Ostermarsch in Mainz 30.03.2002 – Rede von Till Gocht – Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Es gilt das gesprochene Wort
von: Till Gocht | Veröffentlicht am: 30. März 2002
Liebe Freundinnen und Freunde,
es herrschen schwierige Zeiten für Menschen, für die Frieden nicht die Vorbereitung des nächsten Krieges bedeutet. Aber es macht doch wenigstens ein bisschen Mut, mit euch heute hier zu sein und wir schicken unsere Grüße an all die anderen, die sich an anderen Orten zum diesjährigen Ostermarsch versammelt haben.
Es gäbe viel zu sagen zur Neuformulierung der nuklearen Strategie der USA, die sämtliche Grundsätze der atomaren Abrüstung über den Haufen wirft. Auf brutale Weise wird uns die Bedrohung kriegerischer Auseinandersetzungen einschließlich des Gebrauches der fürchterlichs-ten existierenden Vernichtungswaffen in das Bewusstsein zurückgeholt. Überwunden ge-glaubtes kehrt zurück, nicht mehr umzäunt vom Gleichgewicht des Schreckens, das für uns al-lerdings auch in den Zeiten des Ost-West-Konfliktes während des kalten Krieges kein sanf-tes Ruhekissen bedeutete. Nun richtet sich die atomare Drohung aber auch explizit an Nicht-Atomwaffenstaaten und es scheint, als ob der wirkungsvollste Schutz gegen einen Atomschlag eben der Besitz von Atomwaffen ist. Die US-Pläne werden also ein neues Wettrüsten sowie die Proliferation von Atomwaffen provozieren, da auch Nichtbesitz dieser Waffen nicht mehr vor einem nuklearen Angriff des selbsternannten Weltpolizisten schützt.
Daher lehnen wir die verantwortungslose Atom-waffenpolitik der Regierung Bush mit aller Ent-schiedenheit ab.
Wir haben jedoch allen Grund, unsere Aufmerk-samkeit auch auf das zu richten, was in den letzten 12 Jahren seit der Vereinigung der bei-den Deutschländer zu einem wesentlichen Merkmal geworden ist. Ich rede von der Militari-sierung deutscher Außenpolitik, dem lange vor-bereiteten Kampfeinsatz deutscher Soldaten außerhalb der eigenen Landesgrenzen.
Beginnen möchte ich mit zwei Feststellungen:
1. Deutschland befindet sich im Kriegszustand. Bundeswehrsoldaten des „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) haben in Afghanistan im Rahmen der Operation „Anaconda“ an vorders-ter Front im Bodenkrieg mitgewirkt.
2. Krieg richtet sich immer gegen die Zivilbevöl-kerung. Die Perversion moderner Kriegsführung besteht darin, das Kriegsgeschehen mittels Hochpräzisionswaffen auf eine vermeintliche Materialschlacht zu reduzieren, in der zivile Op-fer zu Kollateralschäden marginalisiert werden. Ist aber schon die Präzision dieser Waffen ein Mythos, so verblasst das Versprechen der „sau-beren“ Kriegsführung angesichts des Einsatzes von Streu- und Splitterbomben hinter den zer-fetzten Opfern zur menschenverachtenden, beschwichtigenden Rhetorik.
Wir lassen uns nicht blenden: Wir wollen nicht, dass deutsche Soldaten sich an blutigen Rache-feldzügen beteiligen, weder in Afghanistan noch anderswo!
Denn das deutsche Engagement erschöpft sich nicht im Einsatz in Afghanistan. Neben der Be-teiligung an den Interventionen auf dem Balkan, in Mazedonien als „lead nation“, sind deutsche Soldaten auch in Somalia, Kenia und Kuweit im Einsatz. Und zwar vollständig gedeckt durch den Bundestagsbeschluss vom 16.11.2001, in der sich die Rot-Grüne Bundesregierung in der be-kannten Verknüpfung mit der Vertrauensfrage die Ermächtigung für den Einsatz der Bundes-wehr auf einem Drittel des Erdballs einholte. Am 11.10.2001 sagte Gerhard Schröder im Bundes-tag: „Ein weiter entwickeltes Selbstverständnis deutscher Außenpolitik“ heißt „auch militärisch für Sicherheit zu sorgen.“ Und: „Die Etappe deutscher Nachkriegspolitik … ist unwiederbring-lich vorbei“.
So hört es sich an, wenn Deutschland seine neue Rolle als militärische Mittelmacht be-schreibt. Sehr offen und klar, wer hätte dies noch vor 10 Jahren für möglich gehalten? Die-ses Machtspiel stellt jedoch nur den letzten Akt einer Entwicklung dar, die bereits in den frühen 90er Jahren angelegt wurde. Im Jahr 1992 tauchte zunächst in einem Papier des damaligen CDU-Verteidigungsministers Stoltenberg, dann durch seinen Nachfolger Rühe in den „Verteidi-gungspolitischen Richtlinien“ das Moment auf, das die Abkehr der Bundeswehr von einer Ver-teidigungsarmee hin zu einer Interventionsar-mee bedeutete. Dort werden „vitale Sicherheits-interessen Deutschlands“ benannt, u.a. ist dies „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer ge-rechten Weltwirtschaftsordnung“.
Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, wer die Defi-nitionshoheit über die Gerechtigkeit in der Welt-wirtschaftsordnung besitzt. Liebe Freundinnen und Freunde: Lasst uns den VertreterInnen dieser neuen alten Politik der Kolonialisierung unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit solange um die Ohren hauen, bis sie endlich zu hören beginnen.
Unter diesem Aspekt wird klar, dass die Landes-verteidigung der zukünftigen Bundeswehr nicht mehr die alleinige Hauptaufgabe sein sollte. Ähn-liches wurde auch im neuen strategischen Kon-zept der NATO 1999 zu Papier gebracht, in der der Zugang zu Ressourcen im weltweiten Maß-stab als Ziel formuliert wurde. Dies machte eine entsprechende Umgestaltung der Bundeswehr notwendig. Gefragt waren nun Offensivkräfte, Spezialkräfte, die im Hinterland des erkannten Feindes ihr Operationsfeld haben. In diesem Sinn stellt das ca. 1000 Mann starke KSK die Speer-spitze einer aggressiven Außenorientierung der Bundeswehr dar. Wir lehnen diese außenpoliti-sche Militarisierung entschieden ab, Krieg darf nicht Mittel von Politik sein, sondern steht immer für das Versagen von Politik.
Auch die modernen Kriege produzieren Flücht-lingsströme, die jedoch bei einer gleichzeitig betriebenen menschenverachtenden Abschot-tungspolitik keinen Zutritt zur Festung Europa erhalten sollen. Diese Flüchtlinge sind jedoch auch für die Medien kaum ein Thema. Waren sie noch im Jugoslawien-Krieg Legitimation für die sogenannte „humanitäre Intervention“, so finden sie in der derzeitigen Berichterstattung kaum Beachtung. Stattdessen ist der „Frankfurter Rundschau“ vom vergangenen Montag die Wie-dereröffnung der Schulen in Afghanistan ein Bild mit Text auf Seite 1 wert. Meine Damen und Herren von der Presse: So sieht Verharmlosung von Kriegselend aus!
Begleitet wird das militärische Getöse von einer widerlichen Verunglimpfung pazifistischer Grund-haltungen, die als Verantwortungslos gegeißelt werden. Es verwundert kaum, dass auch hier VertreterInnen der GRÜNEN, namentlich Ludger Vollmer an vorderster Front marschieren. Diesen sei mit Eugen Drewermann gesagt: „… indem man Menschlichkeit mit militärischen Mitteln er-zwingen will, nimmt man lediglich die Unmensch-lichkeit selbst in die eigene Motivation, die eigene Praxis auf. So besiegt man nicht „das Böse“, so wird man sein triumphierender Sklave.“
An dieser Stelle: So unbequem dies für den ein oder anderen unter uns auch sein mag: Die GRÜNEN sind Teil der politischen Gegner-schaft, welche die Militarisierung der Politik nach außen und innen mittragen. Ihre Ankunft im Reich der Mitte der politischen Landschaft do-kumentiert im Anschluss an das auf dem dies-jährigen Berliner Parteitag verabschiedete Grundsatzprogramm der GRÜNEN die Titelzeile in der „Frankfurter Rundschau“: „Grüne gehen von Gewaltfreiheit ab. Neues Programm will aber Militäreinsätze erschweren / Akzent auf Kinderpolitik“. Wir haben von dieser Partei als entschiedene Kriegsgegner nichts, aber auch gar nichts zu erwarten, da wir es dort mit Anti-kriegsgegnern zu tun haben!
Wir stehen an der Schwelle zu neuen Kriegen, die heute vorbereitet werden. Am wahrschein-lichsten scheint zur Zeit eine Intervention ent-weder im Irak oder in Somalia zu sein, beides unter dem Vorwand der Terrorismusbekämp-fung. Eine direkte Verbindung zu den Anschlä-gen vom 11. September braucht vermutlich nicht mehr hergestellt zu werden, nun wird präventiv gebombt! Aber unser Zusammengehen heute dokumentiert: Wir verweigern dieser Kriegsbe-soffenheit die Gefolgschaft. Und nicht nur hier, und nicht nur heute. Schon in München bei der Sicherheitskonferenz wurde deutlich, dass ein Zusammengehen von friedensbewegten und globalisierungskritischen Gruppen möglich ist. Wir werden den Regierenden bei der Vorberei-tung der neuen Kriege in die Arme fallen und uns nicht kriminalisieren lassen, denn wir haben es nicht vergessen: Krieg ist keine Lösung und nie wieder Auschwitz heißt nie wieder Krieg. Das gilt auch heute noch.
Daher fordern wir: Die offensiven, angriffsfähi-gen Teile der Bundeswehr müssen in einem ersten Schritt abgebaut werden. Konkret heißt dies: Das KSK muss aufgelöst werden. Dies bedeutet einen Schritt auf dem Weg hin zur Stärkung ziviler Optionen von Konfliktbekämp-fung an dessen Ende eine Welt stehen kann, in der Frieden tatsächlich nicht die Vorbereitung neuer Kriege bedeutet.