IMI-Analyse 2020/10 - in: AUSDRUCK (März 2020)

EUropas (digitale) Aufrüstung

PESCO, DG Defence und EU-Verteidigungsfonds

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 16. März 2020

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Innerhalb der Europäischen Union findet aktuell ein massiver Ausbau des Militärapparates statt, bei dem die „Digitalisierung des Krieges“ eine wesentliche Rolle spielt. Dies gilt besonders für die Projekte der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (engl.: PESCO), die künftig über einen „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF) finanziert werden sollen. Der Fonds soll nach den Vorstellungen der Kommission mit 13 Mrd. Euro EU-Geldern befüllt werden (wobei sich über einzelstaatliche Ko-Finanzierungen eine weitaus höhere Summe ergeben soll). Ein fester Teil dieser Gelder ist explizit für die Erforschung und Entwicklung digitaler Schlüsseltechnologien reserviert, wodurch die EU ihre Position im neuen Wettrüsten im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) stärken will. Die Verwaltung des Fonds wird künftig der frisch geschaffenen „Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum“ (DG Defence) obliegen. Ihr steht mit Thierry Breton ein Mann vor, der zuvor Chef von Atos war, einem der wichtigsten Unternehmen im Bereich der digitalen Kriegsführung. Interessenskonflikte sind hier somit vorhersehbar, was umso problematischer ist, da der Topf faktisch keinerlei parlamentarischer oder sonstiger Kontrolle unterliegen soll. Vor allem auch bei den beiden anstehenden milliardenschweren Großprojekten Kampfflugzeug (Future Combat Air System, FCAS) und Kampfpanzer (Main Ground Combat System, MGCS) sollen digitale Komponenten entscheidend zur „Kampfkraft“ der Systeme beitragen. Da zu erwarten ist, dass auch sie maßgeblich über den EVF bezuschusst werden sollen, dürfte hier das Fehlen nahezu jeglicher parlamentarischer Kontrollmöglichkeiten besonders schwer ins Gewicht fallen.

Digitale PESCO-Projekte

Im Dezember 2017 wurde die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ aktiviert, über die europaweite Rüstungsprojekte und damit die Schaffung eines europäischen rüstungsindustriellen Komplexes forciert werden sollen.

Im März und November 2018 wurden die ersten 34 PESCO-Projekte auf den Weg gebracht, im November 2019 folgten 13 weitere. Bereits in den ersten PESCO-Runden fanden sich einige Vorhaben, die dem Bereich der digitalen Kriegsführung zuzurechnen sind. Dazu gehört beispielsweise ein mit deutscher Beteiligung stattfindendes Projekt zur „Elektronischen Kampfführung“ (EloKa) namens „Electronic Warfare Capability and Interoperability Programme for Future Joint Intelligence, Surveillance and Reconnaissance (JISR) Cooperation“. In der EU-Projektbeschreibung heißt es dazu: „Das schlussendliche Ziel des Projektes besteht in der Schaffung einer stehenden EloKa-Truppe. […] Diese Truppe sollte zu gemeinsamen EloKa-Operationen in einem elektromagnetischen Umfeld sowie dazu in der Lage sein, die EU-Kampftruppen mit einzigartigen elektronischen Kampffähigkeiten zu unterstützen.“[1]

Mit der letzten PESCO-Projektwelle am 12. November 2019 erfolgte eine nochmalige Schwerpunktverschiebung hin zum digitalen Bereich, wie der Fachdienst Bruxelles2 schreibt: „Diese 13 Projekte […] zeichnen sich größtenteils durch eine sehr starke Tendenz zu High Technology und Zukunftstechnologien aus.“[2]

Fonds für (digitale) Aufrüstung

Im Mai 2018 legte die EU-Kommission ihren Vorschlag für den EU-Haushalt (Mehrjähriger  Finanzrahmen, MFR) 2021 bis 2027 vor,[3] der aktuell zwischen den beiden weiteren am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Akteuren, dem Europäisches Parlament und dem EU-Rat, verhandelt wird. Die Kommission schlägt darin vor, erstmals große Beträge für verschiedene militärische Haushalte auszuloben: Dazu gehören eine EU-Friedensfazilität (Finanzierung von EU-Militäreinsätzen und Ausbildung: 10,5 Mrd. Euro), die Militärische Mobilität (Schnelle Verlegefähigkeit: 6,5 Mrd. Euro), die großen Weltraumprogramme (v.a. Galileo und Copernicus: 16 Mrd. Euro) und der Europäische Verteidigungsfonds, EVF (Erforschung und Entwicklung länderübergreifender europäischer Rüstungsprojekte: 13 Mrd. Euro).

Beim EVF sollen die Beträge aus dem EU-Haushalt noch einmal um einen bis zu fünffachen Faktor mit einzelstaatlichen Geldern ergänzt werden. Damit sollen bevorzugt PESCO-Projekte und damit das Ziel, einen europäischen rüstungsindustriellen Komplex herauszubilden, finanziert werden.

Das Europäische Parlament ist hier wie erwähnt mit in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden und nahm die Vorlage der Kommission auf, über den Fonds auch mit besonderem Augenmerk die Erforschung und Entwicklung „hoffnungsvoller“ digitaler Kriegstechnologien – sogenannte „disruptive Technologien“ – zu subventionieren. Am 18. April 2019 verabschiedete das Parlament mehrheitlich seine diesbezügliche Legislativvorlage, in der es heißt: „Der Fonds sollte Maßnahmen, die der Entwicklung disruptiver Technologien für Verteidigungszwecke förderlich sind, finanziell unterstützen.“[4]

Als Definition, was unter diesem Begriff zu verstehen ist, ist im Abschnitt „Begriffsbestimmungen“ folgendes zu finden: „Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck […] ‘disruptive Technologie für die Verteidigung‘ eine Technologie zur Anregung eines radikalen Wandels, einschließlich einer verstärkten oder vollständig neuen Technologie, die zu einem Paradigmenwechsel in der Verteidigungstheorie und -praxis führt.“

Weiter ist dort festgehalten, dass ein prozentual festgelegter EVF-Anteil in diese Technologien fließen soll: „Mindestens 4 % und bis zu 8 % der Finanzausstattung nach Absatz 1 wird Aufrufen zur Einreichung von Vorschlägen oder der Gewährung von Finanzmitteln zur Förderung disruptiver Verteidigungstechnologien zugewiesen.“

Und schließlich wird noch darauf hingewiesen, dass in diesem Bereich Anbieter außerhalb des „traditionellen“ Rüstungssektors ebenfalls von Interesse sind: „Da disruptive Technologien auf Konzepten oder Ideen basieren können, die nicht von den herkömmlichen Akteuren im Verteidigungsbereich stammen, sollte durch den Fonds eine ausreichende Flexibilität bei der Konsultation von Interessenträgern und hinsichtlich der Umsetzung solcher Maßnahmen ermöglicht werden.“

DG Defence und die Rüstungslobby

Die Verwaltung der neuen Militärhaushalte (außer der Friedensfazilität) soll künftig die seit 1. Dezember 2019 existierende „Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum“ übernehmen. Die DG Defence wird wie bereits erwähnt vom Franzosen Thierry Breton geleitet, der zuvor als Chef von Atos fungierte, einem der wichtigsten Unternehmen der IT-Kriegsindustrie. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass er aus seiner Affinität für diesen Bereich wie auch für die Unternehmen der IT-Branche keinen Hehl macht. Auf Fragen der EU-Abgeordneten vor seiner Ernennung antwortete der Atos-Mann: „Ich möchte die disruptive Innovationsdimension des EVF entwickeln und sicherstellen, dass das vorgesehene Budget (zwischen vier und acht Prozent) einen wirklichen Einfluss hat, Unternehmen außerhalb des Verteidigungssektors, Start-ups und Existenzgründer anzuziehen, um dadurch die europäische Führung bei strategischen technischen Lösungen sicherzustellen.“[5] Als Beispiel nannte er etwa Quantencomputer, wo es gelte sich an „vorderster Front“ zu positionieren, indem nicht nur Technologien für die „zivile Anwendung“ entwickelt würden, sondern „genauso für ihre Einführung in den Weltraum- und Verteidigungsbereich.“

Breton steht also einer Behörde vor, der u.a. die Verwaltung eines Fonds obliegt, bei dem ein nicht unerheblicher Teil der Gelder explizit für eine Sparte reserviert ist, in der sein vorheriges Unternehmen einer der zentralen Akteure ist. Nicht nur hier sind Interessenkonflikte praktisch vorprogrammiert. Generell war die Rüstungslobby, aber zum Beispiel mit der Fraunhofer-Gesellschaft auch ein wichtiger Akteur im Bereich der „disruptiven Technologien“, eng in die Anbahnung des EVF eingebunden. Los ging es mit einer „Group of Personalities“, die von der damaligen Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska im März 2015 mit der Aufgabe betraut wurde, die „Notwendigkeit“ europäischer Rüstungstöpfe zu untersuchen.

Die 16-köpfige Gruppe setzte sich ausnahmslos aus militärnahen Politiker*innen, Rüstungslobbyist*innen oder Vertreter*innen interessierter Forschungsinstitute zusammen. So verwunderte es nicht, dass sie in ihrem im Februar 2016 veröffentlichten Bericht[6] Vorschläge unterbreiteten, die dann nicht unwesentlich die späteren Papiere der Kommission zum Europäischen Verteidigungsfonds mitprägen sollten.

Allein für das Jahr 2016 sind nicht weniger als 184 Treffen zwischen Rüstungslobbyist*innen und der EU-Kommission nachgewiesen.[7] Der genaue Inhalt der jeweiligen Treffen ist nicht bekannt, da es sich hier aber um die Zeit handelte, in der die Details des EVF ausgearbeitet wurden, kann mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass dies auch Gegenstand dieser Treffen gewesen sein dürfte.

Die Mühe scheint sich jedenfalls bezahlt gemacht zu haben: Als Testlauf wurde ein abgespeckter EVF-Vorläufer mit dem Namen „Europäisches Programm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich“ (EDIDP) auf den Weg gebracht, der für 2019 und 2020 mit insgesamt 590 Mio. Euro bestückt wurde. Was die Profiteure dieses Prototyps eines EU-Rüstungshaushaltes anbelangt, schrieb das Nachrichtenportal euractiv: „Heute nehmen bis auf eines alle Unternehmen und Forschungszentren, die der Group of Personalities angehört haben, an Projekten […] des Vorläufers des EU-Verteidigungsfonds teil und erhalten 40% seiner Gelder.“[8]

Großprojekte außer Kontrolle

Das alles ist umso problematischer, nachdem sich der EVF faktisch jeglicher parlamentarischen Kontrolle entziehen wird. Die Abgeordneten werden ein letztes Mal bei der Verabschiedung des EU-Haushalts (und damit auch des EVF-Budgets) ein Mitspracherecht erhalten. Im Anschluss daran ist aber lediglich vorgesehen, das Parlament im Nachhinein über die Verwendung der Gelder zu informieren (während Rat und Kommission über ein Vetorecht verfügen).

Ist der EVF erst einmal verabschiedet, stehen zwei richtig große deutsch-französische Rüstungsprojekte schon bereit: Das Kampfflugzeug mit einem geschätzten Gesamtvolumen von bis zu 500 Mrd. Euro und der Kampfpanzer mit 100 Mrd. Euro.[9] Es ist davon auszugehen, dass diese Vorhaben baldmöglichst in die PESCO überführt und deren Entwicklung damit ab 2021 über den EVF querfinanziert werden soll. Bei beiden wird stark auf Digitalisierung gesetzt, um den „Kampfwert“ zu steigern. Bei der „Europäischen Sicherheit und Technik“ hieß es Anfang 2020 zum Beispiel: „Auch mit Blick auf die wachsende Digitalisierung ist die deutsche Verteidigungsindustrie gefragt, Antworten auf die neuen Anforderungen an Waffensysteme zu finden – beispielsweise gemeinsam mit Partnern. Diese Anforderungen können nicht mehr isoliert sowie unabhängig von IT-Plattformen betrachtet werden. Die Zukunft gehört querschnittlichen Informations- und Wirkverbünden über alle Teilstreitkräfte, Organisations- und Warfare-Bereiche hinweg − darunter auch Cyber. Ein gutes Beispiel dafür ist das deutsch-französisch-spanische Programm FCAS, das Drohnen, Kampflugzeuge, Satelliten sowie Kommando- und Kontrollflugzeuge miteinander verbinden soll.“[10]

Anmerkungen


[1] Council of the European Union: Permanent Structured Cooperation (PESCO) updated list of PESCO projects -Overview, 19. November 2018

[2] Gros-Verheyde: Third wave of PESCO projects: more ‘high tech’. The list (exclusive), bruxelles2.eu, 30. September 2019

[3] Europäisches Parlament: Mehrjähriger Finanzrahmen 2021–2027 und neue Eigenmittel. Analyse des Vorschlags der Kommission, Juli 2018

[4] Europäisches Parlament: Legislative Entschließung […] zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds, 18. April 2019

[5] Europäisches Parlament: Questionnaire to the Commissioner-Designate Thierry Breton, Commissioner-designate for the Internal Market, 13. November.2019

[6] European Union Institute for Security Studies: Report of the Group of Personalities on the Preparatory Action for CSDP-related research, 23. Februar 2016

[7] Vranken, Bram: Securing Profits. How the arms lobby is hijacking Europe’s defence policy, Vredesactie, Oktober 2017

[8] Sédou, Laëtitia: MEPs concerned with peace should worry about the new ‘Defence Industry & Space’ unit, euractiv.com (blog), 01. Oktober 2019

[9] Bund gibt ersten Millionenbetrag für deutsch-französischen Kampfjet frei, Handelsblatt, 5. Juni 2019.

[10] Europäische Sicherheit & Technik: Die deutsche Verteidigungsindustrie am Scheideweg, 07. Januar 2020