IMI-Standpunkt 2014/056
Gabriels Strategie zur Stärkung der Rüstungsindustrie
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 9. Oktober 2014
Unter schweren Beschuss ist Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in den letzten Wochen geraten – angeblich gefährde er mit seiner restriktiven Haltung zu Rüstungsexporten das Überleben der deutschen Waffenindustrie, so der vielfach erhobene Vorwurf. Schon vor einiger Zeit kündigte Gabriel deshalb eine Grundsatzrede zum Thema an, die er am 8. Oktober 2014 bei der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ (DGAP) hielt. Auf den ersten Blick klingt die Rede ganz gut – da werden etwa Einschränkungen der Waffenverkäufe und mehr Transparenz angekündigt; beim zweiten Hinsehen fällt aber schnell auf, dass es mit besagten Einschränkungen lange nicht so weit her ist, wie überall suggeriert wird; schaut man aber schließlich ein drittes Mal darauf, so entpuppt sich die Rede sogar als ein hochgradig problematisches Grundsatzprogramm zur Stärkung der deutschen Rüstungsindustrie.
Teil I: Begrenzte Rüstungsexportbeschränkungen
Wie bereits angedeutet, erweckt Gabriel in Teilen zumindest – ob gewollt oder ungewollt – durchaus den Eindruck, der Rüstungsindustrie an den Kragen zu wollen, indem er die Absicht bekundet, die Exporte substanziell beschränken zu wollen: „Ein offensiver Verkauf deutscher Waffentechnik überall auf der Welt – auch zur Kompensation zurückgehender Nachfrage der Bundeswehr und der NATO – ist weder mit der geltenden Rechtslage zu vereinbaren, noch mit den sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands.“ Viel zu lange sei zudem über Rüstungsexporte im stillen Kämmerlein entschieden worden, dies habe mit der neuen Transparenzoffensive nun aber ein Ende, so Gabriel in seiner Rede weiter: „Die heimliche Verabredung, einen kritischen Rüstungsexport doch im Interesse der heimischen Industrie oder im Interesse guter wirtschaftlicher Beziehungen zum Empfängerland zu genehmigen, weil die Öffentlichkeit davon nur rudimentär Kenntnis erhalten wird, trägt nicht mehr.“
Konkret bezieht sich der Wirtschaftsminister dann auf Waffenverkäufe in den Mittleren Osten und kommt hier immerhin zu dem Ergebnis, der Verkauf von „Kampfpanzern Leopard“ dorthin lasse sich „nicht rechtfertigen“. Eigentlich handelt es sich hier aber um eine Selbstverständlichkeit, denn die politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus dem Jahr 2000 verbieten dies faktisch: „Der Export von Kriegswaffen [in Krisenregionen] wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik. […] für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen.“
Doch Gabriel erteilt solchen Waffenlieferungen in Krisengebiete keineswegs eine generelle Absage – im Gegenteil. Man dürfe sich nicht dazu verleiten lassen, „auf Differenzierungen auch innerhalb der arabischen Region zu verzichten.“ Es könne also durchaus notwendig und legitim sein, Waffen an Länder der Region zu verscherbeln, hierfür brüchte es allerdings bestimmte Kriterien, um zu wissen, wann dies erforderlich sei. Genannt werden dann etwa die „Menschenrechte im Empfängerland“, aber auch ob ein Land eine „stabilisierende oder aggressive, eine polarisierende oder ausgleichende Haltung“ einnehme. So soll ein Leitfaden entstehen, der zu einer Verbesserung beitragen soll: „Mithilfe von Analysen entlang dieser Parameter könnten in Zukunft die Einzelfallentscheidungen angelegt werden.“
Das Bemühen um Kriterien, die die übelsten Exportexzesse womöglich verhindern könnten, ist hier durchaus erkennbar – allerdings zeigt die Vergangenheit, dass solche „Parameter“ leider zumeist recht beliebig zurechtinterpretiert werden können. Zumal auch offensichtlich ist, dass es Gabriel keineswegs um ein grundsätzliches Verbot von Waffenlieferungen in die Region geht: „Aber zugleich müssen wir – und das ebenfalls mit großer Klarheit – feststellen, dass es natürlich legitime sicherheits- und bündnispolitische Interessen gibt, welche die Lieferung von Rüstungsgütern und Kriegswaffen rechtfertigen können. […] Und natürlich es gibt in der Praxis immer wieder Beispiele für einen aus unseren Sicherheitsinteressen heraus begründeten Export von Kriegswaffen. […] Deutschland und seine Partner haben ein eigenes Interesse daran, Piraterie, Terrorismus und Proliferation von Waffen, wie sie im Nahen und Mittleren Osten auftreten, einzudämmen. […] Die Lieferungen an die Kurden im Norden des Irak, die der Abwehr einer fanatisch-grausamen Terrorbewegung wie dem so genannten ‚Islamischen Staat‘ dienen, sind weder ein Tabubruch und noch gar ein Widerspruch zu unseren Werten und Rechtsregeln.“
Selbst wenn man es also wohlwollend betrachtet, geht es also lediglich darum, Rüstungsexporte nur für Krisenregionen und hier auch nur in überschaubarem Ausmaße zu beschränken. Doch ein Großteil der deutschen Rüstungsexporte ist aus Gabriels Sicht ohnehin völlig unproblematisch und hier gäbe es noch enormes Wachstumspotenzial – Rüstungslieferungen an zertifizierte Freunde. Und genau hierfür kündigt er eine „Exportpolitische Flankierung für die Verteidigungsindustrie“ an: „Die Bundesregierung sollte die Industrie stärker als bisher in ihren Aktivitäten mit EU-, NATO- und NATO-gleichgestellten Ländern unterstützen. Die NATO hat 28 Mitgliedsstaaten. Sie geben zusammen 880 Milliarden Dollar für die Verteidigung aus. Hinzu kommen fünf EU-Länder, die nicht Mitglied der NATO sind – zusammen also 33 formale Bündnispartner. Auch Indien und Brasilien sind strategische Partner für Deutschland und Europa. In alle diese Demokratien mit ihren großen Volkswirtschaften und Verteidigungsetats kann die deutsche und die europäische wehrtechnische Industrie liefern.“
Der Hintergrund hierfür ist folgender: Eine unabhängige und schlagkräftige Rüstungsindustrie gilt als unverzichtbarer Machtfaktor, woran auch Gabriel keinerlei Zweifel aufkommen lässt. Um deren Überleben aber garantieren zu können, ist der deutsche Markt in der Tat zu klein, was die „Eroberung“ von Auslandmärkten zwingend erforderlich macht. Und genau hierfür Bedarf es aber einer Strategie zur systematischen Verbesserung der „Wettbewerbsfähigkeit“ in Form einer Stärkung der Rüstungsindustrie, mit der sich der zweite Teil von Gabriels Rede beschäftigte.
Teil II: Eine Strategie zur Stärkung des Rüstungssektors
Die aus seiner Sicht wesentliche Bedeutung der Rüstungsindustrie beschreibt Gabriel folgendermaßen: „Die Erhaltung der Bündnisfähigkeit und der dazu notwendigen rüstungstechnologischen Kernkompetenzen sind ein zentrales außen- und sicherheitspolitisches Interesse der Bundesrepublik Deutschland.“ Zustimmend bezieht sich Gabriel weiter auf den Koalitionsvertrag, der stuft „Sicherheits- und Verteidigungsindustrie [SVI] als eine Schlüsselbranche von nationalem Interesse ein, deren Kernkompetenzen und industrielle Fähigkeiten weiter entwickelt und deren Arbeitsplätze erhalten werden sollen.“ Und genau hieraus leitet Gabriel dann die Notwendigkeit für eine Strategie zur „Stärkung der SVI“ ab, für die er ein ganzes Bündel an Ideen präsentiert.
Einmal bedürfe es der „Festlegung wesentlicher nationaler Kernkompetenzen“, die unter allen Umständen im Land behalten werden müssten. Weiter betont Gabriel, es sei ein „angesichts der Haushaltskonsolidierungsverpflichtungen der Bundesregierung ein wichtiges Signal“, dass die Bundesregierung in ihrer „mittelfristigen Finanzplanung den Etat des BMVg verstetigt“ habe. Ohne rot zu werden, geschweige denn es überhaupt zu erwähnen, wird unter den Teppich gekehrt, dass diese „Verstetigung“ auf 32,4 Mrd. Euro grob gerechnet satte 5 Mrd. Euro über der im Juni 2010 für das Jahr 2014 beschlossenen Sparvorgabe liegt. Tatsächlich liegt der Etat noch höher, einmal, weil Personalausgaben teils in den allgemeinen Haushalt verschoben wurden und zum anderen, weil das Verteidigungsministerium nicht in der Lage war, 400 Mio. der ursprünglich 32,8 Mrd. Euro abzurufen. Deshalb macht sich Gabriel auch noch dafür stark, nicht abgerufene Beträge in die Folgejahre hinüberretten zu dürfen: „Überlegenswert ist, ob Mittel, die im Verteidigungshaushalt in einem Jahr nicht abgerufen werden können, nicht in den Folgejahren als Finanzmittel zur Verfügung stehen sollten.“ Weiter sei der „Ausbau der Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsförderung“ ebenso nötig wie die „Chancen in den Wachstumsmärkten der zivilen Sicherheitswirtschaft [zu] nutzen“.
Der Kern seiner Unterstützungsstrategie speist sich aber aus der Erkenntnis, dass die jeweiligen nationalen Rüstungsindustrien in der Europäischen Union zu klein sind, um sich dauerhaft am Markt behaupten zu können. Eine europaweite „Konsolidierung“ der Branche über Fusionen und Zusammenschlüsse soll hier Abhilfe schaffen: „Die Verteidigungsindustrie in der EU ist nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert. […] Folgen dieser unbefriedigenden Situation sind hohe Kosten und nachteilige Folgen für den internationalen Wettbewerb, aber auch negative Auswirkungen für die Streitkräfte. Es ist erklärtes Ziel der EU und der Bundesregierung, den bisher stark zersplitterten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die europäische wehrtechnische industrielle Basis zu stärken. Die starke und wettbewerbsfähige deutsche Industrie könnte von einer solchen Entwicklung deutlich profitieren. […] Europäische, nicht nationale Champions sind geboten. Nur die Kooperation und zum Teil auch das Zusammengehen von Unternehmen in Europa kann es ermöglichen, dass eine echte rüstungstechnologische Basis in Europa aufrechterhalten wird.“
Doch bei aller Begeisterung für „europäische Champions“ will Gabriel schon sicherstellen, dass die hierfür notwendigen Fusions- und Übernahmeprozesse faktisch in einen deutsch dominierten Superkonzern münden. Um für anstehende Übernahmeschlachten gewappnet zu sein, ist deshalb die nationale Konsolidierung erst einmal prioritär, um so aus einer Position der Stärke agieren zu können. Genau aus diesem Grund blockierte Gabriel kürzlich auch die Fusionspläne der deutschen Panzerschmiede KMW mit der französischen Nexter und macht sich stattdessen für ein Zusammengehen mit Rheinmetall stark (siehe IMI-Standpunkt 2014/049). Konkret formuliert Gabriel die Priorität einer nationalen Konsolidierung in seiner Rede folgendermaßen: „Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der Schritt in europäische Kooperationen und Zusammenschlüsse am besten auf der Basis einer konsolidierten deutschen Rüstungsindustrie aus erfolgt, um auf Augenhöhe mit europäischen Partnern zusammen zu treffen.“
Um schließlich die Europäisierung der Rüstungspolitik und -industrie weiter voranzubringen befürwortet Gabriel „Pooling & Sharing“, die gemeinsame Beschaffung und Nutzung von Militärgerät: „Eine gemeinsame Rüstungspolitik hat in Europa nur dann eine Chance, wenn sie als Bestandteil der Entwicklung einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa verfolgt wird. […] In ihrer Folge ist es zwangsläufig sinnvoll, auch militärische Fähigkeiten zu teilen, statt in 28 Mitgliedsstaaten jeweils ein eigenes Heer, eine eigene Marine und eine eigene Luftwaffe mit jeweils praktisch dem gesamten Fähigkeitsspektrum vorzuhalten.“
Die Überlegung hier ist, dass die Bündelung der Beschaffungsprojekte zu größeren Stückzahlen und damit zu günstigeren Stückpreisen führen wird – so dies überhaupt der Fall sein würde, hätte dies dennoch einen beträchtlichen Kollateralschaden, den deutschen Parlamentsvorbehalt gegenüber Auslandseinsätzen, den Gabriel gleich mit einkassieren will. Argumentiert wird dabei, die Partner müssten verlässlich auf gemeinsam beschafftes (und damit auch von Deutschland bezahltes) Militärmaterial zurückgreifen können, da könne es nicht angehen, dass der Bundestag eventuell einem Militäreinsatz die Zustimmung verweigern könne: „Am Ende könnte bei einer Aufteilung der militärischen Fähigkeiten zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten im Rahmen einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik dann nicht mehr der Deutsche Bundestag über den Einsatz der Bundeswehr alleine entscheiden. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa heißt nämlich, dass der Teil militärischer Fähigkeiten, den z.B. Deutschland für solche Einsätze im Rahmen eines europäischen Burdensharing bereit hält, auch verfügbar wäre. Letztlich würde damit der Deutsche Bundestag einen Teil seiner nationalen Souveränität verlieren. Heute wohl noch kaum vorstellbar und doch eine Entwicklung, der man aus europäischer Perspektive kaum ausweichen kann.“