IMI-Analyse 2022/53 - in: Ausdruck September 2022

100.000.000.000 Euro

Wer profitiert vom Sondervermögen?

von: Martin Kirsch | Veröffentlicht am: 26. September 2022

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Am Sonntag, dem 27. Februar 2022, nur drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, hielt Kanzler Scholz in einer Sondersitzung des Bundestages seine Zeitenwende-Rede. Dort verkündete er, ein Sondervermögen über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aufsetzen zu wollen. Wem diese neuen Schulden – von plötzlich auftauchendem Vermögen kann keine Rede sein – zugutekommen würden, war bereits bei Börsenstart am Montag zu sehen.
In Kraft gesetzt wurde das Sondervermögen – zuvor nur ein Beschluss in kleiner Runde – nach einer längeren Verhandlungsphase durch Beschlüsse des Bundestages und Bundesrates am 3. und 10. Juni. Teil dieses Gesetzespaketes samt Grundgesetzänderung zur Umgehung der Schuldenbremse ist ein Wirtschaftsplan, in dem die geplanten Projekte aufgelistet werden. Über den Wirtschaftsplan hinaus ist die Informationslage zur konkreten Umsetzung des “Sondervermögens” bisher allerdings eher vage. Konkrete Zahlen und Vertragspartner zu den jeweiligen Projekten sind im Wirtschaftsplan nicht enthalten. Im Kontrast zu vorherigen Medienberichten weist der offizielle Wirtschaftsplan zudem nur eine Summe von rund 82 Milliarden Euro aus, die sechs Bereichen zugewiesen werden. Die Dimensionen Luft (33,4 Mrd. Wirtschaftsplan/ 40,9 Mrd. Medien) und See (8,8 Wirtschaftsplan / 19,3 Mrd. Medien) werden hier mit geringeren Mitteln bedacht als zuvor diskutiert. Ob es sich um reale Einsparungen, einen Inflationspuffer oder Verhandlungsmasse gegenüber der Industrie handelt, bleibt auf Grundlage fehlender öffentlicher Informationen im Raum der Spekulation. Bekannt ist, dass im Laufe des Jahres 2023 insgesamt 8,5 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen entnommen werden sollen. Das Geld fließt in Projekte, die aus dem regulären Verteidigungshaushalt in das Sondervermögen verschoben wurden und für die daher bereits Verträge bestehen, oder in solche, für die auch kurzfristig Verträge geschlossen werden können. Alle weiteren Projekte befinden sich noch in Arbeit. Teils müssen von Bundeswehr und Verteidigungsministerium noch Grundsatzentscheidungen getroffen werden. Darauf folgen dann Verhandlungen mit den Rüstungsfirmen, deren Konditionen vor der endgültigen Vertragsunterzeichnung im Bundestag mit einer sogenannten 25-Millionen-Euro-Vorlage parlamentarisch abgesegnet werden müssen.
Für weite Teile der 100 Milliarden Euro bewegen sich die kommenden Abschnitte also in einem Raum zwischen offiziellen Teilveröffentlichungen und auf Quellen gestützten wahrscheinlichen, aber keinesfalls sicheren Optionen. Trotzdem entsteht so hoffentlich bereits ein Eindruck davon, was die Bundeswehr plant und wer (potenziell) davon profitieren wird.
Neben den vier folgenden Abschnitten zu den Dimensionen Luft, See, Land und Cyber sollen für persönliche Ausrüstung der Soldat*innen knapp 2 Milliarden Euro sowie eine halbe Milliarde für Forschungsprojekte zu Künstlicher Intelligenz und zur Kriegsführung bei Ausfall gängiger Navigationssysteme ausgegeben werden.

(Der folgende Überblick ist eine gekürzte Version. Die ausführliche Auflistung mit sämtlichen Quellen ist abrufbar unter: imi-online.de)

Dimension Luft

Mit geplanten 40,9 Milliarden Euro sind die unter der “Dimension Luft” zusammengefassten Projekte der größte Posten innerhalb des Sondervermögens. Sie umfassen nicht nur Waffensysteme für die Luftwaffe, sondern auch solche für Marine- und Heeresflieger. In der Dimension Luft ist der Anteil von großen Einzelprojekten mit einem Umfang von deutlich über einer Milliarde Euro besonders groß. Zudem befinden sich in der Liste neben Aufträgen für den europäischen Branchenriesen Airbus einige Projekte, von denen die größten Rüstungskonzerne aus den USA maßgeblich profitieren werden. Nicht enthalten in der folgenden Auflistung sind drei weitere Vorhaben zur Aufklärung und Führung im Luft- und Weltraum, zu denen bisher kaum konkrete Informationen vorliegen.

Nachfolger Tornado (F-35): Der Kampfjet Tornado wird in der Bundeswehr seit 1980 als Kampfbomber gegen Bodenziele und für die sogenannte nukleare Teilhabe eingesetzt. Lange war allerdings strittig, wie die Nachfolge geregelt werden soll. Kanzler Scholz nutzte seine Zeitenwende-Rede, um eine Vorentscheidung zu verkünden. Die Bundeswehr will, wie Verteidigungsministerin Lambrecht mittlerweile bestätigte, 35 Tarnkappenbomber F-35 aus den USA kaufen. Der Kampfjet von Lockheed Martin soll den Tornado nicht nur als Jagdbomber, sondern auch für die sogenannte nukleare Teilhabe ersetzen. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Vereinbarung, die vorsieht, dass deutsche Pilot*innen mit deutschen Flugzeugen im Kriegsfall in der Eifel eingelagerte US-Atombomben über Feindgebiet abwerfen würden. Eben diese Funktion gab wohl auch den Ausschlag, sich für den F-35 zu entscheiden. Die Anschaffung wird samt Munition und Ersatzteilen rund 8,4 Milliarden Dollar (rund 8 Mrd. Euro) kosten. Aufgrund vieler technischer Mängel beim F-35 wird zudem bereits mit hohem Wartungsaufwand und -kosten gerechnet.

Eurofighter ECR: Eine weitere Aufgabe des Tornado ist die elektronische Kriegsführung. Diese Funktion reicht von Aufklärung bis zum aktiven Stören und Bekämpfen von feindlichen Radar- und Flugabwehrstellungen, die nur hochgerüstete Gegner besitzen. Die Bundeswehr will künftig für diese Aufgabe 15 Eurofighter in der Version ECR (Electronic Combat Reconnaissance) beschaffen. Die entsprechende Version ECR muss dafür allerdings erst entwickelt werden. Den verfügbaren Informationen zufolge soll der Jet von Airbus kommen, während Hensoldt die elektronischen Kampfsysteme liefert. Allein die Beschaffung der 15 neuen Jets ohne Entwicklung und neue Systeme dürfte über 1,5 Milliarden Euro kosten.

Schwerer Transporthubschrauber: Um leichte Infanteriekräfte sowie Nachschub über das Gefechtsfeld zu bewegen, setzten Armeen seit den 1950er Jahren nicht nur in Auslandseinsätzen auf große Hubschrauber. Das aktuelle Modell der Bundeswehr (CH-53G) kommt allerdings nach knapp 50 Jahren an sein Nutzungsende. Jetzt steht fest, die Bundeswehr soll laut Beschluss des Ministeriums 60 Schwere Transporthubschrauber des Typs Boeing CH-47F Chinook erhalten. Unterschiedliche Quellen geben für das Gesamtpaket Preise von fünf bis über sechs Milliarden Euro an.

Leichter Unterstützungshubschrauber: Am unteren Ende der Hubschrauberflotte sollen Heer und Luftwaffe über 50 neue kleine Hubschrauber für Ausbildung und Aufklärungsflüge erhalten. Der Airbus H145M wird bereits in anderen Versionen in der Bundeswehr eingesetzt und gilt daher als einziger Kandidat. Der Preis für dieses Projekt könnte bis zu zwei Milliarden Euro betragen.

Bodengebundene Luftverteidigung: Hinter diesem Titel verbergen sich gleich drei Großprojekte. So soll die gesamte Flugabwehr der Bundeswehr, die nach dem Ende des Kalten Krieges massiv geschrumpft wurde, auf modernstem Stand wieder aufgebaut und um bisher nicht vorhandene Fähigkeiten erweitert werden. Als “Nah- und Nächstbereichsschutz” wird ein System bezeichnet, das sich mit der Truppe im Feld bewegen kann, um dort Drohnen, Artilleriegeschosse, Hubschrauber und Tiefflieger abzuwehren. Aktuell wohl aussichtsreichster Kandidat ist eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) aus Rheinmetall, Diehl und Hensoldt. Ein zweites Teilprojekt zur Modernisierung der Luftverteidigung ist der sogenannte “Fähigkeitserhalt Patriot”. Die politische Entscheidung dazu fiel bereits im März 2021. Die seit 1989 in der Bundeswehr vorhandenen Patriot-Systeme dienen zur Bekämpfung von Flugzeugen, Marschflugkörpern und taktischen, ballistischen Raketen. Neben Updates von Software und Radarsystemen wird der Kauf von Abfangraketen der neusten Generation (Typ PAC 3) des US-Konzerns Lockheed Martin die größten Kosten des 625 Millionen Euro Pakets verursachen. Darüber hinaus plant die Bundeswehr unter der Bezeichnung “Mittlere und große Reichweiten” ein drittes System anzuschaffen. Dabei handelt es sich um Abfangraketen, die Kurz- und Mittelstreckenraketen sowie in begrenztem Umfang auch Interkontinentalraketen abwehren können. In der medialen Berichterstattung war das Interesse deutscher Parlamentarier*innen am System Arrow 3 von Israel Aerospace Industries und Boeing besonders präsent. Aber auch die US-Konkurrenz namens Terminal High Altitude Area Defense (THAAD) von Lockheed Martin und Raytheon ist in der Diskussion. Die Kosten von nur einem System Arrow 3 für Deutschland werden in Medienberichten mit rund zwei Milliarden Euro angegeben.

Future Combat Air System (FCAS): Keine Neuheit ist das Deutsch-Französich-Spanische Entwicklungsprogramm für ein Luftkampfsystem der Zukunft. Finanzmittel, die bereits in den regulären Verteidigungshaushalt eingestellt waren, wurden kurzerhand ins Sondervermögen verschoben. Während Airbus die industrieseitige Vertretung von Deutschland übernimmt, sind Dassault für Frankreich und Indra für Spanien ebenfalls in führenden Positionen in das Megaprojekt eingebunden. Nicht nur wegen der deutschen Entscheidung, den US-Jet F-35 zu ordern, was in Paris auf wenig Gegenliebe stieß, stockt das Projekt allerdings. Beeindruckend kritische Töne sind auch im aktuellen deutschen Rüstungsbericht zu lesen. Dort heißt es: “Die Unstimmigkeiten zwischen den Industrien – hier insbesondere zwischen Dassault Aviation und Airbus – führen zu einer Verzögerung[…]. Sollte auch weiterhin keine Einigung gefunden werden, die die Interessen aller drei Nationen nach einer Beteiligung auf Augenhöhe erfüllt, ist die Fortsetzung der Kooperation zu hinterfragen.” Während die geplante Fertigstellung von FCAS bis ins Jahr 2040 zwischen 100 und 300 Milliarden Euro verschlingen würde, ist allein für die Entwicklungsphase von 2021 bis 2027 ein deutscher Finanzbedarf von 4,468 Milliarden Euro vorgesehen.

Bewaffnung Heron TP: Bereits im April 2022 wurde im Bundestag die politische Freigabe zum Kauf von Präzisionsmunition für die von der Bundeswehr zur Aufklärung genutzten Drohnen erteilt. Beschlossen wurde der Kauf von 140 Präzisionsraketen von Israel Aerospace Industries im Wert von rund 150 Millionen Euro. Während die Kosten hier im Vergleich zu anderen Projekten des Sondervermögens relativ gering sind, ist die politische Dimension umso größer. Lange wurden politische Debatten geführt, ob die Bundeswehr überhaupt bewaffnete Drohnen besitzen solle. Im Koalitionsvertrag der Ampel waren dann allerdings Formulierungen enthalten, die den Weg für die Drohnenbewaffnung frei machten.

Seefernaufklärer: Um die veraltete Flotte von Seefernaufklärern des Typs P3C-Orion zu ersetzen, wurde im Juni 2021 der Kauf von fünf neuen Maschinen aus den USA beschlossen. Aufgabe von Seefernaufklärern ist neben der weiträumigen Überwachung von Seegebieten auch die aktive U-Boot-Bekämpfung mit Torpedos. Die von Boeing produzierten neuen Flugzeuge namens P8-Poseidon sollen 1,1 Milliarden Euro kosten. Im Juli 2022 wurde bereits ein Zusatzpaket für Ausbildung, Ersatzteile und künftige Software-Updates für 341,8 Millionen Euro beschlossen. In aktuellen Berichten ist von der Erhöhung der Bestellung um sieben weitere Maschinen auf dann 12 Seefernaufklärer die Rede.

Dimension See

Die “Dimension See” umfasst ein Finanzvolumen von 19,3 Milliarden Euro, das ausschließlich der Marine zugutekommen wird. Neben einem who is who der großen deutschen Marineschiffbauer spielt hier ein 2021 besiegeltes größeres Deutsch-Norwegisches Kooperationsprogramm eine besondere Rolle. Drei sehr kleine bzw. öffentlich nicht nachvollziehbare Projekte finden hier keine gesonderte Erwähnung.

Fregatte 126: Bereits seit 2009 plant die Bundeswehr an einem neuen Mehrzweckkampfschiff zu dreidimensionaler Seekriegsführung auf den Weltmeeren. Nach einer europäischen Ausschreibung fiel 2020 die Entscheidung, den Auftrag für das größte Kampfschiff in der Geschichte der Bundeswehr an die niederländischen Damen Werft zu vergeben. Für den Bau von vier Schiffen ist ein Finanzvolumen von 5,6 Milliarden Euro angesetzt. Zum Unmut der deutschen Marineweften werden die Schiffe zwar bei Blohm+Voss in Deutschland gebaut, neben Entwurf und Planung aus den Niederlanden kommt allerdings auch die Hightech Elektronik an Bord von Thales aus Frankreich. Noch offen ist, ob nur die Kosten für die bereits bestellten vier Schiffe in das Sondervermögen verschoben wurden oder auch die Option auf den Bau von zwei weiteren Fregatten finanziert werden soll.

Korvette 130: Konzipiert für die Randmeerkriegsführung in flachen Gewässern wie der Ostsee befinden sich die ersten fünf Korvetten dieses Typs bereits seit Jahren im Bestand der Marine. Aktuell wird an einem zweiten Los mit fünf weiteren Schiffen für einen Preis von 2,273 Milliarden Euro gebaut. Ziel ist, die Ostseeflotte auf zehn Schiffe aufzustocken. Verantwortlich für die Produktion der Schiffe ist der Werftenzusammenschluss ARGE 130 mit der Lürssen Gruppe als Hauptauftragnehmer. Während Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) an der Konzeption beteiligt ist, werden die Schiffe bei Werften der Lürssen-Gruppe in Wolgast und Hamburg sowie bei der German Naval Yards in Kiel gebaut. Da das erste Los allerdings bereits als veraltet gilt, kursieren Pläne, ein drittes Los zu bestellen, um die ersten fünf Schiffe zu ersetzen. Der aktuelle Rüstungsbericht gibt dem Plan mit dem Prädikat “vorerst nicht finanzierbar” allerdings keine guten Chancen.

U-Boot U 212 CD: In einem Gemeinschaftsprojekt mit Norwegen plant die Deutsche Marine den Kauf von zwei der modernsten dieselelektrischen U-Booten der Klasse U 212 CD. Im Juni 2021 gab der Bundestag bereits 2,79 Milliarden Euro für das Projekt frei. Gemeinsam mit den vier weiteren U-Booten für Norwegen konnte sich TKMS aus Kiel ein Auftragsvolumen von rund 5,5 Milliarden Euro sichern. Auch bei der U-Boot-Beschaffung brodelt die Gerüchteküche, ob auch hier die Bestellung um zwei auf dann vier U-Boote aufgestockt werden könnte.

Future Naval Strike Missile (FNSM): Teil derselben Deutsch-Norwegischen Marinekooperation ist die Entwicklung und Beschaffung von neuen Raketen für die Bekämpfung von Seezielen und Landzielen im Küstenbereich. Die Raketen sollen auf den Fregatten der Typen F124, F125 und F126 eingerüstet werden. Gebaut werden sie von der norwegischen Rüstungsschmiede Kongsberg. Für ein erstes Los Naval Strike Missile Block 1A genehmigte der Bundestag im letzten Jahr 512,2 Millionen Euro. Noch völlig offen sind Kosten und Beschaffungsumfang für die Weiterentwicklung zur Future Naval Strike Missile.

IDAS – U-Bootflugabwehrkörper: Eine weitere Rakete für die Marine wird zur Bewaffnung der neuen U-Boote U 212 CD entwickelt. Das System soll vom tauchenden U-Boot aus verschossen und primär gegen Luftziele eingesetzt werden. Ein Beschuss von Schiffen und Landzielen ist allerdings auch möglich. Das Entwicklungskonsortium besteht aus Diehl Defence als Hauptauftragnehmer sowie den beiden Kooperationspartnern TKMS und Kongsberg.

Dimension Land

In der “Dimension Land” sind Kosten von 16,6 Milliarden Euro im Wirtschaftsplan zum Sondervermögen eingestellt. Hier steht das Heer im Zentrum. Aber auch moderne Feldlazarette für den Sanitätsdienst sind hier eingeplant. Mit Abstand größte Profiteure in diesem Bereich werden die zwei traditionellen deutschen Panzerbauer KMW und Rheinmetall sein.

Nachrüstung Puma: Obwohl die Bundeswehr bereits seit Jahren eine Flotte von 350 modernen Schützenpanzern des Typ Puma unterhält, gelten nur rund 40 von ihnen als “kriegstauglich”. Vor Einrichtung des Sondervermögens war fraglich, ob genügend Geld vorhanden sein wird, um sämtliche bereits bestellten Puma auf das höhere Niveau (VJTF bzw. S1) aufzurüsten. Jetzt soll eine Vertragsoption genutzt werden, um die über 300 verbleibenden Puma “fit” zu machen. Der Vertrag mit PSM, dem Puma-Konsortium aus KMW und Rheinmetall, wird vermutlich ein Volumen von gut 1,8 Milliarden Euro umfassen.

Nachfolge Marder: Um die Panzertruppe voll auszustatten, reichen die 350 bereits gelieferten Puma allerdings nicht aus. Noch im Frühjahr war von einem zweiten Los mit 229 weiteren Puma Schützenpanzern die Rede, um den veralteten Schützenpanzer Marder für fast vier Milliarden Euro vollständig zu ersetzen. Aktuelle Meldungen verkünden die Reduzierung des zweiten Loses auf 111 Schützenpanzer. Während KMW und Rheinmetall damit weniger Puma verkaufen können, als sie erhofft hatten, gehen sie trotzdem keinesfalls leer aus. So ist mittlerweile davon auszugehen, dass die zweite Hälfte der veralteten Schützenpanzer Marder durch Radschützenpanzer des Typ Boxer ersetzt werden. Diese werden von Artec, einem Konsortium, das ebenfalls aus Rheinmetall und KMW besteht, hergestellt und vertrieben. Für die wohl geplanten drei Mittleren Brigaden, ausgestattet mit gepanzerten Radfahrzeugen, gilt der Radpanzer des Typ Boxer CRV II mit einem Turm von Rheinmetall aktuell als aussichtsreichster Kandidat. Laut bisher unbestätigten Berichten in einem Fachmagazin wurde dieses Modell bereits für den “Schweren Waffenträger Infanterie”, ein weiteres Projekt aus dem Sondervermögen, ausgewählt.

Nachfolge Fuchs: Auch für die geplante Ablösung von rund 825 veralteten dreiachsigen Radpanzern Fuchs rechnete sich Rheinmetall mit der modernisierten Version Fuchs 1A9 lange gute Chancen aus. Aufgrund des hohen Preises untersucht das Verteidigungsministerium allerdings bereits alternativen aus Finnland. Zudem bringt sich GDELS als weiterer Konkurrent in Stellung. Bei Stückpreisen zwischen einer und zwei Millionen Euro dürfte der Gesamtwert des Projekts im hohen dreistelligen Millionenbereich oder sogar noch darüber liegen.

Luftlandeplattformen und Überschneefahrzeuge: Gleich zwei Beschaffungsprojekte im Sondervermögen dienen den künftigen zwei Brigaden der Leichten Division (DSK) der Bundeswehr. Für die deutsche Luftlandebrigade sollen gemeinsam mit den Niederlanden zwischen 2.000 und 3.000 leichte Geländewagen beschafft werden. Der bisher aussichtsreichste Kandidat ist das System ATTV, das von Defenture aus den Niederlanden in Kooperation mit KMW angeboten wird. Durch das Sondervermögen beschleunigt sollen erste Fahrzeuge nicht wie geplant ab 2027, sondern bereits 2025 ausgeliefert werden. Darüber hinaus ist die Beschaffung von neuen Überschneefahrzeugen für die Gebirgsjägerbrigade im Wirtschaftsplan aufgeführt. Durch die geplante gemeinsame Beschaffung mit Großbritannien, den Niederlanden und Schweden im Projekt CATV gilt BAE Hägglunds aus Schweden mit dem Beowulf als wahrscheinlichster Kandidat. Die Bundeswehr plant (Stand Oktober 2020) mit 140 Fahrzeugen und einem Beschaffungsvolumen von 276 Millionen Euro.

Main Ground Combat System (MGCS): Zudem ist auch für die Dimension Land ein großes Deutsch-Französisches Entwicklungsprojekt vorgesehen. Die Pläne für einen Kampfpanzer der neusten Generation samt Vernetzung und Drohnenschwärmen existieren bereits seit 2012. Die Fertigstellung ist bis 2035 geplant. Auch hier kommt es in den Verhandlungen zwischen Rheinmetall und KNDS, einem Zusammenschluss aus KMW und Nexter aus Frankreich, zu deutlichen Spannungen. Unabhängig davon sind im Sondervermögen laut Brancheninsidern für den deutschen Anteil der Entwicklungskosten des MGCS bis 2027 insgesamt 746,5 Millionen Euro vorgesehen. Da es sich dabei nur um einen Bruchteil der auf acht Milliarden Euro geschätzten Entwicklungskosten handelt, wird auch hier ein Pfad beschritten, der den deutschen Staatshaushalt auch nach dem Ende des Sondervermögens massiv belasten wird.

Dimension Führungsfähigkeit/Digitalisierung

In vielen Artikel über die Projekte im Sondervermögen gern vergessen oder extrem kurz abgehandelt, soll der vierten Dimenson “Führungsfähigkeit/Digitalisierung” mit einem Volumen von 20,7 Milliarden Euro hier etwas mehr Raum gegeben werden. Weil in diesem Bereich bisher besonders wenig konkrete Entscheidungen und Zahlen zur Verfügung stehen, liegt der Fokus stattdessen auf deren Funktion für das gesamte System Bundeswehr. Mit den folgenden Projekten will die Bundeswehr künftig zur vollvernetzten Armee werden. Von den Kommandozentralen in Deutschland bis in die Einsatzgebiete. Damit wird auch die Grundlage zur flächendeckenden Anwendung von Drohnen und KI sowie zur Einbindung der Entwicklungsprojekte FCAS und MGCS gelegt.

Rechenzentrumsverbund: Als IT-Basisinfrastruktur in Deutschland betreibt die Bundeswehr eigene Rechenzentren und Glasfasernetzwerke. Das damalige Megaprojekt Herkules zum Einrichten dieser Strukturen samt Soft- und Hardware für die Endanwender kostete über sieben Milliarden Euro. Verantwortlich für das Projekt war ein Konsortium namens BWI GmbH, dass mittlerweile als hundertprozentiges Staatsunternehmen vom Verteidigungsministerium geführt wird. Bereits 2019 beschloss der Bundestag ein Folgeprojekt mit einem Volumen von über einer halben Milliarde Euro. Mit dem Sondervermögen werden jetzt die seit 2019 gehegten Pläne zur Modernisierung der existierenden Rechenzentren und zum Bau weiterer Serverstandorte für über eine Milliarde Euro realisierbar. Die Rechenzentren dienen als Rückgrat aller weiteren Digitalisierungsschritte.

Satellitenkommunikation der Bundeswehr (SatComBW): Um von den Kommandozentralen in Deutschland mit den Soldat*innen in Einsätzen kommunizieren zu können, nutzt die Bundeswehr aktuell zwei eigene Kommunikationssatelliten von Thales. Bereits im Mai 2022 beauftragte der Bundestag in der Projektphase 2 den Airbus-Konzern mit der Verlängerung des Betriebes der Bodenstation in Weilheim bis 2028 – Projektkosten: 62 Millionen Euro. In der vorgesehenen Projektphase 3 sollen dann bis 2029 zwei neue Kommunikationssatelliten für die Bundeswehr in die Umlaufbahn gebracht werden. Ziel ist u.a. eine hohe Datenfrequenz zwischen Satelliten und Flugobjekten wie dem FCAS zu erreichen.

German Mission Network (GMN): Aktuell baut die Bundeswehr mit dem Projekt HaFIS auf eine komplexe Softwarelösung, die zuvor inkompatible Führungssysteme der einzelnen Teilbereiche miteinander vernetzt. Nach einer Übergangsphase soll das Nachfolgesystem German Mission Network anknüpfen, um eine durchgehende digitale Vernetzung der Führungssysteme der Bundeswehr untereinander und mit NATO-Partnern zu gewährleisten. Ein erster Auftrag wurde bereits an Atos und ESG vergeben. Ob die beiden Firmen aus Frankreich und Deutschland auch die Folgeaufträge aus dem Sondervermögen – Stufe 2; mobile Führungseinrichtungen von Heer und Luftwaffe sowie Stufe 3; Modernisierung der Führungssysteme der Marine – erhalten werden, ist noch offen.

Tactical Wide Area Network (TaWAN): Während SatComBW die IT-Infrastruktur in Deutschland mit den Basisstationen in den Auslandseinsätzen verbindet, soll das künftige TaWAN der Bundeswehr ein Digitalfunknetzwerk über den Einsatzraum legen, um die dortigen Akteur*innen untereinander zu verbinden. Im Gegensatz zum Wide Area Network in Deutschland, einem eigenständigen militärischen Glasfasernetzwerk, das die Bundeswehrstandorte in Deutschland miteinander verbindet, soll es sich bei TaWAN um eine Art militärisches W-Lan auf dem Gefechtsfeld handeln.

Digitalisierung landbasierter Operationen (D-LBO): Um in diesem Netz agieren zu können, müssen innerhalb des Megaprojekts D-LBO alle Fahrzeuge und Soldat*innen mit neuen digitalen Funkgeräten und die Fahrzeuge mit Touchcomputern ausgestattet werden. Darüber hinaus braucht es eine entsprechende Software (Battle Management System/BMS), die für die von der Bundeswehr geführte NATO VJTF 2023 bereits von der dänischen IT-Firma Systematic geliefert wurde. Unter dem Teilprojekt “D-LBO Basic” soll die gesamte Division 2025 auf den Stand der VJTF 2023 gebracht werden. In einem zweiten Projektschritt ist die Einführung des BMS, samt Digitalfunkgeräten für tausende Fahrzeuge und zehntausende Soldat*innen, sowie die Beschaffung neuer mobiler, voll digitalisierter Gefechtsstände für die gesamte Truppe geplant.

Infanterist der Zukunft (IDZ): Im Haushaltsplan ist das System IDZ nicht in der Dimension, sondern als persönliche Ausstattung gelistet. In seiner Funktion rundet es allerdings die Durchdigitalisierung der Truppe auf unterster Ebene ab, indem es auch die einzelnen Soldat*innen untereinander und mit ihren Gerätschaften und Fahrzeugen vernetzt. Vertrieben wird das Gesamtsystem vom Generalunternehmer Rheinmetall nebst diversen Unterauftragnehmern. Es beinhaltet Tabletcomputer, Stromversorgung und weitere Dinge, die auch rund um ein ziviles Smartphone gebraucht würden – samt Betriebssystem (TacNet) von Rheinmetall. Darüber hinaus gehören auch passende Kleidung, Schutzwesten und Waffenzubehör zum Gesamtpaket. Mit den Mitteln des Sondervermögens soll jetzt wohl die geplante Vollausstattung der Truppe mit der aktuellsten Systemkonfiguration realisiert werden.