IMI-Standpunkt 2024/14 (Update: 19.8.2024)

Militärausgaben 2025-2028: Rüstung außer Rand und Band

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 8. Juli 2024

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UPDATE: Nur kurz nach dem Kompromiss der Ampel-Spitzen hieß es aus den Reihen der FDP- und Grünen-Fraktion, man wolle beim Verteidigungshausalt sogar noch weiter „nachbessern„. Der nachfolgende Text wird dementsprechend aktualisiert, sobald weitere Details bekannt werden.

Nun liegen sie also vor, die ersten Zahlen für den Verteidigungshaushalt 2025 und insbesondere die für die Mittelfristige Finanzplanung, die jetzt bis 2028 und damit erstmals über die Laufzeit des Bundeswehr-Sondervermögens hinausreicht. Dabei bestätigen sich die schon länger vorhandenen schlimmsten Befürchtungen, dass der Militärhaushalt ab 2028 spektakulär erhöht werden soll, um auch ohne Sondervermögen Ausgaben in Höhe von mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) zu gewährleisten. Die Antwort auf die Frage, woher das Geld hierfür kommen soll, bleiben die Ampelpolitiker*innen bislang zumindest noch schuldig. Das hält sie aber nicht davon ab, mit Großbestellungen, deren Löwenanteile erst ab 2028ff. fällig werden, schon heute Fakten zu schaffen und so einer ohnehin relativ unwahrscheinlichen Rolle rückwärts bei der Rüstung von vorneherein jegliche Spielräume zu entziehen.

2%-Ziel: Nibelungentreue

Die Ampel-Regierung hat sich auf Gedeih und Verderb dem NATO-Ausgabenziel von mindestens 2 Prozent des BIP verschrieben. Wie alle anderen Bündnismitglieder stimmte sie der Abschlusserklärung des NATO-Gipfels in Vilnius vom Juli 2023 zu, in der es hieß: „Wir verpflichten uns dazu, jährlich mindestens 2 Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben [um] die neuen NATO-Verteidigungspläne und das Streitkräftemodell mit Ressourcen auszustatten.“ (Vilnius-Abschlusserklärung, Ziffer 27) Kurz darauf legte Kanzler Olaf Scholz gegenüber der Truppe nach, als er bei der Bundeswehr-Tagung vergangenes Jahr versicherte: „Wir werden dauerhaft diese zwei Prozent gewährleisten, die ganzen 20er-Jahre über, die 30er-Jahre. Diese Zusage gilt.“ (Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundeswehrtagung, 10.11.2023)

Unüberhörbar weist die Bundesregierung jeden der es wissen will darauf hin, das 2%-Ausgabenziel werde in diesem Jahr erstmals erreicht. Nach mehrfachen Erhöhungen vor allem bei den Waffenlieferungen an die Ukraine werden sich die deutschen Militärausgaben laut Schätzungen der NATO in diesem Jahr auf 90,58 Mrd. Euro summieren (2,12 Prozent des BIP). Die Summe setzt sich zusammen aus dem offiziellen  Verteidigungshaushalt von 51,95 Mrd. Euro, hinzu kommen 19,8 Mrd. aus dem Sondervermögen und 18,83 Mrd. Euro nach NATO-Kriterien (militärrelevante Ausgaben aus anderen Haushalten, v.a. für Waffenlieferungen an die Ukraine). Zieht man die NATO-Daten heran, so sind die deutschen Militärausgaben seit 2014 (37,74 Mrd. Euro) damit um knapp 250 Prozent gestiegen!

Haushalt 2025: Spin an der Grenze zu Fake News

Trotz der massiven Zugewinne scheint es interessierten Kreisen aus Politik, Rüstungsindustrie und Militär nie genug zu sein. Verfolgt man die aktuelle Berichterstattung über die Ampel-Einigung zum Verteidigungshaushalt 2025, so könnte man meinen, Verteidigungsminister Boris Pistorius sei kolossal über den Tisch gezogen worden. Überall springen einem Titel wie die „Bundeswehr erhält deutlich weniger Geld als erhofft“ (Business Insider, 5.7.2024), „Die Truppe ist größtenteils schockiert“ (Tagesschau, 7.7.2024), „Pistorius verliert heftigen Milliarden-Poker“ (Bild, 4.7.2024)  oder „Pistorius bezeichnet Haushaltseinigung als ‚ärgerlich‘“ (FAZ, 8.7.2024) ins Auge.

Tatsächlich hatte Pistorius im Vorfeld eine Erhöhung von rund 6,5 Mrd. Euro gefordert, die er in dieser Form nicht erhielt. Was er aber bekam, waren zusätzlich 1,3 Mrd. Euro (zunächst war von 1,2 Mrd. Euro die Rede). Bei einem geplanten Gesamthaushalt, der mit etwa 481 Mrd. Euro rund 8 Mrd. Euro unter dem des Vorjahres (inklusive Nachtragshaushalt) liegen soll, kann er sich aber eigentlich über den Anstieg gewiss nicht beklagen. Diese Zahlen flossen schlussendlich nach nochmaligen Verhandlungen in den Entwurf des Haushaltsgesetzes vom 16. August 2024 ein, über den das Parlament dann beraten wird.  

Damit soll der Verteidigungshaushalt auf 53,25 Mrd. Euro steigen, wobei nicht vergessen werden darf, dass auch im kommenden Jahr, nach Angaben der Bundesregierung rund 22 Mrd. Euro, aus dem Sondervermögen sowie 15 bis 20 Mrd. nach NATO-Kriterien hinzuaddiert werden müssen.

Showdown 2028

Ohne die Gelder aus dem – schuldenfinanzierten – Sondervermögen wäre die Bundeswehr vom Erreichen des 2%-Ausgabenziels meilenweit entfernt. Deshalb ist schon länger die Frage was passieren soll, wenn das Sondervermögen 2027 aufgebraucht sein wird. Die nun vorgelegte Mittelfristige Finanzplanung sieht für 2027 einen Verteidigungshaushalt von 53,5 Mrd. Euro (2026: 53,25 Mrd. Euro) vor. Schätzungen der Bundesregierung werden sich 2 Prozent des BIP im Jahr 2028 aber auf 97 Mrd. Euro belaufen (und die Bundeswehr hat vorsorglich schon einmal einen zusätzlichen Bedarf von noch einmal 10,8 Mrd. Euro angemeldet).

Vor diesem Hintergrund stellen sich zwei drängende Fragen: a) Soll dieses irrwitzig hohe Ausgabenniveau tatsächlich auch nach dem Sondervermögen beibehalten werden; und b) sollte dies der Fall sein, woher dann die Gelder stammen sollen – immerhin geht es hier um eine gigantische Deckungslücke. Nachdem die neue Mittelfristige Finanzplanung erstmals den Zeitraum nach dem Sondervermögen umfasst, ist nun die Antwort auf die erste Frage bekannt: „Es geht um eine starke Verteidigung und eine starke Bundeswehr. Deutschland wird das Zwei-Prozent-Ziel der Nato in jedem Jahr voll erfüllen. Von 2028 an, wenn das Sondervermögen komplett ausgegeben ist, wird der reguläre Verteidigungshaushalt 80 Milliarden Euro umfassen.“ (Pressekonferenz zum Haushalt 2025, 5.7.2024)

Zusammen mit den Ausgaben nach NATO-Kriterien könnte so das 2%-Ausgabenziel tatsächlich erreicht werden. Die Mittelfristige Finanzplanung sieht für den Allgemeinen Haushalt, aus dem der Löwenanteil der NATO-Kriterien stammt, für 2028 allerdings lediglich Ausgaben von rund 3 Mrd. Euro vor (2024: 46,7 Mrd. Euro; 2025: 42,2 Mrd. Euro; 2026: 26,3 Mrd. Euro; 2027: 31,3 Mrd. Euro). Es existiert also noch eine erhebliche Deckungslücke dabei ist noch nicht einmal klar, woher die Gelder zur Erhöhung des Verteidigunghaushaltes stammen sollen: „Auf welche Weise der Einzelplan 14 dann im Jahr 2028 auf 80 Milliarden Euro gesteigert werden soll, wird Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein.“ (hartpunkt.de, 5.7.2024) Es ist allerdings nicht so, als stünden hierfür jede Menge Optionen zur Verfügung: „Tatsächlich sind die Möglichkeiten überschaubar, die Lücke auf Dauer zu schließen: Schulden, Sparen, Steuererhöhungen – oder zumindest höhere Steuereinnahmen.“ (Spiegel Online, 7.7.2024)

In Teilen der Grünen und der Sozialdemokratie wird für eine neuerliche Aussetzung der Schuldenbremse, also eine Art Sondervermögen II geworben. Dafür bräuchte es aber die Zustimmung der Union, die dies (und auch Steuererhöhungen) ebenso wie die FDP bislang kategorisch ablehnt. Durch die uneingeschränkten Bekenntnisse zum 2%-Ausgabenziel haben sich SPD und Grüne aber hier – ob gewollt oder ungewollt, lässt sich schwer einschätzen – in eine katastrophale Verhandlungsposition hineinmanövriert. Denn sollten Union und FDP weiter Steuererhöhungen oder Schulden blockieren, haben sie sich des Druckmittels beraubt, sich in diesem Fall vom 2%-Ziel zu verabschieden. Es spricht also einiges dafür, dass sich diejenigen werden durchsetzen können, die dafür plädieren, die Gelder durch haushaltsinterne Umschichtungen („sparen“) aufzubringen – mit potentiell katastrophalen Folgen.

Handlungsdruck: Ungedeckte Schecks

Als weiteren Teilerfolg kann sich Verteidigungsminister Pistorius auf die Fahne schreiben, dass er auch künftig einen Freifahrtschein erhält, nahezu beliebig mit ungedeckten Schecks auf Einkaufstour zu gehen. Große Rüstungsprojekte haben häufig jahre-, wenn nicht gar jahrzehntelange Laufzeiten – auch die Bezahlung erfolgt dementsprechend meist gestaffelt. Das ist besonders dann ein Problem, wenn die künftig zu entrichtenden Gelder haushälterisch noch überhaupt nicht abgesichert sind und im Volumen immer weiter zunehmen. Beim Fachblog Augengeradeaus wird bereits von einem neuen „Rüstungs-Trend“ gesprochen: „Große Beschaffungen für die Bundeswehr werden durch den Haushaltsausschuss des Bundestages geschleust, ob für Panzer, Fregatten oder Munition. Den meisten Projekten ist eines gemeinsam: Damit werden Ausgaben gebilligt, die Jahre in der Zukunft erst im Haushalt fällig werden – auch wenn niemand bislang sagen kann, wie der Etat zum Ende des Jahrzehnts aussehen wird.“ (Augengeradeaus, 25.6.2024)

Dementsprechend hat die Zahl dieser sogenannten Verpflichtungsermächtigungen in den letzten Jahren stetig zugenommen, besonders in diesem Jahr wurde hier ordentlich erhöht: „Neben einer Vielzahl kleinerer Änderungen und der Anpassung an Bedarfe sind zudem Verpflichtungsermächtigungen in Milliardenhöhe ausgebracht worden […]. Diese Verpflichtungsermächtigungen sind teilweise als Anschlussfinanzierung ab 2028 für Projekte aus dem Sondervermögen Bundeswehr gedacht. Die Verpflichtungsermächtigungen in dem Etat liegen nunmehr bei 49,04 Milliarden Euro. Das sind 7,22 Milliarden Euro mehr als im Regierungsentwurf.“ (Heute im Bundestag 42/2024)

Es spricht vieles dafür, dass sich dieser Trend fortsetzen, ja wahrscheinlich sogar weiter beschleunigen wird: „Nach Informationen der WirtschaftsWoche arbeiten die Beamten im Berliner Bendlerblock im großen Stil an solchen Rüstungsbestellungen, deren Kosten weder durch das 100-Milliarden-Sondervermögen der Bundeswehr noch durch den laufenden Haushalt gedeckt sind. Koalitionskreise sprechen von Einkaufswünschen in Höhe von 28 Milliarden Euro, deren Finanzierung Stand heute völlig ungeklärt bleibe. […] ‚Das Klarna-Prinzip der deutschen Beschaffung: Heute kaufen, später bezahlen‘, erklärt ein Abgeordneter.“ (Wirtschaftswoche, 20.6.2024)

Frank  und frei räumte Verteidigungsminister Boris Pistorius auf Kritik an dieser Praxis ein, dass der Einkauf auf Pump nun zur gängigen Methode des Verteidigungsministeriums geworden ist: „Wir melden jetzt nicht an, was wir uns anhand der Kassen leisten können, sondern wir melden das an, was wir für die Verteidigungsfähigkeit des Landes brauchen und sehen dann, was wir durchkriegen, auch auf der Grundlage – das ist ein unverzichtbares und wichtiges Instrument – von sogenannten Verpflichtungsermächtigungen. Diesen Weg sind wir konsequent gegangen.“ (Europäische Sicherheit & Technik, 4.7.2024)

Kanonen statt Butter: Asoziale Debatte

Eiskalt beharrt Finanzminister Christian Lindner darauf, steigende Militärausgaben müssten haushaltsintern besonders durch Kürzungen bei den Sozialausgaben aufgebracht werden. Unterstützung erhält er hierfür zum Beispiel aus den Reihen der großen deutschen Wirtschaftsinstitute. So warb Clemens Fuest, der Präsident des ifo-Instituts, bereits vor einer Weile mit folgendem Spruch für höhere Militärausgaben: „Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter.“ (siehe IMI-Aktuell 2024/139) Kurz darauf sprang ihm Moritz Schularick, der Chef des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, zur Seite, der bei Spiegel Online, (28.3.2024) unter dem Titel „Wir müssen aufrüsten für den Wohlstand“ unter anderem „harte Budgetentscheidungen zwischen ‚Kanonen und Butter‘“ forderte. Und zuletzt schwadronierte der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, u.a. in der Welt (5.7.2024): „Der Sonderfonds für die Bundeswehr beträgt 100 Milliarden Euro. Das reicht nicht aus […] Wir benötigen eine Aufstockung auf 250 bis 300 Milliarden Euro. Nur so erreichen wir eine kriegstüchtige Ausstattung unserer Armee.“