IMI / Presse: Vor dem großen Krieg

von: 22. September 2001

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Gastkolumne im „Neuen Deutschland“ von Tobias Pflüger

Der 36-Jährige Politikwissenschaftler ist Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung.

Uns allen steckt der Schock über die brutalen Mega-Anschläge von New York und Washington noch immer in den Knochen. Wahrscheinlich wurden über 6000 Menschen bestialisch ermordet. Die Trauer über diesen Wahnsinnsakt überwog tagelang alles andere. Doch dann mischte sich in diese Trauer Stück für Stück Wut und Fassungslosigkeit über die Aktionen der Regierenden in den USA, in der NATO und in Deutschland. Die weltpolitische Lage hat sich nun grundlegend geändert. Der 11. September 2001 ist wohl ein wesentlicher, der Wendepunkt der Weltpolitik hin zu mehr Gewalt. Der »ungewählte« Präsident der USA, George W. Bush, wählte – genauso wie sein Kabinett – martialische Worte: Der »erste Krieg des 21. Jahrhunderts«, »der Kampf Gut gegen Böse« sei ein »langer Kreuzzug«, ein »weltweiter Feldzug«. Jede militärische Aktion sei möglich.

Die Vereinten Nationen (UN) haben als Reaktion auf die »Flugzeugbomben« nicht etwa beschlossen, dass die Verantwortlichen für die Anschläge mit militärischer Lynchjustiz »ausgeräuchert« und vernichtet werden sollten. Nein, die UN sprachen davon, dass Attentäter und Hintermänner vor Gericht zu bringen sind. Richtig. Terrorismus ist kein Krieg! Die groß deklarierte Zivilisation zeigt sich nun in der Reaktion der US-Regierung und ihrer Verbündeten. Lynchjustiz und Rache sind ganz einfach falsch und unzivilisiert.

Bundesregierung und Bundestag wollen entsprechend ihren Beschlüssen, dass die Bundeswehr an militärischen Vergeltungsaktionen teilnimmt. Dazu wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt: Zuerst gab es einen Bundestagsbeschluss, der im Grunde genommen alles offen lässt. Später wird ein weiterer nachgeschoben. Im jetzigen Beschluss heißt es zu einer Unterstützung der USA unter anderem: »Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Über diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Verantwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entscheiden.«

Dieser Satz ist es wert, genau analysiert zu werden. Meistens wird er so interpretiert, dass er noch nicht einen Beschluss über einen Einsatz der Bundeswehr bedeute. Dem ist leider nicht so. Denn geplant ist der Einsatz der Elitekampftruppe Kommando Spezialkräfte (KSK). Die US-Regierung soll um Unterstützung durch eben diese Kampftruppe gebeten haben.

Diese Truppe wurde schon mehrfach ohne Parlamentsbeschluss eingesetzt – so in Bosnien und Kosovo. Nun also Afghanistan? Das Bundesjustizministerium erklärt, dass die vom Bundesverfassungsgericht für Bundeswehreinsätze formulierte Ausnahmeregelung »bei Gefahr im Verzug« sich auf solche Fälle wie den jetzt drohenden KSK-Einsatz und die damit einhergehende mögliche Gefährdung der eingesetzten Soldaten beziehe. Das ist zwar eine Uminterpretation des Verfassungsgerichtsurteils, aber wen interessiert das jetzt schon?

Der KSK-Kommandeur Brigadegeneral Reinhard Günzel hat in einem aufschlussreichen Interview mit »Spiegel-online« (kaum jemand bekommt sonst ein Interview mit dem KSK!) gesagt, er halte eine Ergreifung Omasa bin Ladens »ohne erhebliche eigene Verluste in Kauf zu nehmen, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt für so gut wie unmöglich«. Dies sei unter Spezialkräften Amerikas, Israels, Frankreichs und Großbritanniens weitgehend übereinstimmende Auffassung. Günzel befürchtet bei einem KSK-Einsatz in Afghanistan ein Blutbad. Ein Blutbad, das zudem noch verfassungswidrig wäre.

»Vollständige Solidarität«, wie sie Gerhard Schröder und Joschka Fischer formulieren, bedeutet für die Regierenden, auch Kriegseinsätze. Ich bin nicht solidarisch mit einer US-Regierung die Rachekriege plant, ich bin solidarisch mit den Betroffenen der Anschläge, die im übrigen sehr international waren.

René Heilig hat hier im »Neuen Deutschland« die geplanten Aktionen der Regierenden gegen den Terrorismus sehr richtig mit »Anti-Terror läuft Amok« beschrieben. Diesem Amoklauf gilt es nun auf allen politischen Ebenen entgegenzutreten. Jetzt gilt es, besonnen auf die sich verschärfende innen- und außenpolitische Situation zu reagieren und wo immer möglich gegen den »ersten Krieg des 21. Jahrhunderts« und seine innenpolitischen Folgen mobil zu machen.

Viele Menschen wollen keine Rache und keinen Krieg, sie wollen Gerechtigkeit. Klare eindeutige Antikriegspositionen gegen jegliche Militäraktionen sind gefordert. Antikriegsaktionen wie Mahnwachen, Demonstrationen, Kundgebungen, Blockaden von Militärstützpunkten, Aufrufe zur Kriegsdienstverweigerung und Desertion sind notwendig. (ND 22.09.01)

© Neues Deutschland / Kontakt zur Redaktion redaktion@nd-online.de

Die Ausgabe des „Neuen Deutschland“ vom 22.09.2001 lohnt sich (wie so manche andere Ausgabe des ND) zu kaufen.

Darin sind sehr viele sehr gute Berichte und Hintergrundinformationen zu den Folgen der Anschläge von New York und Washington.