IMI-Standpunkt 2020/022
Ami goes home?
Risiken und Nebenwirkungen des “Abzugs” der US-Truppen aus Deutschland
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 8. Juni 2020
Jahrzehntelang drängte die Friedensbewegung zu Recht auf einen Abzug der US-Truppen. Insofern lässt sich aus dieser Perspektive der Ende letzter Woche erfolgten Ankündigung, die US-Armee werde über ein Viertel ihrer SoldatInnnen aus Deutschland abziehen, sicher etwas Positives abgewinnen. Unklar ist allerdings, was mit diesen Truppen geschehen wird – sollten sich die Berichte bewahrheiten, dass zumindest ein Teil von ihnen in Polen stationiert werden soll, ist das vor allem mit Blick auf das Verhältnis zu Russland äußerst bedenklich. Außerdem könnte ein US-Abzug zwar Perspektiven für neue sicherheitspolitische Ansätze eröffnen, mit einiger Wahrscheinlichkeit wird aber auch versucht werden, ihn als argumentatives Vehikel für den vermeintlich erforderlichen Aufbau zusätzlicher militärischer Kapazitäten heranzuziehen. Und schließlich gilt es zu beachten, dass mit der US-Ankündigung keineswegs ein Komplettabzug der US-Truppen in Aussicht steht, die aller Wahrscheinlichkeit nach in großem Umfang noch viele Jahre hierzulande stationiert bleiben werden.
Truppenreduzierung mit harter Obergrenze
Am 5. Juni meldete zuerst das Wall Street Journal, die USA stünden vor der zweiten großen Anpassung ihrer Truppenpräsenz in Deutschland im 21. Jahrhundert. Bereits 2004 erfolgte der Beschluss, die 1. US-Panzerdivision mit Sitz in Wiesbaden und die 1. Infanteriedivision in Würzburg in die USA zurückzuverlegen. Allerdings entsprach diese Entscheidung ganz den vermeintlichen Erfordernissen des damaligen militärischen Zeitgeistes, der Interventionskriegen im Globalen Süden die Priorität über dem Säbelrasseln gegen Russland einräumte: „Obwohl hiermit von den ca. 70.000 in Deutschland stationierten US-Soldaten etwa 30.000 abgezogen werden, ist dies leider kein Grund zum Feiern. Denn beide Divisionen sind aufgrund ihrer schweren Bewaffnung und langen Verlegungszeiten strukturell nicht für die von der US-Regierung anvisierten globalen Interventionskriege geeignet. Deswegen werden sie auch keineswegs ersatzlos gestrichen, sondern durch drei schnell stationierbare und hochflexible Brigaden mit jeweils zwischen 3.000 und 5.000 Soldaten ersetzt, die hierfür weitaus besser vorbereitet sind.“ (siehe IMI-Analyse 2004/020)
Nun soll es jedenfalls zu neuen tief greifenden Veränderungen kommen: Die verbliebenen 34.500 in Deutschland stationierten SoldatInnen sollen um weitere 9.500 (27,5 Prozent) reduziert werden. Bemerkenswert dabei ist zudem, dass eine harte Obergrenze von 25.000 in Deutschland präsenten SoldatInen eingeführt werden soll. Das ist insofern von großer Bedeutung, da das Wall Street Journal betont, durch Rotationen und Manöver liege die Zahl der sich in Deutschland befindlichen Soldaten teils über 50.000. Der militärnahe Blog Augengeradeaus weist auf die Konsequenz der harten Obergrenze hin: „Eine Verringerung der US-Truppen um fast ein Drittel würde faktisch noch höher ausfallen, weil auch die derzeit regelmäßigen Truppenrotationen der US-Streitkräfte für Übungen in anderen europäischen Ländern oder Einsätze in Nahost in der Regel über die Drehscheibe Deutschland laufen. Allein die US-Luftwaffenbasis Ramstein hat dafür zentrale Bedeutung. Eine harte Obergrenze von 25.000 Soldaten auch bei solchen zeitweisen Entsendungen von Truppen würde bedeuten, dass die Zahl der dauerhaft in Deutschland stationierten Soldaten deutlich geringer ausfallen müsste.“
Offen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, ob es sich hier schon um eine endgültige Entscheidung oder um durchgesickerte Planungen handelt. Während etwa die New York Times meldete, hierüber sei noch nicht abschließend entschieden worden, berichtet Stars ans Stripes, alles sei bereits in trockenen Tüchern.
Sicher ist jedenfalls, dass die deutsche Regierung von der Meldung vollständig auf dem falschen Fuß erwischt wurde – augenscheinlich gab es keine vorhergehende Konsultation. Man werde es „zur Kenntnis“ nehmen, sollten die USA ihre Truppen abziehen, äußerte sich Außenminister Heiko Maas bemüht diplomatisch. Deutlich direkter polterte der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Henning Otte: „Eine Entscheidung über einen möglichen Abzug von US-Truppen aus Deutschland in dieser Größenordnung hätte besser vorher bilateral oder in der Nato beraten werden müssen.“
Unklar ist, welche Motive sich hinter dem Schritt verbergen sollen: Möglich ist, dass es sich um eine relativ spontane Reaktion handelt, weil US-Präsident Donald Trump reichlich verärgert über die Absage einer physischen Teilnahme von Kanzlerin Angela Merkel am G7-Gipfel in den USA war. Allerdings gab es immer wieder Spekulationen über mögliche Truppenverschiebungen, zuletzt auch im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Nukleare Teilhabe, wo sowohl von den USA als auch von Polen selbst das Land als mögliche alternative Lagerstätte für bislang in Deutschland befindliche US-Atombomben ins Spiel gebracht wurde.
Polen als Alternative?
Mit hoher Wahrscheinlich ist der Begriff „Abzug“ für die weiteren Pläne der USA irreführend. Denn immer wieder ist die Rede davon, zumindest ein Teil der bislang in Deutschland stationierten Truppen werde nach Polen verlegt. So heißt es im Deutschlandfunk: „Ein Teil von ihnen werde nach Polen und in andere Staaten von Verbündeten verlegt, ein anderer Teil kehre in die USA zurück, hatte ein Regierungsmitarbeiter gesagt.“
Konkrete Details, über welche Zahlen hier nachgedacht wird, sind bislang nicht verfügbar – sicher ist jedoch, dass Polens Rolle als US-Aufmarschgebiet im Säbelrasseln gegen Russland dadurch weiter gestärkt würde. Das Land beherbergte bereits 4.500 US-SoldatInnen, bevor im Juni des letzten Jahres die Entsendung 1.000 weiterer US-Truppen sowie die Errichtung von sechs zusätzlichen Militärbasen beschlossen wurde.
Zusätzlich dazu hat die NATO im Rahmen der „verstärkten Vorwärtspräsenz“ bekanntlich weitere 4.000 SoldatInnen in den baltischen Staaten und Polen stationiert. Eine nochmalige Aufstockung der US-Präsenz in Polen wäre deshalb wohl der endgültige Sargnagel für die NATO-Russland-Akte. Mit ihr sagte das westliche Bündnis 1997 – als Rückversicherung gegen die gleichzeitig beschlossene NATO-Osterweiterung – Russland zu, keine substanziellen Truppenkontingente dauerhaft in Osteuropa zu stationieren.
Selbst ein ausgewiesener Hardliner wie der ehemalige Chef des NATO-Militärausschusses Klaus Naumann wies auf die mögliche Tragweite einer solchen Entscheidung hin: „Wenn diese Truppen nach Polen verlegt werden oder zum Teil nach Polen verlegt werden, dann hat das keine dramatischen Auswirkungen für Deutschland und für Europa. Man muss allerdings fragen, ob das dann noch in Übereinstimmung steht mit der NATO-Russland-Akte, die ja eine permanente Stationierung von amerikanischen Truppen in Polen nicht vorsieht.“
Zwar äußerte sich vor allem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der US-Abzug solle als Chance einer „nachhaltigen Neuausrichtung der Sicherheitspolitik in Europa“ genutzt werden, die sich „nicht in Militärpolitik und Verteidigungsausgaben erschöpfen“ dürfe. Und tatsächlich wäre es überaus wünschenswert, wenn es Entwicklungen in diese Richtung geben würde. Leider ist aber mindestens ebenso „gut“ denkbar, dass sich die jüngsten Pläne auch als Wasser auf die Mühlen derjenigen erweisen könnten, für die eine Militärmacht Europa ohnehin die oberste Priorität darstellt.
Schon bisher wurde unter dem Schlagwort einer vermeintlich erforderlichen „strategischen Autonomie“ unter Verweis darauf, die USA seien ein zu unsicherer Kantonist geworden, der Aufbau umfassender und unabhängig von Washington einsetzbarer Militärkapazitäten gefordert. Es ist damit zu rechnen, dass diese Stimmen im Zuge der neueren Debatte um US-Truppenreduzierungen in Deutschland an Gewicht gewinnen werden – unter anderem auch wenn es um die Frage möglicher coronabedingter Kürzungen des Verteidigungshaushaltes gehen wird.
Here to stay
Ein letzter Punkt sollte außerdem nicht unter den Tisch fallen: So positiv man es empfinden mag, wenn eine beachtliche Anzahl an US-SoldatInnen das Land verlassen, mit einem Komplettabzug ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Schließlich ist Deutschland auch weiterhin nicht nur für Konflikte mit Russland, sondern auch für US-Einsätze im Globalen Süden nahezu unersetzlich. Nüchtern gibt etwa der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, zu Protokoll: „Wir sollten das nicht auf die Goldwaage legen. Die Amerikaner sind nicht hier, um uns einen Gefallen zu tun, sondern weil sie strategische Interessen haben. Deshalb werden sie auch ganz sicher nicht vollständig aus Deutschland abziehen.”
Vor diesem Hintergrund sollten bei aller nachvollziehbaren Freude über einen Abzug der US-Truppen vor allem auch die mit ihm einhergehenden Risiken und Nebenwirkungen kritisch im Auge behalten werden.