IMI-Analyse 2024/17 - in: Ausdruck März 2024

Europäische Rüstungsfinanzierung

Mit EDIS und EDIP in die Kriegswirtschaft?

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 13. März 2024

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Runde I: EVF und EFF

Dass EU-Haushaltsgelder überhaupt für Rüstungszwecke verwendet werden, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Schließlich verbietet Artikel 41 (2) des EU-Vertrages für Maßnahmen der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP), „Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Haushalt zu bestreiten (siehe z.B. AUSDRUCK Februar 2019).

Schon seit vielen Jahren wurde dieses Verbot zumindest teilweise unterlaufen, etwa über die Finanzierung militärrelevanter Sicherheitsforschung oder die Zweckentfremdung von Entwicklungshilfe.1 Der endgültige Schritt über den Rubikon war aber die Einrichtung des „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF). Dabei handelt es sich um einen für die Jahre 2021 bis 2027 mit zunächst rund 8 Mrd. Euro befüllten Topf, mit dem die Erforschung und Entwicklung länderübergreifender Rüstungsprojekte aus dem EU-Haushalt finanziert werden kann. Im Februar 2024 wurde das EVF-Budget noch einmal um 1,5 Mrd. Euro aufgestockt. Trotz erheblicher rechtlicher Vorbehalte und einer bis heute beim Bundesverfassungsgericht herumliegenden Klage der früheren Linksfraktion wähnt sich die Kommission juristisch auf der sicheren Seite. Sie greift dabei auf den Trick zurück, den EVF (und fast alle später beschlossenen Fonds) als Maßnahmen der Industriepolitik zu erklären, wodurch sie nicht unter das Verbot von Artikel 41(2) fallen würden.2

Ein zweiter Topf, der vor allem in jüngster Zeit immer weiter an Bedeutung gewann, ist die „Europäische Friedensfazilität“ (EFF). Sie dient der Finanzierung von EU-Militäreinsätzen und der Aufrüstung befreundeter Akteure, wofür ursprünglich 5,7 Mrd. Euro zwischen 2021 und 2027 vorgesehen waren. Die EFF wurde bewusst als haushaltsexternes Finanzinstrument konzipiert, wodurch sie nicht Teil des EU-Haushalts ist. Stattdessen wird sie separat mit Geldern der Einzelstaaten befüllt, weshalb auch sie nach Auffassung der Kommission nicht von Artikel 41(2) des EU-Vertrages betroffen ist (siehe AUSDRUCK Juni 2021). Seit dem russischen Angriff entwickelte sich die EFF schnell zum zentralen europäischen Finanzierungsinstrument für Waffenlieferungen an die Ukraine, weshalb immer wieder Gelder nachgeschossen werden mussten. Zuletzt wurde der Betrag im Juni 2023 auf rund 12 Mrd. Euro angehoben. Im Raum steht zudem die Forderung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, bis 2027 über die Friedensfazilität weitere 20 Mrd. Euro für Waffen an die Ukraine zu mobilisieren.3

Runde II: ASAP und EDIRPA

Im Juli 2023 trat dann als Teil des EU-Munitionsplans die „Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Förderung der Munitionsproduktion“ (engl. ASAP) in Kraft. Mit insgesamt 1 Mrd. Euro, 500 Mio. aus dem EU-Haushalt und ebensoviel von den Mitgliedsstaaten, sollen Maßnahmen wie die „Optimierung, Modernisierung, Verbesserung oder Umwidmung vorhandener oder die Schaffung neuer Produktionskapazitäten in diesem Bereich [Munitionsproduktion] sowie die Schulung von Personal“ unterstützt werden. Zeitlich ist das als Mittel der Industriepolitik deklarierte Instrument bis Ende 2025 befristet, finanziell geht es noch um relativ überschaubare Beträge und das Ganze ist bislang auch auf die Munitionsproduktion beschränkt. Aber dennoch greift die EU damit direkt als Akteurin in den Rüstungsproduktionsprozess ein, weshalb Industriekommissar Thierry Breton zu Protokoll gab: „[Der Munitionsplan ist] beispiellos [und] zielt darauf ab, mit EU-Geldern den Ausbau unserer Verteidigungsindustrie für die Ukraine und für unsere eigene Sicherheit direkt zu unterstützen […]. Um die Ukraine kurzfristig zu unterstützen, müssen wir weiterhin aus unseren Beständen liefern. Aber wir müssen auch die derzeitige Produktion neu priorisieren und sie vorrangig in die Ukraine leiten. […] Aber wenn es um die Verteidigung geht, muss unsere Industrie jetzt in den Kriegswirtschaftsmodus wechseln.“4

Als vierter zentraler Rüstungstopf existiert schließlich seit Oktober 2023 das „Instrument zur Stärkung der Europäischen Verteidigungsindustrie durch Gemeinsame Beschaffung“ (engl. EDIRPA). Mit EDIRPA wird es nun erstmals möglich, länderübergreifende Rüstungsbeschaffungsmaßnahmen mit insgesamt 300 Mio. Euro aus dem EU-Haushalt zu bezuschussen (zwischenzeitlich waren deutlich größere Beträge im Spiel). Wie schon EVF und ASAP tarnt die Kommission auch EDIRPA als industriepolitische Maßnahme, obwohl auch hier der Ausbau militärischer Kapazitäten klar im Vordergrund steht. Auch wenn es hier ebenfalls erst einmal um vergleichsweise überschaubare Beträge mit einer Befristung bis Ende 2025 geht, gelang damit ein weiterer Türöffner, wie Michael Gahler (CDU), der außenpolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, betont: „Die heutige Abstimmung markiert einen historischen Moment für die EU-Verteidigung und schafft das erste EU-Instrument für die gemeinsame Beschaffung durch die Mitgliedstaaten. […] Angesichts einer historischen Krise kann EDIRPA jedoch nur ein Ausgangspunkt für eine weitaus ehrgeizigere gemeinsame Verteidigungsagenda sein.“5

Runde III: EDIS und EDIP

Trotz ihres bahnbrechenden Charakters sind ASAP und EDIRPA wegen ihrer diversen Beschränkungen noch nicht der ganz große Wurf. Aus diesem Grund wollte die EU-Kommission ursprünglich schon im November 2023 sowohl eine Strategie für die Verteidigungsindustrie (engl. EDIS) und ein Verteidigungsinvestitionsprogramm (engl. EDIP) vorlegen, mit denen die EU-Länder künftig „Fähigkeiten gemeinsam industrialisieren, erwerben und sogar betreiben“ können sollen, so Industriekommissar Thierry Breton.6

Insgesamt hält sich die Kommission mit Informationen über beide Vorhaben bedeckt (zuletzt war von einem Veröffentlichungstermin nach dem Redaktionsschluss dieser Ausgabe die Rede). Über EDIS sollen aber wohl vor allem die Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie „verbessert“ werden: „Das Problem, das wir haben, ist, dass wir jetzt unsere Produktionskapazitäten erhöhen müssen, vielleicht mit einem Paradigmenwechsel in der Verteidigungsindustrie“, so Breton. „Wir müssen in der Lage sein, zu intervenieren, um sicherzustellen, dass wir den Herstellern helfen, die Produktion zu steigern, auch wenn sie die Verträge noch nicht haben – wir sind bereit, einen Teil des Risikos zu übernehmen. […] Manchmal muss man wissen, wie man es anstellen muss, um die Kapazitäten der Industrie zu erhöhen, damit sie immer in der Lage ist, den Bedarf zu decken, indem man das Wirtschaftsmodell der Industrie ändert, auch in Bezug auf Rentabilität und Risikobereitschaft.“7

Geplant sind zum Beispiel eine Erfassung vorhandener Produktionsfähigkeiten, das permanente Vorhalten zusätzlicher Produktionskapazitäten sowie bei Lieferengpässen kritischer Rohstoffe eine Art Vorfahrt für die militärische vor der zivilen Nutzung kritischer Materialien.8 Außerdem wird in einem EDIS-Vorbereitungspapier der Kommission unter anderem auch über Maßnahmen folgender Art nachgedacht: „Weitere Beispiele sind Lagerbestände an Wartungs- und Reparaturmaterial, kritischen Ersatzteilen, Munition, Reserven, flexiblen Produktionskapazitäten sowie die Zusammenlegung und gemeinsame Nutzung spezifischer industrieller Kapazitäten.“9

Die Idee für ein EDIP tauchte bereits relativ früh in einer Kommissionsmitteilung im Mai 2022 auf. Im Kern steht seither die Idee, dass sich mehrere Mitgliedsstaaten zum Konsortium für Verteidigungsfähigkeiten (engl. EDCC) zur gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern zusammenschließen. Die dabei erworbenen Waffen sollen sowohl aus dem EU-Haushalt bezuschusst als auch von der Mehrwertsteuer befreit werden: „[EDCC] beschaffen gemeinsam Verteidigungsfähigkeiten zur Nutzung durch die beteiligten Mitgliedstaaten, die in der EU in Zusammenarbeit entwickelt werden und für eine Mehrwertsteuerbefreiung infrage kommen. […] Die Mehrwertsteuerbefreiung würde auch für den Betrieb, die Wartung und die Stilllegung gelten, die während des gesamten Lebenszyklus von Verteidigungsgütern mit erheblichen Kosten verbunden sind.“10 Die Hoffnung der Kommission ist es augenscheinlich, damit eine neue Sprosse auf der Militarisierungsleiter zu erklimmen: „Die EDIP-Verordnung könnte als Dreh- und Angelpunkt für künftige gemeinsame Entwicklungs- und Beschaffungsprojekte von hohem gemeinsamen Interesse […] dienen, insbesondere bei Projekten, die kein Mitgliedstaat allein entwickeln oder beschaffen könnte.“11

Der eigentliche Clou an EDIP ist die vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung, da es bei der direkten Bezuschussung zunächst einmal um relativ überschaubare Beträge geht – die Rede ist von 1,5 Mrd. bis maximal 3 Mrd. Euro in den nächsten zwei bis drei Jahren. Doch die Erfahrung lehrt, dass es dabei nicht bleiben wird.

Runde IV: EU-Rüstungstopf?

Unklar ist, in welcher Giftküche der Vorschlag für einen umfassenden EU-Rüstungstopf maßgeblich zusammengekocht wurde. Schon im Sommer letzten Jahres wurde aber zum Beispiel im Flaggschiff des deutschen außenpolitischen Establishments, der „Internationalen Politik“, Folgendes gefordert: „Höhere Verteidigungsausgaben, gemeinsame Waffenlieferungen für die Ukraine, neue EU-Rüstungsinitiativen und ein klares, gemeinsames Bekenntnis zur Bündnis- und Landesverteidigung: Die Europäer haben ihre Verteidigungszusammenarbeit seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg zwar deutlich vertieft – doch für eine wirkliche Verteidigungswende bedarf es mehr. […] Die Schaffung eines schuldenfinanzierten EU-Sondervermögens nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds mag derzeit ebenfalls unrealistisch erscheinen. Dies könnte aber im Zuge der Diskussionen rund um den nächsten EU-Haushalt erneut in Erwägung gezogen werden. Die US-Präsidentschaftswahlen 2024 könnten den nötigen Anstoß geben.“12

Ende November 2023 wurde dann berichtet, diese Idee werde inzwischen in Brüssel eifrig diskutiert: „Europa hat die Möglichkeit eines Trump-Comebacks lange verdrängt, doch inzwischen lässt sich das Risiko nicht länger leugnen. Hinter verschlossenen Türen wird in Brüssel deshalb diskutiert, einen neuen Milliardenfonds aufzulegen – nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbauplans ‚Next Generation EU‘. Der entscheidende Unterschied: Dieses Mal sollen die Mittel nicht in Klimaschutzmaßnahmen, sondern in die Aufrüstung fließen.“13

Mittlerweile wird die Idee auch von höchsten Stellen unterstützt, besondere Beachtung fand dabei die am 9. Januar 2024 erfolgte Äußerung von Industriekommissar Thierry Breton, die er im Zusammenhang mit der geplanten Vorstellung von EDIS und EDIP tätigte – sogar ein genaues Preisschild lieferte er gleich mit: „Um sicherzustellen, dass die gesamte Industrie mehr und mehr zusammenarbeitet, brauchen wir Anreize […]. Ich glaube, dass wir einen riesigen Verteidigungsfonds brauchen, um zu helfen, ja sogar zu beschleunigen. Wahrscheinlich in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro […]. Nehmen wir an, Sie arbeiten zusammen, so wie wir es beim Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) getan haben – vier Länder, verschiedene Unternehmen, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen –, dann können wir Ihnen helfen, das, was Sie tun werden, im Voraus zu unterstützen.“14

Es sei allerdings dann an der nächsten EU-Kommission, die spätestens wohl Anfang 2025 die Arbeit aufnehmen wird, diesen Fonds konkret auf die Schiene zu setzen, so das Handelsblatt, ebenfalls Breton zitierend: „Zunächst will er Ende Februar ein neues Subventionsprogramm, das European Investment Defence Program (EDIP), vorschlagen. In der kommenden Legislaturperiode nach der Europawahl im Juni solle die neue Kommission dann größer denken und den 100-Milliarden-Fonds angehen. […] Der 100-Milliarden-Fonds sei keine Entscheidung für die nächsten drei Monate, aber sie müsse ‚frühzeitig‘ in der nächsten Legislaturperiode fallen. Das Geld solle dann für fünf Jahre reichen. ‚Verteidigung wird ein großes Thema für die nächste Kommission‘.“15

Geschlossener Rüstungskreislauf

Unklar ist, wie die EU-Staaten auf die Kommissionsvorschläge reagieren werden – so legen sie eine gewisse Skepsis an den Tag, sich allzu sehr in ihre nationale Rüstungswirtschaft hineinregieren zu lassen. Offensichtlich ist man aber auf EU-Ebene dabei, einen geschlossenen Rüstungskreislauf zu etablieren, der von der Forschung und Entwicklung (EVF) über die Produktion (ASAP/EDIS), die Beschaffung (EDIRPA/EDIP) bis hin zum Export (EFF) geht. Das alles mag noch nicht ganz einer Kriegswirtschaft entsprechen – es ist aber allemal der treffendere Begriff als der der einstigen „Zivilmacht Europa“, von der so gut wie nichts mehr übrig ist.

Anmerkungen:

1 Wagner, Jürgen: EUropas ertüchtigende Entwicklungshilfe. Militärische Kontrollstrategie auf Kosten der Armutsbekämpfung, Informationen zu Politik und Gesellschaft, Nr. 14, November 2017.

2 Linke will Subsidiaritätsklage gegen Verteidigungsfonds, Heute im Bundestag 411/2021.

3 Borrell will Waffenhilfe für die Ukraine um 20 Milliarden erhöhen, FAZ, 19.7.2023.

4 EU-Kommission will Munitionsherstellung ankurbeln, euractiv.com, 3.5.2023.

5 Europäisches Parlament: Stärkung der EU-Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung, Pressemitteilung, 12.9.2023.

6 Pugnet, Aurélie: EU-Strategie zur Produktion von Verteidigungsgütern laut Breton „auf Kurs“, euractiv.com, 11.10.2023.

7 Pugnet, Aurélie: Thierry Breton: EU bei Rüstungsproduktion „bereit, Risiken einzugehen“, euractiv.com, 11.1.2024.

8 Jehin, Olivier: [Décryptage] Les premières pistes de la future stratégie industrielle de défense s’esquissent. Une consultation au pas de charge, Bruxelles2, 18.12.2023.

9 Pugnet, Aurélie: EU-Kommission will Binnenmarkt für Verteidigungsindustrie besser nutzbar machen, euractiv.com, 6.12.2023.

10 Kommissionsmitteilung, Analyse der Defizite bei den Verteidigungsinvestitionen und die nächsten Schritte, JOIN(2022) 24, 18.5.2022.

11 Ebd.

12 Koenig, Nicole / Schütte, Leonard: Verteidigungswende jetzt! Internationale Politik, 28.8.2023.

13 Greive, Martin u.a.: Handelsblatt, 27.11.2023.

14 Pugnet, Aurélie EU-Verteidigungsindustrie: Breton schlägt 100-Milliarden-Euro-Fonds vor, euractiv.com, 10.1.2024.

15 Volkery, Carsten: Warum Thierry Breton 100 Milliarden Euro für Europas Verteidigung will, Handelsblatt, 12.1.2024.