IMI-Standpunkt 2010/044 - in: Streitkräfte & Strategien 6.11.2010

Soldaten gehen, Sicherheitsfirmen bleiben – neue Aufgabenverteilung in Afghanistan und im Irak


von: Dirk Eckert | Veröffentlicht am: 9. November 2010

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Fast ein Jahrzehnt dauern die Kriege in Afghanistan und Irak nun schon an. Und der Druck der Öffentlichkeit wächst, die Truppen endlich nach Hause zu holen. Im August hat US-Präsident Obama das Ende der Kampfhandlungen im Irak bekannt gegeben. Bis Ende 2011 sollen alle amerikanischen Truppen das Land verlassen. Und für Afghanistan hat Obama versprochen, im Juli kommenden Jahres mit dem Abzug zu beginnen.

Der Truppenabzug ist also in vollem Gange, so könnte man meinen. Doch der Eindruck täuscht. Denn im Irak und in Afghanistan sind längst nicht nur Soldaten im Einsatz, sondern auch Tausende private Militärdienstleister. Ihre Zahl übersteigt inzwischen die der regulären Soldaten. So arbeiten im Auftrag der USA im Irak und in Afghanistan Schätzungen zufolge inzwischen 200.000 Söldner und Sicherheitsexperten, im Einsatz sind aber nur 150.000 Soldaten. Das US-Außenministerium hat nach dem Abzug der Kampftruppen angekündigt, die Zahl seiner privaten Wachleute im Irak auf etwa 7.000 zu verdoppeln.

Das Militär hat viele seiner traditionellen Aufgaben an private Unternehmen ausgegliedert. Sie kümmern sich um die Logistik, arbeiten als Personenschützer etwa für Botschaftsangehörige, sind aber auch an Kampfhandlungen beteiligt. Dieses Outsourcing hat vor allem einen Vorteil: Auch das Risiko wird privatisiert. Stirbt ein Söldner, macht das weit weniger Schlagzeilen, als wenn ein Soldat getötet wird. So kann der Krieg ohne große Öffentlichkeit weitergeführt werden.

Wie weit die Privatisierung des Krieges inzwischen fortgeschritten ist, machen Zahlen deutlich, die die amerikanische Journalisten-Organisation ProPublica im September veröffentlicht hat: Danach wurden zwischen Januar und Juni dieses Jahres 235 US-Soldaten im Irak und in Afghanistan getötet – aber mehr als 250 Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen. ProPublica hat dafür Statistiken des zuständigen US-Arbeitsministeriums ausgewertet. Die Regierung hat die Zahlen übrigens erst nach einer entsprechenden gerichtlichen Anweisung herausgegeben.

Der Trend zur Privatisierung ist also in vollem Gange, ungeachtet aller Kritik der Öffentlichkeit. Das bekannteste Unternehmen, die Firma Blackwater, heute Xe Services, musste zwar im August 42 Millionen Dollar Strafe zahlen, weil es, so der Vorwurf der US-Regierung, unter anderem die Vorschriften für Waffenausfuhren verletzt hat. Regierung und Militär arbeiten aber weiterhin mit Xe Services zusammen. Erst kürzlich haben das Außenministerium und der Geheimdienst CIA Verträge mit dem Unternehmen im Wert von insgesamt 220 Millionen Dollar abgeschlossen.

Im August überraschte der afghanische Präsident Hamid Karsai dann aber die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, alle privaten Sicherheitsfirmen im Lande bis Ende 2010 aufzulösen. Anfang Oktober teilte dann das Innenministerium in Afghanistan mit, acht Sicherheitsfirmen aus dem In- und Ausland seien geschlossen worden. Dabei habe man mehr als 400 Waffen konfisziert.

Offenbar war man in Washington von Karsais Erlass überrascht worden. Außenamtssprecher Philip J. Crowley antwortete, von Journalisten damit konfrontiert, diplomatisch:

O-Ton Crowley (overvoice)
„Wir werden uns den Erlass ansehen, auch die Einzelheiten, und uns mit der afghanischen Regierung beraten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nutzt ja die afghanische Regierung selber private Dienstleister, etwa was die Sicherheit betrifft. Aber wir stimmen mit Präsident Karsai überein, dass die Sicherheit in der Verantwortlichkeit Afghanistans und seiner Regierung liegen sollte.“

Den von Karsai verlangten Abzugstermin konnte die US-Regierung freilich nicht ignorieren. Sprecher Philip J. Crowley nannte ihn unrealistisch:

O-Ton Crowley (overvoice)
„Ich kann die viermonatige Frist nicht kommentieren. Diesen besonderen Aspekt habe ich noch nicht betrachtet. Ich denke, wir sind von Sicherheitsdienstleistern abhängig und werden uns mit der afghanischen Regierung beraten, welche realistische Herangehensweise möglich ist.“

Karsais Vorstoß kommt nicht von ungefähr. Den Söldnern wird – in Afghanistan wie im Irak – vorgeworfen, auf die Zivilbevölkerung wenig Rücksicht zu nehmen und ohne Unterschied auf Zivilisten und irakische Sicherheitskräfte zu schießen, aber auch auf andere Söldner und sogar US-Soldaten. Die Feldberichte der US-Armee, die die Internet-Enthüllungsplattform Wikileaks im Oktober veröffentlichte, bestätigen diesen Verdacht.

In Afghanistan beschäftigen die privaten Sicherheitsdienste aber – anders als im Irak – viele Einheimische. Sie sorgen zum Beispiel dafür, dass die NATO-Truppe ihren Nachschub bekommt. De facto sind solche privaten Dienstleister manchmal nichts anderes als lokale Warlords, die auf der Gehaltsliste der Alliierten stehen oder Schutzgelder kassieren. Zu diesem Ergebnis kam eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung des US-Senats. Es gebe überhaupt keine Kontrolle über die Personalpolitik der Sicherheitsfirmen und an wen US-Gelder fließen, wurde dort gewarnt.

Auch die ISAF-Truppe in Afghanistan musste inzwischen einsehen, dass sie ihre Dienstleister besser auswählen sollte. Die Beschäftigung von Subunternehmern laufe manchmal unbeabsichtigt darauf hinaus, Korruption und kriminelle Netzwerke zu finanzieren, räumte die ISAF im September ein. ISAF-Kommandeur General Petraeus hat deshalb neue Regeln für die Auftragsvergabe erlassen, um zu verhindern, dass Geld in die falschen Kanäle fließt.

Die privaten Kriegsunternehmer in Afghanistan stehen außerdem dem Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte im Weg. So rechtfertigte Karsai seinen Erlass am 22. August in der Sendung „This Week“ des amerikanischen Fernsehsenders ABC:

O-Ton Karsai (overvoice)
„Einer der Gründe, warum sie innerhalb von vier Monaten gehen müssen, ist genau, weil ihre Anwesenheit die afghanischen Sicherheitskräfte in ihrem Wachstum und ihrer Entwicklung behindert, besonders die Polizei. 40-50.000 Leute bekommen dort mehr Geld als bei der afghanischen Polizei. Warum sollte sich ein junger Afghane zur Polizei melden, wenn er einen Job bei einer Sicherheitsfirma kriegen kann, mit vielen Freiheiten und ohne jede Disziplin?“

Unklar blieb allerdings, wie Karsai die Söldner innerhalb weniger Monate ersetzen will. Beobachter gingen daher davon aus, dass Karsai den Erlass noch abmildern wird. Tatsächlich hatte sich der afghanische Präsident ein Hintertürchen offen gelassen: So sagte er schon im Interview mit dem US-Sender ABC, ausländische Botschaften, Hilfsorganisationen und Diplomaten könnten weiterhin private Personenschützer beschäftigen:

O-Ton Karsai (overvoice)
„Was wir ihnen nicht erlauben, ist, Landstraßen, Basare, Straßen und Fernstraßen zu kontrollieren. Und wir werden ihnen nicht gestatten, Versorgungswege zu schützen. Das ist Aufgabe der afghanischen Regierung und der afghanischen Polizei.“

Mitte Oktober wurde es dann offiziell: Ausländische Botschaften, Diplomatenwagen und -wohnungen sowie Militärstützpunkte könnten weiterhin private Sicherheitsdienste einsetzen, teilte Karsais Büro mit. Zur Begründung hieß es, die NATO und ausländische Botschaften hätten Bedenken angemeldet. Möglicherweise wird es auch Ausnahmen geben für ausländische Hilfsprojekte, die – anders als Nichtregierungsorganisationen – mit Rückzug gedroht haben, wenn sie keine Söldner mehr zu ihrem Schutz engagieren können. Außerdem hat die afghanische Regierung inzwischen die Frist für die Schließung privater Sicherheitsfirmen um drei Monate verlängert. Präsident Karsai rudert also zurück. Die privaten Sicherheitsdienstleister beziehungsweise deren Auftraggeber haben sich in Afghanistan offensichtlich durchgesetzt. Zwar wachsen die Bedenken gegen die Privatisierung des Krieges. Gestoppt wird diese Entwicklung aber nicht.