IMI-Standpunkt 2017/036 (Update: 11.12.2017)

PESCO: Historischer Rüstungsschub?

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 14. November 2017

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Am 13. November 2017 wurde die hochproblematische „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (PESCO) im Grundsatz beschlossen. Mit PESCO können Teile der EU-Militärpolitik per Mehrheitsentscheidung auf Kleingruppen ausgelagert und so das bislang in diesem Bereich geltende Konsensprinzip ausgehebelt werden (siehe zur Kritik u.a. IMI-Standpunkt 2017/34). Noch am selben Tag sparten Spitzenpolitiker nicht mit Superlativen: Bundesaußenminister Sigmar Gabriel nannte PESCO einen „Meilenstein der europäischen Entwicklung“ und einen großen „Schritt in Richtung Selbstständigkeit und Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU“. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach sogar von „einem historischen Moment für die europäische Verteidigung“ (heute.de, 13.11.2017). Ob sich PESCO allerdings tatsächlich als großer Militarisierungsschritt entpuppen wird, wird sich erst noch erweisen müssen.

An eine PESCO-Teilnahme sind bestimmte Rüstungsbedingungen geknüpft, die die Staaten erfüllen müssen. Über diese Teilnahmebedingungen wurde lange und intensiv gestritten, ohne dass davon allzu viel an die Öffentlichkeit gedrungen wäre. Nun lassen sie sich im „Aktivierungspapier“ finden, das am 13. November von 23 Ländern unterzeichnet wurde. Dänemark und Großbritannien wollen sicher nicht an PESCO teilnehmen, Irland, Polen und Portugal geben an, sie hätten sich noch nicht entschieden. Rüstungsnahe Stimmen äußerten sich eher enttäuscht ob der der nun getroffenen Vereinbarungen, was vor allem an teils relativ schwammigen Formulierungen der jeweiligen PESCO-Verpflichtungen liegt. Näher betrachtet hat das Dokument aber leider durchaus das Potenzial, den EU-Militarisierungsprozess weiter voranzutreiben.

Viele Vereinbarungen sind tatsächlich relativ unverbindlich formuliert, so etwa die Verpflichtung, die Rüstungsausgaben regelmäßig zu erhöhen, ohne zu spezifizieren, was das in konkreten Zahlen bedeuten soll. Auch andere Aspekte, die mit den Rüstungsausgaben zu tun haben, bleiben reichlich vage, zum Beispiel das Bekenntnis, die Rüstungsinvestitionen sukzessive auf mindestens 20% des Militärbudgets anzuheben. Dasselbe gilt für andere Passagen wie etwa die zur Bereitstellung strategischer Fähigkeiten oder zur „besseren“ Finanzierung von EU-Rüstungsprojekten und EU-Einsätzen – auch hier fehlt es an Angaben, wozu konkret sich die Länder hier verpflichtet haben. Auf der anderen Seite müssen teilnahmewillige Länder aber beispielsweise verpflichtend Truppen für die EU-Battlegroups bereitstellen, um bei PESCO mitmachen zu dürfen. Verbindlich ist auch die Verpflichtung, sich an mindestens einem PESCO-Projekt zum Aufbau strategisch relevanter Militärkapazitäten zu beteiligen.

Am 11. Dezember 2017 wurden dann bis auf Dänemark, Großbritannien und Malta die ersten Projekte und die jeweils dazugehörigen Führungsnationen von allen anderen 25 EU-Staaten beschlossen. Augenscheinlich haben sich also auch Länder, die sich lange gegen PESCO gesträubt haben, wie etwa Polen oder Portugal, inzwischen aus Sorge, bei wichtigen EU-Militärprojekten künftig außen vor zu bleiben, zu einer Teilnahme entschieden: „Deutschland übernimmt in der neuen EU-Verteidigungszusammenarbeit die Führung bei vier von insgesamt 17 Militärprojekten. Unter deutscher Koordinierung sollen ein Sanitätskommando, Logistikdrehscheiben, ein Zentrum für Trainingsmissionen sowie eine Stelle zum Aufbau schnellerer Krisenreaktionskräfte geschaffen werden.“ (n-tv, 9.12.2017)

Ein wesentlicher Faktor, um per PESCO den beabsichtigten Ausbau des EU-Militärapparates voranzutreiben, soll sein, dass sich die teilnehmenden Länder einem Prozess unterworfen haben, in dem ihre Zusagen künftig extern durch die EU-Verteidigungsagentur in einem Bericht „evaluiert“ werden. Hierfür muss jedes teilnahmewillige Land einen Nationalen Implementierungsplan aufstellen, der Auskunft darüber geben soll, wie es seine PESCO-Verpflichtungen erfüllen will. Die Einhaltung dieses Planes wird dann jährlich durch die EDA in besagtem Bericht geprüft. Im „Aktivierungspapier“ heißt es dazu: „Dieser Bericht wird detailliert über den Stand der PESCO-Implementierung Auskunft geben, einschließlich der Beachtung jedes Mitgliedsstaates bezüglich seiner Verpflichtungen im Zusammenhang mit seinem Nationalen Implementierungsplan.“ Unklar ist, wie mit PESCO-Mitgliedern umgegangen werden soll, sollten ihre Rüstungsbemühungen „negativ“  evaluiert werden. Ob über diese Prüfberichte „erfolgreich“ genug Druck erzeugt werden kann, damit die Teilnehmer künftig in die „richtige“ Richtung rüsten, dürfte deshalb maßgeblich darüber entscheiden, ob mit PESCO wirklich ein „historischer“ Militarisierungsschritt eingeleitet worden ist.