IMI-Analyse 2024/19 - in: Ausdruck März 2024

Waffenproduktion statt Wohnungsbau?

Konflikt um Rüstungsproduktion - Diehl Defence und Pistorius ausgebremst

von: Hans-Achim Brand | Veröffentlicht am: 14. März 2024

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Das Handelsblatt vom 1. Dezember 2023 titelte: „Provinzposse gefährdet Granatenlieferung“.1 Die Rheinische Post fordert: „Stoppt Putins nützliche Idioten in NRW“.2 Was ist passiert? Am 28. November beschließt der Rat der Stadt Troisdorf auf Antrag der GRÜNEN mit den Stimmen der CDUund der LINKEN gegen die Stimmen der SPD und FDP, das Vorkaufsrecht auf ein circa 55 Hektar großes Betriebsgelände des ehemaligen Rüstungsunternehmens Dynamit Nobel auszuüben. Nach § 25 Baugesetzbuch kann eine Gemeinde zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung ein besonderes Vorkaufsrecht geltend machen. Bürgermeister Alexander Biber (CDU) erklärt, dass er verpflichtet sei, langfristig zu denken und „Schaden von den Bürgern dieser Stadt abzuwenden“3. Derartige Produktionsanlagen auf einem Areal mitten im Wohngebiet mit Kindergarten, Krankenhaus, Altenheim und an einer ICE-Trasse seien auf Dauer nicht mehr zeitgemäß. Für die Baugenehmigung des angrenzenden Kindergartens und des nahen Altenheims mussten schon die dort lagernden Sprengstoffmengen reduziert werden.

Konfliktpunkt ist die Erweiterung der Produktion von Zündern für Munition durch das Unternehmen DyniTec in der Innenstadt von Troisdorf, auf dem früheren Gelände von Dynamit Nobel. Der Stifter des Nobelpreises, Alfred Nobel, hatte das Unternehmen 1865 gegründet. 2004 wurde die Dynamit Nobel AG in einzelne Firmen zerschlagen und an verschiedene Unternehmen weiterverkauft. Dem Namen nach übrig geblieben sind u.a. die Dynamit Nobel GmbH Explosivstoff- und Systemtechnik (DNES) in Leverkusen, die Dynamit Nobel Defence (DND, heute im Besitz des israelischen Rüstungsunternehmens Rafael) in Burbach bei Siegen und eben die Firma DynITEC in Troisdorf. DynITEC ist ein Joint-Venture zwischen dem Diehl-Konzern, einer seiner Töchter, dem Uhrenhersteller Junghans und Rheinmetall. Junghans Defence verarbeitet die aus Troisdorf bezogenen Explosivstoffe und Detonatoren zu Zündern und Zündköpfen für Handgranaten, Artilleriegeschosse, Mörsermunition, Schulterwaffen, Bomben oder Flugkörper.

Der Beschluss des Stadtrates führt zu höchster Erregung in der Politik. Kriegsminister Boris Pistorius ist entsetzt und telefoniert mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Der zuständige Bereichsvorstand von Diehl Defence, Thomas Bodenmüller erklärt dem Handelsblatt „Es gebe weder einen alternativen Standort, noch einen anderen Hersteller“ und „somit ist durch die Infragestellung des Standorts Troisdorf letztendlich auch die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt.“4 Ende Dezember wird der Troisdorfer Bürgermeister in die Düsseldorfer Staatskanzlei einbestellt um Helmut Rauch, dem Vorstandsvorsitzenden von Diehl Defence, Rede und Antwort zu stehen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages stellt im Parlament eine Anfrage und konstatiert anschließend in der Sendung „Hart aber Fair“: „Es geht nicht um Troisdorf, es geht nicht mal um Deutschland, es geht um Europa, es geht um die Ukraine, es geht um uns alle, um das bloße Überleben.“5

Die Gewerkschaft IG Chemie und der Betriebsrat „setzen sich dafür ein, Diehl Defence den Kauf des Grundstückes zu ermöglichen und so den Produktionsstandort zu erhalten.“6 Die Gewerkschaft mobilisiert zur Sitzung des Stadtrats gut 50 Mitarbeiter, um gegen den Beschluss zu protestieren: Arbeitsplätze, nicht nur in Troisdorf, stünden vor dem Aus. Hersteller von Verteidigungstechnik seien ohne DynITEC „nicht produktionsfähig“, heißt es.7

Durch Umstellung auf Schichtbetrieb und Nutzung bisher leerstehender Gebäude soll angeblich die Zahl der Arbeitsplätze von 120 auf bis zu 400 verdreifacht werden. Sven Schlesiger, Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Stadtrat wendet sich direkt an die zuhörenden Beschäftigten: „Lassen Sie sich keine Angst machen“, angesichts des Fachkräftemangels fänden sie im Zweifelsfall schnell auch andere Arbeit.8 Hingegen stellt sich die SPD Troisdorf an die Seite der IG Chemie und des Rüstungskonzerns Diehl Defense: „Wir tragen der geopolitischen Lage durch die Produktion wichtiger Komponenten für Bundeswehr und NATO Rechnung.“9 Der ehemalige SPD Bundestagsabgeordnete Uwe Göllner aus Troisdorf ergänzt: „Munition wird in Troisdorf seit 125 Jahren produziert. Zu Zeiten von Monarchie und Diktatur war das keine Diskussion wert.“10

Dynitec GmbH in Troisdorf produziert Zünd- und Anzündmittel für das Militär, Explosivstoffe und elektronische Zündsysteme. Bei der Herstellung von Sprengmitteln können chemische Stoffe wie Hydrazinhydrat zum Einsatz kommen. Hydrazinhydrat ist laut Gefahrstoffverordnung ein akut toxischer, ätzender, entzündbarer, wassergefährdender Stoff. Er gehört zu der Gruppe der krebserregenden, erbgutverändernden und die Fortpflanzung beeinträchtigenden Substanzen. Lungen- und Nierenschädigungen sowie Leberentzündungen sind typische Krankheitssymptome. Bereits in den 1970er Jahren wurde Dynamit Nobel in Troisdorf von Mitarbeitern wegen der Vergiftung mit gesundheitsschädlichen und krebserregenden Substanzen verklagt. Anstatt die damals von der Gewerbeaufsicht verordneten Maßnahmen umzusetzen, wurde auf Zeit gespielt und letztendlich die betroffene Produktionsstätte stillgelegt.

125 Jahre chemische Produktion von Munition und Sprengstoffen hinterlassen Spuren. Entsprechend kontaminiert ist das Gelände. Gutachten zur Altlastensanierung des Geländes beziffern die Kosten auf 10 bis 40 Millionen Euro. Mit „blankem Entsetzen“ haben die Mitglieder der Bürgerinitiative Naturfreunde Troisdorf von den Plänen der Firma Diehl Defence erfahren, so Gerd Bücher vom Vorstand der Initiative.11 Teile der ehemaligen Produktionsstätten der Zündhütchenfabrik „Züfa“ beziehungsweise der Dynamit Nobel AG „gelten immer noch als extrem verseucht“.12 Diese Areale grenzen unmittelbar an den Spicher Wald als Landschaftsschutzgebiet. Auf der anderen Seite des Mauspfads beginne die Wahner Heide, die im Rahmen der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie in den Natura 2000 Katalog aufgenommen wurde und zudem als Vogelschutzgebiet anerkannt ist.

In einer Pressemeldung der Stadt Troisdorf vom 14. Dezember 202313 wird festgestellt, dass eine deutlich vergrößerte Rüstungsfabrik mitten in der Stadt mit Zweidrittel-Mehrheit des Rates abgelehnt wird. Die Fläche soll nach einer Sanierung für Gewerbegebiete und in Randbereichen für die Schaffung von Wohnraum genutzt werden. Bis zur Fertigstellung dieser Pläne soll die Stadtverwaltung eine Veränderungssperre für die Flächen verfügen. Damit können durch den derzeit diskutierten Verkauf des Geländes und die damit verbundenen Investitionen keine Fakten geschaffen werden. „Der Stadtrat bekommt Handlungsfreiheit und kann in Ruhe über die mittel- und langfristige Nutzung dieser wertvollen Fläche in der Innenstadt entscheiden“, betont Fraktionsvorsitzender Thomas Möws. „Die GRÜNEN wollen hier vor allem Wohnraum schaffen, den wir in Troisdorf dringend benötigen.“14 Der Stadtrat möchte verhindern, dass riesige Teile des Dynamit Nobel Areals für immer brachliegende Abstandsflächen einer Rüstungsfabrik bleiben.

Das überregionale Friedensbündnis gegen die Pläne von Diehl Defence schreibt: „Während in Deutschland und der Welt die Rüstungsausgaben ständig weiter steigen und scheinbar kein Limit kennen, leben immer mehr Menschen in Armut. Gestiegene Energiekosten, spürbar teurere Lebensmittelkosten und immer höhere Wohnungskosten machen vielen Menschen zu schaffen. In Troisdorf spüren die Menschen besonders wie bizarr diese Situation ist. Während dringend Wohnungen, möglichst auch mit Sozialbindung, gebaut werden müssen, um dem Wohnungsmangel entgegen zu treten, gibt es mitten in Troisdorf eine große Waffenfabrik die durch Abstandsbestimmungen eine weitere Wohnungsbebauung verhindert. Durch eine Vergrößerung der Fabrik wird diese Abstandsbestimmung sogar noch erweitert. Rüstungsfirmen wie Diehl Defence nehmen Städte wie Troisdorf in Geiselhaft und wollen diesen Zustand zementieren.“15

Anmerkungen:

1 Handelsblatt, 1.12.2023.

2 Rheinische Post, 2.12.2023.

3 Kölner Stadt-Anzeiger, 16.12.2023.

4 Handelsblatt, 1.12.2023.

5 ARD, Hart aber fair, Sendung vom 11.12.2023.

6 IG BCE, DynITEC: Für den Erhalt tarifgebundener Arbeitsplätze, 9.11.2023.

7 Kölner Stadt-Anzeiger, 30.11.2023.

8 Ebenda.

9 SPD Troisdorf, Langfristig den Standort sichern, 29.11.2023.

10 General-Anzeiger, 7.12.2023.

11 Kölner Stadt-Anzeiger, 26.10.2023.

12 Ebenda.

13    Pressemeldung Stadt Troisdorf, Zur aktuellen Diskussion um das frühere Dynamit Nobel Gelände, 14.12.2023.

14 GRÜNE Troisdorf, Troisdorfer GRÜNE wollen Wohnbebauung auf dem DN-Gelände, 1.11.2023

15    Keine Munitionsfabrik in Troisdorf, Flugblatt Januar 2024.