IMI-Analyse 2023/52 - in: Ausdruck Dezember 2023

Faktenchecks

Der Anspruch der Wahrheit

von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 18. Dezember 2023

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Die Fake News zur Corona-Krise, „Alternative Fakten“, das weltweite Aufblühen des (Rechts-)Populismus oder auch das „postfaktische Zeitalter“ – das Problem bekam viele Namen, gelöst ist es derweil immer noch nicht. Einer der Lösungsansätze, mit dem sowohl ein Abrutschen in eine undemokratische Zensur (bzw. was manche Stimmen als diese skandalisieren würden) einerseits, als auch das Verbleiben im „das sind einfach verschiedene Meinungen“ andererseits verhindert werden soll, ist Aufklärung. Gemeint ist die schwierige Aufgabe, die Medienkonsument*innen, gerade auch auf den Sozialen Netzwerken, über falsche, verkürzte, also unvollständige und falsch interpretierte Nachrichten und ihre Hintergründe zu informieren. Es ward eine neue journalistische Stilform geboren: der Faktencheck.

Die ersten darauf spezialisierten Webseiten des mittlerweile breiten Angebots an Online-Faktencheckern waren wohl Factcheck.org, die ab 2003 Politiker*innenaussagen überprüfte, und der Pulitzerpreisträger Politifacts, der 2007 begann. Ein Vorläufer war die US-amerikanische Webseite Snopes, die sich in den 1990er Jahren als Enzyklopädie für urbane Mythen gründete, seit Mitte der letzten Dekade aber auch ernstere Themen überprüft. 2014 war auch der deutsche Blog Volksverpetzer gegründet worden, der oft in beißender Sprache Fakten checkt und zwischendurch kurz zum drei Jahre älteren, österreichischen Faktenchecker Mimikama gehörte. Seit 2016, dem Jahr, in dem Donald Trump mit seiner an Verschwörungstheorien anschlussfähigen Kampagne die Wahl zum Präsidenten der USA gewann, betreiben auch das gemeinnützige Recherchekollektiv Correctiv, die dpa, das ZDF und die Tagesschau solche Webseiten. Die Projekte von Correctiv und der dpa sind beispielsweise auch Teil des International Fact-Checking Network (IFCN), dem auch die Faktenprüfer von Washington Post, Associated Press oder der französischen Le Monde angehören.

Eine neue beschreibende (?) Textgattung

Technisch beginnt ein Faktencheck meist mit einer Behauptung oder Nachricht, die auf den Sozialen Medien kursiert oder von mehr oder weniger prominenten Personen des öffentlichen Lebens geäußert wurde, denen dann anhand der im Artikel angebrachten Informationen bestimmte den Wahrheitsgehalt angebende Kategorien zugesprochen werden. Diese rangieren von wahr bis komplett frei erfunden und haben unterschiedliche Zwischenabstufungen wie ‚fehlende Belege‘ (lässt sich aber nicht falsifizieren) oder ‚aus dem Kontext gerissen‘. Manche, wie etwa der Faktenfinder der Tagesschau, sehen von solchen markanten Labels ab und geben nur die Fakten im Text wieder. Einige der genannten Redaktionen sind für diese Arbeiten auch von den Betreibern der Sozialen Medien wie Twitter (heute X) und Meta, der Mutterfirma von Facebook, Instagram und Co. oder Tech-Unternehmen wie Google engagiert. Ihre Checks werden dann direkt unter dem Post eines Users gepinnt, der eine solche Aussage oder einen solchen Artikel auf die Plattform stellt. Dies vermittelt den Factcheckern natürlich eine privilegierte Sichtbarkeit und Reichweite.

Angesichts dieser schreibtechnischen Herangehensart und aus journalistischen Grundsätzen heraus besonders auch (wo zutreffend) wegen der privilegierten Erscheinungsform und Macht der offiziellen wahr/falsch Klassifikation, sollte der Faktencheck unter die ‚objektiven‘ bzw. informativen der journalistischen Text- oder Darstellungsformen fallen. Diese umfassen beispielsweise auch Nachrichten, Berichte und Meldungen und sollen nach der sogenannten Trennungsregel von den Meinungen vermittelnden Appelltexten wie Kritik, Kommentar oder Glosse getrennt werden. Eine solche Unterscheidung ist notwendig, um auch in gesellschaftlich umstrittenen Themenbereichen die Objektivität zu wahren.

Fakten im Nebel des Kriegs

Kriege sind, wie die aktuellen Auseinandersetzungen in der Ukraine und in Israel besonders pointiert zeigen, immer auch Auseinandersetzungen, in denen unterschiedliche Weltsichten über bestimmte Gebiete oder Ressourcen, diese betreffende Ansprüche und historische Narrative, die nicht zusammengebracht werden können, letztendlich der Gegenseite aufgezwungen werden sollen. Somit ist es kein Wunder, dass die Auseinandersetzungen im Informationsraum und die eigene strategische Kommunikation im heutigen sogenannten Informationszeitalter, wo Nachrichten und Narrative auf elektronischem Weg die nationalen Grenzen durchbrechen, an Bedeutung gewinnen. Während Aussagen selbst innerhalb wissenschaftlich recht gesicherter Themen wie dem Klimawandel oder der Corona-Pandemie sicher nicht in jeder Detailfrage leicht zu bestätigen oder zu entkräften sind, bergen kriegerische Konflikte für die Faktenchecker die Gefahr, dass einerseits nur Nachrichten, die potentieller Propaganda der Gegenseite entspringen, gecheckt werden. Andererseits steht zu befürchten und ist leider auch zu beobachten, dass bei solchen Prüfungen teilweise auch Fakten zurückgehalten werden oder nicht ausreichend in beide Richtungen recherchiert wird. Zudem rutschen Schreibstil und Sprache bei manchen „Faktencheckern“ durchaus ins Unsachliche und persönlich Angreifende ab. Doch um nicht Öl ins Feuer derer zu gießen, die Faktenchecks grundsätzlich ablehnen, wollen wir hier mit positiven Beispielen beginnen.

Factchecking the Factcheckers

So konzentriert sich zum Beispiel das Faktenchecker-Team von Correctiv durchaus auf eindeutig widerlegbare Informationen und zum großen Teil auch auf die Verifizierung von Bildern, mit denen Posts versehen werden. Ein Blick auf deren Twitter- oder auch Whatsapp-Kanal offenbart nahezu ausschließlich Posts, in denen Fotos und Videos benannt werden, die beispielsweise Straftaten von Geflüchteten, Menschenrechtsverletzungen durch die Hamas oder Israel zu zeigen vorgeben und dem entgegen stellen, wo diese Bilder vorher schon erschienen sind und dass sie deshalb nicht vom genannten Ereignis stammen können. Hier erscheint beispielsweise auch ein von der israelischen Regierung und ihrer Botschaft in Deutschland geteilter Post, der behauptet, ein totes Kind auf einem Foto aus Gaza sei eine Puppe – was widerlegt wird.[1] Zudem gibt es eine Reihe von Posts, die gefälschte Artikel von Medien wie Bild, USA Today, der BBC und anderen Medien, als solche entlarvt. Auch gefälschte Wahlplakate und falsche Übersetzungen bzw. Video-Untertitel von z.B. Erdogan, wo er behaupte, Palästina um jeden Preis zu verteidigen, sind Informationen, die einfach zu entkräften sind. Gleiches gilt für Beträge, die bestimmten Organisationen angeblich bereitgestellt würden, die tatsächlich aber keine dieser staatlichen Hilfen bekommen. Insgesamt scheint der Faktencheck von Correctiv also eine sehr einfache, hilfreiche und recht objektive Quelle zu sein.

Auch der Faktenfinder der ARD scheint im aktuellen Konflikt in Gaza auch pro-israelische Fake News unter die Lupe zu nehmen, was sich beispielsweise am Artikel „Irreführende Vorwürfe gegen ‚Pallywood’“ zeigt, wobei Pallywood als aus Palästina und Hollywood zusammengesetzter Code für angeblich gefakte zivile Opfer steht.[2] In einem anderen Faktencheck zu der Explosion, die ein Krankenhaus in Gaza zerstörte und hunderte zivile Opfer forderte, der passend mit „Was für die Version der israelischen Armee spricht“ betitelt ist, werden jedoch sehr einseitig die Open Source Untersuchungen von teilweise ungenannten Experten wiedergegeben. Es fehlen hingegen jegliche Informationen, die beispielsweise in einem Artikel von al-Jazeera eine Woche vorher veröffentlicht wurden. Dies ist etwas verdächtig, weil al-Jazeera zum Beispiel die Gruppe Forensic Architecture der Universität London zitierte, die den Krater so interpretierte, dass die verursachende Munition aus dem von Israel kontrollierten Nordosten gekommen sein müsste. Bestätigt wurde dies von den Audioermittlern der Gruppe Earshot, die zudem auch den von der israelischen Regierung veröffentlichten angeblichen Mitschnitt einer Unterhaltung der Hamas technisch zerlegte.[3] Auch der Faktenfinder zu „Russlands Strategie für Afrika“, der sehr detailgetreu verschiedene Aktionen russischer Strategischer Kommunikation in Afrika beschreibt, spart etwas an Details. Beispielsweise wird als prorussische Desinformation kritisiert, es würde „fälschlicherweise behauptet, Demonstranten hätten die französische Botschaft zerstört“ oder es seien „Videos verbreitet“ worden, „die angeblich die breite Zustimmung der nigrischen Bevölkerung für die Militärjunta zeigen sollten“. Während dies bei im Einzelfall, also bei bestimmten Videos oder dem Umfang des Schadens wohl stimmt, wird jedoch durch die Unterschlagung von Informationen, die vorher von der Tagesschau selbst berichtet wurden, ein unvollständiges Bild gezeichnet. Denn sechs Wochen zuvor wurde berichtet, dass zwar nicht die ganze Botschaft, sehr wohl aber ihr Eingangsbereich vandalisiert und in Brand gesetzt wurde und auch von den von Tausenden wiederholt mitgetragenen antifranzösischen Protesten zur Unterstützung der Junta wurde dort wie in allen Medien berichtet.[4] Es ist unwahrscheinlich, dass diese tendenziösen Auslassungen nur dem Stil des Autors Pascal Siggelkow zuzuschreiben sind, der die genannten Beispiele verfasste. Doch immerhin wird weder ein abschließendes wahr/falsch Urteil für komplexe Themen angemaßt noch wird diskreditierende Sprache verwendet. Dies ist nämlich leider keine Selbstverständlichkeit in diesem Geschäft mit den Fakten.

Anmaßende Meinungsblogs I: Mimikama

Überhaupt nicht mit Ruhm bekleckert haben sich jedoch die Blogs Mimikama und Volksverpetzer. Dass in beiden Blogs nahezu ausschließlich Nachrichten überprüft werden, die pro-russischen Positionen entstammen, ist schon auffällig, aber da rechte und pro-russische Kanäle in den Sozialen Medien die Fake-News-Strategie durchaus auf einem anderen Level praktizieren, nicht unbedingt aussagekräftig. Zumindest Mimikama überprüfte zum Teil jedoch auch Nachrichten, ohne Russland als ausgemachten Täter darzustellen. So bestätigt die Webseite zum Beispiel eine Feindesliste einer ukrainischen NGO, die angeblich Verbrechen gegen die nationale Sicherheit und die Menschlichkeit dokumentieren will, auf der neben dem ungarischen Präsidenten auch Journalist*innen und Blogger*innen genannt werden, und kommt zu dem Schluss: „Diese Liste stellt natürlich eine Gefahr dar.“[5] Auch ein mögliches Kriegsverbrechen ukrainischer Soldaten wird dokumentiert und mit den beidseitigen Argumenten unterfüttert.[6]

Eher mit ideologisch-motivierten bewussten Unterschlagungen behaftet erscheint hingegen ein Artikel über die Frage, ob Boris Johnson Druck auf die Ukraine ausgeübt habe, aus den Friedensverhandlungen im April 2022 auszusteigen. Dieser vorgebliche Faktencheck ist, im Gegensatz zu den oben erwähnten, mit einem grünen Kasten für die Behauptung und einem roten Kasten für das Fazit Mimikamas versehen. In dem roten Kasten steht, dass Sarah Wagenknecht in einem Video behaupte, dass Boris Johnson und der Westen für die gescheiterten Friedensverhandlungen verantwortlich seien.[7] Sich eigentlich selbst widersprechend weisen sie jedoch weiter unten im Text darauf hin, dass Sarah Wagenknecht – tatsächlich korrekt zitierend – diese Aussagen nur im grammatikalischen Konjunktiv machte. Skandalisiert wird dies damit, indem die Faktenchecker es darauf zurückführen, dass Wagenknecht sich „über die Jahre ihrer politischen Karriere den Ruf erarbeitet“ habe, „eine hervorragende Rhetorikerin zu sein.“ Deshalb sei „anzunehmen, dass sie die Worte bewusst ausgewählt“ habe. Noch schockierender ist diese Skandalisierung deswegen, weil Boris Johnson im grünen Fazit-Kasten nicht im Konjunktiv zitiert wird („Putin sei…“), sondern seine Aussage nach einem Doppelpunkt als Fakt ausgeschrieben wird: „Putin ist nicht vertrauenswürdig.“ Diese Darstellungsform grenzt nicht nur an Suggestion und wird noch dadurch verstärkt, dass durchaus nicht alle Fakten, die zu dem Zeitpunkt bekannt waren, im grünen Kasten genannt werden. Dort steht, es gebe keine verlässlichen Quellen für Wagenknechts „Aussage“ und dass der einzige Ursprung der Behauptung der namentlich nicht genannte Informant der ukrainischen Zeitung Ukrainska Prawda sei. Statt den Kasten jedoch mit weiteren Informationen zu füllen, die für die Bewertung des Wahrheitsgehalts der Aussage im roten Kasten wichtig wären, wird der Platz genutzt, um Johnsons Meinung (!) suggestiv als Fakt darzustellen und zu untermauern. Zudem ist zumindest in einem Screenshot einer Twitterdiskussion weiter unten auch der Ausschnitt eines Artikels des renommierten US-Magazins Foreign Affairs[8] zu sehen, in dem steht, dass auch verschiedene hochrangige Vertreter der USA gegenüber dem Magazin ähnliches bestätigt hätten. Russland und die Ukraine hätten sich darauf verständigt, dass sich Russland hinter die Linie vor seiner Invasion zurückziehen und die Ukraine auf ihre NATO-Mitgliedschaft verzichten würde. Der Artikel wird ebenfalls nicht in den Absatz miteinbezogen, wo diskutiert wird, ob Russland diese Zusage überhaupt je gemacht habe, was schlussendlich negiert wird.

Auf IMI-Nachfrage, inwieweit Wagenknecht mit ihrer grammatikalisch korrekten Zitierweise Fehler begangen habe und warum sie dies dann als ihre Aussage deklarieren, warum sie selbst Johnson auf diese suggestive Weise zitieren und warum solche, aus geheimen Verhandlungen für gewöhnlich meist anonym durchgestochenen Nachrichten nun als unglaubwürdig gelten, antwortete Mimikama nicht. Ebenso wenig geantwortet wurde auf die Frage, was mit solchen Factchecks geschieht, wenn neue Informationen aufkommen – so wie die Äußerungen des ehemaligen israelischen Premierministers, Naftali Bennett, der ebenfalls an den Verhandlungen teilgenommen hatte und der die Sabotage der USA und Großbritanniens in den Verhandlungen beschrieb. Auch Putins Herumreichen eines vorgeblich aus den Verhandlungen stammenden unterschriebenen Dokuments bei einem Treffen mit afrikanischen Staatschefs im Juli 2023 wäre eine wichtige Ergänzung der präsentierten „Fakten“ gewesen. Bezüglich Fragen nach ihren Regeln für Faktenchecks und die Unterscheidung zu ebenfalls auf dem Blog veröffentlichten Meinungsartikeln gab es nur die Antwort, ihre „Autoren genießen eine kreative Freiheit, was Form und Ausdrucksweise ihrer Artikel betrifft“. Zu der Frage der Darstellung von Johnsons Meinung im grünen Kasten gab es auch keine Äußerung, nur „der erwähnte Artikel stammt von einem ehemaligen Teammitglied, das inzwischen nicht mehr bei uns tätig ist. Insofern kann ich nicht detailspezifisch beantworten, welche Gedanken sich der Autor bei einzelnen grammatikalischen Formen gemacht hat.“

Anmaßende Meinungsblogs II: Volksverpetzer

Ein weiterer Blog, der seinen Ruf als Faktenchecker einerseits dadurch in den Vordergrund stellt, dass er „Keine Demokratie ohne Fakten“ im Logo stehen hat, und ihn andererseits dafür missbraucht, tendenziös und diffamatorisch Narrative zu verbreiten, ist der Volksverpetzer. In einem Artikel deutet der Blog eine „strategische Allianz“ zwischen Linkspartei und AfD an, indem er vorgibt, Äußerungen von Wagenknechts Parteikollegin Sevim Dagdelen auf den Prüfstand zu stellen.[9] Die Ähnlichkeit einiger Positionen bezüglich des Ukrainekriegs und des transatlantischen Bündnisses dieser damaligen Gruppe in der Linkspartei, die nun ja im Bündnis Sarah Wagenknecht abgespalten ist, mit denen der AfD – die sich entgegen all des von ihr vertretenen Militarismus nun als Friedenspartei zu inszenieren sucht – muss nicht bestritten werden. Trotzdem ist die Taktik des Blogs, dies durch falsches Zitieren, auslassen von Fakten etc. darzustellen, nicht nur tendenziös und diffamatorisch, sondern vor allem keines Faktenchecks würdig.

Den Vorwurf an die Abgeordnete, „Halbwahrheiten sowie Verschwörungstheorien verschiedener Art“ zu verbreiten, muss sich der Blog also zurückgeben lassen. Mehrfach wird Dagdelen aus einem Interview mit dem US-amerikanischen Sender Democracy Now![10] so zitiert, als würde sie Verantwortungen undifferenziert irgendwelchen Eliten zusprechen, wie es rechte und verschwörungstheoretische Blogs tun – oft auch mit dem antisemitischen Zusatzcode „globalistische Eliten“. Dies unterschlägt jedoch, dass der Begriff Eliten, wenn genauer definiert welche, ein gängiger Begriff in den internationalen Beziehungen ist, der Top-Akteure bestimmter Gruppen beschreibt, und dass Dagdelen diesen Begriff tatsächlich immer nur mit Spezifizierung, wie „neokonservative Eliten“, Eliten der Fracking-Industrie oder denen des Militärisch-Industriellen-Komplexes verwendet – wobei letzteres wiederum ebenso ein aus der Wissenschaft kommendes Konzept ist. Ebenso hatte Dagdelen nicht generell diese Eliten in die Verantwortung dafür gezogen, einen Keil zwischen Deutschland und Russland treiben zu wollen, sondern direkt und beim Namen den Strategen genannt, der das gesagt hatte. Diese Liste ließe sich weiterführen, wofür hier jedoch nicht der Platz ist. Der Blog prangert zum Teil gewisse Äußerungen an, die jüngere Linke bzw. viele in der Partei gebliebene wohl durchaus als verschwörungstheoretisch sehen würden, beispielsweise dass Dagdelen von „mainstream media“ spricht wo sie nach „mass media“ gefragt wurde, oder dass sie sehr bestimmt nur Bellizisten und internationalen Druck dafür verantwortlich macht, dass Christine Lambrecht abtrat.[11] Die dargestellte Allianz mit der AfD und Diffamierung als Verschwörungstheoretikerin, wo sie doch größtenteils sachlich Einflüsse auf die deutsche Politik beschreibt, berechtigt dies jedoch nicht. Auch weil er sie nicht widerlegt, sondern nur Ähnlichkeit mit anderen Narrativen (z.B. der AfD) darstellt. Ein Faktencheck sieht anders aus.

Strategische Kommunikation von oben und unten

Nur am Rande erwähnt sei auch Eu vs Disinfo, das als „Vorzeigeprojekt der EU, geführt von der East StratCom Task Force“ beschrieben wird.[12] StratCom steht für Strategische Kommunikation, die beispielsweise bei Wikipedia faktisch als Propaganda beschrieben wird, nämlich als „Text- und Medien-gestützte Aktivitäten, mit denen (…) Organisationen bei ausgewählten Zielgruppen die Verbundenheit mit ihren politischen, ökonomischen, rechtlichen oder anderweitig motivierten Interessen halten oder stärken möchten.“ In Anbetracht dieser Einbindung in eine nach Osten gerichtete Agenda ist wohl kaum eine sachliche und neutrale Darstellung von Fakten beabsichtigt oder zu erwarten. Die Artikel kommen zudem auch meist mit rund fünf (bis 15) Sätzen als Antwort auf ein kurzes Narrativ aus, die kaum Fakten zusammentragen und meist mit „Verschwörungserzählung ohne Belege“ oder …ist Teil einer laufenden Desinformationskampagne des Kremls“ beginnen. Die Narrative sind entweder in der deutschen Öffentlichkeit so unbekannt, dass auch der Autor dieses Artikels, der sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien und verschiedenen Öffentlichkeiten beschäftigt, sie nicht gehört hat oder sie beinhalten so umfassend große Themen, wie „Russland attackierte die Ukraine wegen dem Bruch des Minsk Abkommens“ oder „die Ukraine verblasst in der Agenda des Westens“, dass sie wohl kaum in zehn Sätzen erklärt und widerlegt werden können. Auch wenn dieses „Vorzeigeprojekt“ sicherlich einiges an Ressourcen von der EU verschluckt, ist es als Faktencheck offenbar so wenig ernsthaft gedacht, dass es kaum Aufmerksamkeit hier verdient.

Viel schockierender als die Oberflächlichkeit eines solchen sogar als Strategische Kommunikation betitelten Projekts, ist doch wahrlich die Vorgabe der genannten Meinungsblogs, angeblich sachlich Fakten zu überprüfen und dabei nur als Verstärker der medial propagierten allgemeinen Meinung zu fungieren (vgl. mit dem anderen Artikel des Autors zu Welzer und Co. in diesem Heft) und der Faktenfinder der öffentlich-rechtlichen Sender (bzw. der hier untersuchten ARD), die weithin verfügbare und z.T. selbst veröffentlichte Informationen auslassen. Dies soll jedoch keineswegs die Praxis des Fakten-Checkens und diese gesammelt zu veröffentlichen diskreditieren. Wie die Faktenchecker von Correctiv zeigen, und wie es viele der anderen in weniger polarisierten Themen sicher auch können, gibt es eine Flut an falschen Behauptungen, nicht kenntlich gemachten Symbolbildern oder gefälschten Artikeln und Übersetzungen, die leicht widerlegt werden können und somit ungerechtfertigte Aufschreie und Unruhen in der Gesellschaft verhindern können. Misstrauisch sollten die Leser*innen jedoch immer da bleiben, wo ganze Narrative und Meinungen auf einmal vorgeblich widerlegt werden.

Anmerkungen
1 Schmitt, Sarah: Puppe statt totes Kind in Gaza? Warum es keine Belege für diese Behauptung gibt correctiv.org/faktencheck 01.11.2023.
2 Siggelkow, Pascal: Irreführende Vorwürfe gegen „Pallywood“. tagesschau.de/faktenfinder 30.10.2023.
3 Siggelkow, Pascal: Was für die Version der israelischen Armee spricht. tagesschau.de/faktenfinder 26.10.2023. versus: Investigations reveal discrepancies in Israel’s Gaza hospital attack claims. aljazeera.com 20.10.2023.
4 Siggelkow, Pascal: Russlands Strategie für Afrika. tagesschau.de/faktenfinder 14.09.2023 versus: ECOWAS droht mit „Einsatz von Gewalt“. tagesschau.de 30.07.2023.
5 Wolf, Andre: Viktor Orban auf ukrainischer „Feindesliste“. mimikama.org 11.05.2022.
6 Mühl, Nicole: Zeigt Video ukrainisches Kriegsverbrechen? mimikama.org 31.03.2022.
7 Hat Boris Johnson wirklich interveniert, um das Ende des Ukraine-Krieges zu verhindern? mimikama.org 04.11.2022.
8 Hill, Fiona und Angela Stent: The World Putin Wants. foreignaffairs.com 25.08.2022; hier einsehbar: archive.ph.
9 Meisner, Matthias: Kampf für den Kreml: Allianzen von Linke & AfD in der Ukraine-Politik. volksverpetzer.de. 29.01.2023.
10 As Germany & U.S. Agree on Tanks for Ukraine, German MP Accuses U.S. of Pushing Berlin into Proxy War. democracynow.org 25.01.2023.
11 Zwar gab es durchaus einiges an Druck auf die ehemalige Verteidigungsministerin Lambrecht abzutreten, was sich zum Beispiel an Titeln wie „Lambrecht unter Druck“ von Tagesschau, SZ, Tagesspiegel und t-online widerspiegelt, was dort jedoch nicht nur auf ihr gemäßigtes ‚nur Helme liefern‘ zurückgeführt wird.
12 Siehe: Euvsdisinfo.eu und ebenfalls: Eric Bonse: Wie EU und NATO gegen Desinformation vorgehen. Download PDF: medien-meinungen.de 06.10.2021.