Pressebericht / in: Volksstimme, Nr. 7, 13.2.2003

Aufruf zur Fahnenflucht

Anlässlich der Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz wurde ein Aufruf zur Verweigerung des Kriegsdienst lanciert - und der Verantwortliche festgenommen.

von: Dirk Eckert | Veröffentlicht am: 2. März 2003

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3500 Polizisten hatte die bayrische Landesregierung am vergangenen Wochenende in München zusammengezogen, um die NATO-Sicherheitskonferenz vor Protesten zu schützen. Wie jedes Jahr kamen PolitikerInnen, Militärs und VertreterInnen der Rüstungsindustrie zusammen, und wie jedes Jahr begleiteten KriegsgegnerInnen das Treffen mit Protesten gegen die Kriegspolitik.

Doch die von der Landesregierung erwarteten Krawalle blieben aus. Dafür wurden zahlreiche Personen verhaftet, unter ihnen auch Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI), der auf einer Kundgebung am Freitagabend deutsche Soldaten zur Fahnenflucht aufgerufen hatte. Inzwischen ermittelt die Polizei auch gegen den Münchner Liedermacher Konstantin Wecker, der sich am Samstag Pflügers Aufruf angeschlossen hatte.

Wie Pflüger berichtet, wurde er eine halbe Stunde nach seiner Rede von zehn in zivil gekleideten Beamten „brutal“ festgenommen. Ein Zeuge habe dies dem Ermittlungsausschuss der DemonstrantInnen gemeldet, der daraufhin einen Rechtsanwalt aufs Polizeipräsidium geschickt habe. Um 23 Uhr Abends sei er wieder auf freiem Fuß gewesen, so Pflüger, allerdings erst nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung, inklusive Abnahme von Fingerabdrücken, Fotos und Muttermaluntersuchung.

Die Polizei begründete die Festnahme damit, dass Pflüger zu einer Straftat aufgerufen hätte. Wörtlich hatte dieser eigenen Angaben zufolge gesagt: „Ich fordere die Soldaten der Bundeswehr, die demnächst ihren Dienst in den AWACS-Flugzeugen tun müssen, dazu auf, den Kriegsdienst zu verweigern oder zu desertieren.“ Der Münchner Liedermacher Konstantin Wecker, der erst kürzlich in den Irak geflogen war und Proteste gegen den Krieg unterstützt, setzte bei seiner Rede noch eins drauf: „Jetzt wollen wir mal sehen, ob die Polizei uns alle hier auch festnimmt“, rief Wecker, wiederholte Pflügers Aufruf zur Fahnenflucht und forderte die DemonstrantInnen auf, den Text nachzusprechen. Was viele von ihnen auch taten.

Der Münchner Polizei war das zu viel. Sie ermittelt jetzt gegen Wecker und will, wenn weitere Beweise gesammelt sind, die Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft übergeben. „Dieser öffentliche Aufruf stellt einen Straftatbestand dar“, so ein Polizeisprecher. Da ist Tobias Pflüger, der Urheber der Aktion, allerdings anderer Meinung. Das Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung hat bereits einen ähnlichen Prozess hinter sich. 1999 hatte er während des Kosovo-Krieges Soldaten aller Kriegsparteien zur Fahnenflucht aufgerufen und wurde im folgenden Prozess freigesprochen. Diesmal hält Pflüger einen Freispruch sogar für „so sicher wie das Amen in der Kirche“. Das ganze sei „ein völlig sinnloses politisches Verfahren“. Die Soldaten der Bundeswehr, die ein Drittel der Besatzungen der AWACS-Flugzeuge stellten, seien im Kriegsfalle „zwangsläufig“ an der Zielplanung beteiligt. Dass er diesen Krieg für völkerrechtswidrig hält, hat Pflüger mehrfach deutlich gemacht. Diese Position zu begründen, wie er es bereits bei seinem letzten Prozess getan hat, dürfte dem Politikwissenschaftler nicht schwer fallen.

„Die Münchner Polizeiführung kennt sich offensichtlich nicht mit dem Soldatengesetz aus, in dem ausdrücklich eine Verweigerung bei Angriffskriegen nicht nur ein Recht, sondern definitiv eine Pflicht der SoldatInnen ist“, kommentierte das Bündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz die Festnahme. „Offensichtlich ist eine Kritik an der deutschen Kriegs(unterstützungs)politik nicht opportun“, beurteilt Pflüger seine Festnahme.

Kritik ausschließlich an den USA scheint dagegen möglich, wie Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) deutlich machte, der zusammen mit dem Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und den Kirchen zu einer Kundgebung aufgerufen hatte, die sich nur gegen den Irak-Krieg richtete. Rund 10.000 Menschen erschienen dort. Das Münchener Bündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz und Attac veranstalteten danach eine Kundgebung gegen den Irak-Krieg und die Münchner Sicherheitskonferenz – und damit auch gegen die deutsche Regierung. Nicht ohne Erfolg: Von den 20.000 Menschen auf der Demonstration waren viele von der ersten Kundgebung herübergekommen.