FB: Rede von Lühr Henken bei der Spontandemo in Hamburg gegen den Kriegsbeginn, 8. Oktober 2001

von: 6. November 2001

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Lühr Henken (Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V.)

(Es gilt das gesprochene Wort)

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

Vorgestern am Samstag sind wir hier mit 1.000 Friedensfreunden durch die Mönckebergstraße demonstriert, mit der Aufforderung an die USA, Großbritannien und die NATO, keinen Krieg gegen Afghanistan oder ein anderes islamisches oder arabisches Land zu beginnen. Den Auftakt für diese Demo gestaltete der US-amerikanische politische Folk-Sänger Jim Page aus Seattle. Viele von Euch werden ihn noch im Ohr haben. Jim hatte vorher ein längeres Interview gegeben, das mir in der Übersetzung vorlag, aber aus Zeitgründen am Samstag nicht vorgetragen werden konnte. Ich möchte heute eine Passage aus dem Interview hier vorlesen. Jim sagte: „Egal, was sie Dir erzählen, Amerika hat eine Kriegsökonomie und ist kein friedliches Land. Wir haben einen nicht legitimierten Präsidenten, der noch nicht einmal gewählt wurde, und als Gouverneur von Texas, in diesem Staat mehr Hinrichtungen als in jedem anderen durchführte.

Auf der einen Seite war sein Vater Kopf der CIA während des Vietnamkrieges, in dem sein Phoenix-Programm den Tod von ungefähr 25.000 Menschen verursachte. Als Präsident im Jahre 1991 schuf er die Operation Desert Storm, die Bombardierung des Iraks, und tötete 250.000 Menschen innerhalb von sechs Wochen. Dieses sieht aus wie eine Familientradition, und es macht einen nachdenklich.“ So weit Jim Page aus Seattle, wo 1999 eine machtvolle Demonstration der rund 50.000 das WTO-Ministerratstreffen beschlussunfähig machte.

George Bush Junior hat gestern mit den Kriegsherren des 2. Golfkriegs den monumentalen Kampf zwischen Gut und Böse begonnen. Die Luftangriffe auf Afghanistan laufen nach identischen Mustern ab wie jene gegen den Irak 1991 und gegen Jugoslawien 1999. Zunächst werden in erster Linie militärische Ziele angegriffen, die auch unschuldige Menschen treffen, deren Tod allerdings zynisch als Kolateralschaden einkalkuliert ist. Später werden es Objekte der Infrastruktur sein, die dem anglo-amerikanischen Bombenterror ausgesetzt werden Zur Infrastruktur zählen die Strom- und Wasserversorgung, die Öl- und Benzinvorräte in einem seit mehr als 20 Jahren von Kriegen geschundenen Land, dessen Menschen sich dringend nach Frieden sehnen. Der britische Außenminister Straw sprach heute davon, dass die Luftangriffe noch „wochenlang“ dauern könnten.

In drei Wochen bricht in Afghanistan der Winter aus. Tiefe Minustemperaturen und Schneefall sind die Regel. Die schon heute viele Millionen völlig verängstigten und hungerdarbenden Menschen in Afghanistan werden bei Stromausfall und mangelnder Wasserversorgung einem unbeschreiblichen Elend ausgesetzt sein.

Hier helfen nicht Essenspakete aus der Luft, sondern nur die sofortige Einstellung des Bombardements!

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

dafür, dass die deutsche Regierung, Sozialdemokraten und Grüne, angetreten mit dem Programm „Außenpolitik ist Friedenspolitik“, sich angesichts dieser verheerenden Aussichten nach Beginn des Krieges gegen Afghanistan geflissentlich beeilt, sich uneingeschränkt mit dem Krieg zu solidarisieren, dafür schäme ich mich, Deutscher zu sein.

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

Erstmalig in der Geschichte der NATO hat der größte Militärpakt der Welt, seine Staaten geben fünf Achtel aller Militärausgaben aus, den Bündnisfall erklärt. Er ermächtigt die USA auf die militärische Infrastruktur der NATO-Mitgliedsländer zuzugreifen. Da aus der US-Regierung klare Drohungen kommen, dass das gegen Afghanistan begonnene Bombardement nicht heute beendet ist, sondern auch auf andere Länder ausgedehnt werden soll, ist damit zu rechnen, dass auch die Bundeswehr mit ihren im Aufbau befindlichen sogenannten Einsatzkräften bald in den Krieg ziehen wird. Der Bündnisfall ist das langfristige Instrument der NATO-Kriegführung fernab des Bündnisgebiets, also out of area. Ich denke, es wird von außerordentlicher und verheerender Bedeutung werden, dass es für den Bündnisfall keine räumliche und keine zeitliche Begrenzung gibt.

Und eine weitere Argumentation halte ich für wichtig: Es gibt für diesen Angriff auf Afghanistan keine Legitimität. Die Normen des Völkerrechts werden gebrochen. Der UN-Sicherheitsrat als oberstes Weltorgan zur Wahrung des Friedens hat die USA und ihre Verbündeten nicht zu Militärschlägen ermächtigt. Sie sind somit ohne rechtliche Grundlage. Wer dieser Kriegspolitik folgt, betreibt Vergeltung und Selbstjustiz und handelt illegal.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

meinerseits gäbe es noch sehr viel mehr zu sagen. Ich möchte mich jedoch abschließend auf zwei Hinweise beschränken:

wir als Hamburger Forum würden es sehr begrüßen, wenn sich Menschen, egal wo, zu Friedensinis zusammenfinden würden, um einen sehr viel schnelleren Kontakt aller Friedensbewegten in die Wohngebiete, in die Gewerkschaften, in die Betriebe, in Schulen, in die Unis und Kirchengemeinden zu knüpfen, wenn es darum geht, Aktionen vorzubereiten und durchzuführen. Wir haben vor allem Defizite beim Plakatieren und bei Infoständen. Ich wünsche mir, dass ihr mich gleich zwecks Kontaktaufnahme ansprecht.

Und das zweite ist: kommt alle mit nach Berlin am kommenden Samstag, dem 13. Oktober, zur bundesweiten Friedensdemonstration „Kein Krieg! Aufstehen für den Frieden! Für Solidarität und soziale Gerechtigkeit!“ Sie beginnt am Samstag um 13 Uhr vor dem Roten Rathaus in Berlin-Mitte. Vom Hamburger ZOB fahren ab 8 Uhr Busse. Ich rate Euch dringend, Euch vorher Busfahrkarten zu besorgen. Sie kosten für Hin- und Rückfahrt 30,- DM. Sie gibt sie bei Regenbogen, der GEW und dem GNN-Verlag. Wir haben noch einige Flugblätter hier, wo das alles drauf steht. Vielen Dank.