IMI-Studie 2015/02
Deutschlands (neue) Großmachtambitionen
Von der „Kultur (militärischer) Zurückhaltung“ zur „Kultur der Kriegsfähigkeit“
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 31. Januar 2015
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Dieser Text erschien in Print in der Broschüre „Deutschland: Wi(e)der die Großmacht“ (68 Seiten, DinA4), die zum Preis von 4 Euro unter imi@imi-online.de bestellt werden kann. Hier die PDF-Version.
Spätestens seit dem Auftritt von Bundespräsident Joachim Gauck bei der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2014 ist in der öffentlichen Debatte über Deutschlands Rolle in der Welt unüberhörbar ein neuer Ton zu vernehmen. Im Zentrum steht dabei die Forderung, Deutschland müsse seine – zumindest idealtypisch – bislang an den Tag gelegte ‚Kultur der (militärischen) Zurückhaltung‘ zugunsten einer offensiver ausgerichteten Außenpolitik ad acta legen. Das hinter dem ‚Gauckismus‘ (Pfeifer/Spandler [1]) stehende Gedankengebäude entstand allerdings nicht im luftleeren Raum. Es spiegelt vielmehr einen Elitenkonsens wider, der auf einen größeren weltpolitischen Einfluss Deutschlands abzielt. Hierfür wird wiederum die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Teilnahme an Militärinterventionen für zwingend erforderlich erachtet.
Nicht von ungefähr setzte der diesbezügliche Diskussionsprozess deshalb unmittelbar nach der deutschen Weigerung ein, sich im Jahr 2011 am Krieg gegen Libyen zu beteiligen. [2] Systemarisiert wurde er daraufhin über ein Jahr lang im Projekt ‚Neue Macht – Neue Verantwortung‘, dessen gleichnamiger Abschlussbericht bereits alle wesentlichen Kerngedanken bis hin zu wortgleichen Formulierungen der späteren Rede des Bundespräsidenten enthielt. Weil aber die Bevölkerung solchen Plänen mehrheitlich überaus skeptisch gegenübersteht, wurde in den letzten Monaten eine regelrechte Propagandaoffensive gestartet, um die Menschen in diesem Land mit Projekten wie etwa ‚Review 2014‘ des Auswärtigen Amtes buchstäblich sturmreif zu schießen.
Eine weitere wesentliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die parallel zur Gauck-Debatte geführte Auseinandersetzung um die deutsche Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg. Im Kern geht es reaktionären Protagonisten dieser Diskussion wie Herfried Münkler dabei nur vordergründig primär darum, die deutsche Hauptverantwortung für diese Katastrophe abzustreiten. Dahinter versteckt sich das eigentliche Ziel, nämlich das Argument zu etablieren, es mache keinen Sinn, sich auf Basis der deutschen Geschichte positiv auf eine ‚Kultur der (militärischen) Zurückhaltung’ zu beziehen.
So besehen handelt es sich bei all dem demnach um nicht weniger als um den Besorgnis erregenden Versuch großer Teile des außen- und sicherheitspolitischen Establishments, einem grundlegenden Kurswechsel den Weg zu ebnen – und der Bundespräsident verlieh diesem Bestreben lediglich eine prominente Stimme: „Was Gaucks Rede […] so problematisch macht, ist die Tatsache, dass sie sich einfügt in den konzertierten Versuch, einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik herbeizuführen. Und zwar in zweierlei Hinsicht: erstens den Wechsel von einer Kultur der Zurückhaltung zu einer ‚Kultur der Kriegsfähigkeit‘ (Josef Joffe), und zweitens den Wechsel von einer Kultur der Werte zu einer Kultur der Interessen.“[3]
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Inhaltsverzeichnis
1. Zurückhaltung vs. Intervention
2. Neue Macht – Neue Verantwortung
3. Gauckismus als Elitenprojekt
4. Ignorierte Verantwortung
5. Propagandaoffensive und die Entsorgung der Geschichte
Anmerkungen
[1] Pfeifer, Hanna/Spandler, Kilian: The Responsibility to be Responsible, in: Wissenschaft & Frieden 4/2014, S. 36-39.
[2]„Die Reden von Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar dieses Jahres waren für viele eine Überraschung. Dabei zeichnete sich die Entstehung der ‚neuen deutschen Außenpolitik‘ spätestens seit 2011 ab – und sie ist weniger geheimnisvoll als oft gedacht.“ Siehe Rinke, Andreas: Raus ins Rampenlicht. Die Genese der „neuen deutschen Außenpolitik“, in: Internationale Politik, Juli/August 2014, S. 8-13, S. 8.
[3] Lucke, Albrecht von: Der nützliche Herr Gauck, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2014, S. 5-8, S. 6.