IMI-Studie 2023/03

Eine europäische Sicherheitsarchitektur nach dem Ukrainekrieg?

Friedenspolitische Alternativen

von: Malte Lühmann | Veröffentlicht am: 7. November 2023

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

————————————–

Gesamte Studie hier zum download

————————————–

INHALTSVERZEICHNIS

  1. Die bedrückende Gegenwart erfordert linke Alternativen
  2. Positionen zum Ost-West-Verhältnis nach diesem Krieg
    2.1 Position A: „Andauernde Konfrontation“
    2.2 Position B: „Regime Change“
    2.3 Position C: „Neue Entspannungspolitik“
  3. Staat, Sicherheit, Frieden? – Ausgangspunkte linker Politik
  4. Vom Konzept gemeinsamer Sicherheit zu Ukrainekrieg und Zeitenwende
  5. Elemente einer alternativen Sicherheitsarchitektur zwischen Europa und Russland
    5.1 Vertrauensbildende Maßnahmen
    5.2 Rüstungskontrolle und Transparenz
    5.3 Gemeinsame Institutionen
    5.4 Abrüstung
    5.5 Strukturelle Nichtangriffsfähigkeit
    5.6 Friedliche Außenpolitik
  6. Friedenspolitik heute – Vorangehen in schwierigem Gelände

Gesamte Studie hier zum download

  1. Die bedrückende Gegenwart erfordert linke Alternativen

Der Krieg in der Ukraine ist weiterhin in vollem Gange. Die russischen Streitkräfte setzen ihren Angriff unvermittelt fort und halten große Teile des Nachbarlandes besetzt. Die ukrainische Armee tut ihr Möglichstes, dem Angriff zu widerstehen und erhält dafür Unterstützung vor allem in Form umfangreicher Waffenhilfe von EU und NATO. Europa und seine Nachbarn sind damit aktuell noch weiter von Frieden und „gemeinsamer Sicherheit“ entfernt, als lange zuvor. Wann und unter welchen Bedingungen dieser heiße Krieg ein Ende finden wird, ist aus heutiger Sicht unabsehbar. Angesichts der täglich steigenden Opferzahlen und des unermesslichen Leids der Bevölkerung in den zerstörten Dörfern und Städten der Kampfzone aber auch im Rest der Ukraine und auf der Flucht steht zu hoffen, dass es möglichst schnell zu einer Lösung kommt.

Wie auch immer diese Lösung kurzfristig aussehen mag, schließt sich auf mittlere Sicht die Frage an, wie nach diesem Krieg ein dauerhafter Frieden und eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa zu organisieren sind. Die Herausforderungen und Gefahren, denen eine Antwort auf diese Frage begegnen muss, sind vielfältig und keineswegs auf die Situation der Ukraine und auf das Verhältnis zwischen EU/NATO und Russland beschränkt. Ob und wie weitere kriegerische Eskalationen in der Region zukünftig vermieden werden können, betrifft auch andere Konfliktlagen, wie die zwischen Serbien und dem Kosovo oder zwischen Griechenland und der Türkei. Dazu kommt die Rolle europäischer Akteur:innen in benachbarten Regionen, allen voran Afrika und dem Nahen Osten sowie auf globaler Ebene im Rahmen einer zunehmend umkämpften Weltordnung und damit im Verhältnis zu Akteur:innen wie den USA und China. Über all dem ragt die atomare Bedrohung auf, die zuletzt durch die Modernisierung von Atomwaffenarsenalen unter anderem in Frankreich und den USA sowie die Stationierung russischer Atomwaffen in direkter Nähe zur NATO inklusive offener Drohungen, diese einzusetzen, drastisch verschärft wurde.[1] Jenseits dieser Gefahren machen die Klimakatastrophe und die gesellschaftlichen Katastrophen von sozialer Ungleichheit, Armut und Hunger die Chancen vieler Menschen auf ein sicheres Leben unmittelbar zunichte.

Doch auch wenn wir die Perspektive auf die Frage nach Frieden und Sicherheit in Europa verengen, sind alternative Konzeptionen dringend notwendig. Nimmt man die Wortmeldungen aus der herrschenden Politik zu diesem Thema ernst (s.u.), dann wird sich eine zukünftige Sicherheitsarchitektur Europas wesentlich auf den Ausbau militärischer Fähigkeiten mit einem erhofften Abschreckungseffekt stützten und in geopolitischer Gegnerschaft zu einem dauerhaft bedrohlichen Russland befinden. Eine solche Konfrontationslogik beinhaltet keine Ansätze zur Deeskalation und dürfte kaum dazu geeignet sein, eine dauerhafte Friedenssituation herzustellen. Bestenfalls werden rational handelnde Akteur:innen dadurch zeitweise von direkten militärischen Angriffen abgeschreckt. Einem solchen prekären nicht-Krieg mit all seinen gesellschaftlichen Folgen (anhaltende Militarisierung, permanenter Aufrüstungsdruck, Versicherheitlichung vieler Politikbereiche, ständige Eskalationsgefahr, etc.) sind aus linker Perspektive alternative Konzepte entgegen zu stellen. Die Formulierung solcher Alternativen erfordert vier Schritte: 1) Ein Blick auf aktuell öffentlich wahrnehmbare Positionen, um den Debattenraum einzuschätzen, in dem sich linke Argumente bewähren müssen; 2) Eine friedens- und sicherheitspolitische Perspektivenbestimmung, die klar macht, von welchem Standpunkt aus hier argumentiert wird; 3) Eine Bestandsaufnahme der historisch-politischen Ausgangslage, an der alternative Konzeptionen für die zwischenstaatliche Politik ansetzen müssen; 4) Konkrete Alternativen und Vorschläge für Schritte in Richtung einer neuen Friedensordnung.

Gesamte Studie hier zum download


[1] ICAN (2023): Wasted: 2022 Global Nuclear Weapons Spending. URL: https://assets.nationbuilder.com/ican/pages/3785/attachments/original/1686495965/ICAN_Spending_Report_2023_sm.pdf (18.06.23).