Pressebericht - in: Jungle World 4 - 14. Januar 2004

Fortsetzung folgte

Auf dem Antikriegskongress in München wurden inhaltliche Differenzen der Beteiligten deutlich. Einig war man sich in der Kritik an der EU und der Bundesregierung.

von: Peter Bierl / Jungle World / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 15. Januar 2004

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Die Friedensbewegung gewann mit schlichten Weltbildern zu Zeiten des Irakkriegs die Massen: Alle gegen den imperialistischen Bösewicht USA, der einmal mehr ein armes, kleines und schwaches Land angriff, und für Old Europe, den Club der ehemaligen Kolonialmächte, die zivile Friedensmacht. Auf Demonstrationen wurde die »Achse des Friedens« von Paris über Berlin und Moskau bis Peking gelobt, und mancher bekannte stolz, ein Deutscher zu sein, weil der Bundeskanzler vier Jahre nach dem Überfall auf Jugoslawien mit der Friedenspalme wedelte.

Der Antikriegskongress unter dem Titel »Fortsetzung folgt«, der am vergangenen Wochenende im Münchner Gewerkschaftshaus stattfand, unterschied sich angenehm von solchen Manifestationen. Die Referenten auf den Podien kritisierten scharf die Interventionspolitik der Bundesregierung, die Aufrüstung der EU und den Sozialabbau, der auch dazu diene, finanzielle Mittel einzustreichen, um Deutschland im europäischen Tarnanzug als neue Weltmacht zu etablieren.

So forderte Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen eine Kampagne gegen die geplante EU-Verfassung, die für ein militarisiertes Kerneuropa unter deutsch-französischer Führung stehe. Immerhin sei auf dem EU-Gipfel in Rom, der als gescheitert gilt, weil man sich nicht auf die Verfassung einigen konnte, ein Präventivkriegskonzept beschlossen worden, erklärte Pflüger. »Der Hauptfeind bleibt im eigenen Land«, betonte Thomas Seibert von Medico International.

Die Veranstaltung diente der Mobilisierung gegen die 40. Nato-Sicherheitskonferenz, die Anfang Februar in München stattfinden wird. Allerdings sorgte dieses Motiv auch dafür, dass Differenzen nicht kontrovers ausgetragen wurden. So nahmen die Teilnehmer der Auftaktveranstaltung am vorigen Freitag ungerührt zur Kenntnis, dass die Vertreterinnen des Bündnisses »Krieg ist Frieden« (KIF) die Friedensdemonstrationen des Vorjahres als »populistisches Strohfeuer« rügten. Seibert hatte zuvor die weltweiten Demonstrationen vom 15. Februar 2003 als historisches Ereignis gefeiert.

Dagegen sprach Samira von KIF von einer »Feierabendpolitik«. Ihr damaliger Vorschlag, verantwortlichen Politikern »die Türen einzutreten«, sei abgelehnt worden. »Die Restlinke hat sich mit dem Krieg arrangiert, weil hier keine verkohlten Leichen herumliegen«, lautete ihr Fazit. Ariane Brenssell vom Antipatriarchalen Netz Berlin rügte, dass die Geschlechterverhältnisse von den Antimilitaristen, auch auf dem Podium, ausgespart würden. Seiberts Hymne auf die Sozialforen, die er als revolutionäre Idee mit den Sowjets von 1917 verglich, quittierte Brenssell mit dem Hinweis, zum Weltsozialforum in Bombay würden bereits drei Gegenforen vorbereitet.

Der Moderator Michael Backmund von der Deutschen Journalistenunion (DJU) versuchte vergeblich, eine Kontroverse zwischen Pflüger und Sabine Leidig von Attac anzustiften, nachdem diese erklärt hatte, die Mobilisierung gegen die Nato-Sicherheitskonferenz sei kein Schwerpunkt ihrer Organisation. Backmunds Frage nach dem Antisemitismusstreit bei Attac ignorierte Leidig einfach.

Es kam auch nicht zur Debatte über den Irak, den Krieg und die aktuelle Lage dort. Vor der Veranstaltung wurden sowohl Flugblätter der Arbeiterkommunistischen Partei Irans gegen die Kampagne, zehn Euro für den irakischen Widerstand zu spenden, verteilt als auch die Samstagsausgabe der jungen Welt, in der Werner Pirker unterstellte, die Iraner könnten den Text jenes Flugblatts nicht selbst geschrieben haben, weil er in der Sprache »verwestlichter Intellektueller« gehalten sei.

Pflüger stellte auf dem Podium klar, dass für ihn eine Unterstützung militärischer und reaktionärer Kräfte nicht in Frage komme. Man müsse inhaltliche Kriterien aufstellen und den demokratischen und zivilen Widerstand gegen die Besatzungsmacht stärken. »Ich habe da eine leichte Differenz zu Pflüger«, sagte Claus Schreer dazu der Jungle World. Für ihn sei auch bewaffneter Widerstand legitim. In keinem Fall aber wolle er rechten Gruppen und religiösen Fanatikern helfen. Schreer distanzierte sich auch von der Zehn-Euro-Kampagne, die von der Antiimperialistischen Koordination Wien (AIK) initiiert wurde, »solange man nicht weiß, an wen das Geld geht und was für Ziele die vertreten«.

Schreer ist Mitglied der DKP und eine der zentralen Personen der Linken in München. Seit Jahren organisiert er den Protest nicht nur gegen die Nato-Sicherheitskonferenz. In einem umstrittenen Beitrag für Indymedia schrieb er vor kurzem, der irakische Widerstand sei so legitim wie die antikolonialen Kämpfe der fünfziger und sechziger Jahre und verglich den Widerstand gar mit dem Kampf der Résistance gegen die deutsche Besatzung. (Jungle World, 3/04)

Der Politologe und Autor Sabah Alnasseri, der selbst aus dem Irak emigrieren musste, sagte bei der Auftaktveranstaltung, er habe den Irakkrieg als imperialistischen Krieg abgelehnt, ohne sich mit dem Regime zu solidarisieren. Er räumte aber indirekt einen »Kollateralnutzen« des Krieges ein, wie der Publizist Heiner Möller es nannte, da die irakische Bevölkerung jetzt Meinungs- und Pressefreiheit genieße. Alnasseri wandte sich gegen einen angeblich neuen »Befreiungsimperialismus«, der seiner Meinung nach das ursprünglich linke Konzept, die Herzen und Köpfe der Bevölkerung zu gewinnen, übernommen habe.

Inhaltliche Unterschiede wurden auf dem Kongress deutlich, als Michael Wendl, bei der Landesbezirksleitung der Gewerkschaft Verdi für Wirtschaftsfragen zuständig, erklärte, die Welt befände sich im Übergang zu einem »finanzgetriebenen statt produktionsgetriebenen kapitalistischen Akkumulationsregime«, einem globalen Regime des »Wall-Street-Kapitalismus«. Der Sozialabbau hierzulande komme in erster Linie dem internationalen Finanzkapital zugute. Die These von einem neuen »Euro-Imperialismus«, wie sie etwa Pflüger vertritt, nannte Wendl unbefriedigend.

Es war der eher kritische Teil der Friedensbewegung, der sich zu diesem Kongress traf. Eindeutig wurde gegen die Nato, die EU und die Bundesregierung Stellung bezogen. An der Auftaktdiskussion am Freitag nahmen etwa 200 Menschen teil, der Saal war nicht voll besetzt. Zu den Foren und Workshops am Samstag erschien höchstens noch die Hälfte der Leute. Jahrelang hatten nur kleine Gruppen gegen die früher »Wehrkundetagung« genannte Veranstaltung protestiert. Im vergangenen Jahr beteiligten sich wegen des damals bevorstehenden Irakkrieges 25 000 Menschen an einer Demonstration.

Ohne einen solchen aktuellen Anlass dürften es in diesem Jahr deutlich weniger Demonstranten sein. Dass die 40. Nato-Sicherheitskonferenz in München auch die letzte sein wird, wie Pflüger und andere hoffen, ist darum kaum zu erwarten.

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Kurzer Kommentar: Die Jungle World pflegt weiter ihre Vorurteile… Im ersten Abschnitt werden die alten Ressentiments der Jungle World gegen „die Friedensbewegung“ wiederholt. Auch durch Wiederholung werden sie nicht richtiger. In München auf dem Antikriegskongress hat sich ein relevanter Teil der Friedens- und Antikriegsbewegung getroffen. Verschiedene Gruppen aus dem Bereich der Friedens-, Antikriegs- und globalisierungskritischen Bewegung rufen zu den Protesten gegen die NATO-Sicherheitskonferenz auf, inzwischen i.Ü. auch Gesamt-attac. Von „Euro-Imperialismus“ habe i.Ü. nicht ich, sondern Claus Schreer gesprochen. Ansonsten ist es so, dass immer wenn von iranischen Gruppen im Text die Rede ist, tatsächlich irakische Gruppen gemeint sein sollen. etc. (Tobias Pflüger)