IMI-Analyse 2022/13 - in: AUSDRUCK (März 2022)

Manöver und Züge stoppen

Erfahrungen einer Kleingruppe mit persönlichem Ausblick

von: Jan Hansen | Veröffentlicht am: 21. März 2022

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Im Februar 2008 stoppten und blockierten Aktivist*innen der Gruppe „Militarismus jetzt stoppen“ nahe Husum/Nordfriesland einen Militärtransport für mehrere Stunden. Der Zug transportierte Fahrzeuge und Raketen für ein Manöver der Nato-Response-Force. Die Aktion ist bis heute eine der wenigen in Deutschland, bei denen Protest direkt störend in die Abläufe des Militärs vor Ort eingriff. Und die einzige derartige Kleingruppen-Aktion. Jan Hansen, damals an der Aktion beteiligt, berichtet und stellt die Frage, was sich in der Friedensbewegung ändern müsste, damit er es wieder tun würde.

Ohne Transporte kein Militär

Krieg und Logistik hängen seit Anbeginn der Zeit untrennbar miteinander zusammen. Man denke an die Straßen der Römer*innen, die es ihren Legionen ermöglichten, quasi überall sein zu können und wie dumm ausgerechnet die Römer*innen aus der Wäsche guckten, als die Armee aus Karthago einschließlich Elefanten die Alpen logistisch bewältigte. Auch die Eisenbahn hatte in Preußen von Beginn an militärische Relevanz. Dies zeigt sich u.a. daran, dass wir die Idee einer Berliner Ringbahn all den Deserteuren verdanken, die es bei der Mobilisierung 1850 vorzogen, zwischen den Kopfbahnhöfen zu verschwinden.

Auch im zweiten Weltkrieg waren Eisenbahnen ein entscheidender Teil der Militärlogistik. Der Badische Bahnhof im neutralen Basel glich einer Festung, um Blockaden und Sabotage an den zwischen Deutschland und Italien über helvetische Alpenpässe verkehrenden Güterzügen zu unterbinden. Jüdische Widerstandskämpfer*innen in Belgien blockierten einen Deportationszug, um Menschen vor dem KZ zu retten. Streikende Eisenbahner*innen in Dänemark weigerten sich, Deportationszüge abzufertigen. Eine der Hauptaktionen des Widerstandes in den Niederlanden war die Organisation (und Finanzierung) eines Eisenbahnstreiks.

Schaut man heute über die deutschen Grenzen hinaus, so sieht man, dass im Rest von Europa fast ständig Militärlogistik angegriffen wird. Es vergeht kaum eine US-Intervention im Nahen Osten, ohne dass italienische Genoss*innen Militärtransporte durch die Alpen blockieren oder sabotieren. An den Mittelmeerhäfen streiken regelmäßig Dockarbeiter*innen, wenn sie Teil der militärischen Logistik sein sollen. In Deutschland hingegen läuft es ganz anders. Statt dahin zu gehen, wo es das Militär stört, mobilisiert die Friedensbewegung bis auf ganz wenige Ausnahmen zu nicht besonders großen „Großdemos“ in die Großstädte und lauscht dort den ewig gleichen Reden der ewig gleichen Bewegungsführer*innen. Das ist umso überraschender, als dass die Anti-Atom-Bewegung seit Jahren mit großem Erfolg mit Blockaden und Sabotage die u.a. auf der Eisenbahn stattfindenden Castor-Transporte dort, wo es stört, angreift und in ihrer Geschichte zentrale Anregungen aus den friedenspolitischen Blockaden der Raketenstützpunkte (Mutlangen, u.a.) aufnahm. Eine der wenigen Ausnahmen ereignete sich im Februar 2008 im ansonsten beschaulichen Nordfriesland.

Regionalzeitung verrät Details für Blockade

Zwischen Husum und Schleswig blockierten Antimilitarist*innen einen Militärtransport der Bundeswehr auf dem Weg zu einem Manöver der Nato-Response-Force. Beim Lesen der örtlichen Regionalzeitung stolperten wir über ein Gefälligkeitsinterview mit dem Presse-Offizier des Standortes[1]. Dieser berichtete der Zeitung stolz, dass die Flugabwehrgruppe 52 teil der Nato-Response-Force sei, und deshalb ab nächster Woche über 14 Tage Zugtransporte stattfänden. Aus dem Text ließen sich die Strecke, Abfahrtszeiten und Details zur Fracht und Bewachung entnehmen. Wir staunten nicht schlecht, wie weit ihre Aufmerksamkeitsgeilheit die Militärs treiben kann. Drei Tage verwendeten wir für die Beschlussfassung und Rekrutierung des Teams, weitere vier Tage für die technischen Vorbereitungen. Den ersten Transport observierten wir, um sicher zu gehen, dass alles wie in der Zeitung beschrieben und bei den Planungen unterstellt ablaufen würde.

Dann schlugen wir zu. Kaum hatte der zweite Militärtransport gegen 3 Uhr nachts das Kriegsmaterialdepot in Ohrstedt verlassen, ging es an der ersten Weiche schon nicht mehr weiter. Dort hatten sich Aktivist*innen der Gruppe „Militarismus jetzt stoppen“ am Gleis angekettet. Auf einem Banner verkündeten wir: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt“. Nachdem die Polizei das Gleis zersägen ließ, gelang es den Cops, die Aktivist*innen vom Gleis zu entfernen. Der Zug konnte mit mehreren Stunden Verspätung am Morgen weiterfahren.

Wir wurden bis mittags befragt, durchsucht, eingesperrt und hatten viel Gelegenheit, die eingesetzten Beamt*innen der Bundespolizei und des Staatsschutzes zu veralbern. Besonders interessierte sie, wie wir an die Infos über den Transport gekommen waren und wer der Maulwurf war, was uns Gelegenheit für allerlei Spott und Schabernack gab (sie haben es nach einigen Tagen von allein geschnallt; anschließend war der Propaganda-Offizier in den Medien etwa zwei Jahre lang deutlich schmallippiger). Der nächste Transport wurde vom Militär abgesagt, da erst die halbe Bereitschaftspolizei von Schleswig-Holstein einschließlich Helikopter in den Landstrich verlegt werden müsste, um weitere Transporte gegen Protest abzusichern.

Langes Strafverfahren mit vielen Aktionen

Die Polizei ermittelte anschließend wegen Sachbeschädigung, schweren Eingriff in den Schienenverkehr und Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz. Zur Anklage brachte die Staatsanwaltschaft letztlich eine „Nötigung.“ In der Woche vor dem ersten Prozess am 1. Dezember 2009 fand eine kleine Kundgebung vor dem Kriegsdepot statt. Die Polizei begleitete diese mit einem riesigen Aufgebot. Sie bewachte jeden Stromkasten, jeden Bahnübergang, jede Weiche und jede Ortsdurchfahrt im Bereich zwischen Nordsee, Treene und Eider. Außerdem organisierten wir eine Fahrradtour rund um die Militärstützpunkte in Husum.

Am Sonntag vor dem Prozess mobilisierten die Schaufenster der Innenstadt unfreiwillig zum Prozess. Unbekannte hatten Sprechblasen aus Papier auf die Scheiben geklebt, so dass sie den Figuren in der Auslage solidarische Prozessaufrufe in den Mund legten. Am Morgen der Verhandlung hing die Innenstadt voll mit Protest-Bannern und irgendwelche unverschämten Chaot*innen besprühten in der Nacht die Fassade des Amtsgericht mit Parolen.

Im Gerichtsprozess selbst wurden Richter*in und Staatsanwaltschaft mit dem Theaterstück „Mars-TV“ veralbert, der Verhandlungssaal wurde mit Luftballons und Luftschlangen dekoriert und die hinzugerufenen staatlich bezahlten Gewalttäter*innen der Husumer Polizei gingen in Konfetti-Regen unter. Die Verhandlung endete nach mehreren Befangenheitsanträgen. Die Tageszeitung „Neues Deutschland“ titelte „Spaßguerilla macht kurzen Prozess“.[2]

So ging es fünfeinhalb Jahre weiter. Zu den vier Strafrechts- und drei Zivilrechtsprozessen organisierten wir umfangreiche kreative Aktionen an den Gerichtsstandorten Husum, Flensburg, Schleswig und Karlsruhe. Hanna, in den Augen der Staatsanwaltschaft die Haupttäter*in, wurde letztlich zu 120 Tagessätzen verurteilt. Einen Teil davon saß sie in der JVA Frankfurt ab. Außerdem befanden die Gerichte, dass die Aktivist*innen verantwortlich seien für einen 14.000 Euro schweren Schaden am von den Cops zersägten Gleis. Die restlichen Verfahren wurden eingestellt. Darunter auch dutzende Verfahren gegen Unterstützer*innen, gegen die die Beamt*innen bei Gerichtsprozessen gewalttätig vorgegangen waren und die sich anschließend mit den Vorwürfen der Beleidigung, des Widerstandes und der Körperverletzung konfrontiert sahen. Die Anwaltskosten konnten durch Spenden aufgebracht werden, die Rechnung fürs Gleis ist bis heute nicht bezahlt.

Medial war die Aktion ein Erfolg: Dpa-Meldung, Titelseite, Seite Drei[3], und zwei Tage später noch ein großes Interview[4] in der Regionalzeitung nach der Aktion. Mit den folgenden Gerichtsprozessen nahm die Berichterstattung sogar noch zu. Nun veröffentlichten auch taz, Junge Welt und Neues Deutschland Berichte. Vor und nach der Haft war Hanna gleich zweimal bei Markus Lanz im Fernsehen mit Ausschnitten aus unserem Aktionsvideo zu sehen. Die Lokalzeitung druckte zwar nach wie vor Gefälligkeitsberichte für die Militärs, doch auch unsere Positionen fanden zusehends Eingang in die Berichterstattung. Wenn wir einen Infostand veranstalteten, wussten die Passant*innen auch noch Jahre nach der Aktion auch in Orten, in denen wir noch nie aktiv waren, sofort, wer wir sind, und was unsere Anliegen sind.

Eine Bilanz

Die Aktion brauchte nur wenige Menschen und kostete keine 500 Euro. Auch in der Folgezeit waren nie mehr als ein Dutzend Leute aktiv und auch die Kosten für Aktionen hielten sich dank großer Kreativität und viel Frechheit in Grenzen (ins Konto schlugen die Anwaltskosten mit ca. 500-1.000 Euro für die etwa alle neun Monate stattfindenden sieben Gerichtsprozesse mit mehreren Verhandlungstagen). Unsere Aktion erreichte sehr viel mediale Berichterstattung. Es gelang in den gerade für Afghanistan so wichtigen Jahren von 2008 bis 2012 die Rolle der lokalen Militärs getreu dem Slogan „Der Krieg beginnt hier!“ in den lokalen Diskurs einfließen zu lassen.

Wie konnte das gelingen? Etwas Glück gehörte dazu. In den Jahren 2001 und 2003 lag auch für junge Leute die Beschäftigung mit friedenspolitischen Themen nahe, sodass sich eine Clique an diesen Themen politisierte. Zudem gibt es in Nordfriesland kaum zur Friedenserstarrung verkommene Bewegungsreste. Deshalb konnten junge Leute einfach selber Politik machen, ohne sich mit lokalen Bewegungsfürst*innen auseinandersetzen zu müssen, die Gefolgschaft erwarten oder um ihre diskursive Macht fürchten.

Dazu kam eine Portion Realismus. Der Traum von den ach so großen „Großdemonstrationen“ funktioniert in Nordfriesland einfach nicht. Deshalb war allen Beteiligten klar, dass Kreativität und Frechheit die mangelnde Personalstärke ausgleichen müssen, um überproportional Einfluss auf den lokalen politischen Diskurs zu gewinnen. Dies führte dazu, dass statt im Kreis zu latschen das Ausprobieren verschiedenster Aktionsformen im Vordergrund stand. Leider ist ein derartiges Mindset in der Friedensbewegung bis heute eine Seltenheit.

Allerdings fielen wir den wenigen Gruppen, Gangs und Cliquen, die sich mit niedrigschwelligen und preisgünstigen Protestformen beschäftigen, die auch kleinen Gruppen und einzelnen Personen Gehör verschaffen können, recht schnell auf. Dies sorgte für bundesweite Vernetzung, wo wir auch das Know-how zum Züge stoppen und zum Gerichtsprozesse führen bekamen.

Und heute?

Würde ich es wieder tun? Wohl eher nicht. Ich bin etwas aus der Form geraten und diverse Wehwehchen lassen es für mich nicht mehr attraktiv erscheinen, nächtelang im Winter am Bahndamm liegend Züge und Kasernen zu beobachten. Darüber hinaus ist das ständige Gerichtsprozesse vorbereiten und führen sehr kräftezehrend. Erst recht, wenn der Prozess so lange dauert wie bei uns. Aktivisti-Cliquen halten meiner Erfahrung nach im Schnitt etwa 18 Monate, bei uns war nach etwa 4 Jahren die Luft raus, die Prozesse zogen sich jedoch noch fast zwei weitere Jahre hin, in denen wir vor allem zunehmend erfolglos um Gruppenkohäsion bemüht und die anfallenden Tätigkeiten auf immer weniger Schultern verteilt waren.

Doch mit der gerade bei Gerichtsprozessen so wichtigen Unterstützung sah es damals mau aus. Obwohl unsere Verlautbarungen inhaltlich recht brav von einer Ablehnung der Auslandseinsätze getragen waren und klassisch bürgerlich moralisch-pazifistisch argumentierten, hielt sich die Unterstützung aus diesen Kreisen in sehr engen Grenzen. Aus der DFG-VK vermittelte uns Marion Küpker Beiträge in der Zivilcourage und im Friedensforum, Ralf aus Flensburg versuchte leider erfolglos, uns Stiftungsgelder aus der Friedensarbeit zuzuschanzen.

Trotz Besuchen von Veranstaltungen örtlicher lokaler Vernetzungen, die den Friedens-Koordinationen nahestehen, ernteten wir dort vor allem verständnisloses Desinteresse. Überraschenderweise unterstützten uns trotz unserem klassisch bürgerlichen Pazifismus ausgerechnet die Antimilitarist*innen aus dem Umfeldern von „War starts here“ und „Bundeswehr wegtreten“. In deren Publikationen und Umfeldern wurde über uns berichtet, Spenden gesammelt, und Veranstaltungen mit uns organisiert. Außerdem unterstützte uns die im nördlichen Schleswig-Holstein nicht gerade zahlreiche lokale Linkspartei-Basis, deren Büros wir für Treffen und Veranstaltungen nutzen durften.

Enttäuschend waren außerdem die Kooperationsversuche im grünen Milieu. Die Bahn entwickelte sich im Laufe des Verfahrens zu einem Zweitgegner. Die Firma war zum einen für die praktische Abwicklung der Militärtransporte verantwortlich, zum anderen erkannte deren Jura-Abteilung recht schnell die Chance, ein Castor-relevantes Urteil in einem von den Atommülltransporten nicht betroffenen Bundesland zu erhalten. Wir versuchten, Ökos und Atomstrom-Gegner*innen auf das Problem aufmerksam zu machen: Ohne Erfolg. Zu unserem Bahn-Aktionstag 2010 kletterte Greenpeace sogar auf dem Berliner Hauptbahnhof, selbstverständlich ohne solidarischen Verweis auf unsere Kampagne. So kam es, wie es kommen musste. Ob Atom oder Kohle: Bei Schienenblockaden ist das gegen uns gefällte und höchstrichterlich bestätigte Urteil heute leider juristischer Standard.

Auch das ständige Betteln um Geld für die Prozesskosten und der damit verbundene Zwang zur Selbstdarstellung widerspricht elementar dem, was man im nordfriesisch-hanseatischem Kulturkreis für gesellschaftlich gut und wünschenswertes Verhalten hält. Dass die kapitalistische Aufmerksamkeitsökonomie auch vor linken Kreisen nicht halt macht, und dass man, wenn man Hilfe und Unterstützung braucht, ständig so laut schreien muss, wie man nur kann, war eine bordsteinharte Erkenntnis.

Politisch halte ich solche Aktionen nach wie vor für sinnvoll. Gerade die vermehrt stattfindenden kleinen und großen Manöver bieten super Gelegenheiten, vor Ort und wo es die Bundis stört, mit verhältnismäßig geringen Mitteln diskursiv starke Aktionen durchzuführen. Dies bietet die Chance, dem Militär vor Ort zumindest für die in weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnten Auslandseinsätze die gesellschaftliche Betriebserlaubnis zu entziehen. Deshalb lohnt es sich, solche Aktionen zu unterstützen.


Autorinneninfo:

Jan Hansen ist ein Pseudonym. Der Autor stammt aus den unendlichen Weiten Nordfriesland und wuchs dort mit einer Allgegenwärtigkeit des Militärs in der Öffentlichkeit auf. Als er noch jung und wild war, protestierte er mit „Militarismus jetzt stoppen“ mit einer Gleisblockade gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Mittlerweile etwas aus der Form geraten, engagiert er sich heute deutlich unspektakulärer für den Berliner Landesverband als Delegierte* im Bundesausschuss der DFG-VK.

[1] Husumer Nachrichten: Luftwaffe probt Verlegung, 31.1.2008.

[2] Dieter Hanisch, Neues Deutschland: Spaßguerilla macht kurzen Prozess, 3.12.2009, nd-aktuell.de.

[3] Husumer Nachrichten: Gleisblockade stoppt Militärtransport, 11.2.2008.

[4] Husumer nachrichten: Ich habe keine Angst vor den Kosten, 12.2.2008.