IMI-Analyse 2016/10 - in: AUSDRUCK (April 2016)

Die Clinton-Mails und der Libyen-Krieg

Dreiste Menschenrechtslügen und tatsächliche Interessen

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 18. März 2016

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Der Krieg gegen Libyen wurde am 19. März 2011 von einer Ad-hoc-Koalition unter Führung von Frankreich, Großbritannien und den USA begonnen. Am 31. März 2011 ging die gesamte Kriegsführung dann auf die „Operation Unified Protector“ (OUP) und damit auf die NATO über. Nach 26.500 Lufteinsätzen, bei 9.700 davon erfolgten Bombardierungen, endete die Operation am 30. Oktober 2011; acht Tage zuvor war der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi auf grausame Weise ermordet worden. Seither versinkt das Land im Chaos und die Auseinandersetzungen nehmen kein Ende. Inzwischen sind erneut – oder vielleicht auch immer noch – westliche Spezialeinheiten im Land aktiv und es wird sogar wieder laut über eine großangelegte Intervention nachgedacht, diesmal womöglich auch mit deutscher Beteiligung.

Schätzungen zufolge143 sollen allein bei den NATO-Bombardierungen zwischen 30.000 und 50.000 Menschen ums Leben gekommen sein.[1] Als Rechtfertigung wurden vom Westen stets massive Menschenrechtsverletzungen ins Feld geführt. Die kürzlich über den Freedom of Information Act veröffentlichten Mails der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton legen jedoch nahe, dass vieles, wenn nicht sogar alles davon erstunken und erlogen war.[2] Die Mails bringen darüber hinaus auch noch etwas Licht in die Frage, was die eigentlichen Interessen hinter diesem Krieg waren. Vor allem aber legen sie den Schluss nahe, dass Clinton, die wohl wichtigste treibende Kraft hinter der westlichen Intervention[3], sogar bewusst Falschmeldungen gestreut und der Kriegsagenda widersprechende Informationen gezielt unterdrückt hat. Ihr diesbezüglicher Umgang mit der Wahrheit ist so schockierend, dass einem angesichts der Tatsache, dass sie derzeit als aussichtsreichste Kandidatin für das US-Präsidentenamt gilt, angst und bange werden kann.

Vermeintliche Menschenrechtsverletzungen…

Ganz sicher war das System unter Muammar al-Gaddafi repressiv, dies gilt aber in mindestens demselben Ausmaß für eine ganze Reihe „befreundeter“ Staaten, die vom Westen in Ruhe gelassen werden. Anfang 2011 begannen die Proteste gegen die libysche Regierung, was schließlich zur Verabschiedung der UN-Resolution 1973 führte, die zwar u.a. die Einrichtung einer Flugverbotszone vorsah, allerdings keineswegs einen Blankoscheck für den Sturz Gaddafis ausstellte, auch wenn sie vom Westen völlig haltlos so zurechtinterpretiert wurde.[4] Die Regierung sei aufgrund der Androhung von Massakern in Bengasi ihrer in der UN-Resolution betonten „Verantwortung zum Schutz“ der Bevölkerung nicht nachgekommen, was ihren Sturz legitimiere, so die damalige Begründung der Angriffe. Schon damals gab es allerdings viele Hinweise, dass es sich hierbei um bestenfalls fragwürdige, meist sogar falsche Behauptungen handelte.

So schrieb etwa Alan Kuperman, Professor für öffentliche Angelegenheiten an der Universität von Texas: „Gaddafi hat niemals mit einem Massaker an der Zivilbevölkerung in Bengasi gedroht, wie Obama behauptete. Die Warnung ‚es werde kein Pardon gegeben‘ vom 17. März richtete sich ausschließlich gegen die Aufständischen, wie die New York Times berichtete. Zudem habe der libysche Machthaber denjenigen eine Amnestie versprochen, die ‚ihre Waffen wegwerfen‘, Gaddafi bot den Rebellen sogar einen Fluchtweg und offene Grenzübergänge in Richtung Ägypten an, um einen ‚Kampf bis zum bitteren Ende‘ zu vermeiden.“[5] Auch andere Vorwürfe haben sich als weitgehend haltlos herausgestellt: „[N]ach Studien der UN und von Amnesty International [hat sich] die Begründung der damaligen Militärintervention als falsch erwiesen. Zwar kam es im Bürgerkrieg zu Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten. Systematische Massaker, Luftangriffe gegen Demonstranten, organisierte Massenvergewaltigungen und weitere schwere Vorwürfe, die Gaddafis Regime angelastet wurden, sollen jedoch nie verübt worden sein.“[6]

Ein erster Hinweis, dass Hillary Clinton Kenntnis davon gehabt haben muss, dass die Vorwürfe gegen Gaddafi und seine Truppen auf sehr wackeligen Beinen standen, fand sich in einem Bericht der Washington Times vom Januar 2015. Unter Verweis auf jüngst erhaltene Gesprächsmitschnitte aus Tripolis sowie auf Aussagen hochrangiger damaliger Regierungsbeamter wurde darin berichtet: „Mehrere von der Times interviewte US-Offizielle bestätigten, dass Frau Clinton und nicht Herr Obama führend in der Forderung war, NATO-Militärkräfte einzusetzen, um Gaddafi als Anführer Libyens des Amtes zu entheben und dass sie wiederholt die Warnungen von Beamten aus dem Verteidigungs- wie auch dem Militärapparat in den Wind geschlagen hat. […] Frau Clintons Argument bestand darin, dass Gaddafi kurz davor stand, einen Völkermord gegen Zivilisten in Bengasi zu begehen, wo die Rebellen ihr Machtzentrum hatten. Aber Geheimdienstbeamte aus dem Verteidigungsministerium konnten diese Bedenken nicht bestätigen und kamen in der Tat zu der Einschätzung, dass es Gaddafi wohl kaum riskieren würde, sich aufgrund der Tötung zahlreicher Menschen den Zorn der Welt auf sich zu ziehen. […] Im Ergebnis wandten sich Verteidigungsminister Robert M. Gates und Generalstabschef Mike Mullen entschieden gegen Frau Clintons Forderung nach dem Einsatz von Gewalt.“[7]

Nun ließe sich argumentieren, bei diesen Meldungen handele es sich um ein Komplott der den Republikanern nahestehenden Washington Times, um die damals wie heute aussichtsreichste demokratische Präsidentschaftskandidatin zu sabotieren. Allerdings bestätigen nun eine Reihe ihrer eigenen Mails, dass Clinton einen geradezu skandalösen Umgang mit der Frage der Verletzung von Menschenrechten in Libyen an den Tag legte.

… und was die Clinton-Mails dazu sagen

Auch wenn sich die Kriegsbefürworter primär auf das vermeintlich bevorstehende Massaker in Bengazi stützten, wurde auch immer wieder argumentiert, seit Ausbruch der Proteste seien im großen Stil Menschenrechte massiv mit Füßen getreten worden. In einer Mail vom 21. Februar 2011 berichtete jedoch der damalige Mitarbeiter Clintons, Human Abedin (Doc No. C05778494), bereits kurz nach Ausbruch der Proteste über die vergleichsweise ruhige Lage in Bengasi: “Auf Grundlage zahlreicher Augenzeugen-Berichte kommt die Botschaft zu dem Ergebnis, dass die Regierung Bengasi nicht mehr länger unter Kontrolle hat. […] Die Stimmung in Bengasi und Ajdabiyah ist dem Vernehmen nach ‘feierlich’ und alle Poster von Gaddafi wurden abgehängt.“ Am 2. März 2011 lieferte Harriet Spanos von USAID in einer weiteren Mail (Doc No. C05778340) einen Situationsbericht ab, der ebenfalls nicht nach großangelegten Menschenrechtsverletzungen klang: „Verfügbare Berichte legen den Schluss nahe, dass bestimmte Formen ökonomischer Tätigkeiten in Bengasi stattfinden, wenn auch etwas langsamer als gewöhnlich. Grundbedürfnisse wie Nahrung sind verfügbar, werden aber täglich knapper. Läden und Banken sind Berichten zufolge geöffnet. Mobil- und Festnetztelefone funktionieren und das Internet ist auch wieder verfügbar.“

Wie wenig sich Clinton um die Menschenrechte scherte, geht aus einer Mail von Sidney Blumenthal, einem der engsten Mitarbeiter der damaligen Außenministerin, vom 27. März 2011 hervor (Doc No. C05782401). Darin wird ihr mitgeteilt, die vom Westen unterstützten Rebellen würden alle Söldner im Dienste Gaddafis erschießen: „Unter strikter Wahrung seiner Anonymität gab ein Rebellenkommandeur an, dass seine Truppen weiter summarische Hinrichtungen aller ausländischen Söldner durchführen, die bei den Kämpfen gefangen genommen werden.“

Nach Recherchen der Huffington Post dürfte es sich dabei aber eher um Massenexekutionen schwarzafrikanischer Gastarbeiter gehandelt haben, was Clinton wohl bewusst gewesen sein dürfte: „Die Mails zeigen einen vollständigen Mangel, was die Sorge um Menschenrechtsverletzungen durch pro-NATO-Rebellen anbelangt. […] Summarische Hinrichtungen selbst von bewaffneten Kombattanten sind klare Verstöße gegen die Genfer Konventionen. Aber weder Blumenthal noch Hillary zeigen sich über derlei Bagatellen allzu besorgt. Noch Besorgnis erregender ist, dass sich im Laufe der NATO-Invasion herausstellte, dass die Vorwürfe, ausländische Söldner würden in den Reihen Gaddafis kämpfen, falsch waren. Tatsächlich handelte es sich bei den fraglichen Söldnern um afrikanische Gastarbeiter. Was wirklich passiert ist war, dass die Rebellen in großer Zahl Menschen summarisch inhaftierten und ermordeten, nur auf der Basis, dass sie schwarz waren. Mit anderen Worten, es waren die Rebellenfreunde der USA, die faktisch einen Genozid in Libyen verübten, und die NATO, die ein UN-Mandat zum Schutz von Zivilisten hatte, half ihnen dabei.“[8]

In einer weiteren Mail von Sidney Blumenthal (Doc No. C05789307) berichtet dieser ebenfalls am 27. März 2011 von der umfassenden Verabreichung von Viagra, zur Unterstützung systematischer Massenvergewaltigungen. Allerdings handele es sich dabei um ein Gerücht, das von den Rebellen stamme und nicht unabhängig bestätigt sei: „Quellen sagen nun, erneut ein Gerücht (das heißt, diese Information kommt von Rebellenseite und wurde nicht unabhängig von westlichen Nachrichtendiensten bestätigt), dass Gaddafi eine Vergewaltigungspolitik verfolgt und sogar Viagra an seine Truppen verteilt hat.“ Obwohl der Wahrheitsgehalt dieser Meldung nie erhärtet wurde, wurde sie später prominent aufgegriffen: „Die bizarre Viagra-Vergewaltigungsgeschichte wurde Teil einer Präsentation vor den Vereinten Nationen durch die damalige UN-Botschafterin der USA, Susan Rice, die die Viagra-Anschuldigung in einer Diskussion über die Übeltaten von Gaddafis Regime aufbrachte. Ein UN-Diplomat, der an einer geschlossenen Sitzung am 28. April 2011 teilnahm, sagte dem Guardian: ‚Es ereignete sich während einer Diskussion darüber, ob die Truppen Gaddafis und der Rebellen moralisch äquivalent seien. Rice listete Menschenrechtsverletzungen durch Gaddafis Truppen auf, einschließlich von Scharfschützen, die Kinder ermorden und der Viagra-Geschichte.‘“[9] Obwohl eine Untersuchung von Amnesty International keine Hinweise für systematische Vergewaltigungen durch Gaddafi-Anhänger finden konnte[10], äußerte sich Clinton noch im Juni 2011, sie sei “tief besorgt”, weil sie ihnen genau dies vorwarf.[11]

Diese Episoden zeigen Clintons geradezu gemeingefährlichen Umgang mit der Wahrheit: Meldungen werden gefälscht oder unterschlagen, ganz nach dem, was der Unterstützung ihrer Kriegsagenda dienlich ist.

Am 30. März 2011 gab erneut Clinton-Berater Sidney Blumenthal dann an (Doc No. C05789481), es sei nicht weiter zielführend, „humanitäre Motive“ als Begründung des Krieges anzuführen: „Das humanitäre Argument ist limitiert, kontextabhängig und bezieht sich auf eine bestimmte, in der Vergangenheit liegende Situation. Ein Massaker in Bengasi verhindert zu haben und hierfür ständig Kredit zu verlangen (sowohl von der libyschen als auch der amerikanischen öffentlichen Meinung), wird sich in Bälde als kontraproduktiv erweisen.“ Wohlgemerkt, er thematisiert in diesem Absatz nicht die hochumstrittene Frage, ob in Bengasi tatsächlich ein Massaker gedroht hat, sondern nur die, ob diese Behauptung als Begründung weiter taugt, um noch monatelang weiterzubombardieren. Statt sich auf die Menschenrechtsfrage zu versteifen, schlägt Blumenthal vor, andere Interessen hervorzuheben, die er auch klar benennt.

Klartext: Westliche Interessen

Es dürfte selten sein, dass ein Krieg aus einer einzigen Motivationslage heraus vom Zaun gebrochen wird – für eine solch weitreichende Entscheidung braucht es zumeist eine kritische Masse verschiedener Interessen. Im Falle des Libyen-Krieges wurden zahlreiche solcher Motive angeführt, die eine Rolle gespielt haben dürften: Darunter etwa die Absicht, mit der „Verantwortung zum Schutz“ eine neue Interventionsdoktrin zu etablieren, das libysche Öl unter Kontrolle zu bringen, sich eines unsicheren Kantonisten zu entledigen und gleichzeitig zu versuchen, die soeben begonnenen Arabischen Revolutionen in „genehme“ Bahnen zu kanalisieren.[12]

Auch Sidney Blumenthal ist in seiner bereits angesprochenen Mail vom 30. März 2011 (Doc No. C05789481), in der er vorschlägt, nicht mehr humanitäre Motive buchstäblich ins Feld zu führen, der Auffassung, dass eine ganze Reihe konkreter Interessen den Sturz Gaddafis („Q“) nahelegen: „Die positiven Argumente, aus nationalen Interessen den Sturz von Q zu befürworten, liegen auf der Hand: die Stabilisierung Nordafrikas, die Sicherung von Demokratie in Ägypten und Tunesien, wirtschaftliche Entwicklung, die Auswirkungen auf die ganze arabische Welt und auf Afrika, die Ausweitung des amerikanischen Einflusses, ein Gegengewicht zum Iran, etc.“

Doch Blumenthal liefert noch weitere, weit brisantere Einblicke in das Interessensgeflecht. Eine schon früh vertretene These war auch, dass der Angriff auch im Zusammenhang mit der libyschen Afrika-Politik und den diesbezüglichen Versuchen zu sehen sei, den Kontinent vom Westen zu emanzipieren. Hierzu schrieb Lühr Henken in IMI-Analyse 2011/25: „Wenige Monate vor dem NATO-Angriff auf sein Land forderte er [Gaddafi] die arabischen und afrikanischen Staaten auf, eine neue gemeinsame Währung einzuführen, um sich der Macht des Dollars und des Euros zu entziehen. Grundlage sollte der Gold-Dinar sein, der auf dem 144 Tonnen schweren libyschen Goldschatz beruht, der in der staatlichen Zentralbank lagert. Dieser Initiative waren bereits geheime diesbezügliche Konferenzen 1996 und 2000 vorausgegangen. Die meisten afrikanischen Länder unterstützten dieses Vorhaben. Sollte dies gelingen, wäre Frankreich der größte Verlierer, denn das bedeutete das Ende des CFA-Franc in den 14 frankophonen Ländern Afrikas, und damit auch das Ende der postkolonialen Kontrolle Frankreichs über diese. Drei Schlüsselprojekte hatte Gaddafi in Planung, die den Grundstein für eine afrikanische Föderation bilden sollten: Die Afrikanische Investmentbank im libyschen Sirte, die Afrikanische Zentralbank mit Sitz in Abuja, der Hauptstadt Nigerias, sowie die für 2011 geplante Einrichtung des Afrikanischen Währungsfonds in Jaunde (Kamerun), der über einen Kapitalstock von 42 Milliarden Dollar verfügen soll.“[13]

Dass derlei Überlegungen zumindest mit eine Rolle für die Kriegsentscheidung Frankreichs gespielt haben, wird nun in einer weiteren Mail Blumenthals vom 2. April 2011 (Doc No. C05779612) unter dem Betreff „France’s client & Q’s gold“ spektakulär bestätigt: „Am 2. April 2011 gaben Quellen mit Zugang zu Beratern von Salt al-Islam Qaddafi[14] unter strengster Vertraulichkeit an, dass das Einfrieren der Bankkonten Gaddafi zwar ernsthafte Schwierigkeiten bereite, seine Fähigkeit zur Ausrüstung und Aufrechterhaltung der bewaffneten Truppen und des Geheimdienstes dadurch aber intakt bleiben. Gemäß sensibler Informationen, die diesen Personen zugänglich sind, verfügt die Gaddafi-Regierung über 143 Tonnen Gold und eine ähnliche Menge an Silber. Ende März wurden diese Vermögenswerte nach SABHA (südwestlich in Richtung der libyschen Grenze mit dem Niger und Tschad) verfrachtet; entnommen wurden sie den Tresoren der libyschen Zentralbank in Tripolis. Dieses Gold wurde vor Ausbruch der aktuellen Rebellion angesammelt und war dafür gedacht, eine pan-arabische Währung auf Basis des libyschen Gold-Dinar ins Leben zu rufen. Dieser Plan wurde mit dem Ziel entworfen, den frankophonen Ländern eine Alternative zum CFA-Franc zur Verfügung zu stellen. […] Gemäß kenntnisreicher Individuen, beläuft sich der Wert dieser Menge an Gold und Silber auf 7 Mrd. Dollar. Französische Geheimdienstoffiziere entdeckten den Plan kurz nachdem die aktuelle Rebellion begann und hierbei handelte es sich um einen der Faktoren, die die Entscheidung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy beeinflussten, Frankreich auf einen militärischen Angriff festzulegen. Nach Angaben dieser Individuen, werden Sarkozys Pläne von folgenden Faktoren beeinflusst:

  1. Den Wunsch einen größeren Anteil an der libyschen Ölproduktion zu erhalten,
  2. Den französischen Einfluss in Nordafrika auszuweiten,
  3. Die innere politische Lage in Frankreich zu verbessern,
  4. Dem französischen Militär die Möglichkeit zu bieten, seiner Position in der Welt wieder Geltung zu verschaffen,
  5. Die Sorgen seiner Berater über Gaddafis langfristige Pläne, Frankreich als dominierende Macht im frankophonen Afrika abzulösen zu adressieren.“

Aus diesem Interessensbündel dürfte sich die exponierte Rolle Frankreichs erklären, das bei der Kriegsführung von Anfang an ganz vorne mit dabei war. Sicher handelt es sich bei dieser Mail nicht um einen abschließenden Beweis, was die tatsächlichen Gründe für die Intervention waren. Viel näher an die Überlegungen, die in solchen Fragen im US-Außenministerium angestellt werden, dürfte man aber selten kommen.

Bravo Hillary!

Die Folgen des Libyen Krieges waren und sind fatal: Nicht nur das Land selbst versinkt in Chaos und Krieg, auch die ganze Region wurde destabilisiert. Ein Kollateralschaden ist etwa die Eskalation in Mali, die nicht unwesentlich mit dem Libyen-Krieg zusammenhängt.[15] Und eine, wenn nicht die Hauptverantwortliche ist die potenzielle demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Dies geht auch aus einer weiteren Mail hervor, die von der humanitären Interventionistin Anne-Marie Slaughter verfasst wurde. Als zwischenzeitliche Leiterin der wichtigen Politikplanungsabteilung bekleidete sie eines der höchsten Ämter in Clintons Außenministerium: “In einer Mail mit dem Betreff ‘bravo!’, die am 19. März 2011 gesendet wurde – dem Tag, an dem die USA und ihre Verbündeten mit der Bombardierung Libyens begannen – schien die Cliton-Vertraute und ehemalige Angestellte Anne-Marie Slaughter die damalige Außenministerin dafür zu bejubeln, einen widerstrebenden Präsidenten Obama überzeugt zu haben, Militäraktionen in Libyen durchzuführen. ‚Ich kann mir nicht vorstellen, wie erschöpft Du nach dieser Woche sei musst. Aber ich war NIE stolzer mit Dir gearbeitet zu haben‘, schreibt Slaughter […]. ‚POTUS [Obama] in dieser Frage umgedreht zu haben, ist ein großartiger Erfolg für alles, wofür wir gearbeitet haben.‘“[16]

Neue Interventionspläne

Ende Februar 2016 berichtete Le Monde, französische Spezialeinheiten seien in Libyen aktiv, Präsident Holland habe “inoffizielle Militäraktionen” autorisiert.[17] Auch amerikanische Spezialeinheiten sollen in Libyen operieren, dem Vernehmen nach aber weniger in direkten Kampfeinsätzen, sondern zur Ausbildung lokaler Milizen. Unterstützt werden sie schon seit einiger Zeit durch punktuelle Luftschläge, erstmals griffen die USA im November 2015 Ziele des Islamischen Staates an und seit Mitte Februar 2016 können von Sizilien aus Drohnenangriffe gestartet werden.[18] Auch Pläne für umfassende Luftschläge sollen in den USA bereits fertiggestellt worden sein.[19]

Und auch Deutschland will dieses Mal mit dabei sein. Im Jahr 2011 hatte sich die Regierung noch geweigert, sich an der Bombardierung zu beteiligen, was innerhalb des sicherheitspolitischen Establishments regelrechte Schockwellen ausgelöst hatte. Diese Weigerung war u.a. Anstoß für das Projekt „Neue Macht – Neue Verantwortung“, das die späteren Auftritte von Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2014 vorbereitet hatte. Seither lautet die lauthals verkündete Botschaft: Kein Krieg ohne uns!

Und das dürfte auch für Libyen gelten. Zumindest will sich Deutschland an der Ausbildung libyschen Militärs beteiligen – allerdings fehlen hierfür bisher sowohl ein UN-Mandat als auch eine funktionsfähige Regierung.[20] Doch augenscheinlich werden auch weit umfassendere Überlegungen angestellt. So berichtet der Journalist Björn Müller über einen Vortrag des Leiters der Abteilung Politik im Verteidigungsministerium, Géza Andreas von Geyr, in dem es u.a. um Libyen ging: „‘Greif nicht in ein Wespennest, doch wenn du greifst, dann greife fest – und wir wollen fest zugreifen‘, so der gelernte Diplomat. In der Folge nannte der Politikchef des BMVgs vier Punkte, die aus seiner Sicht bei einer Intervention zur Stabilisierung Libyens essenziell seien:

1.Die Errichtung einer ‚Grünen Zone‘ in der Hauptstadt der angestrebten Einheitsregierung Libyens.

2.Die Milizen in eine einheitliche Sicherheitsstruktur überführen (Hier käme dann wohl ein Ausbildungskontingent der Bundeswehr zum Tragen. […]).

3.Den Islamischen Staat in den Regionen Libyens direkt bekämpfen, in denen er sich ausgebreitet hat.

4.Die ‚Schleuserstrukturen‘ konsequent bekämpfen. Laut Geyr sei es wohl notwendig, hierbei auch in den Territorialgewässern Libyens aktiv zu werden und ‚an Land zu gehen‘. […]

Die forschen Ausführungen von Geyrs können als Indiz gewertet werden, dass das Verteidigungsministerium bzw. die Bundesregierung mit ihren Planungen für eine Beteiligung der Bundeswehr in dem Krisenstaat schon sehr weit sind und vor allem, dass das deutsche Engagement sehr umfassend ausgelegt ist“.[21]

Anmerkungen

[1] Chivers, C.J. und Schmitt, Eric: In Strikes on Libya by NATO, an Unspoken Civilian Toll, New York Times, 18.12.2011.
[2] Alle Mails finden sich über die Suchfunktion des „Virtual Rading Room”, auch diejengen, für die sich in diesem Artikel kein Link finden lassen konnte, auf folgender Seite: https://foia.state.gov/search/results.aspx
[3] Die zentrale Rolle Clintons als regelrechte Kriegstreiberin wird u.a. anhand eines jüngst erschienenen ausführlichen Artikels ersichtlich, der sich umfassender Primärquellen, insbesondere von Präsident Obama selbst bedient. Demnach soll aus dem inneren Kreis neben Obama noch Viezepräsident Joe Biden gegen den Angriff gewesen sein. Dafür waren aber Susan Rice, Ben Rhodes, Samantha Power und eben Clinton. Siehe Goldberg, Jeffrey: The Obama Doctrine, The Atlantic, 10.03.2016.
[4] Siehe zur völkerrechtlichen Einordnung von Resolution 1973 Paech, Norman: Libyen und das Völkerrecht, in: Becker, Johannes (Hg.): Der Libyen-Krieg: das Öl und die „Verantwortung zu schützen“, Münster2012, S. 61-76.
[5] Kuperman, Alan J.: False pretense for war in Libya?, The Boston Globe, 14.04.2011.
[6] Hager, Marius: Der endlose Bürgerkrieg Libyens, in: AUSDRUCK (Dezember 2015), S. 5-6, S. 6.
[7] Secret tapes undermine Hillary Clinton on Libyan war, Washington Times, 28.01.2015.
[8] Clinton Emails on Libya Expose The Lie of ‚Humanitarian Intervention‘, Huffington Post, 22.01.2016.
[9] Parry, Robert, What Hillary Knew about Libya, Consortiumnews, 12.01.2016.
[10] Cockburn, Pattrick: Amnesty questions Libyan mass rape, nzherald, 25.06.2011.
[11] Libya: Clinton condemns rape as weapon of war, BBC, 17.06.2011.
[12] Siehe Wagner, Jürgen: Der Libyenkrieg und die Interessen der NATO, in: Becker 2012, S. 109-130.
[13] Henken, Lühr: Krieg gegen Libyen – Ursachen, Motive und Folgen, IMI-Analyse 2011/025.
[14] Der zweitälteste Sohn Muammar al-Gaddafis.
[15] Marischka, Christoph: Sahara, der Libyenkrieg und die kommende Aufstandsbekämpfung, in: AUSDRUCK (Februar 2012), S. 28-32.
[16] ‘Bravo!’ Email Appears To Show Clinton’s Friend Congratulating Her on Bombing of Libya, Antiwar.com, 27.02.2016.
[17] La guerre secrète de la France en Libye, Le Monde, 24.02.2016.
[18]  „Islamischer Staat“ in Libyen: Amerikas nächster Krieg, Spiegel Online, 17.02.2016.
[19] Pentagon Has Plan to Cripple ISIS in Libya With Air Barrage, New York Times, 08.03.2016.
[20] Ausbildungsmission für Libyen: Jetzt auch die Kanzlerin, Augengeradeaus, 29.01.2016.
[21] Müller, Björn: „Wir wollen fest zugreifen“ – Leiter Politik-Abteilung BMVg zu Libyen, Pivot Area, 26.01.2016.