IMI-Analyse 2024/15 - in: Ausdruck März 2024

Waffenlieferungen, Gefahren und Folgen

Politische und ökonomische Interessen

von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 13. März 2024

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„Zeitenwende“ – unter diesem Schlagwort fasst die deutsche Bundesregierung zahlreiche, teils grundlegende, Neujustierungen in der deutschen Außenpolitik zusammen. In Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 änderte sich dabei auch die Rüstungsexportpolitik. „Die Zeitenwende hat die Bundesregierung außerdem dazu veranlasst, einen seit Jahrzehnten bestehenden, fest etablierten Grundsatz deutscher Politik in Bezug auf Rüstungsexporte zu überdenken. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte Deutschlands liefern wir heute Waffen in einem Krieg zwischen zwei Staaten.“ Mit diesen Worten erklärt Bundeskanzler Olaf Scholz die Ausrichtung der Politik seiner Regierung. Wenig überraschend hat er in Bezug auf die Rüstungsexportpolitik der Vergangenheit Erinnerungslücken, so liefert Deutschland keineswegs erstmalig Waffen an kriegführende Staaten. Saudi-Arabien und die Türkei, um zwei prominente Beispiele zu nennen, konnten sich auch in der Vergangenheit bei ihren Angriffen auf Jemen oder auf kurdische Einrichtungen im Irak und in Syrien auch auf Rüstung made in Germany stützen. Dennoch gibt es im Zuge der „Zeitenwende“ zumindest quantitativ und rhetorisch eine deutliche Veränderung in der deutschen Rüstungsexportpolitik. Im Folgenden will ich sowohl darauf eingehen, warum Rüstungsexporte grundsätzlich ein Problem darstellen, als auch erörtern, aufgrund welcher Interessen sie dennoch stattfinden und welche weitreichenden Folgen diese Praxis hat.

Warum Waffenhandel problematisch ist

Rüstungsgüter sind keine Handelsware wie jede andere. Man verkauft damit die Möglichkeit zu töten, zu verstümmeln oder zumindest damit zu drohen. Bei einem Verkauf stellt sich somit auch die Frage einer eventuellen mittelbaren oder unmittelbaren Beihilfe oder auch Mittäterschaft. Es geht um die Ermöglichung von Kriegen, Bürgerkriegen, Vertreibung oder Unterdrückung. Mit deutschen Waffen werden (Staats-)Kriminalität, Ausbeutung, Raub von Land und anderen Ressourcen möglich oder zumindest „effektiver“ und damit wahrscheinlicher. Hochrüstung ermöglicht umfassende Abschottung und sie fördert Korruption. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Es gibt ebenfalls eine ganze Reihe struktureller Auswirkungen von Rüstungshilfe für eine oder mehrere (potentielle) Kriegsparteien. Wenn Ressourcen eines Staates vor allem ins Militär fließen, dann schwächt das zivile Alternativen. Oder in anderen Worten: „Wenn mein einziges Werkzeug ein Hammer ist, dann sieht jedes Problem aus wie ein Nagel.“ Der Einstieg in Kriege oder das Festhalten an Kriegen erscheint dann schnell alternativlos. Verhandlungen und andere diplomatische Schritte werden dabei an den Rand gedrängt oder gleich als Unterstützung des jeweiligen Gegners diffamiert – wie wir es zurzeit in der Ukraine erleben. Waffenlieferungen an die Ukraine abzulehnen, ist nicht gleichbedeutend mit „Zusehen bis Putin gewinnt“, sondern das Aufgreifen und intensive Verfolgen der längst auf dem Tisch liegenden diplomatischen Verhandlungslösungen. Dass gerade die engsten Verbündeten der Ukraine öffentlich deutlich signalisieren, dass sie kein Interesse an einer diplomatisch ausgehandelten Friedenslösung haben, trägt wesentlich zur Verlängerung des Krieges bei – für den die Menschen in der Ukraine einen enorm hohen Preis bezahlen. Jede Waffenlieferung ist somit auch ein politisches Signal.

Rüstungsproduktion und Rüstungstransfers fördern die Gefahr eines Wettrüstens sowohl regional als auch global. Spannungen werden verstärkt. Jedes neue Waffensystem kann ein Baustein sein in der Zerstörung von Menschenleben und Umwelt bis hin zur Möglichkeit der vollständigen Auslöschung der gesamten Lebensgrundlage aller Menschen. Rüstungskontrolle ist ein Hebel, die Eskalation zu stoppen und gegenzusteuern, doch die zunehmende Aufkündigung von Abrüstungsverträgen und das Brechen von Regeln der Exportpolitik unterminieren die Bemühungen um Rüstungsbegrenzung nachhaltig.

Darüber hinaus nimmt die Proliferation von Rüstungs-Knowhow bedenklich zu. Auch die jeweiligen Gegner der Empfänger von Rüstungsexporten „profitieren“ für ihre eigene Produktion etwa durch erbeutete moderne Waffensysteme. So sorgen abgestürzte Drohnen ´regelmäßig dafür, dass ihre Technologie ihren Weg zu allen Kriegsparteien findet. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Krieg im Syrien, in dem schlussendlich selbst ökonomisch eher schwache Bürgerkriegsfraktionen im Besitz von selbstgebauten Killerdrohnen waren. Generell verbleiben Waffen selten am gewünschten Orten, um dort zu den jeweils gewünschten Zielen eingesetzt zu werden.

Auch lange nach Ende eines Konfliktes entfalten Waffen ihre tödliche Wirkung, durch die erwähnte Proliferation in andere Regionen, durch nichtexplodierte Sprengkörper aber auch durch den Verbleib außerhalb von militärischen Verbänden. So nutzt die organisierte Kriminalität hierzulande immer noch Waffen aus dem Jugoslawienkrieg.

Die Interessen der Rüstungsindustrie

Die Rüstungswirtschaft ist ein Sektor mit hoher Korruptionsgefahr. Das ist im Kern nicht verwunderlich, geht es doch um öffentliche Gelder in Milliardenhöhe und entsprechende private Gewinne. Auch wenn es nicht immer um illegale Machenschaften geht, so sind die hohen Summen, die im Spiel sind, Anreiz für eine intensive Lobbytätigkeit der Rüstungsindustrie bei den politischen Entscheidungsträger:innen. Diese starke politische Einflussnahme ist schlussendlich auch eine Gefahr für die Demokratie. Diese wächst weiter, je mehr Geld in diesen Bereich investiert wird.

Wer glaubt Deutschland wäre davor gefeit, der irrt. In der Vergangenheit wurde immer wieder Fälle bekannti, bei denen deutsche Unternehmen Rüstungsgeschäfte mit illegalen Mitteln auf den Weg gebracht haben. Zudem wurden nach Aussage des Rechnungshofes beim Bundesamt für Beschaffung aktuell in 450 Fällen die eigenen Regeln zur Korruptionsbekämpfung gebrochen. Bei noch mehr Rüstungsprogrammen und seit letztem Jahr gelockerten Regeln (Beschaffungsbeschleunigungsgesetz) wächst die Korruptionsgefahr deutlich. Je stärker die (Wirtschafts-)macht der Rüstungsindustrie wird umso stärker wird ihr politischer Einfluss und sie entwickelt sich entsprechend zu einem Problem für die Demokratie.

Rüstungsgüter in Kriegsregionen zu liefern bringt auch einen unschätzbaren – wenn auch zynischen – Vorteil für die eigene Aufrüstung. Beim Einsatz von Waffensystemen werden deren Schwachstellen sichtbar. Dieses Wissen kann wiederum für die Optimierung der Systeme genutzt werden. Damit wird „battle tested“ (kampferprobt) zum verkaufsfördernden Argument. Diese Verkaufsförderung ist aus Sicht der Rüstungsindustrie und der Politik notwendig, da nur in der Mischung aus nationaler Nachfrage und Export die Stückzahlen zustande kommen, die Rüstungsproduktion erst rentabel machen.

Die politischen Interessen

Gerne wird in Talkrunden auf die Bedeutung der Rüstungswirtschaft und der damit verbundenen Arbeitsplätze und für die deutsche Wirtschaftsleistung verwiesen. Schon allein die Tatsache, dass Rüstungsexporte weniger als 1 Prozent der gesamten Exporte ausmachen zeigt, dass hier nicht der wesentliche Motor für die fehlende Bereitschaft zum Stopp der Waffenausfuhren liegt. Eine Handreichung des Wirtschaftsministeriums fasst die außenpolitische Bedeutung der Rüstungsexporte gut zusammen: „Rüstungsexporte sind kein Mittel der Wirtschaftspolitik. Ob Rüstungsexporte genehmigt werden, hängt in jedem Einzelfall von außen- und sicherheitspolitischen Erwägungen ab. Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen.“2

Rüstungsexporte ermöglichen politische Einflussnahme. Sie verschieben Kräftegleichgewichte in Regionen und sie schaffen Abhängigkeiten etwa indem die Empfängerländer auf das Knowhow des Ursprungslandes bezüglich der Wartung und der Lieferung von Ersatzteilen angewiesen sind. Auch Munitionslieferungen können bei laufenden Konflikten (siehe Ukraine) wesentliche Unterschiede machen, indem sie je nach Interesse entweder verweigert oder deutlich verstärkt werden. Die ökomischen Vorteile, die eine teils über Jahrzehnte bestehende technologische Abhängigkeit nach sich zieht, sind wirtschaftspolitisch selbstverständlich auch erwünscht – aber wie bereits erwähnt, nicht ausschlaggebend.

Es ist somit offenkundig, dass Rüstungsexporte bewusste machtpolitische Entscheidungen darstellen. Die regierungsnahe Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) fordert dazu auf, diese Form der Machtpolitik zukünftig noch systematischer zu betreiben und entsprechende regionale Strategien zu entwickeln: „Eine nach Sicherheitslage und -Interessen differenzierte Länder- und Regionalstrategie würde es erlauben, Rüstungsexporte explizit als Mittel politischer Einflussnahme in die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik einzubetten. Sie wäre Grundlage für rüstungsexportpolitische Bewertungen und öffentliche Begründungen. Die Strategie müsste Risiken und Chancen abwägen.“3

Was die DGAP einfordert, gibt es jedoch längst. In Folge des Arabischen Frühlings entwickelte die damalige deutsche Regierung das sogenannte „Gestaltungsmächte-Konzept“. Mit diesem wurde begründet, warum trotz eklatanter Missachtung der Menschenrechte in den Empfängerländern (z.B. Algerien oder die Golfstaaten) verstärkt Rüstungsgüter exportiert wurden: „[Gestaltungsmächte sind Länder, die] im regionalen oder internationalen Vergleich eine hohe Wirtschaftskraft oder hohe wirtschaftliche Wachstumsraten aufweisen (…), einen starken Gestaltungswillen in verschiedenen Politikbereichen zum Ausdruck bringen und denen darüber hinaus durch ihre einflussreiche Rolle oder ihre innerstrukturellen Eigenschaften mittel- bis langfristig eine zentrale Bedeutung für die Gestaltung regionaler Prozesse (…) zukommt.“4

Infolge dieser Strategie nahm der Umfang der Rüstungsexporte nach Algerien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Saudi-Arabien ab 2011 deutlich zu. So wurden etwa nach Algerien im Zeitraum 2011 bis 2019 Rüstungsgüter im Wert von 6,3 Milliarden Euro geliefert.

Auch in den zwei aktuellen Kriegsregionen Ukraine und Israel spielen deutsche Waffen eine wesentliche Rolle. Das führte zu Rekordhöhen bei den Exportgenehmigungen im Jahr 2023.

Im Jahr 2023 erteilte die Bundesregierung Einzelgenehmigungen für den Export von deutschen Rüstungsgütern im Wert von etwa 12,2 Milliarden Euro. Im Jahr 2022 waren es noch 8,33 Milliarden. Dieser Anstieg geht überwiegend auf die Exporte in die Ukraine zurück. Aber auch andere Regionen wurden mit deutschen Waffen bedacht. So stiegen die Rüstungsexporte nach Israel im Verhältnis zum Vorjahr auf das 10fache. Die meisten Genehmigungen wurden nach Ausbruch des Krieges gegen Gaza genehmigt. Es ist davon auszugehen, dass die an Israel gelieferte Munition für Maschinengewehre ebenso wie die Panzerabwehrwaffen auch in Gaza zum Einsatz kommen. Noch stärker als im Nahen Osten ist wohl der Einfluss deutschen Rüstungslieferungen an die Ukraine, die von Kampfpanzern über Artillerie und Waffensysteme für den Luftkampf nahezu alles umfassen, was eine moderne Armee zum Einsatz bringen kann.

Einer der letzten offenen Punkte auf der Wunschliste sind die Taurus Marschflugkörper, bei deren Lieferung die Bundesregierung aus gutem Grund zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels noch zögert. Die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern nach Südkorea hatte vor einigen Jahren bereits zu einer deutlichen Zunahme der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel geführt. Die koreanischen Medien bezeichneten das Waffensystem Taurus als „das am meisten gefürchtete Raketensystem der deutschen Streitkräfte“ (Daily Star). 5 Das liegt einerseits an der Reichweite von 500 Kilometern und der Fähigkeit zu sogenannten „Enthauptungsschlägen“ – also Angriffen auf die Kommandostrukturen der jeweiligen Gegner. Taurus kann so programmiert werden, dass zuerst mehrere meterdicke Bunkerdecken durchbrochen werden, bevor die eigentliche Sprengladung mit dem Namen „Mephisto“ das gewünschte Ziel zerstört. Ob dies der ukrainischen Armee tatsächlich den entscheidenden Durchbruch bringen würde, darf dennoch hinterfragt werden. Garantiert würde es aber die Spannungen und die Gefahr einer weiteren Eskalation signifikant vergrößern. Einmal abgesehen davon, dass so die Wahrscheinlichkeit für einen Verhandlungsfrieden noch weiter sinkt.

Ausblick

Die politische Entscheidung für eine militarisierte Zeitenwende bedeutet, dass die wesentlichen Menschheitsaufgaben nicht gelöst werden können. Zunehmend fehlen global die Finanzmittel zur Erreichung der „Nachhaltigen Entwicklungsziele“ (SDGs – sustainable development goals). Genauso fehlt das Geld zur erfolgreichen Bekämpfung der Klimakrise.

Verschärft wird dies durch die Tatsache, dass es keine ökologische Rüstungswirtschaft gibt. Wer Panzer, Kriegsflugzeuge und Kriegsschiffe baut, braucht dafür Stahl und andere wertvolle Rohstoffe.

Die Verfügbarkeit von Panzerstahl gibt es nicht ohne Hochöfen. Diese wiederum sind äußerst energieintensiv. Die Herstellung einer Tonne Rohstahl setzte etwa 1,7 Tonnen an CO2-Emissionen frei. Angesichts der Pläne von massiven Investitionen in die militärische Hardware wie Panzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe wird die ohnehin schon hohe Umweltbelastung durch das Militär mittelfristig noch weiter steigen. Wenn hier nicht umgesteuert wird, dann reichen Energieeinsparungen in zivilen Sektoren nicht aus, um das Klima zu retten. In anderen Worten: Wir können entweder die Klimakatastrophe bekämpfen oder aufrüsten. Wer mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgibt, der hat das 1,5 Grad-Ziel aufgegeben.

Anmerkungen:

1 Korruption bei deutschen Rüstungsexportgeschäften – Das Beispiel Griechenland, Vortrag von Otfried Nassauer bei der Veranstaltung „Wie geschmiert: Deutsche Rüstungsgeschäfte mit Griechenland und die Korruption“ Berlin, 30.Juni 2015.

2 Bundesministerium für Wirtschaft: Hintergründe und Aktuelles. Handreichung zum Rüstungsexport – Zwischenbericht 2014.

3 Dr. Claudia Major, Dr. Constanze Stelzenmüller, Dr. Christian Mölling, Aktionsplan Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Was Deutschland für Sicherheit, Verteidigung und Frieden tun muss, DGAP-Bericht, 20.9.2021.

4 Globalisierung gestalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen, auswaertiges-amt.de, 2012, S.5..

5 Zitiert nach Südkorea baut „Tötungs-Kette“ mit deutschen Taurus-Bomben, Die Welt, 11.8.2016.