der Verteidigung des Landes mittels der Massen von Wehrpflichtigen und Reservisten gemacht. So kann auch der Satz von Struck interpretiert werden: Das Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt “ und dazu gehört ja auch die Republik selbst.

Wenn man bedenkt, dass Bundeswehrreservisten bis ins hohe Alter gezogen werden können, so ist zu erkennen, wohin der Karren läuft: Die Einziehung der männlichen Massen, um sie gegen „Terroristen“ einzusetzen und selbst als Streikende oder Demonstrierende ausgeschaltet zu werden. Alles „im Rahmen der geltenden Gesetze“. Innenminister Schily ging noch einen Schritt weiter: Für den Fall das Wegfalls der Wehrpflicht mit seinem Reservistensystem möchte er alle jungen Leute in einen Pflichtdienst „zur Terroristenbekämpfung“ einbeziehen.

Dieser geplante umfangreiche Einsatz der Bundeswehr im Innern ist ein weiterer Bruch des Grundgesetzes. Nicht nur rechte CDU/CSU-Politiker standen bei der Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr im Innern Pate. In erster Linie haben brutalstmögliche Militärs dem Minister Struck die Feder geführt. Schon Ende Juli 2002 forderten der Gebirgsjägerkameradenkreis und einer seiner Repräsentanten, der Ex-Kosovo-Kommandant General Dr. Klaus Reinhardt, die Bundeswehr auch „zu Hause“ einzusetzen. Schließlich sei es doch die zentrale Aufgabe der KFOR und anderer internationaler Eingreiftruppen gewesen, für „innere Sicherheit“ auf dem Balkan zu sorgen. Die Berufung auf die Geschichte ist nicht mehr zeitgemäß“, ergänzte Günther Beckstein (CSU-Minister) zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren.

Bisher haben stets vor allem auch die Gewerkschaften mahnend auf die Geschichte verwiesen. So auf den Einsatz der Reichswehr im Jahre 1920, die, unter Befehl von gerade von den Arbeitern vor den Kapp-Putschisten geretteten SPD-Politiker stehend, über tausend Ruhrarbeiter erschoss. Diese hatten sich an der Verteidigung der demokratischen Republik beteiligt. Doch nach Veröffentlichung der VPR im Mai 2003 schwiegen die Gewerkschafter. Ausgerechnet ein Sprecher der FDP musste nach Veröffentlichung des Struck-Papiers die sozialdemokratische Arbeiterbewegung daran erinnern. Günther Nolting (FDP-MdB) sagte unter Hinweis auf den möglichen Einsatz der Bundeswehr “ z.B. auch mit Wehrpflichtigen “ im Inneren: „Es ist mir völlig unverständlich, dass die traditionsreiche Sozialdemokratische Partei Deutschlands offensichtlich beabsichtigt, so grundlegende und weit reichende Änderungen über den Einsatz deutscher Streitkräfte zu verabschieden.“

Wann äußern sich endlich die Gewerkschaften? Wann nehmen sie die Wehrdebatten und Antinotstandsbewegungen der 50- und 60-er Jahren wieder auf? Wann erinnern sie sich an den im Ringen gegen die Notstandsgesetze erkämpften Grundsatz aus dem Grundgesetz: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ (Artikel 20/4 GG in der Fassung von 1968)

Ulrich Sander

Der Autor ist Landessprecher der VVN-BdA Nordrhein-Westfalen und hat jetzt das Buch „Macht im Hintergrund“ über den anwachsenden Einfluß der Generalität in Deutschland vorgelegt (Papy Rossa Köln, April 2004)