IMI-Standpunkt 2023/036

Elektromobilität, Extraktivismus und Gewalt

von: Juan Donoso | Veröffentlicht am: 9. Oktober 2023

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Der folgende Text basiert auf einer Rede, die der Autor am 10. September 2023 auf der Demonstration gegen die Internationale Automobil-Ausstellung in München gehalten hat. Das Rede-Manuskript im englischen Original dokumentieren wir am Ende des Beitrages. Juan Donoso ist Filmemacher und Mitglied in einem anti-extraktivistischen Netzwerk in der Atacama-Wüste. Er ist außerdem beteiligt an einem audiovisuellen Bildungsprogramm über den Lithium-Abbau in der Atacama-Wüste und dessen Bedeutung auch für deutsche Automobilhersteller: https://formandorutas.tech/de/

Am 11. September 2023 jährte sich zum 50. Mal der Staatsstreich in Chile gegen den ersten demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten der Geschichte, Salvador Allende. Allende hatte den Kupferbergbau verstaatlicht, um etwas mehr Autonomie zu erlangen. Nach dem Putsch wurden fast alle Arten von Bergbau privatisiert, auch Lithium. Heute ist das größte Lithium-Unternehmen in Chile im Besitz des ehemaligen Schwiegersohns von Pinochet, dem Diktator, den wir fast 20 Jahre lang hatten. Die Leute, die sich während der Diktatur in Chile bereichert haben, sind immer noch in Machtpositionen. Die Verbindung zwischen Staatsstreichen, Diktaturen und Extraktivismus geht Hand in Hand.

Wozu dient der Lithium-Abbau? Die typischsten Beispiele sind Batterien für Handys, Laptops und Digitalkameras. Heute, mit dem Ausbau der E-Mobilität, hat die Produktion von Lithiumbatterien in der Atacama-Wüste enorm zugenommen. Die Sache ist die, dass der Lithium-Abbau lange Zeit als „grüner Bergbau“ bezeichnet wurde. Aber wir alle wissen, dass grüner Bergbau ein Widerspruch in sich ist. Es gibt ihn nicht, es ist so, als würde man von „nachhaltigem Wachstum“ sprechen, von „grüner Entwicklung“, „grünem Wasserstoff“, „sauberer Kohle“ oder „militärischer Intelligenz“. Der einzige grüne Bergbau ist die Mine, die man nie öffnet. Das einzige nachhaltige private Auto ist das, das nie verkauft wird.

Aber wie funktioniert der „grüne Bergbau“?

– „Grüner Bergbau“ ist die zunehemende Wasserknapppheit in den Dörfern, die massive Verunreinigung von Gemüse und Lungenkrankheiten bei den Minenarbeitern.

– Es ist die Zerstörung traditioneller Lebensweisen wie der Agrar- und Viehwirtschaft.

– Es ist die Nicht-Anerkennung des einzigen internationalen verbindlichen Instruments für die Beteiligung und Konsultation indigener Völker, das „Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“, die Konvention Nummer 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).

– Es geht um Zertifizierungssysteme, um zu sagen: „verantwortungsvoller Bergbau“, „Bergbau mit einer Gender-Perspektive“.

Wie kann der Bergbau eine Geschlechterperspektive haben, wenn man den Gemeinden das Wasser abnimmt? Bergbau-Zertifizierungssysteme sind das ultimative Greenwashing im globalen Süden, vorangetrieben von der Europäischen Union und Ursula von der Leyen. Die Sache ist die, dass der grüne Bergbau das Recht auf Verhandlungen und Entschädigung anerkennt, aber niemals das Recht der Menschen anerkennt, nein zu sagen. Die Menschen sollten das Recht haben, nein zum Bergbau zu sagen. Wir brauchen nicht noch mehr Zerstörung. Wir brauchen nicht noch mehr Delegationen von Volkswagen, Porsche und Mercedes Benz, die mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) nach Chile, Bolivien und Argentinien kommen, um uns zu überzeugen, wie gut die Welt mit diesen Mineralien aussehen wird – von der brutalen Unterdrückung der Proteste, der Kriminalisierung sozialer Bewegungen, der Verfolgung und Ermordung sozialer Anführer und der Militarisierung vieler Gebiete ganz zu schweigen.

Die Fragen der Bewegungen hier sind vielfältig: Wir wissen, dass wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen müssen, aber wer leitet diesen Übergang? Wer hat Zugang zu Elektromobilität? Welche Art von Elektromobilität wird uns zur Verfügung gestellt? Wer sind die Konsumenten dieser Produkte und wer bleibt in der kolonialen Schuldenfalle?

Faschismus, das koloniale Projekt und Fake News sind auf dem Vormarsch. Wir müssen wachsam sein. Wir sind nicht genug Menschen. Lasst uns gegen die rechte Propaganda kämpfen und versuchen, diejenigen zu überzeugen, die nicht hier sind. Es mag unbequem sein, aber wir müssen mit Menschen sprechen, die die IAA für eine coole Veranstaltung halten. Progressive Bewegungen müssen sich zusammenschließen, wir müssen uns zusammenschließen und radikale und antikoloniale soziale Bewegungen im globalen Süden und auf der ganzen Welt unterstützen und verteidigen.

Script of the Speech hold during the Ralley against the International Motor Show Germany (IAA) on 10. September 2023 in Munich:

Hi everyone, thanks to the demo orga for the invitation and Sand im Getriebe for giving me space to talk today. I am Juan Donoso, film-maker, who work with anti-extractivist movements in the Atacama Desert in Chile.

Tomorrow, September 11, marks the 50th anniversary of the coup d’état in Chile against the first democratically elected socialist president in history, Salvador Allende. Allende had nationalized copper mining, seeking a little more autonomy. After the coup, almost all types of mining were privatized, including lithium. Today the largest lithium company in Chile is owned by the former son-in-law of Pinochet, the dictator we had for almost 20 years.

The people who got rich during the dictatorship in Chile are still in positions of power. The link between coup d’états, dictatorships and extractivism go hand in hand.

So who from here knows what’s lithium mining is used for? I guess that in this demo mostly everyone knows.

The most typical examples are batteries for cell phones, laptops and digital cameras. Today, with the expansion of e-mobility, the production of lithium batteries has increased enormously in the Atacama Desert.

The thing is that lithium mining has been framed for long time as „green mining“. But we all know that green mining is an oxymoron. It doesn’t exist, it s like saying sustainable growth. Green development. Green Hydrogen. Clean Coal. Militar intelligence.

The only green mining is the mine that you never open. The only sustainable private car is the one that is never sold.

But how does „green mining“ operate?

– „Green mining“ is depletion of water in villages, huge contamination of vegetables, and lung disease amongst the mine workers.

– Is the destruction of traditional ways of life such as agro-pastoral economies.

– It is the NON-recognition of the only international binding instrument of indigenous participation and consultation, ILO 169.

– It is certification schemes in order to say „responsible mining“, „mining with a gender perspective“.Mining certification schemes are the ultimate greenwashing in the Global South, pushed by the European Union and Ursula Von der Leyen.

Anyways… the things is that green mining recognizes the right to negotiate and compensate, but never recognizes the right of people to say NO. People should have the right to say NO to mining, no more compensations and negotiation. Just the right to say NO. Enough is enough.

We don’t need more destruction. We don’t need more delegations from Volkswagen, Porsche, and Mercedes Benz to come to Chile, Bolivia and Argentina with the German Cooperation Agency (GIZ) to convince how good the world will look like with these minerals.

All of this, without talking about brutal repression of popular protests, criminalization of social movements, persecution and assassination of social leaders, and militarisation of so many territories.

The questions of the movements here are many: we know that we have to phase-out fossil fuels, but who is guiding this transition? Who has access to electromobility? What kind of electromobility are we provided? Who are the consumers of these products and who continue in the colonial debt trap?

Fascism, the colonial project and fake news are growing and growing. We have to be alert. We are not enough people. Let’s fight against right wing propaganda and try to convince the ones that are not here. Might be uncomfortable but we have to talk to individuals who think the IAA is a cool event.

Progressive movements must unite, we must unite, and support and defend radical and anticolonial social movements in the Global South and all around the world.

That’s why I am here and that’s why we fight. Thanks.