IMI-Standpunkt 2021/005

Ein Etappensieg gegen Rheinmetall?

Italien stoppt Rüstungsexporte an Saudi Arabien und die VAE

von: Jacqueline Andres | Veröffentlicht am: 8. Februar 2021

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Es gibt Grund zum Feiern für die Aktivist*innen zahlreicher Gruppen und Organisationen – besonders auf Sardinien1: Nach jahrelanger Kampagnenarbeit, zahlreichen Petitionen, Demonstrationen, Blockadeaktionen und Gerichtsverfahren hat die italienische Regierung beschlossen, die bereits in den letzten Jahren erteilten Genehmigungen von Waffenexporten nach Saudi Arabien und die Vereinigten Arabische Emirate nicht nur auszusetzen, sondern ganz zu widerrufen. Zudem werden weiterhin keine neuen Lizenzen für diese Staaten von der italienischen Regierung erteilt.

Das italienische Netzwerk Frieden und Abrüstung sieht diesen Schritt als „historischen Akt“2 der italienischen Regierung an. Bereits im Jahr 1990 trat das Gesetz 185 in Kraft, welches Waffenexporte an Staaten verbietet, die sich in bewaffneten Konflikten befinden oder deren Regierungen die internationale Menschenrechtskonventionen schwerwiegend verletzen. Erst jetzt, dreißig Jahre später, so das Netzwerk, wird sich zum ersten Mal darauf berufen. Laut dem Netzwerk seien auch dank des Drucks der Zivilgesellschaft die Lieferung von Bomben, die u.a. im Krieg in Jemen eingesetzt werden sollten, verhindert. Betroffen seien mindestens sechs Genehmigungen, die zuvor im Jahr 2019 zunächst ausgesetzt wurden. Zu einer dieser Lizenzen liegen aufschlussreiche Informationen vor: MAE 45560. Diese Lizenz wurde im Jahr 2016 von der Regierung unter dem damaligen Regierungschef Matteo Renzi ausgestellt und beinhaltet 20.000 Fliegerbomben der MK-Serie von Rheinmetall Waffe Munition (RWM) Italia S.p.A. im Wert von über 411 Millionen Euro – der Widerruf verhindert laut dem Netzwerk Frieden und Abrüstung sowie der Organisation OPAL (Permanente Informationsstelle für Leichtwaffen und Sicherheits- und Verteidigungspolitik) nun die Ausfuhr von 12.700 Bomben.3

RWM Italia S.p.A. klagt gegen Widerruf

RWM Italia S.p.A. ist weniger erfreut, betrifft diese Entscheidung laut des Geschäftsführers Fabio Sgarzi doch vor allem die Tochtergesellschaft des Rüstungsriesens. Für die Rechtfertigung ihrer Klage gegen den Widerruf der Exportgenehmigungen führt Sgarzi die rund zweihundert Arbeiter*innen der Bombenfabrik auf Sardinien an: „Diejenigen, die jetzt die Folgen all dessen tragen müssen, sind neben dem Unternehmen die Hunderte von Arbeitern in der Region und ihre Familien.“4 Das Versprechen an die Belegschaft, selbst das Unmögliche gegen diesen Widerruf der Lizenzen zu unternehmen, ist scheinheilig. Es geht RWM Italia S.p.A. offenkundig weniger um ihre Mitarbeiter*innen, sondern wohl eher um die eigenen Profite und um die Investitionen in Höhe von mindestens 40 Millionen Euro5, die in den letzten Jahren in den Ausbau der Bombenfabrik und in das Testgelände auf Sardinien gesteckt wurden.

Richtiger Schritt – aber nicht genug

Doch die Entscheidung zum Widerruf reicht noch nicht aus, es ist eher ein Etappensieg, ein Schritt in die richtige Richtung. So fordert u.a. das Netzwerk Frieden und Abrüstung den Exportstopp von Rüstungsgütern auf alle Mitglieder der saudi-geführten Militärkoalition auszuweiten – und betont, dies sei „ein Vorschlag, der in der Parlamentsresolution vom Dezember 2020 selbst vorgesehen wurde.“6 So kritisiert das Netzwerk für Frieden und Abrüstung die im Dezember 2020 erfolgte Lieferung einer Fregatte an Ägypten. Gegen die Rüstungsexportlizenzen an Ägypten mobilisiert die Kampagne Stop Armi Egitto (Stoppt Waffen an Ägypten) und kritisiert dabei vor allem die mangelnde Aufklärung der Entführung und Ermordung des italienischen Doktoranden Giulio Regeni im Januar 2017 in Ägypten sowohl als auch die seit einem Jahr anhaltende Inhaftierung von Patrick Zaki, einem ägyptischen Menschenrechtsverteidiger und Studenten der Universität Bologna.7

Aktivist*innen der Kampagne Stop RWM mahnen zudem an, dass sich aktuell eine neue italienische Regierung formt und eventuell Neuwahlen anstehen. Mit einer neuen Regierung drohe allerdings auch ein Kurswechsel und ein Widerruf des Widerrufs.8 Es stellt sich die Frage, welche Rolle der ehemalige Premierminister Matteo Renzi in der neuen Regierung spielen wird. Kurz vor dem historischen Widerruf der Exportlizenzen schwärmte der ehemalige Premierminister Matteo Renzi in einem Interview im Rahmen der jährlich stattfindenden saudischen Investitionskonferenz Future Investment Initiative (FII) mit dem Kronprinz Mohammed bin Salman vom Potenzial Saudi Arabiens: „Für mich ist es ein besonderes Privileg, mit Ihnen über die Renaissance zu sprechen, denn ich bin nicht nur ein ehemaliger Premierminister, sondern auch ehemaliger Bürgermeister von Florenz, der Stadt der Renaissance.“9 Doch er ging noch weiter und betonte: „Die Renaissance wurde genau nach der Pest groß, nach einer Pandemie. Ich denke, dass Saudi Arabien der Ort einer neuen Renaissance für die Zukunft sein könnte.“10 Renzi nahm nicht nur am „Davos in der Wüste“ teil, sondern ist auch Mitglied des Beratungsgremiums von FII11 – ein Job, für den er Schätzungen zufolge jährlich etwa 80.000 $ vom saudischen Königshaus erhält.12

RWM Italia S.p.A.: Ausweitung stößt auf Widerstand

Zudem setzt sich die Kampagne weiterhin vor dem Verwaltungsgericht der Region Sardinen gegen die Expansion der Bombenfabrik und des Testgeländes von RWM Italia S.p.A. ein.13 Die Baulizenzen aus dem Jahr 2018 seien rechtswidrig vergeben worden. Ein rechtlicher Knackpunkt sei, so Stop RWM, der Verstoß gegen die zwingende Prüfung der Umweltverträglichkeit. Diese müsse jedoch für chemische Industrieanlagen, die Sprengstoffe herstellen, erfolgen – auch weil die Erweiterung des RWM Italia S.p.A. Geländes in unmittelbarer Nähe eines Naturschutzgebietes vollzogen wird. Im bisherigen Urteil des Verwaltungsgerichts von Sardinen wird abgestritten, dass RWM Italia S.p.A. in dem Werk zwischen den Kommunen Iglesias und Domusnovas Sprengstoff herstelle, sondern diesen von Dritten beziehe und dort lediglich weiter verarbeite. Dabei beruft sich das Verwaltungsgericht auf ein technisches Guthaben des von ihm beauftragten Prof. Roberto Baratti von der Fakultät für Maschinenbau und Chemieingenieurwesen der Universität Cagliari, obwohl Studierende dieser Fakultät immer wieder Praktika bei RWM Italia S.p.A. machen und offenkundig ein Interessenkonflikt besteht, so Stop RWM. Die Kampagne gegen RWM betont, die vom italienischen Innenministerium erteilten Lizenzen seien explizit auch für die Herstellung von PBX-Sprengstoffen (Polymer-gebundener Sprengstoff) erteilt worden. In den kommenden Wochen soll der verwaltungsrechtliche Kampf gegen RWM Italia S.p.A. weitergeführt werden und die Kampagne freut sich über ideelle und finanzielle Solidarität.14

1 Il Governo revoca l’export di bombe verso Arabia Saudita ed Emirati Arabi: soddisfazione delle organizzazioni della società civile, retepacedisarmo.org, 29.1.2021, Abgesehen von den Aktivist*innen der Stop RWM Kampagne freuen sich über diese Entscheidung der italienischen Regierung u.a. auch das italienische Netzwerk Frieden und Abrüstung, Amnesty International, das RWM-Komitee für Frieden und Konversion, die Fondazione Finanza Etica, Ärzte ohne Grenzen, die Fokolari-Bewegung, Oxfam Italien, Save the Children Italien, das European Center for Constitutional and Human Rights und die jemenitische Organisation Mwatana for Human Rights.

2 Il Governo revoca l’export di bombe verso Arabia Saudita ed Emirati Arabi: soddisfazione delle organizzazioni della società civile, retepacedisarmo.org, 29.1.2021

3 Ebd.

4 Revoca export bombe, Rwm annuncia ricorso contro Governo, ansa.it, 30.1.2021

5 Simone Farris: Rwm, avviata un’inchiesta penale sugli ampliamenti dello stabilimento, unionesarda.it 29.1.2020

6 Il Governo revoca l’export di bombe verso Arabia Saudita ed Emirati Arabi: soddisfazione delle organizzazioni della società civile, retepacedisarmo.org, 29.1.2021

7 Giorgio Beretta: Armi all’Egitto: l’Italia continua a venderle, ma manca collaborazione per Regeni, osservatoriodiritti.it, 7.1.2021

8 Gegen die Bombenfabrik auf Sardinien – Stop Rheinmetall Waffe Munition!, Interview im Freien Radio Wüste Welle, wueste-welle.de, 5.2.2021

9 Rayhan Uddin: Former Italy prime minister under fire for interview with Saudi crown prince, middleeasteye.net, 2.1.2021

10 Ebd.

11 Lillo Montalto Monella und Diego Malcangi: Come mai l’Italia ha revocato la vendita di armi all’Arabia Saudita proprio ora, it.euronews.com , 29.1.2021

12 Emiliano Fittipaldi: E Renzi torna dall’Arabia Saudita. Un istituto gli dà 80mila dollari l’anno, editorialedomani.it, 26.1.2021

13 Stoppen wir die Expansion der Rheinmetall-Bombenfabrik in Sardinien, stoprwm.wordpress.com, Januar 2021

14 Ebd.