IMI-Standpunkt 2021/028 - in: AUSDRUCK (Juni 2021)

Militarisierung des Mittelmeers

Militäreinsätze, Militärübungen und Militärbasen

von: Jacqueline Andres | Veröffentlicht am: 7. Juni 2021

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Die interkontinentale Mittelmeerregion verbindet Afrika, Asien und Europa, den Indischen Ozean, den Atlantik und das Schwarze Meer. Ian Chambers zeigt in seinem Buch „Mediterranean Crossings“ auf, wie das Mittelmeer Anfang des 19. Jahrhunderts – bevor es als Konzept in den europäischen Sprachgebrauch drang – ein durch die Fluidität des Austausches geprägter Raum war. Menschen, Waren, Melodien und Gedanken bewegten sich zwischen den Küsten. Heute sind Menschen, die einfach nur mit ihren Gedanken und Melodien übersetzen wollen, gewaltsamen Push-Backs, der Gefahr des Ertrinkens und der drohenden Inhaftierung bei Ankunft in der EU ausgesetzt.

Es ist ein geopolitischer Raum von weltweiter Bedeutung, den nationale überwachte Seegrenzen, Militärschiffe und Containerschiffe durchlaufen: Logistisch ist das Mittelmeer für den globalen Warentransport, der im Kapitalismus jederzeit frei fließen muss, von großer Bedeutung. Dies wurde nicht zuletzt durch die „Ever Given“-Blockade im Suezkanal deutlich. Ende März 2021 havarierte das Mega-Containerschiff und verstopfte damit fast eine Woche lang das logistische Nadelöhr der internationalen Schifffahrt. Mehr als vierhundert Schiffe bildeten innerhalb weniger Tage einen mehr als 100 km langen Rückstau – noch einen Monat später spürten Häfen, Frachtlinienbetreiber*innen und Händler*innen die Folgen.

Hilfe zur Behebung der Blockade bot u.a. das US-amerikanische Militär den ägyptischen Behörden an. Die Sicherstellung der maritimen Transportwege liegt im Aufgabenbereichs der US Navy – aber der Suezkanal stellt auch ein Nadelöhr für die militärische Logistik selbst dar. Nur wenige Tage, nachdem die Ever Given freigelegt wurde, passierte ein US-amerikanischer Flugzeugträger in Gefolgschaft von drei weiteren Kriegsschiffen den Kanal.

Das Mittelmeer ist von großem militärischen Interesse. Entlang der Küste reihen sich zahlreiche Militärbasen, die die sozialen Gefüge vor Ort mitformen. Zahlreiche Mittelmeerinseln werden militärisch als „unsinkbare Flugzeugträger“ oder zur Installation von Abhörtechnologien genutzt. Große Seegebiete sind als militärische Übungsgebiete deklariert – regelmäßig schränken die umweltschädlichen Kriegseinübungen den Zugang zu den Stränden ein und halten Fischer*innen vom Fischfang ab.

Nationale, bilaterale sowie multinationale Übungen füllen das Meer wiederkehrend mit Kriegsschiffen und U-Booten und den darüber liegenden Luftraum mit Kriegsflugzeugen. Abgesehen davon finden unterschiedliche Operationen der UN (UNIFICYP und UNIFIL), der NATO (Sea Guardian, Nato-Einsatz in der Ägäis) und der EU (EUNAVFOR IRINI) im Mittelmeerraum statt. Hinzu kommen die drei FRONTEX-Operationen im Mittelmeer (Indalo, Themis und Poseidon), die mittlerweile teilweise mit den NATO- und EU-Militärmissionen kooperieren und neue Aufgabenbereiche erhalten. Betrachtet man z.B. die seit 2018 laufende Operation Themis zur Unterstützung Italiens bei der Grenzüberwachung im zentralen Mittelmeer (welche zuvor Triton hieß), so fällt auf, dass es jetzt nicht mehr „nur“ um die Bekämpfung von kriminalisierter Migration und Schmuggel geht, sondern auch um die Terrorismusbekämpfung.

Andersherum war die maritime Terrorismusabwehr zuvor Kernaufgabe der militärischen NATO-Operation Active Endeavour in den Jahren 2001-2016. Seit 2016 leistet auch diese mit der Folgeoperation Sea Guardian weitaus mehr: Seeraumüberwachung, Ausbildungsunterstützung der Anrainerstaaten – NATO-Mitgliedstaaten können das Themenspektrum um weitere Aufgaben ergänzen.

Fakt ist: Seit 2001 führt die NATO unterschiedliche Gründe für ihre mittlerweile langjährige Militärpräsenz im Mittelmeer an, die offenbar einer Permanenz zusteuert. Zwar wandeln sich mit dem politischen Kontext und der technologischen Entwicklung die Mandate und die Funktionen von Militäroperationen und Militärbasen – doch sie scheinen weder beendet noch aufgegeben zu werden. Wer es militärisch ins Mittelmeer schafft, ist gekommen, um zu bleiben.

Die abgebildete Karte versucht einen Eindruck der Militarisierung des Mittelmeers zu geben – sie ist weder vollständig, noch maßstabsgetreu. Ausgelassen werden auch die Proteste, die gegen die Militarisierung des Mittelmeers immer wieder stattfinden: Gegen die Militärpräsenz in Andalusien findet jährlich im Juni der „Marcha a Rota“ statt, auf Sizilien wehrt sich die Bewegung No MUOS gegen die Militarisierung der Insel und auf Sardinien ist u.a. die Gruppe Stop RWM (Rheinmetall Waffe Munition) aktiv.

1 Die Marinebasis Rota liegt unweit der Straße von Gibraltar – einem der insgesamt drei Zugänge zum Mittelmeer. Offiziell handelt es sich um einen spanischen Stützpunkt, doch 80% der Fläche werden vom US-Militär genutzt. Die Rota Naval Station unterstützt die Naval Forces Europe Africa Central (EURAFCENT), die 6. Flotte der US-amerikanischen Navy. Relevant ist die Basis auch für die NATO, die hier Kriegsschiffe betankt und belädt.

2 Großbritannien verfügt in Gibraltar über einen wichtigen Marinestützpunkt, einen Luftwaffenstützpunkt und über Abhörtechnologien zur Kommunikationsüberwachung von Nordafrika, Westasien und Russland. In Gibraltar kontrolliert Großbritannien, wer in das Mittelmeer einfährt oder es verlässt. Zugleich kann die Royal Navy ihre Schiffe am Marinestützpunkt tanken, reparieren, be- und entladen.

3 In Neapel befindet sich auf dem internationalen Flughafen Capodichino die US-amerikanische Naval Support Activity Naples (NSA Naples). Hier sind die Hauptquartiere der U.S. Naval Forces Europe-Africa sowie der 6. Flotte, deren „Zuständigkeitsbereiche“ im östlichen Atlantik vom Nord- bis zum Südpol und vom Mittelmeer bis ins Schwarze Meer reichen. Für die US-Marine ist Neapel damit von großer Bedeutung. Die 6. Flotte nutzt vor allem den Hafen von Gaeta (80 km nördlich von Neapel). Auch die NATO ist unter Führung eines Kommandanten der US Navy in der Region vertreten: In Lago Patria befindet sich das Allied Joint Force Command (JFC Naples), dem zahlreiche NATO-Missionen und Verbindungsbüros in der Region unterstehen. Abgesehen davon existiert hier seit 2017 das NATO Strategic Direction South Hub (NSDS HUB), welches regionale Informationen u.a. bezüglich „Destabilisierung, potenziellem Terrorismus, Radikalisierung, Migration und Umweltproblemen“ zusammenstellen soll.

4 Auf dem Stützpunkt Sigonella (Sizilien) ist neben der US-amerikanischen Naval Air Station Sigonella auch ein Stützpunkt der italienischen Luftwaffe sowie die Haupteinsatzbasis des NATO-Drohnensystems Alliance Ground Surveillance (AGS). Seit 2017 beherbergt der Stützpunkt die UAS SatCom Relay Pads and Facility, eine Schwesterrelaisstation von Ramstein, die zur Unterstützung der Satellitentelekommunikation und des Betriebs der US-Drohnen dient. In Niscemi steht eine der vier Bodenstationen des US-Satellitenkommunikationssystems Mobile Objective User System (MUOS). Allgemein bezeichnet das US-Militär NAS Sigonella als „hub of the Med“, da es als logistisches Sprungbrett für die (Kriegs-)Einsätze auf dem afrikanischen, aber auch auf dem asiatischen Kontinent fungiert. Von der US-Navy und der italienischen Marine wird der Militärhafen in Augusta genutzt.

5 Der Marinestützpunkt Souda Bay auf Kreta wird vom griechischen und US-amerikanischen Militär (Naval Support Activity) sowie von der NATO genutzt. Zu den NATO-Strukturen gehören das Schulungs- und Trainingszentrum (NMIOTC), an dem die Streitkräfte und ihre Alliierten trainieren, sowie das Raketenübungsgelände NAMFI. Dort üben besonders die Streitkräfte aus Deutschland, Griechenland, den Niederlanden und den USA das Schießen mit den Flugabwehrraketen-Systemen oder auch das Schießen auf Zieldarstellungsdrohnen, die u.a. AIRBUS zur Verfügung stellt. Souda Bay spielt eine wichtige Rolle für Aufklärungsmissionen sowie für Militärübungen und Kriegseinsätze in der Region.

6 Der offiziell türkische Luftwaffenstützpunkt Incirlik, unweit der syrischen Grenze gelegen, beheimatet hauptsächlich eine Basis der US-amerikanischen Luftwaffe. Besonders im Zuge des „globalen Kriegs gegen den Terror“ wurde Incirlik zu einer logistischen Drehscheibe für die US-Einsätze im Irak und in Afghanistan. Das US-Militär hat hier etwa 50 B61-Atombomben gelagert. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Regierung und den NATO-Partnerstaaten, die den Stützpunkt mitbenutzen. In Folge solcher Auseinandersetzungen, in denen die türkische Regierung Incirlik als Faustpfand verwendet, gewann der jordanische Stützpunkt Al-Azraq an Bedeutung für die USA und Deutschland.

7 Mit Akrotiri und Dekelia verfügt Großbritannien über zwei Sovereign Base Areas auf Zypern, welche zusammen ganze 3% der gesamten Inselfläche einnehmen. An beiden Orten befinden sich je ein Militärflugpatz und ein Hafen. Abgesehen davon stehen dort Radarkuppeln mit Abhörtechnik. Eine weitere Radarkuppel zur Luftraumüberwachung von hoher militärischer und geheimdienstlicher Bedeutung thront auf dem Gipfel des Olympos, dem höchsten Berg der Insel. Zudem scheint Frankreich auf der Insel Fuß fassen zu wollen. Im Mai 2019 schlossen das zypriotische und das französische Verteidigungsministerium einen Kooperationsvertrag ab: Frankreich beteiligt sich am Ausbau der Marinebasis Evangelos Florakis in Mari und erhält dafür Nutzungsrechte für die eigenen Kriegsschiffe.

8 In Tartus nutzt die russische Marine einen Bereich des syrischen Marinestützpunktes. Für das russische Militär ist der Hafen von Tartus von großer Wichtigkeit. Damit hält sich Russland eine Präsenz im sonst von der NATO dominierten Mittelmeer. Die russische Schwarzmeerflotte operiert damit hauptsächlich von der Marinebasis Sewastopol auf der Krim und Tartus aus im Schwarzen Meer und im Mittelmeer – und vom Mittelmeer aus auf den Ozeanen.

9 Der jordanische Luftwaffenstützpunkt Muwaffaq Salti in Al Azraq beheimatet auch eine Basis der US Air Force. Mitbenutzt wird der Stützpunkt auch von der Bundeswehr sowie von den Niederlanden und Belgien. Er spielt eine wichtige Rolle für die Militäreinsätze in Syrien und im Irak. Nachdem es immer wieder Streitigkeiten zwischen der türkischen Regierung und NATO-Partnerstaaten gab, verlegte die Bundeswehr ihre Soldat*innen von Incirlik nach Jordanien.