IMI-Analyse 2024/09

Deutsche Rüstungsexporte nach Israel und die Region

von: Elvin Çetin | Veröffentlicht am: 9. Februar 2024

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Seit dem brutalen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel, bei dem 1.200 Menschen getötet und 240 Personen entführt worden sind, haben die israelischen Verteidigungskräfte (Israel Defense Forces, IDF) erhebliche Teile des Gaza-Streifens durch Luft- und Bodenangriffe in Schutt und Asche gelegt. Im Norden und in Gaza-Stadt sollen über 60 Prozent der Gebäude beschädigt oder zerstört sein.[1] Im Verlauf des Konflikts gegen die Hamas[2] hat das israelische Militär nach Angaben der Hilfsorganisation Handicap International mehr als 12.000 Bomben auf Wohngebiete im Gazastreifen abgeworfen (Stand: 7. Dezember 2023).[3]Die aktuelle Anzahl der Todesopfer beläuft sich auf über 25.000 Menschen – in der Geschwindigkeit sind das mehr als in jedem anderen Konflikt in diesem Jahrhundert.[4]  Mehr als 65.000 Menschen wurden verletzt.  

Laut einem Bericht der Tagesschau hat Deutschland seine Rüstungsexporte nach Israel seit dem 7. Oktober sogar verzehnfacht.[5]  2022 betrug der Exportbetrag 32,3 Mio. Euro, knapp ein Jahr später liegt dieser Betrag bei 323,2 Mio. Euro.

Auch deutsche Rüstungsgüter werden in diesem Krieg eingesetzt. In den Jahren 2020-2023 hat Israel Rüstungsgüter aus Deutschland im Wert von über 1 Milliarden Euro erhalten. 

Beteiligung deutscher Firmen 

Produkte von deutschen Rüstungsfirmen werden vom israelischen Militär gekauft und in den von Israel geführten Angriffen in Gaza und im Westjordanland eingesetzt. Das deutsche Unternehmen ThyssenKrupp hat zwischen 2016 und 2021 vier Sa’ar 6 Kriegsschiffe für die israelische Marine gebaut – diese Raketenkorvetten wurden zum ersten Mal am 16. Oktober 2023 beim Angriff auf Gaza genutzt.[6] 2022 hat das Unternehmen drei U-Boote im Wert von drei Milliarden Euro an Israel verkauft – ein Drittel des Preises wird von der Bundesregierung übernommen.[7]

Auch Technologien von Rheinmetall, beispielsweise Panzerkanonen, sind in Israel präsent. Die Munition in den in Gaza eingesetzten 155-mm-Panzerhaubitzen werden von General Dynamics in den USA und Rheinmetall hergestellt.[8] Das Unternehmen ist außerdem an der Entwicklung von ferngesteuerter Präzisionsmunition gemeinsam mit dem israelischen Munitionsproduzenten UVision sowie an der Entwicklung und Herstellung von Radhaubitzen gemeinsam mit Israels größten privaten Waffenhersteller, Elbit Systems, beteiligt.[9]

Seit Jahren liefert das Augsburger Unternehmen Renk Schalt-, Wende- und Lenkgetriebe für die aktuelle Version des israelischen Merkava-Kampfpanzers (Mk IV).[10]  Das Unternehmen MTU mit Sitz in Friedrichshafen stellt Motoren für israelische Kriegsschiffe und Panzer her, u.a. für den oben genannten Merkava-Panzer Mk IV. Auch der Rüstungs- und Sensorikhersteller Hensoldt mit Hauptsitz in Bayern ist ein wichtiger Liefer- und Handelspartner des israelischen Militärs. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung gibt es verschiedene Kooperationen zwischen Hensoldt und der Israel Aerospace Industries sowie dem israelischen Staatsunternehmen Rafael Advanced Defense Systems.[11]

In den letzten Wochen sind Regierungsstimmen aus der EU und der Ukraine lauter geworden noch mehr und schneller Waffen in die Ukraine nachzuliefern, da die Reserven immer kleiner werden. Einer der Gründe ist, dass der Westen nun neben der Ukraine auch Israel massiv weiter aufrüstet. Durch den Krieg in Gaza wurden Berichten zufolge Waffenexporte aus den USA, die für die Ukraine bestimmt waren, umgeleitet und nach Israel geschickt.[12] Auch deutsche Rüstungsunternehmen profitieren von dieser Politik – Aktien der Unternehmen Rheinmetall und Hensoldt haben nach dem Angriff der Hamas und dem israelischen Gegenschlag eine Wertsteigerung von bis zu 12 Prozent verzeichnet.

Eskalationssteigerung durch deutsche Rüstungsexporte

Der alarmierende Zuwachs von Rüstungsexporten an einen Staat, der bei seinem Angriff bereits zehntausende Zivilist*innen getötet hat, reiht sich ein in eine immer stärker werdende Tendenz der Bundesregierung, mehr und mehr Kriegsmaterial zu exportieren. Dies wird zum vergangenen Jahresabschluss nochmal mit den aktuellen Rüstungszahlen bestätigt: 2023 wurden Rüstungsexporte in Höhe von min. 12,2 Milliarden Euro genehmigt. Das bedeutet einen Anstieg von über 25 Prozent im Vergleich zum bisherigen Rekordstand von 9,35 Milliarden Euro im Jahr 2021. Die Hauptempfänger dieser Exporte sind, abseits der Ukraine und NATO-Staaten, Länder im Nahen und Mittleren Osten.[13]

Die Bundesregierung gewährte den Export von Rüstungsgütern aus deutscher Herstellung im Wert von 1,76 Milliarden Euro für Drittländer wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten oder Saudi-Arabien. Die neueste Entwicklung in diesem Kontext ist die Ankündigung von Außenministerin Baerbock, den Export von Eurofightern nach Saudi-Arabien doch zu genehmigen. 2018 hatte die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD unter der Führung von Ex-Kanzlerin Angela Merkel beschlossen, einen Genehmigungsstopp für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien einzuführen.

Saudi-Arabien führt die Kriegskoalition der im Jemen intervenierenden Staaten an. Darüber hinaus hatte Saudi-Arabien eine See-, Land- und Luftblockade gegen seinen Nachbarstaat Katar verhängt. Die Festschreibung im Koalitionsvertrag, keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten zu erteilen, die unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind, wäre mit dem Export der Eurofighter nach Saudi-Arabien nichtig. Der Kurswechsel wird begründet mit dem Einsatz bereits an Saudi-Arabien gelieferter Eurofighter für den Abschuss von Raketen der jemenitischen Huthi-Rebellen, die seit dem Krieg gegen Israel gerichtet waren. Dass sich im Jemen eine der weltweit größten humanitären Katastrophen abspielt, in der Schätzungen der UN zufolge seit Kriegsbeginn im Jahr 2015 mehr als 377.000 Menschen[14] getötet worden sind und das Land sich seit Jahren in einem bitteren Dauerausnahmezustand bestehend aus Hungersnot und Epidemien befindet, spielt bei der Unterstützung der Bundesregierung für Saudi-Arabien keine Rolle. Trotz dieser Katastrophen befeuert Deutschland genau diesen Konflikt mit Rüstungsexporten. Mit ihrer Entscheidung, Rüstungsgüter in die Region zu liefern, trägt die Bundesregierung maßgeblich zum wachsenden gewaltvollen Eskalationspotential bei. Die ersten geopolitischen Folgen und Spillover-Effekte (dt. Übertragungseffekte) des Kriegs in Gaza sind im Libanon, Irak, Jemen und Syrien zu verzeichnen. Solange es keinen Waffenstillstand in Gaza gibt, besteht die Gefahr, dass sich der Konflikt immer weiter ausbreiten wird.

Hamas und ihre Waffen 

Informationsquellen zu Waffenlieferungen an die Hamas sind relativ limitiert. Die Hamas sowie der Islamische Jihad wurden maßgeblich aus dem Libanon, Syrien, Jordanien und dem Iran aufgerüstet. Die Lieferwege basieren in erster Linie auf dem ausgeprägten Tunnelsystem über die Grenze zwischen Ägypten und Gaza. Durch die komplette Isolation auf dem Meer- und Luftweg ist das Tunnelsystem der verlässlichste Weg, Waffen und sonstige Güter nach Gaza zu importieren. Interviews mit Kommandanten des bewaffneten Arms der Hamas, den Al-Qassam-Brigaden, beinhalten Informationen über Waffenlieferungsrouten durch den Sudan.

Ein erheblicher Anteil, der der Hamas zur Verfügung stehenden Munition besteht aus nicht-explodierter israelischer Munition, die nach Angriffen der IDF gesammelt, bei Bedarf recycelt und wieder einsatzbereit gemacht werden.[15]  Allerdings ist die Hamas inzwischen nicht nur abhängig von Waffen- und Munitionslieferungen aus der Region, sondern stellt einen erheblichen Teil ihrer Waffen auch selber her. Die einheimische Waffenproduktion der Hamas beinhaltet Drohnen sowie Raketenabschuss- und Luftverteidigungssysteme.[16]

Es gibt außerdem auch Berichte über den Einsatz nordkoreanischer Munition.[17]

Fazit

Die Situation in Nahost wird sich nicht auf militärischem Weg lösen lassen. Die von der Bundesregierung selbst als „restriktiv“ titulierte Rüstungsexportpolitik wird durch die – mit der vordergründigen deutschen Staatsräson begründeten – Unterstützung eines der mächtigsten und modernsten Militärapparate weltweit als Farce entlarvt. Neben der deutschen Staatsräson – der bedingungslosen und unverbrüchlichen Solidarität mit Israel aufgrund der deutschen Historie – als Exportgrund, sind strategische und wirtschaftliche Kooperationen nicht außer Acht zu lassen. Die deutsch-israelische Rüstungskooperation geht bis zur Staatsgründung Israels zurück. Beide Staaten verdienen stark am weltweiten Rüstungswettlauf und gehören zu den zehn größten Rüstungsexporteuren weltweit.

Durch den Verkauf von Waffen und weiteren Rüstungsgütern beteiligt sich Deutschland maßgeblich an den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten. Auch Waffen und Teile von Waffen aus Deutschland werden bei den israelischen Angriffen verwendet – die Bundesregierung trägt daher eine Mitschuld an den Opfern und der Zerstörung in Gaza.

Anmerkungen


[1] Weite Teile Gazas in Schutt und Asche. faz.net, 22. Dezember 2023.

[2] Abkürzung für: Harakat al-Muqawama al-Islamiya, dt. Islamische Widerstandsbewegung

[3] Occupied Palestinian Territories – Israel: 12,000 bombs dropped on Gaza, one of the most intense bombing campaigns in modern war. hi.org 07.12.2023

[4] Gaza Civilians, Under Israeli Barrage, Are Being Killed At Historic Pace. Nytimes.com 25.11.2023

[5] Rüstungsexporte nach Israel fast verzehnfacht. Tagesschau.de 08.11.2023

[6] Israeli Navy’s Sa’ar 6 corvettes used to strike Gaza ground targets.globaldefensecorp.com 26.10.2023

[7] Drei U-Boote für drei Milliarden Euro: TKMS in Kiel baut für Israel. Ndr.de 20.01.2022

[8] BIP-Aktuell #283: Deutschland liefert Munition für Haubitzen an Israel

[9] Pressemitteilung Rheinmetall. Rheinmetall.com 16.05.2023

[10] Wie deutsche und israelische Rüstungsunternehmen kooperieren. Sueddeutsche.de 17.10.2023

[11] Ibid.

[12] Ukraine’s artillery supply declines as shells go to Israel. defenseone.com 17.11.2023

[13] So viele Rüstungsexporte wie noch nie. Tagesschau.de 27.12.2023

[14] The war on Yemen’s civilians. Caat.org.uk 25.08.2023

[15] Hamas’s relentless efforts to build up its military arsenal in Gaza. Lemonde.fr 11.10.2023

[16] Hamas‘ primary weapons in Israel attack: Deception and the element of surprise. English.elpais.com 12.10.2023

[17] Inside the arsenal: Iranian-sourced weapons used in Hamas and Islamic Jihad’s Israel assault. Observers.france24.com 13.10.2023