IMI-Standpunkt 2007/076

Neue EU-Mission im Kosovo: Aufstandsbekämpfung und Völkerrechtsbruch


von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 20. Dezember 2007

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Gestern endeten die Verhandlungen im UN-Sicherheitsrat darüber, ob der Kosovo künftig weiterhin integraler Bestandteil Serbiens bleiben oder die Provinz in die Unabhängigkeit entlassen wird, ohne Einigung. Während sich die USA und die Europäische Union für die Herauslösung des Kosovo aus Serbien stark machen, dabei aber die Provinz weiterhin unter strikter Kontrolle halten wollen („Unabhängigkeit unter internationaler Überwachung“), wird dies von Serbien und Russland vehement abgelehnt.

Moskau und Belgrad pochen weiterhin auf die Einhaltung der immernoch gültigen UN-Resolution 1244 mit ihrem Bekenntnis zur „Souveränität und territorialen Integrität Jugoslawiens [bzw. nun des Rechtsnachfolgers Serbien].“ Trotzdem scheint sich nicht nur in den USA, sondern auch in der Europäischen Union ein Konsens herausgebildet zu haben, den Kosovo auch ohne UN-Mandat, das aufgrund eines russischen Vetos nicht zustandekommen dürfte, anzuerkennen. Deshalb versuchen Washington und Brüssel nun die Resolution 1244 so auszulegen, als ob sie keine einseitige Unabhängigkeit des Kosovo verbiete. Dem entgegnete der russische Außenminister Sergej Lawrow richtigerweise: „Das stimmt jedoch nicht. […] Jegliche Versuche, die Resolution falsch auszulegen, verstoßen gegen das Völkerrecht.“

Dennoch zeigen weder Washington noch Brüssel weitere Verhandlungsbereitschaft. „Der Zug in Richtung Unabhängigkeit rollt“, freut sich deshalb gewohnt einpeitscherisch Erich Rathfelder in der taz. Gleichzeitig zitiert Rathfelder einen „bekannten, hohen westlichen Diplomaten“, der unmissverständlich klarmacht, dass von Serbien schlicht erwartet wird, sich dem Diktat klaglos zu beugen: „Die Zeiten haben sich nach der Nato-Intervention und dem Aufbau der UN-Mission im Kosovo geändert. Heute kann Belgrad keine erweiterte Autonomie mehr für Kosovo fordern, sondern muss dem Ahtisaari-Plan zustimmen, der immerhin der serbischen Minderheit viele Privilegien bietet. Mehr als Ahtisaari ist nicht drin.“

Auch die US-Regierung stellt sich voll hinter den Plan des UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari, der den Kosovo zwar aus Serbien herauslöst, ihn aber faktisch der Kontrolle der Europäischen Union unterstellt: „Die kontrollierbare Unabhängigkeit gemäß dem Ahtisaari-Plan ist eine Straßenkarte für das Kosovo. […] Wir sind der Ansicht, dass wir nach Abschluss der Verhandlungen auf der Ebene der Vermittler-Troika jetzt auf der Basis des Ahtisaari-Planes vorankommen sollten“, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums.

Der Kosovo soll also – geht es nach den Vorstellungen Brüssels und Washingtons – unter quasi-koloniale Beaufsichtigung der Europäischen Union gestellt werden. Hierfür soll der künftige EU-Sonderbeauftragte über nahezu uneingeschränkte Vollmachten im Kosovo verfügen, z.B. alle Gesetze des kosovarischen Parlaments und der Regierung annullieren und alle gewählten Vertreter und Beamte entlassen zu können. Darüber hinaus ginge die Kontrolle über die Geld- und Wirtschaftspolitik des Landes auf die Europäische Union über. Da hierbei auch die radikale Umstrukturierung des Kosovo entlang neoliberaler Leitlinien und die Verschleuderung von Staatseigentum an westliche Konzerne ungebremst fortgesetzt werden soll, regt sich aber nicht nur auf serbischer, sondern auch auf kosovo-albanischer Seite der Widerstand gegen die Umsetzung des Ahtisaari-Plans.

Dennoch scheint die Sezession nach den Vorgaben des Ahtisaari-Plans aus Sicht der Europäischen Union bereits beschlossene Sache zu sein. Gleichzeitig will man aber sicherstellen, dass das weitere Prozedere strikt im EU-Interesse verläuft, wie aus den Äußerungen des Kosovo-Unterhändler der EU, Wolfgang Ischinger, hervorgeht: „Wenn das Kosovo demnächst unabhängig ist, darf die EU nicht reagieren, sondern muss mitsteuern, was den Zeitpunkt und die Modalitäten angeht.“ Vor diesem Hintergrund ist es bezeichnend, dass die 27 EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel am 14. Dezember die Entsendung einer Stabilisierungsmission in den Kosovo beschlossen haben – und dies obwohl es ohne UN-Mandat hierfür keinerlei Rechtsgrundlage gibt. Schon im April 2006 hatte die EU eine Planungsgruppe (EUPT) eingerichtet, die die Übernahme des Kosovo vorbereiten sollte. Nun wurde beschlossen 1800 Polizisten, Richter und Zollbeamte zu entsenden, die gewährleisten sollen, dass die „Modalitäten“ den gewünschten Verlauf nehmen. In den nächsten drei Jahren werden die Kosten der Mission auf schätzungsweise 1.3 bis 1.5 Mrd. Euro veranschlagt.

Im Rahmen der geplanten EU-Mission soll aber auch eine 450 Mann starke paramilitärische Antiaufruhreinheit entsandt werden, zu deren Aufgabengebiet laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestags folgende Bereiche gehören: „Exekutivbefugnisse in einigen Bereichen der Polizeiarbeit, einschließlich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Menschenansammlungen und Unruhen.“ Sowohl Ahtisaari selbst als auch der EU-Außenbeauftragte Javier Solana nannten den Job der EU-Truppe noch deutlicher beim Namen: „Aufstandsbekämpfung.“ Darüber hinaus wurden auch die KFOR-Truppen der NATO in den letzten Jahren in Richtung Aufstandsbekämpfung ausgerichte, wie der „Standard“ berichtet: „Ein Viertel der Truppen wurden zusätzlich für „Crowd and Riot Control“ (CRC) – die Auflösung von gewaltsamen Demonstrationen – ausgestattet und trainiert.“

Vielsagend ist auch der Zeitpunkt, an dem die EU-Mission mit voller Personalstärke beginnen soll. Außenminister Frank Walter Steinmeier gab an, dass „die meisten Vorbereitungen Ende Januar abgeschlossen werden.“ Gleichzeitig kündigte EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn an, die EU werde ihre Entscheidung erst nach der Präsidentenwahl in Serbien am 20. Januar fällen, wahrscheinlich damit die Reaktion an der Wahlurne nicht noch deutlicher ausfallen wird, als dies ohnehin schon befürchtet wird. So soll die EU-Mission dazu beitragen, Widerstände von serbischer und ggf. kosovo-albanischer Seite gegen die Umsetzung des Ahtisaari-Plans buchstäblich im Keim zu ersticken.

Mit der EU-Mission untermauert Brüssel damit einmal mehr den Anspruch, seine Interessen gegen geltendes Recht und gegen den Widerstand der betroffenen Menschen durchzusetzen: „Das ist das klarste Signal, das die EU geben kann, um zu zeigen, dass sie im Kosovo und in der Region die Führung übernehmen will“, betonte der portugiesische EU- Ratspräsident Jose Socrates.