IMI-Standpunkt 2023/032

Litauen-Brigade der Bundeswehr: Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner will hin!

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 2. September 2023

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Ende Juni 2023 preschte Verteidigungsminister Boris Pistorius für viele überraschend mit der Ankündigung vor, das Bundeswehr-Bataillon auf Brigadegröße (4.000 Soldat*innen) aufgestockt werde. Im kurz darauf bei Augengeradeaus auffindbaren Tagesbefehl dazu, wurde das Unterfangen von Pistorius auch in einen breiteren Kontext gerückt: „Das Ziel einer solchen dauerhaften Stationierung an der NATO-Ostflanke ist ambitioniert – und es ist ein Stück weit Neuland für Deutschland und die Bundeswehr. Vor allem aber ist es gelebte Zeitenwende und ein klares Signal, dass wir bereit sind, unsere gemeinsame Freiheit auch gemeinsam mit unseren Freunden und Verbündeten zu verteidigen“.

Überaus ambitioniert ist das Vorhaben in der Tat, schließlich soll sich diese Präsenz von bisherigen Unternehmungen fundamental unterscheiden – geplant sind nicht mehr Rotationszeiten von einigen Monaten, die Soldat*innen sollen vielmehr gleich mehrere Jahre im Land verbleiben. Da die Bundeswehr zunächst anscheinend auf Freiwilligkeit setzen will, soll die Auslandsstationierung finanziell versüßt werden, berichtete Spiegel Online Ende Juli 2023: „Der Zuschlag pro Kopf dürfte sich auf rund 2000 Euro monatlich belaufen – abhängig vom Grundgehalt. Hinzu kämen weitere Kosten, etwa für Mietzuschuss und Pauschalen für Ehepartner. Insgesamt sind pro Soldat und Monat Zusatzkosten in Höhe von rund 4000 Euro realistisch.“

Um für die Soldat*innen attraktiv zu sein, werde man insgesamt ein „gutes Paket“ schnüren, gab sich Christian Freuding, Leiter des Planungsstabs im Verteidigungsministerium noch Mitte August optimistisch: „Da gibt es natürlich viele Modelle. Wir blicken da insbesondere auf die amerikanische Stationierung in Deutschland. Da wissen wir, welche soziale Einbettung es gibt von Schulen über Kindergärten, über Sozialeinrichtungen bis hin zu kulturellen Einrichtungen […]. Wir haben damit wenig Erfahrung, aber da werden wir ein gutes Paket mit den Litauern zusammen hinkriegen.“

Deutlich weniger Optimismus spricht aus einem aktuellen Artikel von Spiegel Online, demzufolge die Planungen derzeit noch in den Kinderschuhen stecken würden. Auch dürften sich angesichts der angestrebten freiwilligen Versetzung trotz üppiger Vergütung erhebliche Probleme auftun, genügend willige Soldat*innen zu finden: „Eine Schnellumfrage in den Verbänden, die infrage kämen, machte den Planern wenig Hoffnung. Nur jeder fünfte Soldat gab an, freiwillig an die Nato-Ostflanke ziehen zu wollen. In den Leitlinien für das Projekt mahnt [Bundeswehr-Generalinspekteur] Breuer nun an, die »vielfältigen Belange und Interessen« der Soldaten und ihrer Familien müssten »bestmöglich« berücksichtigt werden. Attraktivität müsse Priorität haben.“

Apropos Personal: Im selben Artikel wird berichtet, das Finanzministerium habe erste Berechnungen angestellt, denen zufolge 1600 Kindergartenplätze und eine deutsche Schule für 3.000 Schüler*innen erforderlich wären. Hier zieht bereits das nächste Rekrutierungsproblem am Horizont auf: „Für die Kitas und Schulen wiederum müsste sich ausreichend Personal finden. Einige Landesregierungen haben schon besorgt im Bendlerblock anrufen lassen und mitgeteilt, wegen des Lehrermangels an der Heimatfront könne man niemanden entbehren.“

Summa summarum sei derzeit nicht ausgemacht, ob sich die Bundeswehr bzw. Boris Pistorius nicht mit ihrem Vorhaben verhoben haben, bilanziert Spiegel Online: „Unter Militärs wächst die Sorge, ob die Mission am Ende überhaupt zu stemmen ist – schließlich hat die Bundesregierung nicht nur die Brigade in Litauen versprochen, sondern weitere umfangreiche Zusagen bei der Nato gemacht. Ab 2025 soll eine voll ausgestattete und einsatzbereite Heeresdivision mit etwa 15000 Soldaten stehen, und schon jetzt weiß niemand, woher die Ausrüstung kommen soll, vom Schützenpanzer bis zum Nachtsichtgerät. 2027 soll eine weitere Division marschbereit sein, so jedenfalls der Plan. Wie soll da noch die Brigade in Litauen finanziert werden? Erste Überschlagsrechnungen gehen offenbar von vier Milliarden Euro Mehrbedarf aus.“