Verteidigungsarmee auf dem Rückzug?

von: 12. Juli 2001

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Radio Z unterhielt sich mit Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen über die Bundeswehrausstellung „Unser Heer“

Radio Z: Ist diese Ausstellung mehr als eine plumpe Werbeshow?

Pflüger: Sie ist im Grunde nichts anderes als eine Verharmlosung von Kriegsgerät und man versucht die Männer und vor allem Kinder dadurch zu bekommen, dass sie einfach fasziniert sind von der Technik.
Was natürlich nicht gezeigt wird, ist die Wirkung von Waffen und dass diese Waffen zu Kriegen eingesetzt werden. Und diese Kriege sind ja jetzt mit der neuen Nato-Strategie und der Veränderung der Bundeswehr zur Interventionsarmee immer Angriffskriege, siehe den Jugoslawienkrieg. Im Grunde müsste dargestellt werden, dass die Bundeswehr kriegsfähig gemacht wird. Statt dessen wird auf den Schautafeln immer noch der Mythos der Verteidigungsarmee gepflegt, der ja inzwischen weitestgehend hinfällig ist.

Radio Z: In ihrem Werbematerial versuchen die Veranstalter den Eindruck einer Informationsveranstaltung zu vermitteln, bei der auch über die aktuellen Entwicklungen bei der Bundeswehr diskutiert werden soll. Wenn sie das ehrlich meinten, welche Informationen müsste die Ausstellung dann geben?

Pflüger: Wichtig wäre, darauf hinzuweisen, dass im Moment die Einsatzkräfte herausgebildet werden. Die Bundeswehr hatte früher 340.000 Soldaten 321.000 und davon waren 53.600 Soldaten sogenannte Krisenreaktionskräfte mit denen man out-of-area-Einsätze machen könnte. Und das dreht sich jetzt herum. Es wird in Zukunft 150.000 Einsatzkräfte für diese Aufgabe geben. Das bedeutet fast eine Verdreifachung des Teils der Bundeswehr, der in Angriffskriegen eingesetzt oder für Besatzungseinsätze herangezogen werden kann wie im Moment in Bosnien oder im Kosovo. Aber diese neuen Aufgaben der Bundeswehr werden natürlich nicht dargestellt.

Radio Z: Sind das die eigentlichen Hintergründe für die gegenwärtige Umstrukturierung der Streitkräfte? In der Öffentlichkeit kommt das oft als Sparmaßahme an!

Pflüger: Im Grunde genommen ist es relativ einfach auf die Formel zu bringen: Das Geld wird im Moment für die Ausrüstung der Einsatzkräfte benötigt. Deshalb wird vor allem beim Zivilpersonal aber auch beim Personal der sogenannten militärischen Grundorganisation gespart, weil die militärisch unnötig sind. Es heißt ja so schön, dass man sich auf die wahrscheinlichsten Einsätze vorbereiten will und das sind die außerhalb Deutschlands. Und darauf bereitet man die Bundeswehr von ihrer Struktur her vor. Diese Veränderung zur Interventionsarmee wird öffentlich nicht wahrgenommen und auch nicht dargestellt. Die Standortschließungen sind eine Folge dessen, dass man sich konzentriert auf den Einsatz, wie es in der Einleitung zum Ressortkonzept heißt. Dafür sind weniger Soldaten aber effektivere Soldaten von Nöten: Die Gesamtzahl wird reduziert, aber der Anteil der für Interventionen vorgesehenen verdreifacht. Deshalb nennen wir das auch eine qualitative Aufrüstung.

Radio Z: Wie entwickelt sich denn international und innerhalb Europas die Haltung zu einer militärisch handlungsfähigen BRD?

Pflüger: Im europäischen Bereich wird ja die EU-Interventionstruppe herausgebildet. Mit 60.000 Mann, von ihnen 18.000 aus Deutschland. Das Ganze findet unter deutscher Führung statt, mit deutlichen Einflüssen aus Großbritannien und Frankreich, die jeweils 12.000 Soldaten stellen. Interessant ist der Einsatzradius dieser Truppe: 4.000 Kilometer rund um Brüssel dies schließt weite Teile Afrikas, des Kaukasus und des Nahen Ostens mit ein. Da sieht man dann die zukünftigen Interventionsräume. Jetzt gibt es aus drei Ländern Widerstand dagegen: Aus Dänemark, aus Irland, wo ja jetzt das Referendum zu Nizza war. Ein Teil des Vertrags von Nizza ist eben die Festschreibung dieser EU-Truppe, und diese war ein wesentlicher Bestandteil bei der Argumentation für die Ablehnung.

Interessanterweise stellt sich auch die Türkei quer, sie will nicht dass Nato-Equipment dieser EU-Truppe zur Verfügung gestellt wird. Das bedeutet, da die NATO ja ein Einstimmigkeitsprinzip hat, dass im Moment dieses NATO-Equipment noch nicht zur Verfügung gestellt werden kann, und jetzt die Befürchtung vor allem aus den USA besteht, dass militärische Parallelstrukturen zur NATO herausgebildet werden. Da ist noch alles offen, im Hintergrund wird noch gekämpft. Spannend wird, ob man in Irland noch solange abstimmen lässt, bis auch die Iren diese Interventionstruppe schlucken.

Radio Z: Hat das Militär in der BRD eigentlich Werbung nötig?

Pflüger: Die Leute sind zwar irgendwie für Verteidigung, wenn sie jedoch nach Krieg, oder gar Angriffskrieg gefragt werden, dann sind die Zustimmungswerte sehr gering. Und die Bundeswehr ist jetzt eine kriegführende Bundeswehr, auch wenn sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch eine Verteidigungsarmee ist. Interessant ist auch, dass eine ganze Reihe von Soldaten mit der Darstellung der Bundeswehr nicht zufrieden sind. Sie sagen, wenn wir schon in den Krieg ziehen, wollen wir dass dies zu Hause, sozusagen an der Heimatfront, mitgetragen wird und dieses ist nicht der Fall. Hier ist auch ein Ansatzpunkt für uns: Gegeninformation wie beispielsweise bei der Ausstellung „Unser Heer“ ist ganz dringend notwendig. Dort wird nicht korrekt informiert, sondern es werden die Leute mit Technikfaszination gelockt.