Dokumentation: Vom Elend einer militarisierten Außenpolitik:

von: 13. November 2001

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Die Bundeswehr im Kampfeinsatz in Afghanistan – von Oberstleutnant Dipl. Päd. Jürgen Rose

„Nichts schlägt so leicht in Barbarei um, wie der selbstgerecht geführte Kreuzzug gegen vermeintliche oder wirkliche Barbaren.“ Rudolf Walther [1]

Zum zweiten Mal nach 1999 entsenden Sozialdemokraten und Bündnisgrüne deutsche Soldaten mit einem expliziten Kampfauftrag in ein fremdes Land – nötigenfalls zum Töten und zum Sterben. Unter den Vorzeichen einer sogenannten „Normalisierung der deutschen Außenpolitik“ scheint ein solches Procedere zur Regel zu werden. Vergessen offenbar die einstmals so emphatisch betonte „Kultur der Zurückhaltung“, in der sich die bitter gelernten Lektionen einer in der Katastrophe kulminierten deutschen Politik mit kriegerischen Mitteln niedergeschlagen hatten. Ab sofort heißt es wieder: „Germans to the Front!“

Vor nunmehr sieben Jahren, als nach dem Ende des Kalten Krieges der Auftrag der deutschen Streitkräfte neu definiert wurde, formulierte der damalige Außenminister Klaus Kinkel einen Katalog politischer Prinzipien für eine Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Militäraktionen [2], welcher den ehemaligen, aber nunmehr offenbar überholten sicherheitspolitischen Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland widerspiegelte. Im wesentlichen hatte sich diese Republik in einem langwierigen, bis vor das Bundesverfassungsgericht getragenen Disput auf folgende Prämissen verständigt, die erfüllt sein müßten, bevor die Bundeswehr in den Einsatz geschickt würde:

Erstens käme eine Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen nur dann in Frage, wenn sie völkerrechtlich eindeutig zulässig wäre. Nur so wäre sichergestellt, daß durch solche Einsätze das Recht gewahrt und nicht neues Unrecht geschaffen würde. Zweitens würde Deutschland solche Einsätze niemals alleine unternehmen, sondern sich nur im gemeinsamen Verbund mit anderen Partnern an Militäroperationen beteiligen, primär im Rahmen bestehender internationaler Institutionen wie z. B. UNO, OSZE, NATO oder WEU. Drittens müßten folgende Fragen befriedigend beantwortet sein: Gibt es ein klares Mandat? Ist die militärische Aktion in sinnvoller Weise in ein umfassendes politisches Lösungskonzept eingebettet? Sind die verfügbaren Mittel hinreichend, um einer solchen Mission zum Erfolg zu verhelfen? Ist die Verhältnismäßigkeit zwischen dem erstrebten Ziel und den möglicherweise in Kauf zu nehmenden Zerstörungen gewahrt? Gibt es eindeutige Erfolgskriterien und damit eine absehbare zeitliche Begrenzung? Und bestehen Überlegungen für den Fall, daß der angestrebte Erfolg sich wider Erwarten doch nicht erreichen läßt? Viertens müßten je mehr es in Richtung Kampfeinsätze ginge, desto zwingender die Gründe sein, die eine deutsche Beteiligung erforderten. Je höher das Risiko für die Soldaten, um so höher müßten die Werte sein, die es zu verteidigen gälte. Das geforderte Risiko, unter Umständen auch für das eigene Leben, müßte für die eingesetzten Soldaten, aber auch für die Bevölkerung zu Hause, als sinnvoll und zumutbar empfunden werden. Fünftens bedürfte die Teilnahme deutscher Streitkräfte an einer internationalen Militäreinsätzen gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes der parlamentarischen Zustimmung. Angesichts der politischen Tragweite solcher Einsätze und der möglichen Gefährdung der Soldaten wäre ein parteiübergreifender Konsens anzustreben. Der Dienst am Frieden sollte einigend wirken und nicht Anlaß zu neuen Kontroversen geben. Sechstens dürfte eine deutsche Beteiligung nicht konfliktverschärfend wirken. Dies könnte vor allem der Fall sein, wo aus der Zeit der deutschen Besetzung während des Zweiten Weltkrieges noch besondere Animositäten lebendig seien.

Legt man diesen Kriterienkatalog an den bevorstehenden Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan an, so drängen sich eine Reihe von Zweifeln auf. So scheint prima facie eine klare völkerrechtliche Grundlage für den Krieg gegen Afghanistan zu existieren, hat doch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach den Terroranschlägen von New York und Washington in mehreren Resolutionen das Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta bekräftigt und die NATO den Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages konstatiert. Eine genauere Analyse der einschlägigen Resolutionen Nr. 1368 vom 12. September 2001 sowie Nr. 1373 vom 28. September 2001 ergibt indessen, daß diesen mitnichten ein Freibrief zum uneingeschränkten Bombenkrieg gegen Afghanistan und seine seit mehr als zwanzig Jahren von Krieg und Bürgerkrieg geschundene Bevölkerung resultiert. Ganz im Gegenteil: Statt die Staaten zu einem solchen Krieg zu ermächtigen, fordert der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Staaten ganz konkret auf, zusammenzuarbeiten, um die Täter, Organisationen und Förderer der Terroranschläge von New York und Washington der Strafjustiz zuzuführen. Nicht völkerrechtliche Sanktionen gegen Staaten, sondern das internationale Strafrecht bezogen auf individuelle Personen erachtet demnach der Sicherheitsrat in der Resolution Nr. 1368 als adäquates Instrumentarium der Terrorismusbekämpfung [3]. Besonders stellt der Sicherheitsrat darüber hinaus in seinen Resolutionen darauf ab, daß die Bekämpfung des internationalen Terrorismus‘ in Übereinstimmung mit den Regelungen der UN-Charta und ausschließlich unter Anwendung rechtmäßiger Mittel zu geschehen habe.

In der Tat stellen die terroristischen Akte vom 11. September 2001 Verbrechen dar – Helmut Schmidt nennt sie zu Recht „Mammut-Verbrechen“ [4] -, begangen von kriminellen Tätern. Deren Ergreifung und Aburteilung indes fällt unter die Prärogative von Polizei und Justiz, nicht aber die des Militärs. Wer demgegenüber auf eine Terrorbekämpfung zuvörderst mittels militärischer Gewaltanwendung setzt, entwertet das Instrumentarium ziviler Konfliktregelung und kompromittiert die Idee von der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen [5]. Noch größere Irritationen muß in diesem Kontext auslösen, wenn gerade die USA, die so betont das Wort Gerechtigkeit im Munde führen – man erinnere sich, daß die ursprüngliche Bezeichnung für den Anti-Terrorkrieg „Infinite Justice“ lautet sollte – mit aller Macht die Etablierung des 1998 in Rom beschlossenen Internationalen Strafgerichtshofes der Vereinten Nationen zu hintertreiben versuchen [6]. Dabei scheut der amerikanische Gesetzgeber offensichtlich nicht davor zurück, auch die engsten Verbündeten gerade in dem Moment zu brüskieren, wo die USA deren uneingeschränkte Solidarität genießen. Letztlich muß es geradezu bizarr wirken, wenn eine Nation, die sich strikt weigert, gegebenenfalls die Aburteilung eines eigenen Staatsbürgers im Falle des Völkermordes, schwerster Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor einem zukünftigen Internationalen Strafgerichtshof der Vereinten Nationen zuzulassen, zugleich das Recht beansprucht, die Auslieferung eines von ihr terroristischer Verbrechen Beschuldigten herbeizubomben, noch dazu ohne der Weltöffentlichkeit bisher stichhaltige, gerichtsfeste Beweise vorgelegt zu haben. Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext zudem, daß im Völkerrecht gemäß dem Prinzip der universellen Jurisdiktion keine generelle Verpflichtung eines Staates zur Auslieferung von Beschuldigten an einen anderen Staat, der ein solches Begehren vorbringt, existiert [7]. Völkerrechtlich besteht für einen Staat zunächst nur die Verpflichtung, einen Beschuldigten seiner eigenen Strafjustiz zuzuführen. Was die USA demnach von dem in Afghanistan regierenden Taliban-Regime berechtigterweise verlangen könnten, wäre ein Strafprozeß gegen den als Drahtzieher des internationalen Terrorismus‘ beschuldigten Osama bin Ladin. Nur wenn jenes dazu nicht bereit wäre, ergäbe sich eine Pflicht zu dessen Auslieferung.

Auf den Punkt gebracht ergibt sich aus der völkerrechtlichen Analyse des Problemkomplexes internationaler Terrorismus, daß, solange keinem einzelnen Staat oder einer Staatengruppe eine Handlung zugerechnet werden kann, die einem bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 der UN-Charta gleichzustellen ist, eine gesicherte völkerrechtliche Legitimation für militärische Maßnahmen nicht existiert – und zwar weder für die USA noch für die NATO gemäß dem Bündnisvertrag [8]. Im Hinblick auf die erstgenannte Voraussetzung für den Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan bleibt demnach festzuhalten, daß dieser auf einer völkerrechtlich schwankenden Grundlage steht, zumindest aber das Kriterium der eindeutigen Zulässigkeit nicht erfüllt.

Das Kriterium zwei ist erfüllt, da die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Streitkräften im NATO-Bündnis und darüber hinaus im Kontext einer geradezu weltumspannenden Koalition gegen den Terror agiert. Allerdings bleibt zu monieren, daß sich in dieser vielzitierten Koalition doch einige, gelinde ausgedrückt, schillernde Figuren befinden oder auch mit welcher Nonchalance aus Schurken Alliierte werden.

In Bezug auf das dritte Kriterium drängen sich die gravierendsten Einwände gegen die Teilnahme deutscher Soldaten am Anti-Terrorkrieg auf. Neben dem Umstand, daß es kein gesichertes völkerrechtliches Mandat für einen solchen Einsatz gibt, bleibt die Frage nach der politischen Zielsetzung dieses Krieges bis dato im Dunkeln. Während die Einsätze der amerikanischen und britischen Streitkräfte in den ersten Kriegswochen vornehmlich der Jagd auf Osama bin Ladin und seinen Kumpanen zu gelten schienen, zielt die jetzige Strategie offenbar darauf ab, das Taliban-Regime zu vernichten und die Vertreter der sogenannten Nord-Allianz zurück an die Macht zu bomben. Die Paradoxie einer solchen Vorgehensweise illustriert der Umstand, daß die USA selbst gemeinsam mit Pakistan und Saudi-Arabien die Taliban Mitte der neunziger Jahre allererst an die Macht gebracht hatten. Damals meinte man den Bürgerkrieg, der Afghanistan in ein unerträgliches Chaos aus Gewaltherrschaft, Mißachtung jeglicher Menschenrechte, nahezu vollständiger Zerstörung der ohnehin armseligen Infrastruktur, Hunger und Armut sowie großangelegtem Drogen- und Waffenhandel gestürzt hatte, beenden zu können, indem man mit Hilfe der Taliban eben jene Warlords, Stammesfürsten und Clanchefs von der Macht vertrieb, die man heute wieder in Amt und Würde bomben möchte. Es ist eine völlig absurde Logik, die sich darin offenbart, zunächst Beelzebub mit Satan zu vertreiben und jetzt wieder Satan mit Beelzebub. Trotz intensivster diplomatischer Bemühungen ist eine tragfähige politische Konfliktlösung für Afghanistan bis heute nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Indessen heißt Krieg ohne ein klares politisches Ziel zu führen, einen Kardinalfehler im Sinne Clausewitz‘ zu begehen. Krieg bedeutet dann nämlich nicht die „Fortführung der Politik unter Einmischung anderer Mittel“, sondern die Abdankung von Politik und die Erhebung militärischer Gewaltanwendung zum Selbstzweck. Eine derartige Vorgehensweise läßt sich dann wohl mit Fug und Recht als Abenteurertum bezeichnen – und daran wollte sich diese Republik ja eigentlich nicht beteiligen, wenn man den Bundeskanzler richtig verstanden hat.

Darüber hinaus gibt aber auch die Art und Weise der militärischen Operationsführung zu erheblichen Zweifeln an deren Sinnhaftigkeit Anlaß. Festzustellen ist zunächst, daß der Krieg in und über Afghanistan gemäß dem von den USA seit dem Golfkrieg 1991 entfalteten neuen Paradigma geführt wird; ein Schlüsselbegriff hierzu lautet „Revolution in Military Affairs“. Diesem Paradigma zufolge werden Kriege mit Hilfe von High-Tech-Waffensystemen, auf welche die USA und ihre Rüstungsindustrie ein Quasi-Monopol besitzen, aus der Distanz, mit überlegenen, weltraum- und luftgestützten Aufklärungsmitteln, modernster Informations- und Führungstechnologie sowie konkurrenzlos überlegenen Luftkriegsmitteln geführt, wobei eigene Verluste vermieden und gegnerische minimiert werden sollen. Bodengebundene amerikanische Streitkräfte, die, wenn überhaupt, dann in geringer Stärke zum Einsatz kommen, dienen vornehmlich der Unterstützung des Luftkrieges mittels Aufklärung und Zielbeleuchtung sowie sonstigen Spezial- oder Kommandooperationen. Zudem streben die USA an, daß die Verbündeten oder jeweiligen Koalitionspartner deren Streitkräfte für den stets mit erheblichen Verlustrisiken verbundenen Einsatz am Boden bereitstellen. Generell gilt für den Einsatz bodengebundener Streitkräfte unter dem Aspekt der Ökonomie des Krieges und im Kontext massenmedialer Omnipräsenz, daß jene tunlichst nicht in Massenschlächtereien traditioneller Art, sondern vorzugsweise erst nach der gegnerischen Kapitulation zum Zwecke der Stabilisierung und Absicherung einer Waffenstillstandsvereinbarung oder Friedensregelung sowie zur sogenannten „Kriegsfolgenbereinigung“ zum Einsatz kommen sollen. Schon der Verlauf des Kosovokrieges demonstrierte, wie effektiv dieses neue Paradigma der Kriegführung in die Tat umgesetzt wurde und der Krieg in Afghanistan liefert eine erneute Bestätigung für dessen Wirkungsmächtigkeit.

In der Realität des Krieges gegen Afghanistan resultiert aus einer solchen Doktrin, daß ein ohnehin unbewohnbares Land noch unbewohnbarer gemacht wird. Der anfängliche Krieg gegen den Terror droht peu à peu in einen Terrorkrieg gegen Afghanistan und die afghanische Bevölkerung umzuschlagen. Während der Weltöffentlichkeit suggeriert wird, daß die U.S. Airforce selektiv und präzise die Infrastruktur von Osama bin Ladins Al-Quaida sowie das rudimentäre Militärpotential der Taliban zertrümmert, meldet der amerikanische Fernsehsender NBC unter Berufung auf einen hochrangigen Offizier der amerikanischen Streitkräfte, daß die amerikanische Luftwaffe die entsprechend völkerrechtlicher Regularien deutlich gekennzeichneten Lager des IKRK in Afghanistan vorsätzlich bombardiert habe, um die dort deponierten Lebensmittel und Hilfsgüter nicht in die Hände der Taliban fallen zu lassen [9]. Nach der Genfer Konvention inklusive Zusatzabkommen fallen vorsätzliche Angriffe auf humanitäre Einrichtungen unter die Kategorie der Kriegsverbrechen. Mittlerweile sollen bereits mehr als achtzig Prozent der IKRK-Strukturen in Afghanistan zerstört worden sein [10]. Symbolhaften Gehalt besaß bereits die Zerstörung eines Büros der Vereinten Nationen in Kabul zu Beginn der Bombardierungen, wobei vier lokale Mitarbeiter, deren Aufgabe darin bestand, im Rahmen eines humanitären UNO-Projektes Minen zu räumen, getötet wurden.

Trotz der schnellen und effektiven Zerstörung der sehr begrenzten Anzahl militärischer Ziele von strategischer Bedeutung in den ersten Kriegswochen hat sich das Taliban-Regime als äußerst widerstandsfähig erwiesen, wie das Pentagon zu seiner Überraschung zuzugeben genötigt war. Kritiker der „Revolution in Military Affairs“ dürften ihre Einwände bestätigt sehen, da nunmehr die Schwächen einer solchen Posture im Hinblick auf die Auseinandersetzung zwischen High-Tech-Streitkräften einerseits und relativ primitiv bewaffneten, aber todesmutig entschlossenen Kampfverbänden andererseits klar zutage treten. Die U.S. Airforce ist daher mittlerweile dazu übergegangen, den Truppen der Nordallianz den Weg durch die Stellungen der Taliban freizubomben, wobei die Taktik des sogenannten „square bombings“ sowie Clusterbomben zum Einsatz gelangen. Nur eine Frage der Zeit dürfte darüber hinaus die Anwendung der berüchtigten „Fuel-Air-Explosives“ sein, Aerosolbomben, die eine enorme Druckwelle erzeugen und Menschen – im Jargon der Militärs als „weiche Ziele“ bezeichnet -, die sich in deren Wirkbereich befinden, die inneren Organe zerfetzen. Da die Kämpfe durchaus nicht in einer menschenleeren Wüstenei stattfinden, sondern durchaus auch Siedlungen im Kampfgebiet liegen, führt diese Veränderung der operativen Konzeption dazu, daß mitunter ohne Rücksicht auf die örtliche Zivilbevölkerung ganze Dörfer umgepflügt und eingeäschert werden.

Ein weiterer Effekt des Krieges gegen Afghanistan liegt darin, daß schätzungsweise siebeneinhalb Millionen Flüchtlinge angesichts der desaströsen Ernährungslage und des einsetzenden Winters dem Hunger- und Kältetod ausgesetzt werden, da die humanitären Hilfsorganisationen angesichts der Kriegshandlungen nahezu zur Untätigkeit verurteilt sind. In der Konsequenz bedeutet die Art der Kriegführung in Afghanistan, daß die gesamte afghanische Bevölkerung – Männer, Frauen, Kinder, Alte – quasi in Geiselhaft genommen wird für eine Handvoll Terroristen, die auf afghanischem Territorium operieren. Indem solchermaßen die Conditio sine qua non der Verhältnismäßigkeit von intendiertem Zweck und selektierten Mitteln schlechterdings ignoriert wird, ist der Krieg gegen Afghanistan, so wie er derzeit geführt wird, mit dem Völkerrecht und dem Kriegsvölkerrecht nicht zu vereinbaren.

Darüber hinaus läßt er sich auch unter moralischen Aspekten nicht länger rechtfertigen, weil er nämlich der Maxime folgt, daß es erlaubt sei, Unschuldige zu töten, um andere Unschuldige zu rächen und um potentielle Opfer zukünftiger terroristischer Anschläge zu retten. Ein derartiges Kalkül ist selbstredend absurd. Wer weiterhin für uneingeschränkte Solidarität mit Amerika im Krieg gegen Afghanistan plädiert, muß wissen, daß er damit einer unhaltbaren moralischen Maxime folgt.

Neben dem unermeßlichen Leid, das der Krieg hervorbringt, ist er zudem unter politischen Aspekten noch völlig kontraproduktiv, da er nämlich das Gegenteil dessen bewirken wird, was eigentlich erreicht werden soll. Jeder von der westlichen Kriegsmaschinerie getötete Zivilist nährt den Haß in der islamischen Welt und treibt den Rattenfängern des Terrorismus‘ neue Gefolgsleute zu. Tagtäglich läßt sich dieser Effekt exemplarisch in Pakistan, Ägypten oder Palästina bereits heute beobachten. Militärische Gewaltanwendung stellt stets nur ultima ratio dar, kann bestenfalls ein Kurieren von Symptome bewirken. Nicht das Geringste indes ändert sie an den Ursachen für das Entstehen von Denkschablonen und Handlungsmustern, gemäß denen die Protagonisten im Heiligen Krieg gegen eine als gottlos und zutiefst ungerecht empfundene Welt ihre heldenhafte Selbstaufopferung unter Maximierung feindlicher Verluste zum höchsten Ziel erheben. Wie man es auch dreht und wendet: Mit Bomben und Raketen läßt sich die Spaltung der Welt in Arm und Reich nicht überwinden, mit einem „Kreuzzug gegen den Terrorismus“ kein gerechter Frieden schaffen, mit militärischer Gewalt der Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen in der islamischen Welt nicht gewinnen.

Gewendet auf die eingangs aufgeworfene Fragestellung nach den Erfolgskriterien der militärischen Intervention resultiert aus den aufgezeigten Defiziten und Dilemmata, daß jene mitnichten in zufriedenstellender Weise beantwortet ist, sondern im Gegenteil höchst unklar bleibt. Darüber hinaus läßt sich auch überhaupt kein Ende des Krieges absehen, ganz im Gegenteil wird von offizieller Seite stets betont, daß der Kampf gegen den internationalen Terrorismus von sehr langer Dauer sein wird. Und schließlich sind für den nicht auszuschließenden Fall, daß der begonnene Krieg nicht den gewünschten Erfolg zeitigen wird, bisher keinerlei Überlegungen betreffend eine sogenannte „Exit Strategy“ bekannt. Dies muß als umso befremdlicher erscheinen, als die afghanische Geschichte eine Erfolgsstory der Abwehr von Interventionen fremder Mächte darstellt. Sollte der Krieg gegen den Terrorismus in der extremen Hochgebirgstopographie des Hindukush scheitern, so bedeutet dies nicht nur ein militärisches, sondern insbesondere ein politisches Desaster enormen Ausmaßes, da dann die fundamentalistischen Kämpfer des Dschihad zum zweiten Mal einer technologisch weit überlegenen Supermacht erfolgreich die Stirn geboten hätten. Die Implikationen eines solchen Szenarios blieben mit Sicherheit nicht auf die Region Zentralasiens beschränkt, sondern beträfen den ganzen Planeten.

Zusammengefaßt ergibt die Analyse von Kriterium Nummer drei des oben explizierten Prinzipienkatalogs, daß sich für keine der dort subsumierten Fragen eine zufriedenstellende Antwort findet. Eine Entsendung von Bundeswehrsoldaten in den Krieg gegen Afghanistan erscheint somit weder als zweckmäßig noch als gerechtfertigt. Letztlich legt dies die Schlußfolgerung nahe, daß eine Beteiligung der Bundeswehr an diesem Krieg in der Tat militärischem Abenteurertum gleichkäme.

Auch die vierte Forderung stellt eine Schlüsselfrage dar: Sind die Gründe für das eventuelle Opfer deutscher Soldaten auf dem Schlachtfeld in Afghanistan wirklich zwingend? Rechtfertigen die terroristischen Attacken in den USA, wie grauenhaft und menschenverachtend sie sich auch immer darstellen, zweifelsfrei einen Kampfauftrag für die Bundeswehr und gibt es tatsächlich keinerlei Dissens über die Sinnhaftigkeit eines derartigen Kampfeinsatzes? Dies ist, beobachtet man die aktuelle politische Debatte sowie die Berichterstattung in den Medien, keineswegs der Fall. Ganz im Gegenteil, denn erstens ist zu konstatieren, daß in der demokratischen Öffentlichkeit in Anbetracht der politischen und militärischen Imponderabilien seit Wochen Skepsis und Kritik am Krieg der USA und Großbritanniens in Afghanistan wachsen. Zweitens aber läßt die von der Bundesregierung deklarierte Politik nach der Devise „uneingeschränkter Solidarität“ mit den USA oder dem Slogan: „Heute sind wir alle Amerikaner“, den Verdacht aufkeimen, daß es gar nicht so sehr die USA waren, die unbedingt einen militärischen Beitrag der Bundeswehr eingefordert haben, sondern vielmehr Gerhard Schröder und Joschka Fischer diesen den USA geradezu aufgenötigt haben, um Einfluß und Mitsprache Deutschlands im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu gewährleisten. Dies mag man für politisch durchaus klug und zweckmäßig halten, dann sollte man es getreu dem Gebot der Wahrhaftigkeit der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit und den Soldaten der Bundeswehr aber auch so erklären.

Was die fünfte Forderung des Prinzipienkataloges betrifft, so zeichnet sich zwar ab, daß eine Mehrheit des Deutschen Bundestages dem Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan zustimmen wird. Desgleichen deutet sich aber auch an, daß eine nicht zu vernachlässigende Minderheit der Parlamentarier auf vehementer Ablehnung sowohl des Krieges gegen Afghanistan selbst als insbesondere auch einer Beteiligung der Bundeswehr daran beharren wird. Daher liegt die Prognose nahe, daß die Kontroverse um den bevorstehenden Kampfeinsatz deutscher Soldaten andauern und sich im weiteren Verlauf des Krieges eher noch verschärfen wird. Im Hinblick auf die Legitimation des Bundeswehreinsatzes einerseits, die Moral der Truppe andererseits dürften sich aus diesem Sachverhalt nicht unerhebliche negative Implikationen ergeben.

Das letzte Kriterium, daß nämlich eine Beteiligung Deutschlands an einem Konflikt sich unter Berücksichtigung der besonderen historischen Spezifika deutscher (Militär-)Geschichte nicht verschärfend auswirken dürfte, erscheint im afghanischen Kontext eher irrelevant, da die Horden des Dritten Reiches bis in jene fernen Regionen nicht vorgedrungen waren.

Das abschließende Resümee im Hinblick auf die Erfüllung der einstmals so explizit reklamierten Prinzipien für einen Einsatz deutscher Streitkräfte fällt, was den Krieg in Afghanistan anbetrifft, sehr ernüchternd aus: Die Perspektive, auf dem Altar ominöser nationaler Interessen geopfert zu werden, wird in den Streitkräften jetzt und in der Zukunft erhebliche Zweifel sowohl am Sinn als auch an der Legitimität militärischen Dienens aufkommen lassen. Zusammengenommen mit der unübersehbar im Scheitern begriffenen Bundeswehrreform könnte sich daher die Lage für die deutschen Streitkräfte in ungeahnt prekärer Weise entwickeln.

Der Autor, der in diesem Beitrag seine persönlichen Auffassungen vertritt, ist Oberstleutnant der Bundeswehr.

[1] Walther, Rudolf: Die Fiktion vom sauberen Waffengang, in: Die Zeit, Nr. 32, 2. August 2001, S. 41.
[2] Vgl. hierzu Kinkel, Klaus: Die Rolle Deutschlands bei Friedensmissionen, in: NATO-Brief, Oktober 1994, S. 6f.
[3] Vgl. hierzu Stuby, Gerhard: Internationaler Terrorismus und Völkerrecht, unveröffentlichtes Manuskript, Oktober 2001, S. 3 (zur Publikation vorgesehen in: Blätter für deutsche und internationale Politik).
[4] Vgl. Schmidt, Helmut: Das Mammut-Verbrechen, in: Die Zeit, Nr. 38, 13. September 2001, S. 1.
[5] Vgl. Garzón, Baltasar: Die einzige Antwort auf den Terror – Bomben auf Kabul, Spezialkommandos, Jagd auf die Taliban: Das dient zuerst dem Wunsch nach Rache für den 11. September. Erfolg aber verheißen nur die Sprache des Rechts und der Richter, in: Die Zeit, Nr. 44, 25. Oktober 2001, S. 11.
[6] Vgl. Schmidt-Häuer, Christian: „Den Freunden ins Auge gestochen“ – Die amerikanische Regierung unterstützt das Gesetz gegen den Internationalen Strafgerichtshof und brüskiert die Vereinten Nationen, in: Die Zeit, Nr. 43, 18. Oktober 2001, S. 4.
[7] Vgl. hierzu Stuby, Gerhard: Internationaler Terrorismus und Völkerrecht, unveröffentlichtes Manuskript, Oktober 2001, S. 10ff (zur Publikation vorgesehen in: Blätter für deutsche und internationale Politik).
[8] Vgl. hierzu Stuby, Gerhard: Internationaler Terrorismus und Völkerrecht, unveröffentlichtes Manuskript, Oktober 2001, S. 13 (zur Publikation vorgesehen in: Blätter für deutsche und internationale Politik).
[9] Vgl. Rupp, Rainer: Im Visier: Rotes Kreuz. USA bombardieren Lager in Kabul absichtlich, in: Neues Deutschland, Nr. 256, 3./4. November 2001, S. 3.
[10] Vgl. die entsprechende Meldung in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 252, 2. November 2001, S. 4; dort wird unter der Rubrik „Blick in die Presse“ die französische Zeitung „L’Humanité“ wie folgt zitiert: „Durch die US-Luftangriffe in Afghanistan wurden 80 Prozent der Infrastruktur des Roten Kreuzes zerstört, irrtümlich, wie die US-Regierung sagt. Doch ist der Irrtum nicht Wesenselement der amerikanischen Strategie? Am Anfang sollten die Ausbildungslager der Terrororganisation zerstört und bin Laden gefangen werden, jetzt beobachten wir eine Art ‚Startegie der Angst‘ mit Bombardierungen, damit sich die Bevölkerung von den Taliban abwendet.“