IMI-Standpunkt 2017/21
Menschenrechte unter Terrorverdacht
Kurz nach der Razzia gegen Amnesty International in der Türkei unterzeichneten die G20 eine gemeinsame Erklärung zur Terrorismusbekämpfung
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 20. Juli 2017
PDF-Artikel im AUSDRUCK (August 2017)
Ganze Ausgabe des AUSDRUCK (August 2017)
Bereits am 5. Juli stürmte die türkische Polizei einen Workshop von Amnesty International in Istanbul und nahm alle zehn Anwesenden fest, darunter der deutsche Aktivist und Dokumentarfilmer Peter Steudtner und die Direktorin der türkischen Sektion von Amnesty International, Idil Eser. Erst 30 Stunden nach ihrer Verhaftung durften die Aktivist*innen ihre Angehörigen verständigen. Für große mediale Aufmerksamkeit und sichtbare politische Reaktionen sorgte der Fall aber erst knapp zwei Wochen später, als ein türkisches Gericht Untersuchungshaft für den deutschen Staatsbürger anordnete. Der Vorwurf lautet Terrorunterstützung, die Untersuchungshaft kann in der Türkei bis zu fünf Jahre andauern. Dass zwischen Inhaftierung und richterlichem Beschluss fast zwei Wochen vergehen konnten, ermöglicht der infolge des Putschversuchs vom Juli 2016 in der Türkei ausgerufene Ausnahmezustand.
Steudtner war bereits mindestens der zehnte deutsche Staatsbürger, der in der Türkei seit dem Putschversuch festgenommen wurde. Größere Aufmerksamkeit hatte zuvor schon die Verhaftung von Deniz Yücel – Mitherausgeber der Jungle World und Türkei-Korrespondent der Welt – ausgelöst. Er wurde am 14. Februar 2017 unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Terror-Propaganda festgenommen und sitzt seit 27. Februar ebenfalls in Untersuchungshaft. Bereits in diesem Fall hatte sich die Bundesregierung mehrfach kritisch zum Vorgehen der türkischen Justiz geäußert und öffentlich angekündigt, sich für „eine faire und rechtsstaatliche Behandlung“ des Journalisten einzusetzen.[1] Nachdem auch für Steudtner Untersuchungshaft angeordnet wurde, äußerten sich die Spitzenpolitiker*innen deutlicher und die Bundesregierung zog diplomatische Register, bestellte den türkischen Botschafter ein und kündigte eine Überarbeitung der Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts an.[2]
Bemerkenswert hingegen ist das Schweigen unmittelbar nach der Festnahme Steudtners – aber nur auf den ersten Blick. Denn zwei Tage nach seiner Festnahme begann in Hamburg unter deutscher Präsidentschaft der G20-Gipfel in Hamburg, auf dem auch die Türkei als Mitglied der G20 vertreten war. Diplomatische Querelen über das Vorgehen der Türkei bei der Bekämpfung dessen, was sie Terrorismus nennt, hätten schlecht zur Inszenierung des Gipfels samt Gruppenfoto gepasst. Dies gilt umso mehr, als sich die G20 neben ihrer allgemeinen Gipfelerklärung und mehreren gemeinsam beschlossenen Anhängen auch auf eine „Erklärung zur Bekämpfung des Terrorismus“ geeinigt hatten.[3]
Obwohl der Terrorismus bereits in der allgemeinen Gipfelerklärung[4] als erste jener „gemeinsamen Herausforderungen, vor denen die internationale Gemeinschaft steht“, genannt wird und die spezifische Erklärung zu seiner Bekämpfung durchaus eine herausragende Stellung im Set der Gipfeldokumente einnimmt, hat das Thema weder in der Darstellung der Bundesregierung noch in der öffentlichen Diskussion über die Ergebnisse des Gipfels eine große Rolle gespielt. Im Fazit der deutschen G20-Präsidentschaft etwa heißt es einleitend „Das Format G20 habe sich bewährt… Bei Fragen der Weltgesundheit, bei der Partnerschaft mit Afrika und bei Maßnahmen zur Stärkung der Rolle und Chancen von Frauen seien ‚greifbare Fortschritte‘ erzielt worden“.[5] Erst unter Ziffer vier mit dem Titel „Zusammen Terrorismus bekämpfen“ wird dann auf das entsprechende Dokument eingegangen. Hier heißt es: „Die G20 will im Rahmen der Vereinten Nationen enger zusammenzuarbeiten. Die Teilnehmerstaaten wollen künftig Informationen etwa über Interpol besser austauschen. Mit Blick auf die Terrorismusfinanzierung will die G20 die Arbeit der Financial Action Task Force stärken. Auch ist ein besserer Austausch darüber verabredet, wie Finanzierungsquellen der Terroristen wirksamer ausgetrocknet werden können. Breiten Diskussionsraum nahmen auch die Themen Terrorismus und Internet ein. Die G20 erwartet, dass Anbieter von Kommunikationsplattformen im Netz terroristische Informationen schnell löschen.“
Bemerkenswert ist hierbei, dass die Selbstdarstellung der Bundesregierung lediglich die (wenigen) konkret beschlossenen Maßnahmen zusammenfasst und nicht etwa Artikel zwei der Erklärung zur Bekämpfung des Terrorismus zitiert, in dem es heißt: „Wir bekräftigen, dass sämtliche Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen und allen völkerrechtlichen Verpflichtungen einschließlich dem internationalen Menschenrecht durchgeführt werden müssen.“ Anders als Maßnahmen gegen die Terrorismusfinanzierung hat es dieses Bekenntnis auch nicht in die allgemeine Gipfelerklärung geschafft. Dass die Bundesregierung auch in ihrer Selbstdarstellung auf eine Bezugnahme auf den entsprechenden Absatz verzichtet, deutet bereits darauf hin, dass der Verweis auf die Menschenrechte als reine Floskel betrachtet wird. Vermutlich wird das Thema Bekämpfung des Terrorismus eben deshalb in der Berichterstattung über den Gipfel ausgespart, weil eben zu offenkundig ist, was es bedeutet, wenn man mit Staaten wie der Türkei, die Terrorismusvorwürfe offenkundig benutzt, um Pressefreiheit und Menschenrechtsarbeit einzuschränken, eine Zusammenarbeit vereinbart. Wenn sich als Demokratien begreifende Staaten mit anderen, die sie selbst als Autokratien bezeichnen, eine gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus anstreben, kann das nichts anderes als die Absenkung menschenrechtlicher Standards bedeuten. Gerade für die Autorkatien kann dies durchaus als Freibrief verstanden werden, den Terrorismusvorwurf zur Bekämpfung der politischen Opposition einzusetzen, wie es die Türkei gegenwärtig offenkundig vorexerziert.
Dies gilt umso mehr, als in der betreffenden Erklärung jede Definition des Begriffs Terrorismus vermieden wird. Ausgeklammert wird ebenso jede Bezugnahme auf staatliche Finanzierung und Unterstützung von terroristisch agierenden Gruppen. Beides ist naheliegend, da viele der G20 Staaten etwa in Syrien offenkundig Strukturen unterstützen, die von anderen G20-Staaten als terroristisch eingestuft werden. Wäre es tatsächlich Ziel der G20 gewesen, „gemeinsame Herausforderungen, vor denen die internationale Gemeinschaft steht“ zu bewältigen, wären beides sinnvolle – und bei ehrgeiziger Implementierung auch erfolgversprechende – Maßnahmen gewesen. Ohne eine gemeinsame Definition und eine rigorose Absage an die instrumentelle Zusammenarbeit mit entsprechenden Gruppen entlarven sich die G20, als das, was sie sind: Eine illegitime Vereinigung der Großmächte und Schwellenländer, die – sich zugleich auf verschiedenen Schlachtfeldern gegenseitig bekämpfend und viele davon auf Grundlage von Ausnahmegesetzen agierend – Einigkeit nur in den Punkten finden, in denen sie eben als Groß- und Schwellenländern eine gemeinsame Position haben. Und diese besteht hinsichtlich der Bekämpfung des Terrorismus eben nicht darin, Geld- und Waffenlieferungen in Bürgerkriege und an subversive Bewegungen in konkurrierenden Staaten zu unterbinden, sondern den Terrorismus als Vorwand zur Repression sozialer Bewegung zu instrumentalisieren.
Entsprechend werden in der betreffenden Erklärung die Ursachen des Terrorismus kaum gewürdigt. Gerade dort aber, wo es am Ende des Papiers um jene Themen geht, die den Ursachen am nächsten kommen (aber eben nicht mit ihnen übereinstimmen), ist besondere Vorsicht geboten. Die Rede ist hier von „Radikalisierung und Rekrutierung“ sowie von „terroristischer Propaganda“, die natürlich ebenso wenig definiert und von legalen oder legitimen Formen der politischen Auseinandersetzung oder der geschützten Meinungsfreiheit abgegrenzt sind. Auch hier ist nicht von Prävention, sondern von „Bekämpfung“ die Rede, die also bereits da ansetzen kann, wo ein konkreter Bezug zu politischer Gewalt (noch) fehlt. Und für das, was als Terrorismus begriffen wird – dieser Gedanke durchzieht ungeachtet der Floskel in Absatz zwei das ganze Dokument – wird die Gültigkeit der Menschenrechte geleugnet oder zumindest relativiert. So ist beispielsweise von der Folter und den außergerichtlichen Tötungen, die einigen der unterzeichnenden Staaten im Umgang mit Terrorverdächtigen nachgewiesen sind und noch mehr vorgeworfen werden, keine Rede. Auch der deutsche Innenminister, der „die Gewalttäter am Rande des G20-Gipfels in Hamburg mit Neonazis und islamistischen Terroristen verglichen“ hatte,[6] zeigte sich ein halbes Jahr zuvor „sehr erleichtert“ über den Tod von Anis Amris,[7] der damals als Verdächtiger galt, den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche verübt zu haben.
Anmerkungen
[1] „Merkel fordert faire Behandlung für deutschen Journalisten“, zeit.de vom 18.2.2017.
[2] „Deutschland verschärft Sicherheitshinweise“, tagesschau.de vom 20.7.2017.
[3] Abrufbar unter: https://www.g20.org/Content/DE/_Anlagen/G7_G20/2017-g20-statement-antiterror-de.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[4] Abrufbar unter: https://www.g20.org/Content/DE/_Anlagen/G7_G20/G20-Abschlusserklaerung.pdf?__blob=publicationFile&v=7
[5] „Greifbare Fortschritte erzielt“, abrufbar unter: https://www.g20.org/Content/DE/Artikel/2017/07/2017-07-10-erfolge-g20-hamburg.html.
[6] „De Maizière vergleicht Hamburger Gewalttäter mit Neonazis“, zeit.de vom 10.7.2017.
[7] „Generalbundesanwalt bestätigt Tod Amris“, faz.net vom 23.12.2016.