Schwäbisches Tagblatt vom 12.02.00
Hemdsärmelige Militarisierung
Eine Podiumsdiskussion über die Zusammenarbeit von Uniklinik und Bundeswehr
von: | Veröffentlicht am: 20. März 2000
TÜBINGEN (ren). �Da hat jemand die politische Sprengkraft nicht gesehen�, sagt Johann Graf über die Zusammenarbeit von Klinik und Militär. Der Personalratsvorsitzende des Uniklinikums knauserte am Donnerstagabend beim Podium �Bundeswehr im Krankenhaus� der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) im Sudhaus nicht mit Kritik.
Zivil, die von Militärärzten Befehle entgegen nehmen sollen? Junge Ärzte, die bei ihrer Facharzt-Ausbildung ein Jahr dranhängen müssen, weil sie die notwendigen Operationen nicht zusammenbekommen? Ein knapp besetzes Pflege-Team, aus dem einzelne Mitarbeiter mitsamt technischem Gerät innerhalb sechs Stunden abkommandiert werden? Gar noch weniger Stellen? Unschöne Szenarien für Podiumsgäste und Zuhörer. Zu all dem käme es, fürchtete die 30-köpfige Runde, wenn jener Vertrag umgesetzt wird.
�Enge Zusammenarbeit schon in Friedenszeiten in Fragen der Aus-, Fort- und Weiterbildung� hat das Verteidigungsministerium 1999 mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) vereinbart. Konkret sollen nicht nur Militär-Sanitäter in zivilen Kliniken mitarbeiten, sondern könnten auch zivile Mediziner und Pflegekräfte dazu verpflichtet werden, im Krisenfall den Betrieb in den Bundeswehrkrankenhäusern Ulm und Koblenz aufrechtzuerhalten. Doch während Rahmenvertrag und mögliche Abweichungen anderswo noch diskutiert werden, hat der Tübinger Klinikvorstand bereits unterschrieben (wir berichteten).
Und zwar im Alleingang, �still und heimlich� – so empfand es der Personalratsvorsitzende Graf. Der Aufsichtsrat der Klinik sei nicht hinzugezogen worden, auch die Interessenvertreter des Personals haben es nur durch Zufall erfahren, sagte Graf. Er selbst hatte �sicherheitshalber mal nachgefragt� beim Ärztlichen Direktor Prof. Michael Bamberg: �Ich dachte, so einen Blödsinn machen die hier nicht.� – Irrtum.
Auf eine offizielle Anfrage wurde der Personalrat Ende Januar schriftlich in Kenntnis gesetzt, der Vertrag sei bereits unterschrieben. Über den genauen Wortlaut kennt Graf nur Gerüchte: �Der bekannte Rahmenvertrag, laut Buschtrommeln nahezu unverändert.� In den vergangenen Tagen hat der Personalrat die Klinikleitung nun schriftlich aufgefordert, ihre Entscheidung zu revidieren (siehe nebenstehender Text). Am Donnerstag gab es spontanen Applaus, als Graf den Brief vorlas.
Dass die Kliniken zugreifen, dafür hatte Podiumsgast Lothar Galow-Bergemann von der Friedensinitiative Stuttgart beinahe Verständnis: �Denen steht finanziell das Wasser bis zum Hals.� Die Verantwortlichen machen mit, �betriebsblind�, weil ihnen jemand umsonst Personal und Geräte anbietet. So soll auch Prof. Bamberg lächelnd zu Graf gesagt haben: �Freuen wir uns doch, dann können wir endlich das Arbeitzeitgesetz einhalten�.
Die Spekulationen über eine verbesserte Personalsituation und zusätzliche Technik seien aber auf Sand gebaut, erklärt Galow-Bergemann den Vertragsinhalt: �Sechs Stunden Vorankündigung für den Abzug der Bundeswehr-Leute sind vorgesehen, damit ein Umdisponieren möglich ist, und im Notfall muss nicht einmal diese Frist eingehalten werden.� Graf befürchtet zudem Verwässerungen, die eine primäre Entlastung durch Bundeswehr-Angehörige beim zivilen Personalnotstand bewirken könnte: �Das nimmt fatalerweise Druck weg, so dass eine sichere Personalpolitik wieder aus dem Blickfeld rückt.�
Ihr Klinikchef habe �die Brisanz hemdsärmelig unterschätzt� berichtete ein Mitarbeiter des Sindelfinger Krankenhauses. Dort waren die Mitglieder des kommunalen Krankenhaus-Ausschusses nicht konsultiert worden: jetzt regt sich Protest. Da die Uniklinik für die Tübinger auch als Kreiskrankenhaus fungiert, hoffen einige auch hier auf politischen Gegenwind.
Die Tübinger Klinikzivis waren durch einen Vertrauensmann vertreten. Es habe sich noch gar nicht herumgesprochen, so der junge Mann, er rechne aber mit Protesten. Man könne sich ja die Stimmung vorstellen, wenn �Soldaten einmarschieren und Kriegsdienstverweigerern Anweisungen geben�, wie eine Zuhörerin formulierte.
Unterschriften der IMI sollen jetzt kursieren. Die Sudhaus-Gäste hoffen auf öffentliche Diskussion und rege Proteste. Zumal bislang offenbar nur Kliniken in Baden-Württemberg in Vertragsverhandlungen stecken: �Das hier ist der Testlauf�.
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Schwäbisches Tagblatt vom 12.02.00,
Abschrift von Thomas Geyer