IMI-Analyse 2024/51

Frieden durch US-Atomwaffen?

Trumps Nuklearpolitik

von: Regina Hagen | Veröffentlicht am: 9. Dezember 2024

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Die Wahlplattform des designierten US-Präsidenten Donald Trumpi[1] umfasst 20 Versprechen für seine neue Amtszeit, eines davon gilt dem Militär: „Unser Militär zu stärken und zu modernisieren, damit es ohne Frage das stärkste und mächtigste der Welt wird.“ Die Wahlplattform der Republikaner konkretisiert dies im kurzen Kapitel »Durch Stärke zurück zum Frieden«, das sich mit Außen- und Verteidigungspolitik befasst. Atomwaffen finden darin keine Erwähnung.

Dennoch lassen sich Aussagen zur vermutlichen Atomwaffenpolitik der künftigen Regierung Trump machen.

Einen wichtigen Hinweis gibt Jackie Cabasso, Geschäftsführerin der Western States Legal Foundation in Kalifornien. Sie macht eine Art politische Konstante der US-Verteidigungspolitik aus: „»Abschreckung« – die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen – wurde von jedem Präsidenten als »Eckpfeiler« der nationalen Sicherheitspolitik der USA bekräftigt, und zwar seit 1945, als Präsident Harry Truman, ein Demokrat, die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki verfolgte.“[2] Es gibt einen zweiten Hinweis: Donald Trumps Amtszeit 2017-2021.

Iran, Mittelstreckenwaffen und Atomwaffendoktrin

Aus seiner ersten Präsidentschaft ist von Donald Trump die Frage überliefert, warum eigentlich die USA keine Atomwaffen einsetzen sollten, wenn sie doch so viele haben.[3] Diese Sorglosigkeit im Denken über Atomwaffen ist Anlass für höchste Besorgnis, da (einzig) dem US-Präsidenten die Befugnis zukommt, über den Einsatz von US-Atomwaffen zu entscheiden. Den Befehl dazu kann er im Kriegsfall selbst gegen die Empfehlung seiner Berater oder des Militärs geben. Diese Vollmacht wurde in öffentlichen Diskussionen immer wieder kritisiert, verbunden mit der Warnung vor einem »verrückten«, »psychopatischen« oder »unausgeglichenen« Präsidenten oder vor einer übereilten Einsatzentscheidung. Daran geändert hat sich aber nichts.

Eine solcher Befehl stand in Trumps erster Regierungszeit glücklicherweise nicht an, andere Entscheidungen hingegen hatten spürbare Folgen.

Da ist zum einen das Iran-Abkommen. Das »Joint Comprehensive Agreement« wurde von China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA mit dem Iran verhandelt und 2015 zum Abschluss gebracht. Der Aktionsplan unterwarf das iranische Atomprogramm technischen und quantitativen Beschränkungen, insbesondere bei der Erzeugung von angereichertem Uran, um auszuschließen, dass Iran dem Bau von Atomwaffen näher kommt. Als Gegenleistung wurde die schrittweise Aufhebung der seit 2006 verhängten Sanktionen zugesagt. Präsident Trump kündigte das Abkommen schon im Mai 2018 und setzte die Sanktionen wieder in Kraft, worauf sich Iran sukzessive ebenfalls aus dem Abkommen zurückzog.

Die Quittung liegt inzwischen vor. Im Mai 2024 berichtete Rafael Grossi, Generaldirektor der mit der Überwachung des iranischen Atomprogramms beauftragen Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), von einer anhaltenden Urananreicherung auf 60%. Nach Maßstäben der IAEO gilt das entsprechende Material als atomwaffenfähig, und der Schritt zu den bei Waffenprogrammen üblichen 90% ist nicht mehr groß. Als vorhandene Menge gab der IAEO-Chef damals 170 kg an, das würde für drei Atombomben reichen.[4] Iran ist einer nuklearen Bewaffnungsfähigkeit also deutlich näher gekommen.

Eine weitere Vertragskündigung folgte wenig später. Die US-Regierung kündigte mit Wirkung zum 2. August 2019 den INF-Vertrag, der 1987 von den Präsidenten Reagan und Gorbatschow vereinbart worden war und in den Jahren danach zur vollständigen und verifizierten Zerstörung aller landgestützten US-amerikanischen und russischen Mittelstreckenwaffen (ballistische Raketen und Marschflugkörper mit 500-5.500 km Reichweite) führte.

Auch hier liegt die Quittung inzwischen vor: Russland plant die Stationierung ebensolcher Waffen oder hat bereits stationiert (die Aussagen von Expert*innen dazu sind hartnäckig widersprüchlich). Und die USA planen, wie Präsident Biden und Bundeskanzler Scholz am 10. Juli 2024 am Rande des Washingtoner Jubiläumsgipfels der NATO bekannt gaben, die Stationierung landgestützter Raketen, Marschflugkörper und Hyperschallwaffen mit bis zu 3.000 km Reichweite in Deutschland. Der INF-Vertrag hätte dies verhindert.

Ein Umschwenken der nächsten Regierung Trump in dieser Sache ist eher unwahrscheinlich, da die Stationierung den USA aus ihrer Sicht einen weit über Europa hinausreichenden strategischen Vorteil bringt. Dies dürfte Trumps Verlangen nach militärischer Stärke entgegenkommen und gleichzeitig die Gefahr, im Fadenkreuz von russischen Gegenangriffen zu liegen, vor allem nach Europa, insbesondere nach Deutschland, verlegen.

Jeder neue US-Präsident beauftragt nach Amtsantritt das Verteidigungsministerium, die Atomwaffendoktrin, -arsenale und -pläne der USA zu evaluieren und Konzepte für die Zukunft vorzuschlagen. Das Ergebnis, der »Nuclear Posture Review«, wird spätestens im zweiten Amtsjahr erstellt und in der Öffentlichkeit in Form einer zensierten Version bekannt.

Der NPR vom Februar 2018[5] verlieh der »erweiterten Abschreckung« Nachdruck. In Ergänzung zur »klassischen« Abschreckung – d.h. Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen als Antwort auf einen Atomwaffeneinsatz durch den Gegner – sollten Atomwaffen gegen »Unsicherheiten“ absichern und „einen großen, katastrophalen Großmachtkrieg“ verhindern. Eine große Diversität von Trägersystemen der »nuklearen Triade« (Bomber, U-Boote und ballistische Raketen bzw. Marschflugkörper), Atomwaffen unterschiedlicher Sprengkraft („maßgeschneiderter Ansatz“) und vielfältige Raketenabwehrsysteme sollten das „Überleben“ der USA auch in einem Atomkrieg sicherstellen.

Das Project 2025 …

Anders als im Trumps Wahlprogramm spielen Atomwaffen beim »Project 2025« durchaus eine Rolle. Im Rahmen des Projekts bereiten zahlreiche Organisationen (federführend und finanzstark die rechtskonservative Heritage Foundation) und Personen (darunter viele Mitarbeiter*innen der ersten Trump-Administration) seit mehr als zwei Jahren die erneute Übernahme der US-Präsidentschaft durch Donald Trump vor.[6] Eine Blaupause für die Maßnahmen ab Amtsbeginn am 20. Januar 2025 und für die Politik in den folgenden vier Jahren beschreibt das im vergangenen Jahr veröffentlichte, 920 Seiten starke »Playbook« unter dem Titel »Mandate for Leadership – The Conservative Promise«.[7]

Im Zentrum steht die (nukleare) Bedrohungen durch Russland, Nordkorea, Iran und insbesondere China, das seine Atomstreitkraft seit einiger Zeit erheblich und in raschem Tempo ausbaut. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit grundlegender „Reformen“ der nuklearen Triade.

Unter anderem werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen:

— die beschleunigte „Modernisierung“ von Trägersystemen und Atomsprengköpfen sowie die Erhöhung ihrer Zahl;
— Entwicklung und Bau eines U-Boot-gestützten Marschflugkörpers mit kleinerem Atomsprengkopf für den taktischen Einsatz, ergänzt um konventionelle Abstandswaffen oder „neue Sprengkopftypen“;
— prioritäre Produktion der neuen Interkontinentalrakete »Sentinel»;
— rasche Aufwuchsmöglichkeit für die Atomstreitmacht;
— „Wiederaufbau“ des gesamten Atomwaffenkomplexes, einschließlich der »Atomwaffenlabors«, u.a. um die Produktion von mehr Nuklearsprengköpfen und neuen Atombombentypen zu ermöglichen;
— jederzeitige Möglichkeit von Atomwaffentests auf der Nevada Test Site, um auf „asymmetrische technologische Überraschungen“ reagieren zu können;
— Verhandlungen über „Rüstungskontrollabkommen nur, wenn sie den Interessen der USA und ihrer Verbündeten dienen“, und wenn dies nicht gelingt, sich „auf den Wettbewerb vorzubereiten“, sprich: auf einen Rüstungswettlauf.

Erklärtes Ziel: „Die Atomstreitkräfte der USA so ausbauen und modernisieren, dass sie die Größe, die Ausgereiftheit und den Zuschnitt haben, um Russland und China gleichzeitig abzuschrecken.“

Klingt nicht neu? Ist das meiste auch nicht! Viele dieser Maßnahmen werden mit unterschiedlicher Intensität bereits vorangetrieben, lediglich die Entwicklung des U-Boot-gestützten nuklearen Marschflugkörpers wurde von der Biden-Administration vor zwei Jahren gestoppt; außerdem hatte sich die Biden-Regierung bemüht, das New-START-Abkommen, welches den USA und Russland maximal 1.500 strategische Atomsprengköpfe erlaubt, am Leben zu halten. Da New START im Februar 2026 ausläuft und weder von russischer noch von US-Seite der Wille zur Verlängerung zu erwarten ist, fällt dieser zentrale letzte Rüstungskontrollvertrag absehbar weg und ermöglicht das ungehemmte Wettrüsten.

… und die Atomwaffendoktrin für das 21. Jahrhundert

Heritage arbeitete in Erwartung einer neuen Trump-Regierung schon mal vor und veröffentlichte im Juli 2024 einen 61 Seiten umfassenden »Special Report«: »A Nuclear Posture Review for the Next Administration. Building the Nuclear Arsenal of the 21st Century«.[8]

Für „das nächste halbe Jahrhundert“ denkt Robert Peters, der Autor des Berichts, voraus. Sein Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass das aktuelle Abschreckungspotential angesichts der „Belagerung durch Autokraten in Beijing und Moskau“ nicht „glaubwürdig“ sei, da diese „mindestens nukleare Parität – und sehr wahrscheinlich einen Vorsprung“ anstrebten. Insbesondere China sei mit einer „atemberaubenden“ Aufrüstung (was übrigens stimmt!) nun auch auf dem Weg zum „ebenbürtigen“ Herausforderer. „Das können die Vereinigten Staaten nicht zulassen.“

Neben mehr nuklear bewaffneten U-Booten und mehr silogestützten strategischen Interkontinentalraketen würden auch eine „bescheidene“ Anzahl mobiler, d.h. fahrbarer und damit besser gegen eine Angriff gefeiter, strategischer Systeme sowie etwa 1.000 nuklear bewaffnete Marschflugkörper für strategische Bomber benötigt. Das nicht-strategische Atomwaffenarsenal (d.h. für »kleinere« Gefechtsfeldeinsätze) müsse dringend erweitert werden. Damit dies rasch möglich sei, sollten vorläufig Sprengköpfe aus der »Reserve« genommen werden. Mittelfristig, bis 2023, allerdings müsse der Atomwaffenkomplex für die Produktion von jährlich 200 nicht-strategischen Atomsprengköpfen der nächsten Waffengeneration fit gemacht werden.

Des Weiteren sei die Stationierung von mehr taktischen Atomwaffen in Europa sowie die erneute Stationierung im pazifischen Raum vorzusehen, ebenso die Ausweitung der nuklearen Teilhabe durch Partnerländer. Dabei diene die „erweiterte Abschreckung“ von Gegnern auch der Nichtverbreitung von Atomwaffen (genannt werden ausdrücklich NATO-Verbündete, Japan, Südkorea und Australien) – dieses Argument ist allerdings nicht neu und dient selbst im Falle Deutschlands schon lange als eine Begründung für die Stationierung von US-Atomwaffen in Büchel …

Ergänzend sollen Fähigkeiten zur Raketenabwehr ausgebaut und eine „integrierte Raketenabwehrarchitektur“ gewährleistet werden.

Die Kosten für dieses Aufrüstungsprogramm hält der Autor des Schatten-NPR für gerechtfertigt. „Letztlich kostet die Verhinderung eines Krieges zwischen Großmächten – insbesondere eines Atomkrieges – viel weniger als einen solchen Krieg tatsächlich zu führen.“ Außerdem drohten die USA ohne massive Aufrüstung binnen zehn bis fünfzehn Jahren in den Rang einer zweitklassigen Atommacht zurückzufallen, hinter die Autokratien Russland und China. Damit steige die Gefahr eines Atomkrieges.

Rüstungskontrolle hingegen sei aktuell keine Option: „Die globale Sicherheitsumgebung leistet vertragsbasierter Rüstungskontrolle oder anderen, nicht-vertragsbasierten Maßnahmen der Risikoverringerung oder Vertrauensbildung auf absehbare Zeit keinen Vorschub.“

Sicherheit durch nukleare Aufrüstung?

Der gesunde Menschenverstand sagt und die Erfahrung zeigt, dass Sicherheit nicht mit immer mehr Waffen, also mit Aufrüstung, erlangt werden kann. Die Weltuntergangsuhr stand vor 50 Jahren auf 12 Minuten vor 12, weil die USA und die Sowjetunion die ersten Verträge über strategische Abrüstung (SALT I und Raketenabwehrvertrag) unterzeichneten. Im Februar 2026 läuft das letzte verbliebene Rüstungskontrollabkommen, der New-START-Vertrag, aus, und die Weltuntergangsuhr steht schon vor dem erneuten Amtsantritt von Donald Trump auf 90 Sekunden vor 12.

Den Autor des Heritage-NPR ficht das nicht an: „Die Bedingungen für Abschreckungen durch Modernisierung und Aufwuchs des amerikanischen Atomwaffenarsenals zu schaffen, ist Voraussetzung, bevor die Vereinigten Staaten Rüstungskontrollvereinbarungen eingehen können, da die Vereinigten Staaten zuerst ein Arsenal stationieren müssen, das die Gegner an den Verhandlungstisch bringen kann.“

Die USA verfügen aktuell über etwa 5.000 Atomwaffen, vermutlich 1.770 davon sind jederzeit einsetzbereit. Schon diese Kapazität reicht aus, um die Erde zum größten Teil zu zerstören, Hunderte Millionen Menschen zu töten oder schwerstens zu verletzen sowie einen Klimaschock auszulösen, der Milliarden von Menschen den Hungertod bringen würde.

Leider steht zu befürchten, dass die Einflüsterer der Heritage Foundation und des Project 2025 demnächst nicht nur das Ohr des US-Präsidenten, sondern in seiner Administration auch einflussreiche Posten innehaben werden. Wie bringen wir ihnen bei, dass mehr Atomwaffen die USA und die Welt keineswegs sicherer machen und damit auch nicht in ihrem Interesse sind?

Regina Hagen ist eine Sprecherin des Aktionsbündnisses atomwaffenfrei.jetzt und im Coordinating Committee des globalen Netzwerks „Abolition 2000“.

Anmerkungen

[1] https://www.donaldjtrump.com/platform.

[2] Jackie Cabasso: Nuclear Weapons and the Presidential Elections. 29.9.2024, beyondnuclearinternational.org.

[3] Matthew J. Belvedere: Trump asks why US can’t use nukes, MSNBC,
3.8.2016, https://www.cnbc.com/2016/08/03/trump-asks-why-us-cant-use-nukes-msnbcs-joe-scarborough-reports.html.

[4] Bericht an das Board of Governors vom 27. Mai 2024; https://www.iaea.org/sites/default/files/24/06/gov2024-26.pdf.

[5] Nuclear Posture Review, February 2018, https://media.defense.gov/2018/feb/02/2001872886/-1/-1/1/2018-nuclear-posture-review-final-report.pdf.

[6] Zum »Project 2025« siehe z.B. Jon D. Michaels, Trumps tiefer Staat – Wie das »Project 2025« den autoritären Umbau plant. Blätter für deutsche und internationale Politik, August 2024; blaetter.de/ausgabe/2024/august/trumps-tiefer-staat.

[7] Paul Dans / Steven Groves (Hgg.): Project 2025: Mandate for Leadership, s3.documentcloud.org/documents/24088042/project-2025s-mandate-for-leadership-the-conservative-promise.pdf.

[8] Robert Peters: A Nuclear Posture Review for the Next Administration, Heritage Foundation Special Report, 30.7.2024, heritage.org/sites/default/files/2024-07/SR287.pdf.