IMI-Analyse 2022/08

Tornado-Nachfolge – Teure Maximallösung bedient alle Interessen

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 16. März 2022

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Dieser Text erschien in leicht veränderter Fassung zuerst am 16. März 2022 bei Telepolis.

Anfang des Jahres entschied Verteidigungsministerin Christine Lambrecht die bisherige Festlegung ihres Hauses auf die F-18 von Boeing als Nachfolger der alternden Tornado-Flotte noch einmal zu prüfen. Als dann Kanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 quasi in einem Halbsatz am Ende seine Präferenz für eine Mischlösung aus F-35 und Eurofightern kundtat, war faktisch die Entscheidung bereits gefallen, die am 15. März 2022 dann auch offiziell verkündet wurde. Die frühere Festlegung kam nicht von ungefähr, war sie doch diversen vor allem finanziellen Sachzwängen geschuldet, die nun mit der beschlossenen Rüstungs-Finanzspritze von 100 Mrd. Euro entfallen sind. Hierdurch wurde der Weg für eine teure Maximallösung frei, die die Interessen nahezu jeder Partei bedient.

Kostenexplosion und Handlungsbedarf

Neben etwa 140 Eurofightern nennt die Bundeswehr auch rund 90 Tornado-Kampfflugzeuge ihr Eigen, deren Produktionsbeginn bis in die 1970er zurückreicht. Über die Jahre wurden die Tornados aber immer wartungsanfälliger und verursachten zunehmende Kosten. So meldete die Deutsche Welle bereits im Januar 2020: „Aus einem vertraulichen Dokument des Verteidigungsministeriums geht hervor, dass sich die Wartungskosten für das Jahr 2019 voraussichtlich auf mehr als 600 Millionen Euro belaufen. […] Ein Grund für die lange Wartungsdauer ist, dass Ersatzteile für die betagten Maschinen fehlen. Manche müssen eigens angefertigt werden. Oder aber die Airbus-Mitarbeiter greifen zu einem Trick: Aus den neu ankommenden Flugzeugen werden Teile ausgebaut und in diejenigen Tornados eingebaut, die das Werk bald wieder über die angeschlossene Start- und Landebahn verlassen – die Teile rotieren also.“ (siehe Berlin: Atomwaffen-Jet im Hauruck-Verfahren vor der Bundestagswahl?)

Dass die Tornados ersetzt werden müssen, darüber herrscht in Bundeswehrkreisen deshalb schon lange Einigkeit. Ein Teil von ihnen ist allerdings für die Nukleare Teilhabe vorgesehen, also dafür, im Ernstfall in Deutschland (Büchel) lagernde US-Atombomben ins Ziel zu fliegen. Für diese Aufgabe müssen die Flugzeuge von den USA zertifiziert werden, weshalb man in der Wahl des Tornado-Nachfolgers nicht völlig frei ist, sondern zumindest für einen Teil der Flotte das Plazet aus Washington benötigt, sollte man sich für eine Beibehaltung der viele Jahre lang heftig umstrittenen Teilhabe entscheiden. Und genau hierfür hatte sich die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag im November 2021 recht unmissverständlich ausgesprochen: „Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten.“

Festlegung

Die teils heftigen Streitereien um die Tornado-Nachfolge zogen sich mehrere Jahre hin. Aus Sicht der Luftwaffe stellte die F-35 als modernstes zur Verfügung stehendes Tarnkappen-Kampfflugzeug die Ideallösung dar, weshalb sich der damalige Luftwaffenchef Karl Müllner bereits Ende 2017 mit seinen Präferenzen in die Debatte einmischte: „Die Luftwaffe erwägt, die Fähigkeiten der F-35 als Richtschnur für den Auswahlprozess des Tornado-Nachfolgers zu verwenden […]. Ich denke, ich habe mich klar ausgedrückt, welches Flugzeug der Favorit der Luftwaffe wäre.“

Die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte aber augenscheinlich eine ganz andere Lösung im Kopf, weshalb Müllner für seinen Vorstoß den Hut nehmen musste. Denn vor allem Frankreich sah in einer deutschen Anschaffung der hochmodernen F-35 eine ernste Bedrohung für den geplanten gemeinsamen Bau eines eigenen Luftkampfsystems. Dabei handelt es sich um das „Future Combat Air System“ (FCAS) mit geschätzten Entwicklungskosten zwischen 80 und 100 Mrd. Euro, die, so die Befürchtung in Paris, umso schwerer aufzutreiben sein würden, sollte Deutschland bereits über moderne Kampfflugzeuge verfügen.

Airbus und der in der SPD nicht unwichtige Airbus Betriebsrat bevorzugten eine reine Eurofighter-Lösung, um die entsprechenden industriellen Kapazitäten in Deutschland zu stärken (und natürlich die daraus resultierenden Gewinne zu realisieren). Das war aber wiederum mit den USA nicht zu machen, die recht unverblümt signalisierten, sie würden nicht den Eurofighter, sondern nur ein „einheimisches“ Flugzeug für die Nukleare Teilhabe zertifizieren. Vor diesem Hintergrund informierte das Verteidigungsministerium am 21. April 2020, es präferiere die Anschaffung von 38 Eurofightern (Tranche 4) als Ersatz für die Eurofighter der ersten Generation (Tranche 1) sowie 40 weiteren Eurofightern, die den Tornado als Jagdbomber ersetzen sollen (hinzu kam noch eine Option auf 15 weitere Eurofighter zur elektronischen Kampfführung). Zusätzlich dazu sollten insgesamt 45 der älteren F-18 von Boeing angeschafft werden. Davon waren 30 für die Nukleare Teilhabe (Version Super Hornet) und 15 für die Elektronische Kampfführung, also dem Stören und Bekämpfen gegnerischer Luftabwehrstellungen (Version Growler), vorgesehen.

Vor der Bundestagswahl ging nur noch die Tranche 1 im Bundestag durch: „Die Deutsche Luftwaffe wird in den nächsten Jahren 38 neue Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter erhalten. Nachdem der Verteidigungsausschuss am 4. November 2020 „grünes Licht“ gegeben hatte, stimmte auch der Haushaltsauschuss in seiner Sitzung am 5. November der Beschaffung der Eurofighter der neusten Generation – Tranche 4 – zu. Die Auslieferung der Flugzeuge soll ab 2025 beginnen und 2030 abgeschlossen sein. Bislang hat die europäische Luftfahrtindustrie insgesamt 140 Maschinen der Tranchen 1, 2 und 3 an den deutschen Kunden ausgeliefert. Mit der Zustimmung zu dem ‚Quadriga-Vertrag‘, der ein Volumen von rund €5,5 Mrd. umfasst, ist die Beschaffung gesichert.“ (wehrtechnik.info, 12.2.2022)

F-35 schlägt F-18

Wie bereits angedeutet: Schon als Verteidigungsministerin Christine Lambrecht Anfang des Jahres die gesamte Tornado-Nachfolge noch einmal einem Prüfauftrag unterzog, war eigentlich klar, dass die bisherige Festlegung keinen Bestand haben dürfte. Am Ende seiner Regierungserklärung, die vor allem aufgrund des 100 Mrd. Euro Sondervermögens für die Bundeswehr im Gedächtnis bleiben dürfte, beendete Kanzler Scholz mit einem letzten Halbsatz faktisch die Debatte um die Tornado-Nachfolge: „Der Eurofighter soll zur electronic warfare befähigt werden. Das Kampfflugzeug F-35 kommt als Trägerflugzeug in Betracht.“

Diese Entscheidung wurde dann am 15. März 2022 auch offiziell bestätigt: Es sollen nun 35 F-35 für die Nukleare Rolle und weitere 15 Eurofighter für die Elektronische Kampfführung angeschafft werden. Nach der Ankündigung, den Geldhahn für die Bundeswehr sperrangelweit aufzudrehen, scheinen nun genug Mittel vorhanden zu sein, um so ziemlich alle Interessen auf einmal zu befriedigen. So werden hiermit einmal die Interessen von Airbus und seinem Betriebsrat bedient, die nun 15 Eurofighter zusätzlich verkaufen können, die sie aber erst noch teuer für die Fähigkeit zur Elektronischen Kampfführung aufrüsten müssen, über die die F-18 bereits verfügt hätte.

Gleichzeitig stellt der Mittelabfluss in die moderne F-35 keine Gefahr mehr für das FCAS dar, weil Scholz für dessen Finanzierung in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar faktisch ebenfalls eine Entwicklungsgarantie abgab: „Darum ist es mir zum Beispiel so wichtig, dass wir die nächste Generation von Kampfflugzeugen und Panzern gemeinsam mit europäischen Partnern – und insbesondere mit Frankreich – hier in Europa bauen. Diese Projekte haben oberste Priorität für uns. Bis die Flugzeuge einsatzbereit sind, werden wir den Eurofighter gemeinsam weiterentwickeln.“

Und die Luftwaffe erhält ihr ersehntes topmodernes Kampfflugzeug – Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz: „Auf Putins Aggression gibt es nur eine Antwort: Geschlossenheit in der NATO und glaubwürdige Abschreckung. Gerade deshalb ist die Entscheidung für die F-35 ohne Alternative. Die F-35 ist das modernste Kampfflugzeug weltweit, viele unserer europäischen Partner haben sich ebenfalls für dieses Flugzeug entschieden. Es stärkt unsere Fähigkeit, gemeinsam mit ihnen den NATO-Luftraum zu sichern und das Bündnis zu verteidigen. Mit der F-35 beschaffen wir ein marktverfügbares Kampfflugzeug der 5. Generation. Auf dem Markt verfügbare Systeme sind beispielgebend für eine Beschleunigung der Modernisierung unserer Streitkräfte. Zusammen mit der Weiterentwicklung des Eurofighters für den Elektronischen Kampf machen wir einen wichtigen Schritt, um die Luftwaffe und damit die deutschen Streitkräfte für die Zukunft aufzustellen.“

Bei der F-35-Entscheidung handelt es sich also um eine Art Maximallösung aller infrage stehenden Varianten, die vor allem eins werden dürfte: teuer.

Kostenfresser

Ein konkretes Preisschild klebt noch nicht am geplanten F-35-Ankauf – ein Blick auf vergleichbare Deals mag aber helfen. Als aktueller Preis wird gerne auf Angaben von rund 80 Mio. Dollar verwiesen, also etwa 73 Millionen Euro. Das ist in etwa die Kragenweite, die Polen mit 87 Mio. Dollar pro Stück für seine 32 Anfang 2020 georderten F-35 bezahlen muss, macht 2,784 Mrd. Dollar. Üblicherweise wird dabei aber gleich noch eine Art kostspieliges Servicepaket dazu gebucht, was den Gesamtpreis im Falle von Polen auf insgesamt 4,6 Mrd. Dollar oder 143 Mio. pro Einheit hochschnellen lässt.

Berichten zufolge dürfte Deutschland wohl die aktuell in Entwicklung befindliche aufgebohrte F-35-Variante Block 4 ordern. Über die hieß es allerdings bereits Mitte letzten Jahres, für sie sei mit deutlichen Preissteigerungen zu rechnen. Von dieser F-35-Variante orderte Finnland im Februar 2022 64 Stück zu einem Gesamtpreis von 9,4 Mrd. Dollar (inklusive „Servicepack“), was aufgrund der hohen Bestellmenge einen Gesamtstückpreis von 147 Mio. Dollar ergab. Insgesamt scheinen die Verträge aber doch sehr zu schwanken, Norwegen zum Beispiel bestellte kurz zuvor im Januar 2022 52 F-35, konnte aber nur einen Gesamtpreis (also inklusive „Servicepack“) von 197 Mio. Dollar pro Einheit aushandeln.

Wie auch immer: Als eigentliche Kostenfresser dürfte sich die langfristigen Wartungskosten für die fehleranfällige F-35 erweisen, die Verträge scheinen so gestrickt zu sein, dass diese nur die ersten zehn Betriebsjahre beinhalten (und hier wohl auch nicht alles). Bereits im Juli 2021 berichtete das U.S. Government Accountability Office, eine Art US-Rechnungshof, über perspektivisch deutlich steigende Wartungskosten. Schon haben erste Besteller ihre Prognosen nach oben korrigieren müssen, Dänemark etwa schraubte seine Schätzungen für die erwartbaren Wartungskosten seiner F-35 von rund 8 Mrd. auf 12 Mrd. Euro gleich 50 Prozent in die Höhe.

Die Tatsache, dass Deutschland mit nur 30 Flugzeugen eine relativ schwache Verhandlungsposition hat, legt insgesamt nahe, dass der schlussendliche Preis hier über dem Norwegens liegen dürfte. Was die tatsächlichen langfristigen Kosten anbelangt, lassen sich diese derzeit so gut wie überhaupt nicht abschätzen. Sicher lässt sich aber sagen, dass nun mit der F-35-Eurofighter-Kombilösung die mit Abstand teuerste Variante gewählt wurde – aber das scheint wie gesagt kein Problem darzustellen, Geld für Rüstung scheint aktuell schließlich im Überfluss vorhanden zu sein.