IMI-Standpunkt 2004/015, in: Rote Fahne, Nr.10/04 - 4.3.2004

„Auf in den nächsten Krieg! Nach innen und außen …“

"Rote-Fahne"- Interview mit Claudia Haydt om Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Teil 1

von: Claudia Haydt / Interview / Rote Fahne | Veröffentlicht am: 4. März 2004

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Mit den neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ liegt eine verbindliche Grundlage für den grenzenlosen Einsatz der Bundeswehr gegen alle erdenklichen Ziele in jeder erdenklichen Dauer und in jeder möglichen Intensität vor.

Mit dem Titel „Auf in den nächsten Krieg! Nach innen und außen“ beschreibst du die derzeitige deutsche Außen- und Militärpolitik. Sie ist nach deinen Worten gekennzeichnet durch „neoliberale Politik und neoimperiale Politik“ als zwei Seiten einer Medaille. Was meinst du damit?

Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Globalisierung und militärischer Gewaltausübung wird immer deutlicher. Kriege werden zum Zwecke der Durchsetzung ökonomischer Interessen bewusst herbeigeführt oder sie „brechen aus“ als Folge sozialer Desintegration und wirtschaftlicher Destabilisierung, die mit der Durchsetzung ökonomischer Interessen gerade in ärmeren Ländern oft einher geht. Auch die deutsche Außen- und Militärpolitik wird immer offener zu einer vor allem ökonomisch fundierten Interessenspolitik. Schon in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ (VPR) von 1992 galt der Zugang zu Rohstoffen als vitales Interesse. In den aktuellen VPR kommt der Schutz von Handelswegen als weiteres „schützenswertes“ Gut hinzu. Insgesamt spielen in fast allen reichen Staaten offensive militärische Komponenten eine immer stärkere Rolle.

Die enormen – und immer größer werdenden – Wohlstandsunteschiede zum „Rest der Welt“ können nur durch massives militärisches Abschreckungspotential aufrecht erhalten werden. Grenzsicherung gegen Armutsflüchtlinge wird immer stärker zur militärischen Aufgabe und die Kontrolle über strategisch wichtige Rohstoffe ist eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität der globalen neoliberalen Ökonomie.

Du hast eine Analyse über die neuen so genannten „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ erstellt. Was ist daran neu, worauf müssen wir uns einstellen?

Mit den neuen VPR liegt eine verbindliche Grundlage für den grenzenlosen Einsatz der Bundeswehr gegen alle erdenklichen Ziele in jeder erdenklichen Dauer und in jeder möglichen Intensität vor. Einzige Einschränkung: außer „Rettungsoperationen“ sollen alle anderen Einsätze zusammen mit Verbündeten durchgeführt werden. Das zentrale Element ist die explizite Abkehr von Verteidigung als Aufgabe der Bundeswehr. Deutschland ist durch konventionelle Streitkräfte nicht mehr gefährdet – so analysieren die Schreiber der VPR – und auch „ein existenzbedrohender Angriff auf das Bündnis als ganzes (…) ist unwahrscheinlich.“

Wenn es in Deutschland nichts zu verteidigen gibt, dann gilt zukünftig das Motto: „Verteidigung geographisch nicht mehr eingrenzen.“ Somit wird zum Programm erhoben, was Struck bereits früher erklärte: die Verteidigung Deutschlands müsse auch am Hindukusch erfolgen. „Out of Area“ ist selbstverständlich geworden, immer wieder wird betont, dass der Einsatzradius „über das Bündnisgebiet hinaus“ geht.

Deutschland ist politisch und militärisch zum globalen Akteur geworden und tritt als solches sehr selbstbewusst auf. Auch die VPR sprechen hier ein deutliche Sprache. Deutschland „fällt eine herausragende Rolle und Verantwortung für den künftigen Kurs der NATO zu“. Auch „bei den Beschlüssen der EU zur Ausgestaltung der ESVP“ (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik – RF) hat Deutschland „eine Schlüsselrolle gespielt“. Und warum ist dies so wichtig? „Um seine Interessen und seinen internationalen Einfluss zu wahren (…) stellt Deutschland im angemessenen Umfang Streitkräfte bereit“.

Diese neuen Militärrichtlinien passen offenbar sehr gut zur neuen EU-Verfassung, die in absehbarer Zeit ratifiziert werden soll. Was ist hier vorgesehen?

Im Entwurf der EU-Verfassung gibt es ein verfassungsgeschichtliches Novum: eine explizite Aufrüstungsverpflichtung. „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (Artikel I-40 Absatz3). Hier wird Aufrüstung zur verfassungsmäßigen Pflicht der Mitgliedsstaaten. Um diese regelmäßige Aufrüstung zu kontrollieren und teilweise durchzuführen wird ein „Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten eingerichtet, dessen Aufgabe es ist, den operativen Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern, zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Grundlage des Verteidigungssektors beizutragen und diese Maßnahmen gegebenenfalls durchzuführen, sich an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich Fähigkeiten und Rüstung zu beteiligen sowie den Ministerrat bei der Beurteilung der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten zu unterstützen.“ (Artikel I-40 Absatz3).

Die EU erhält für ihre Militärpolitik einzelstaatliche Militärkontingente: „Die Mitgliedstaaten stellen der Union für die Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zivile und militärische Fähigkeiten als Beitrag zur Verwirklichung der vom Ministerrat festgelegten Ziele zur Verfügung. Die Mitgliedstaaten, die untereinander multinationale Streitkräfte bilden, können diese auch für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung stellen.“ (Artikel I-40 Absatz3)

Ein Teil davon ist die neue EU-Interventionstruppe mit 60000 Mann und Frau, von der die Bundesrepublik ein Drittel der Soldaten und den Befehlshaber stellt. Ein weiteres Novum ist, dass die Bereitschaft zu weltweiten Militäreinsätzen zur verfassungsmäßigen Pflicht erhoben wird. EU-Streitkräfte sollen zu „Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen“ (Artikel III-210) eingesetzt werden können. Weiter heißt es: „Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet“. (Artikel III-210). Hier sei daran erinnert, dass auch der Krieg gegen Afghanistan als „Kampf gegen den Terror“ deklariert wurde und es nach wie vor keine verbindliche Definition gibt, was überhaupt unter Terror zu verstehen ist. Es handelt es sich entsprechend um ein extrem weit gefasstes und interpretationsfähiges Mandat für etwaige EU-Kampfeinsätze.

(wird fortgesetzt)