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Presseerklärung zur Festnahme von Tobias Pflüger in München


von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 13. Februar 2003

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Tübingen, den 10.02.2003

Im Rahmen der sehr erfolgreichen Proteste (ca. 30.000 Menschen bei der Hauptdemonstration) gegen die sogenannte Sicherheitskonferenz war am Freitag 07.02. ab ca. 17.30 Uhr in München die Kundgebung ge-gen den städtischen Empfang der Teilnehmer/innen der sogenannten Sicherheitskonferenz durch Oberbür-germeister Christian Ude. Bei dieser Kundgebung trat als Schlussredner Tobias Pflüger von der Informati-onsstelle Militarisierung auf. Sein Thema war die deutsche Kriegsunterstützung beim geplanten Irakkrieg. Tobias Pflüger wies in seiner Rede darauf hin, dass Deutschland bzw. die Bundesregierung den geplanten Irakkrieg in folgenden Bereichen aktiv unterstützt und damit auch erst möglich macht:

· Die von Gerhard Schröder im März 2002 gegebene Zusage für eine Unterstützung des Irakkrieges, wurde im Mai 2002 erneuert, ist aber nie zurückgenommen worden.
· Der Aufmarsch für den Irakkrieg ist wesentlich über Deutschland erfolgt. Über Frankfurt Airbase, Ramstein und Spangdahlem wurden und werden Kriegsmaterial und Soldaten in Kriegsgebiet gebracht. Über Vilseck, Mann-heim und die Häfen von Emden, Bremen, Bremerhaven und Nordenham u.a. wird ebenfalls Kriegsmaterial in die Golfregion verschickt.
· Die in Deutschland stationierten britischen und US-Truppen wurden in großer Zahl ins Kriegsgebiet geschickt.
· In Grafenwöhr fand im Februar 2003 das zentrale (Simulation-)Kriegsvorbereitungsmanöver „Victory Scrimma-ge“ statt.
· Innerhalb der NATO legte die Bundesregierung kein Veto gegen eine NATO-Kriegsunterstützung ein. Die Bun-desregierung verzögert lediglich die Abstimmung. [Belgien hat nun wohl ein Veto eingelegt, Deutschland will sich dem wie Frankreich anschließen]
· Ein Drittel der Besatzungen der AWACS sind Bundeswehrsoldaten, sie werden sich zwangsläufig an der Ziel-planung beteiligen.
· Das Bundeswehr-Kontingent der ABC-Abwehrpanzer in Kuwait wird aufgestockt, von bisher 59 auf mindestens 200 Bundeswehrsoldaten. Begründung Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan: Er könne bei einem Krieg das derzeitige Kontingent „nicht alleine lassen“. Die Soldaten aus den USA und Tschechien, die in der gleichen Einheit in Kuwait sind, sind schon für den Kriegseinsatz angefordert worden.
· Bundeswehrsoldaten haben den Schutz von ca. 100 US-Militäreinrichtungen in Deutschland übernommen, so sind die US-Soldaten frei, um in den Krieg geschickt zu werden.
· Die Bundesregierung hat angeboten, verletzten US-Soldaten medizinische Hilfe zukommen zu lassen, also Hil-fe für die Aggressoren. (Schließlich so die deutsche Bischofskonferenz sind Präventivkriege eine Aggression)

Hier nun der Bericht von Tobias Pflüger über seine Festnahme:

„Ca. eine halbe Stunde nach der Rede, als ich erstmals allein unterwegs war, nahmen mich in der U-Bahn-Unterführung des Marienplatzes zehn zivil gekleidete Polizist/inn/en brutal fest. Mit der Festnahme muss abge-wartet worden sein, bis ich von anderen kaum sichtbar allein der Polizei ausgeliefert war. Zum Glück beobachte-te aber jemand die Festnahme, erkannte mich und meldete den Vorfall an den für solche Fälle eingerichteten „Ermittlungsausschuss“ (EA).

Die aufgeregten Polizistinnen und Polizisten teilten mir bei der Festnahme lediglich mit, ich hätte zu einer Straf-tat (sprich Desertion) aufgerufen, das wüsste ich ja, deshalb würde ich auf das Polizeipräsidium gebracht, das sei „mit oben“ abgesprochen. Ich wies darauf hin, dass falls mein Aufruf zur Desertion nicht einfach so, sondern wohlüberlegt und nicht kontextlos erfolgt ist. Ich teilte auch mit, dass ich mir ganz sicher bin, aufgrund der Rechtslage , sollte es wirklich zu einem Gerichtsverfahren kommen, einen Freispruch zu bekommen. Die Polizis-ten sollten sich deshalb ihre weitere Arbeit ersparen und mich freilassen.

Alle mitgeführten Gegenstände einschließlich Handy und Geldbeutel wurden noch vor Ort von der Polizei be-schlagnahmt und ich wurde nach einiger Zeit in eine überhitzte Gemeinschaftszelle des Polizeipräsidiums ver-bracht. Eine Information über das weitere Vorgehen erfolgte nicht.

Erst nach ca. 2 ¾ Stunden wurde ein vom Ermittlungsausschuss der Demonstrationsorganisator/inn/en benach-richtigter Rechtsanwalt (Hartmut Wächtler) zu mir vorgelassen. RA Wächtler wies darauf hin, dass – falls es sich bei dem angegebenen Grund für meine Festnahme und Gefangennahme um den in der Rede befindlichen Auf-ruf zur Desertion (Fahnenflucht) handele – es keine Rechtsgrundlage gebe, mich weiter festzuhalten. Eine Fest-stellung meiner Personalien hätte dann genügt.

Polizei und Staatsanwaltschaft wollten offensichtlich eine sogenannte „vorbeugende Ingewahrsamnahme“ durch-führen. Ein Polizist sagte mir ganz offen, „wir können sie dabehalten bis die Konferenz (gemeint war die Sicher-heitskonferenz) zu Ende ist“ und „Wir wollen nicht, dass sie noch einmal reden.“

Mein Eindruck war, dass die „vorbeugende Ingewahrsamnahme“ sprich meine Gefangennahme über Nacht und an den nächsten Tagen aufgrund der Anwesenheit und dem Druck von Rechtsanwalt Hartmut Wächtler dann schlussendlich zurückgezogen wurde. Nach einer „erkennungsdienstlichen Behandlung“ (ED-Behandlung: Finge-rabdrücke, Fotos, Muttermaluntersuchung etc.) wurde ich kurz vor 23.00 Uhr wieder entlassen. Das Verhalten der Polizist/inn/en war wie üblich gemischt: Teilweise waren Polizisten sehr ruppig, teilweise formal korrekt und teilweise haben sich einzelne Polizisten bei mir für Festnahme und Gefangennahme entschuldigt. Ich war 3 ½ Stunden rechtswidrig gefangengenommen worden.

Der inkriminierte Satz der Rede war:
„Ich fordere die Soldaten der Bundeswehr, die demnächst ihren Dienst in den AWACS-Flugzeugen tun müssen, dazu auf den Kriegsdienst zu verweigern oder zu desertieren.“

Bzgl. der Bundeswehrsoldaten der ABC-Abwehreinheiten in Kuwait habe ich i.Ü. dazu aufgerufen, dass sie sich heimschicken lassen sollen, wie das eine ganze Reihe von tschechischen Soldaten der gleichen Einheit gemacht haben bzw. den Kriegsdienst zu verweigern. (In ersten Meldungen hieß es fälschlich, ich hätte die ABC-Abwehr-Soldaten zur Desertion aufgerufen.)

Die politische Bewertung der Verhaftung:
– Offensichtlich ist eine Kritik an der deutschen Kriegs(unterstützungs)politik nicht opportun.
– Es handelt sich hier um ein völlig sinnloses politisches Verfahren, die verantwortliche Stelle für die Festnahme (wer ist das?) will wohl die Artikulation von Positionen und Analysen verhindern, die nicht in den Kram passen.
– In Bayern und in München gibt es immer wieder eine äußerst großzügige Auslegung der Rechtslage
– Ein Freispruch in dieser Sache ist so sicher wie das Amen in der Kirche

Weitere Desertionsaufrufe werde ich nicht machen, das können nun andere, gerne mit Bezug auf meine Mün-chener Rede, tun – so wie z.B. erfreulicherweise Konstantin Wecker auf der Abschlusskundgebung. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf weitere bisher nicht inkriminierte Desertionsaufrufe, an denen ich mich schon beteiligt hatte. Ich will mich nun der Aufgabe widmen, weiter gegen den geplanten Irakkrieg zu arbeiten und die deutsche Rolle im Irakkrieg und die neue (angebliche?) deutsch-französische Initiative zu analysieren und zu bewerten.“

Rückfragen direkt bei Tobias Pflüger: 0174-7650483

Die frei gehaltene Rede wird sobald als möglich auch schriftlich verfügbar gemacht.

Falls die Rede jemand mitgeschnitten hat, bitte bei IMI (IMI@imi-online.de) melden oder sie dorthin schicken

Tobias Pflüger will auf diesem Wege ganz herzlichen Dank sagen
– an die unbekannte Person, die die Festnahme beobachtet und weitergemeldet hat,
– an den Ermittlungsausschuss, der Rechtsschutz und eine anwaltschaftliche Vertretung organisierte,
– an Rechtsanwalt Hartmut Wächtler, der durch sein engagiertes Auftreten eine weitere rechtswidrige „Inge-wahrsamnahme“ sprich Gefängnisnahme über Nacht verhinderte,
– an die Organisator/inn/en der Demonstration für das Öffentlichmachen der rechtswidrigen Festnahme und ihre solidarische Unterstützung,
– an Konstantin Wecker, der durch seine Wiederholung des Satzes auf der Abschlusskundgebung und seine Aktion, mit der er dafür sorgte, dass die gesamte Demonstration den inkriminierten Satz wiederholte, noch mal deutlich machte, dass der Satz von den Demonstrationsteilnehmer/innen mitgetragen wird und
– an all die anderen, die solidarisch auf diese Repression reagierten.