IMI / Presse: Rassismus und Krieg gegen Terror: Welche Rolle spielen die Medien?

von: 14. November 2001

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jW sprach mit Claudia Haydt, Mitglied des Beirates der Informationsstelle Militarisierung e.V (IMI) in Tübingen. Am vergangenen Wochenende sprach sie auf einem Kongreß der IMI über den Krieg und interkulturelle Konflikte

junge Welt vom 14.11.2001

Interview: Harald Neuber

F: Inwieweit spielen beim sogenannten Kreuzzug gegen den Terror der USA in Afghanistan interkulturelle Konflikte eine Rolle?

Solche Konflikte spielen weniger bei den Inhalten des laufenden Afghanistankrieges als bei der Form eine Rolle, wie er ausgetragen wird. Wir werden gerade keineswegs Zeugen eines Religionskonfliktes, sondern eines Krieges um Ressourcen und geostrategische Positionierung. Die Form der Mißverständnisse zwischen den beteiligten Parteien sind teilweise durchaus mit kulturellen und religiösen Unterschiede zu erklären.

F: Einen »Kampf der Kulturen«, wie ihn der US-Soziologe Huntington sieht, erkennen Sie nicht?

Ganz eindeutig nicht, wobei die Gefahr nicht zu leugnen ist, daß sich die Thesen Huntingtons als selbsterfüllende Prophezeiung etablieren werden. Wenn man einen Konflikt sehr, sehr lange nur an der Oberfläche austrägt, auf der symbolischen Ebene, dann können sich diese Symbole natürlich verselbständigen. Aber genau deswegen muß eine nüchterne Analyse der Konfliktursachen und Interessen am Anfang stehen.

F: Welche Konsequenzen hat das auf die Situation bei uns?

Obwohl unsere Politiker immer wieder betonen, den Islam differenziert zu sehen, ist die Wirkung in der Öffentlichkeit, den Islam als eine Religion vorzuverurteilen, die fast automatisch Fanatismus produziert. Konkret heißt das: Indem die Taliban auf Religion und Fanatismus reduziert werden, muß sich niemand die Mühe machen, ihre Entstehungsgeschichte und die Rolle der USA dabei wirklich kritisch zu beleuchten. Ich halte es für eine sehr fatale Entwicklung, zumal es sich bei diesem Konflikt um eine asymmetrische Konfrontation handelt, in der eine riesige Weltmacht, unterstützt von Europa, einem relativ kleinen, schwachen und von den Folgen der Globalisierung gebeutelten Land gegenübersteht. Die Gegenseite wird für einen abstrakten Terrorismus verantwortlich gemacht und im Sinne einer Naturgewalt bekämpft, der man rechtzeitig Einhalt gebieten muß. Nicht beachtet wird, welche Dynamik hinter dieser Entwicklung stehen.

F: George W. Bush in den USA und Edmund Stoiber in Deutschland haben aber doch unmittelbar nach dem 11. September und den folgenden rassistischen Übergriffen Moscheen besucht. Ist das kein Zeichen des guten Willens?

Dahinter ist wohl eher das Interesse zu vermuten, die Öl produzierenden Staaten, die ja mehrheitlich islamisch sind, zu beruhigen. Ich halte das einfach für eine Farce.

F: Inwieweit werden die Medien bei der Vorbereitung eines Krieges denn instrumentalisiert und wieweit kann die Freiheit der Medien in einer solchen Situation bewahrt werden?

Sie spielen eine große Rolle, weil sie genutzt werden können, die »Heimatfront« zu stärken und vorzubereiten. Die Aufgabe ist dabei, den Gegner völlig zu entmenschlichen. Kein Krieg funktioniert, ohne Gründe vorzugeben, andere Menschen zu töten. Ohne solche Rechtfertigungen gäbe es an der »Heimatfront« große Vermittlungsprobleme. Medien helfen also auch, diesen Krieg vorzubereiten und die Akzeptanz zu erhöhen. Der Gegner wird entmenschlicht und auf eine böse Fratze des Terrors und der Irrationalität heruntergebrochen.

F: Sehen Sie dabei Unterschiede zwischen dem derzeitigen Krieg in Afghanistan und der Bombardierung von Jugoslawien vor zwei Jahren?

Die Medien sind doch etwas kritischer geworden. Die bekannten Ausnahmen fallen dabei natürlich wie immer unangenehm auf. Der Nachteil für die mediale Resonanz ist, daß dieser Krieg geographisch weiter weg ist. In Jugoslawien war fast jeder irgendwann mal in Urlaub, jeder konnte sich vorstellen, daß dort Menschen betroffen sind. Afghanistan ist so weit weg, daß es fast schon eine Sagengestalt ist. Deswegen ist schwieriger als im Jugoslawien-Krieg zu vermitteln, daß Menschen und nicht fanatische Killermaschinen betroffen sind. Ihre Menschlichkeit geht in diesem Krieg leichter verloren.

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