Presse: Kriegspfad in die Sackgasse

von: 8. November 2001

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Zieht die Bundeswehr in den Krieg gegen den Terror? Das TAGBLATT sammelte Reaktionen

KREIS TÜBINGEN (re / kai / pez). Morgen berät der Bundestag. Kommende Woche soll der Beschluss fallen, 3900 Bundeswehr-Soldaten zur Terrorbekämpfung bereitzustellen. Das TAGBLATT sammelte Tübinger Reaktionen. Der Politikwissenschaftler Prof. Volker Rittberger sieht die USA und ihre Verbündeten in einer fatalen Sackgasse, der Grünen-Bundestagsabgeordneter Winfried Hermann beobachtet eine wachsende Schar von Zweiflern in seiner Fraktion. Und der CDU-Kreisvorsitzende Klaus Tappeser fordert, die Terrorismus-Ursachen nicht aus den Augen zu verlieren.

1800 Marine-Soldaten bilden in den Planspielen der Regierung den größten Teil des Bundeswehr-Kontingents. Sie werden wohl am persischen und arabischen Golf eingesetzt werden, um zentrale Schiffswege zu schützen, vermutet der Tübinger Politikwissenschaftler Prof. Volker Rittberger. Dass weder die USA noch die Bundesregierung Einsatz-Details herauslassen, überrascht den Politologen nicht. „Das wäre Unfug.“

Rittberger (Bild) ist skeptisch, ob der Bundestag nach einem grundsätzlichen Rahmenbeschluss die einzelnen Einsätze erneut debattieren wird. „Er tut sich keinen Gefallen, in operative Details zu gehen.“ Dafür sei die Regierung zuständig. „Das ist ein juristisches Thema, ob der Bundestag im Einzelfall gehört werden kann. Man muss präzise festlegen, wie weit jedes Organ gehen darf. Verfassungspolitische Grauzonen sollen nicht entstehen.“

Befürworter der Bundeswehr-Einsätze argumentieren mit Solidarität und Bündnisfähigkeit. Dem stehe zunehmende Skepsis an der „vernünftigen Erfolgswahrscheinlichkeit“ der Militäroperationen entgegen. Auch in den USA wächst nach Rittbergers Beobachtung die Kritik von Publizisten und politischen Beobachtern. Mahnen sie an, dass keiner mehr über Ursachen des Terrorismus redet? „Es geht nicht einmal um seine Ursachen, sondern um seine vertretbare Bekämpfung“, sagt der Politologe.

„In Afghanistan Krieg zu führen, um einen vermuteten Zentralherd des internationalen Terrorismus auszulöschen, könnte sich als völlig verfehlt und schlicht nicht zielführend erweisen.“ Rittberger bezweifelt die Zweckmäßigkeit der Angriffe. „Man kann Afghanistan noch lange aus der Luft bombardieren – was soll dabei herauskommen?“

Bedenklich sei auch der Einsatz von Bodentruppen. „Man kann nur davor warnen. Wir haben genügend Erfahrung, wie zerstörerisch ein Guerilla-Krieg von afghanischer Seite werden würde. Die Sowjetunion hat es erlebt.“

Der militärische Weg könne sich zu einem zweiten Vietnam ausweiten, warnt Rittberger. Er befürchtet „eine Intervention, die für die USA, die westlichen Staaten und die Nachbarstaaten katastrophale Folgen hätte“. Eine mögliche Folge der Militärschläge sei eine weitere Radikalisierung der islamischen Welt.

„Die USA und ihre Verbündeten manövrieren sich in eine fatale Sackgasse. Jetzt wäre noch Zeit, ohne Gesichtsverlust aus der abschüssigen Bahn auszuscheren.“ Anstelle der Militärs seien Diplomaten und Geheimdienste gefragt, um Einsätze von Spezial-Kommandos vorzubereiten. „Verbrechensbekämpfung muss sein. Aber mit geeigneten Kräften.“ Rittberger vermisst eine Debatte über politische Perspektiven für Afghanistan. „Das ist total ins Stocken geraten.“ Jeder Weg sei richtig, der aus der Sackgasse herausführe – bis hin zu Geheim-Verhandlungen mit den Taliban.

Von einem „Paradigmen-Wechsel“ angesichts des Bundeswehr-Einsatzes spricht der CDU-Kreisvorsitzende Klaus Tappeser (Bild). Doch: „Wer A sagt, muss auch B sagen“, zitiert Rottenburgs Oberbürgermeister eine Volksweisheit. Vor dem „B“-Sagen, also einem Einsatz deutscher Soldaten, fordert Tappeser: „Erst müssen die Rahmenbedingungen klar sein.“ Auch wenn es ihm schwerfalle, würde er generell den Einsatz bejahen. „Es gibt keine Schönwetter-Bündnisse.“

Allerdings wird nach Ansicht des Christdemokraten „zu wenig über andere Möglichkeiten, den Terror zu bekämpfen, und zu wenig über seine Ursachen diskutiert“. Das hält Tappeser für „einen großen Fehler“. Denn „mit Gewalt lassen sich dauerhaft keine Konflikte lösen“. Als Staatsbürger vermisst der Rottenburger OB auch tiefer gehende Debatten über das Schily-Paket zur Inneren Sicherheit.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann(Bild) sieht sich durch die jüngste Entwicklung in Afghanistan bestätigt: „Krieg ist die völlig falsche Antwort“, sagte er heute kurz vor der Sondersitzung seiner Fraktion. In ihr mehren sich inzwischen die Zweifler. Doch der Pazifist aus Tübingen sieht noch nicht, dass sie wie er „nein“ zum Einsatz deutscher Soldaten sagen werden: „Es steht immer auch die Koalitionsfrage im Raum“.

Außenminister Joschka Fischer habe schon am Dienstag versucht, die Fraktion auf seine Linie einzuschwören: Es gebe „nur diese eine Lösung“, auch wenn sie hart sei. Den Kriegsgegner Hermann vermochte er damit nicht umzudrehen. Dieser kritisierte gestern, dass die Bundesregierung nach einem Rahmenbeschluss allein über die konkreten Einsätze entscheiden solle. Er lehnt es ab, die Entscheidungskompetenz des Parlaments abzugeben.

Während in Berlin hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde, trommelten Tübinger Friedensaktivisten gegen die Bundeswehr-Einsätze. Tobias Pflüger (Bild) von der Informationstelle Militarisierung sagte: „Es kann nicht sein, dass die Grünen, die Krieg und Frieden als Kernfragen ihrer Politik betrachten, nun einer Beteiligung der Bundeswehr zustimmen, nur um die Koalition zu erhalten.“ Seiner Ansicht nach halten weite Teile der SPD und Grünen-Basis zu sehr mit Kritik an der Kriegsbeteiligung zurück.

„Jetzt ist das eingetreten, wovor wir immer gewarnt haben – die Teilnahme an einem Rachekrieg, dessen Ausgang völlig unklar ist, und bei dem die Leidtragenden hauptsächlich zur Zivilbevölkerung gehören“, sagte Pflüger weiter. Die aktive Beteiligung der Bundeswehr führe zu einer weiteren Eskalation des Konflikts. Bundeskanzler Schröder versuche, eine Blanko-Vollmacht für Militäraktionen zu erwirken. Dabei werde der Parlamentsvorbehalt ausgehebelt.

Original unter: http://www.cityinfonetz.de/tagblatt/archiv/2001/11/07/bild.phtml

Original als PDF-datei unter http://www.imi-ev.de/tagblatt-kriegseintritt.pdf