IMI-Analyse 2023/39
Grenzen: High-Tech-Sortiermaschinen?
Rezension zweier Publikationen
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 17. August 2023
Beim nachfolgenden Text handelt es sich um einen Vorabdruck aus dem anstehenden Schwerpunkt „Grenzen“ im nächsten IMI-Magazin AUSDRUCK, das im September erscheinen wird.
Mau: „Sortiermaschinen“
Steffen Mau, der zu den bekannteren zeitgenössischen, deutschen Soziologen zählt, hat 2021 im Verlag C.H.Beck ein “kurzes Buch” veröffentlicht, welches – so der Untertitel – “Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert” unter dem Titel “Sortiermaschinen” beschreibt.
Dass Grenzen “Sortiermaschinen” sind, ist erst einmal keine so neue Feststellung. Jenseits ihrer geopolitischen und völkerrechtlichen Funktion zur Abgrenzung eines Territoriums erscheinen sie v.a. im westeuropäischen Denken den Individuen primär als Ort einer binären, manchmal lebenswichtigen Entscheidung: des Zugangs oder der Zurückweisung. Dass der Ort dieser Entscheidung nicht (mehr) nur der ikonische, ebenfalls westeuropäisch geprägte Schlagbaum ist, scheint auch keine besonders neue Erkenntnis. Vieles, das im Buch dargestellt wird, ist im Grunde der regelmäßigen Zeitungsleserin bekannt: Die Externalisierung der Kontrolle in Drittstaaten und an private Akteure, der zunehmende Einsatz biometrischer Daten, der Bau von Mauern und Zäunen und das Sterben im Mittelmeer. Letzteres steht bei Mau nicht im Mittelpunkt, sondern wird eher sachlich am gebotenen Ort erwähnt. Es handelt sich dabei schließlich nur um eine Zuspitzung der Kernaussage, wonach Grenzen als Filter über Lebenschancen entscheiden und diese anhand ziemlich banaler Kriterien wie Geburtsort bzw. Staatsbürgerschaft reproduzieren: “Die Grenze als Sortiermaschine ist ein Ungleichheitsgenerator”.
Etwas ausführlicher als die (ebenfalls irgendwie ikonisierten) Bootsflüchtlinge werden z.B. jene beschrieben, die sich Kraft Vermögen, teilweise unterstützt von entsprechenden Agenturen, für viel Geld Pässe anderer Staaten und damit Visafreiheit in ganzen Weltregionen einkaufen können. Hier könnte sich noch die diplomatische Klasse jener ergänzen lassen, die mit entsprechenden Pässen oder aufgrund ihrer Funktion in der UNO, anderen Internationalen Organisationen oder den Parlamenten mächtiger Staaten ebenfalls eine weitgehende globale Bewegungsfreiheit genießen. Dem stellt Mau die Hürden gegenüber, die sich für Angehörige ärmerer Staaten ergeben, wenn sie ein Visum z.B. für den Schengen-Raum beantragen wollen. Alleine diese sind für viele abschreckend oder aber gleich unüberwindbar. So werden Ausschlüsse bereits weit jenseits des Ziellandes produziert. Wer ohne Visum reisen will, stößt ebenfalls bereits weit jenseits des Ziellandes auf vielfältige Hindernisse und Barrieren, wobei private Dienstleister und Behörden von Drittstaaten in die Abwehrstrategien der reichen Staaten eingebunden werden. Auch diese im Grunde bekannte Externalisierung beschreibt Mau nüchtern und anschaulich, u.a. am Beispiel der von Europa an den Niger delegierten Abwehr von Migrant:innen: “Ganze Länder oder Landstriche können somit zur Grenzzone anderer zum Teil räumlich weit entfernter Länder umfunktioniert werden”. Hierin erkennt Mau auch den “Wunsch vor allem liberaler Staaten, sich ihrer eigenen, normativen Selbstbindung zu entledigen”, denn: „Exterritorialisierung führt dazu, dass Kontrolle und der Zugang zu Rechten auseinanderfallen“. Dabei verweist Mau auf den französischen Philiosphen Étienne Balibar, der dafür plädiere, den analytischen Blick „von der Bewegung von mobilen Menschen über die Grenze hinweg auf die Bewegung von Grenzen auf mobile Menschen zu“ zu verlagern. Das ist zugleich ein Beispiel dafür, wie es dem Autor an verschiedenen Stellen gelingt, abstraktere und aktuelle wissenschaftliche Debatten unprätentiös mit einer ansonsten sehr anschaulichen Gesamtdarstellung der Funktionsweise von Grenzen zu verweben. Wenn es z.B. an anderer Stelle heißt, „[p]ortable Kontrollgrenzen zielen darauf, ‚Unwillkommene‘ am Abreisen, Durchreisen oder Anreisen‘ zu hindern“, ist dies einerseits offensichtlich – und zugleich eine recht konkrete Anwendung von Balibars Forderung.
Die im besten Sinne populärwissenschaftliche Aufbereitung des Themas zeigt sich auch daran, dass Mau an mindestens drei Stellen Forschungsprojekte aus seinem Umfeld kurz vorstellt. Das gilt z.B. für ein Projekt, das die Fortifizierung von Grenzen zum Gegenstand hatte. Damit ist der Bau von Mauern und Zäunen gemeint, der seit den 1990er Jahren deutlich zugenommen habe. Die Beschreibung dieser „Grenzinfrastrukturen“ als „Bollwerke der Globalisierung“ erfolgt an einer frühen und zentralen Stelle im Buch und soll eine weitere Kernaussage unterstreichen, die sich gegen das von ihm zunächst ausgebreitete „Entgrenzungsnarrativ“ wendet: Der „Abgesang auf die Grenze, wie wir ihn bei den Hohepriestern der Globalisierung immer wieder hören konnten, war eine Illusion zu Lasten Dritter, die die Globalisierung nicht als ent-, sondern viel eher als Ausgrenzung erleben durften“. Die Öffnungsglobalisierung sei systematisch verbunden mit einer zugleich stattfindenden Schließungsglobalisierung, wobei die „Freizügigkeitsgewinne für die Einen mit Begrenzungen von Mobilitätsoptionen für die Anderen erkauft werden“. Das geht damit einher, dass für erstere die Grenze zunehmend unsichtbar werde. Die Hochmobilen, die „Sozialfigur des Trusted Travellers“ überfliegt Zäune und Mauern. Sie sind mittlerweile an die „Walk-Through-Grenze“, den Grenzübertritt als kurze „Mensch-Maschine-Interaktion“ gewöhnt. Für sie erscheinen Stacheldraht und Befragung an der Grenze tatsächlich als Anachronismus. Ganz am Anfang, wo er das „Entgrenzungsnarrativ“ nachzeichnet, nimmt er dabei auch seine eigene Zunft auf’s Korn und spekuliert über eine „déformation professionelle der Konferenztouristen“. Die Grenze als „Ort legitimer staatlicher Kontrolle auch ohne Verdacht“, als „Situation der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins“ und des Tauschs „umfassender Eingriffs- und Kontrollrechte staatlicher Behörden gegen individuelle Eintritts- und Mobilitätsmöglichkeiten“ ist „keine Jedermann- oder Jederfraugrenze“, sondern eine „individualisierte Grenze“. Die flexibilisierte und deterritorialisierte Grenze als Sortiermaschine hingegen zielt darauf ab, die Trusted Travellers zu isolieren, während sie ganze Bevölkerungsgruppen nach Risikofaktoren bewertet, als Sicherheitsbedrohung einstuft und weit jenseits der territorialen Grenze aufzuhalten oder an dieser herauszugreifen und besonders zu durchleuchten sucht.
Hierbei spielen natürlich auch neue Technologien und sog. „Smart Borders“ eine Rolle. Die „Informationelle und biometrische Kontrolle“ beschreibt Mau in einem weiteren zentralen Kapitel. Neben den verschiedenen „Identitätsspeichern“, die gegenwärtig im Zuge des Grenzmanagements aufgebaut werden und sich zunehmend nicht auf Dokumente, sondern auf biometrische Identifikation („face passport“) beziehen, spricht Mau den Einsatz von KI und Algorithmen anhand weniger konkreter Beispiele an. Besonders wichtig scheint ihm dabei zu sein, dass in diesen Datenbanken „zuvor separierte gesellschaftliche Bereiche miteinander“ gekoppelt und „Informationen aus einem ganz anderen Kontext für die Einreise in ein anderes Land entscheidungsrelevant“ werden. Vor dem Hintergrund der Pandemie, in der das Buch offenbar geschrieben wurde, spielen hier u.a. Gesundheitsindikatoren eine Rolle, was – der Autor räumt das ein – nicht gänzlich neu ist. Mit wenigen anschaulichen Beispielen legt er jedoch nahe, dass zunehmend auch das Konsumverhalten und die Bonität in entsprechende Entscheidungssysteme einfließen und damit auch der private Sektor eingebunden wird, der solche Indikatoren erhebt.
An dieser Stelle wirkt das Buch appellativ und gewissermaßen mobilisierend. Es scheint dem Autor ein persönliches Anliegen, eine breitere Öffentlichkeit auf entsprechende Tendenzen und mögliche Folgen aufmerksam zu machen und zumindest zwischen den Zeilen auch zu warnen. Ansonsten ist das Buch, auch wenn es die hier wiedergegebenen Zitate vielleicht anders erscheinen lassen, nicht in dem Sinne politisch oder moralisierend, wie es beim Thema Grenzen ansonsten – und oft durchaus zu Recht – der Fall ist. Somit ist es nicht nur für ein Fachpublikum mit kritischer Haltung zu Grenzen als dichte und stimmige Zusammenfassung weitgehend bekannter Fakten empfehlenswert, sondern auch als Geschenk an Verwandte oder Kolleg*innen, denen es bislang an Empathie für diejenigen fehlt, denen die „Globalisierung“ vor allem als Ausschluss entgegentritt.
CILIP 131
Die „Sortiermaschinen“ von Steffen Mau bilden einen hervorragenden Hintergrund für die Lektüre der 131. Ausgabe der Zeitschrift „Bürgerrechte und Polizei“ (Cilip) vom März 2023 mit dem Titelthema „Mit Technologien gegen Migration“. Der Schwerpunkt besteht aus sieben Einzelbeiträgen zu verschiedenen Aspekten. Unter dem Titel „Migrationsabwehr als angewandte Wissenschaft“ stellt Norbert Pütter, thematisch geordnet, Projekte der deutschen und EUropäischen Forschungsprogramme für die „zivile Sicherheit“ vor, die einen expliziten Bezug zum EUropäischen Grenzregime aufweisen. Im Themenfeld Detektion geht es dabei um verschiedene Technologien, mit denen Menschen in Fahrzeugen oder Containern aufgespürt werden sollen. Hierzu werde u.a. mit dem Einsatz von Wärmebild- und Terahertzkameras experimentiert, die versteckte Personen auch im fließenden Verkehr identifizieren können. Ein weiteres Projekt habe demnach auch den Einsatz von Röntgenaufnahmen und anderen radiologische Untersuchnungsmethoden untersucht, sei aber primär auf die Erkennung von Drogen oder Sprengstoff ausgerichtet. Zunächst eher skurril, aber womöglich durchaus anwendungsnah sollte auch ein „tragbares Meßsystem“ erforscht werden, mit dem Luft aus geschlossenen Fahrzeugen oder Containern abgesogen und auf „charakteristische Merkmale von menschlichen Ausdünstungen wie Atemluft oder Schweiß“ untersucht werden könne. Beispielhaft für den Bereich Grenzüberwachung wird das Projekt FOLDOUT vorgestellt, bei dem Satellitenaufnahmen mit der „Echtzeit-Überwachung durch Luftschiffe“, anlassbezogenen Flügen bemannter und unbemannter Systeme und einer Vielzahl von Sensoren am Boden verknüpft werden sollen. Vergleichbare Projekte werden auch im Themenfeld der Seegrenzen dargestellt. Unter der Überschrift „Identitätsprüfung an der Grenze und im Inland“ werden Forschungsprojekte genannt, welche u.a. durch Auslesen der Smartphones Geflüchteter Rückschlüsse auf deren Herkunft und die verwendeten Routen ermöglichen sollten. Weitere Projekte verfolgten das Ziel der Ermittlung des Herkunftslandes durch „Sprach- und Dialektanalyse“ oder der standardisierten Altersermittlung „mit den Mitteln Künstlicher Intelligenz“. Was Püttners kurzen Beitrag gegenüber anderen teilweise ausführlicheren Darstellungen der entsprechenden Programme auszeichnet, ist, dass in wenigen Sätzen auch die Dynamik der Forschungsförderung und die Verantwortung der Forschenden angesprochen wird. Letztere müssten „in ihren Anträgen erfolgreich bestehende Überwachungs- und Kontrolldefizite behaupten, die sie zu schließen versprechen“. Mit dem „technischen Fokus“ verbunden sei, dass „die Forschenden die Abschottungslogik als unhinterfragte Basis ihres Tuns (und Geldverdienens) bekräftigen und die Migrant*innen als zu polizierende Objekte behandeln“. Gut, das das mal in dieser Klarheit formuliert wurde. Zugleich würden viele der erforschten Technologien „das Potential zu einer totalitären Überwachung der gesamten Gesellschaft“ bergen.
Auf diesen Aspekt geht bereits die Redaktionsmitteilung ganz am Anfang des Heftes ein, in der auf Michel Foucaults Bild des „kolonialen Bumerangs“ verwiesen wird: „Bis heute sind die rassifizierten ‚Fremden‘ das primäre Testfeld für neue Kontrolltechnologien“, die mit einiger Wahrscheinlichkeit früher oder später auf weitere Teile der Gesellschaft Anwendung finden würden. Viele der Autor*innen des Schwerpunkts greifen diese Argumentation auf, darunter Petra Molnar, die in der Vergangenheit viel zum Einsatz von KI im Migrationsmanagement geforscht hat. In ihrem Beitrag „Digitale Festungen und Roboterhunde – Technologische Gewalt an den Grenzen der EU und USA“ stellt sie fest: „Die Regulierungslücken im Hinblick auf Grenztechnologie sind beabsichtigt, um technologische Experimente zu ermöglichen, die andernorts nicht erlaubt wären“. Das „Andernorts“ ist dabei vermutlich nicht vorrangig räumlich zu verstehen, denn auch sie spricht – bezugnehmend auf Ayelet Schahar und deren Buch „Shifting Borders“ – davon, dass Grenzen „elastisch geworden“ und „nicht mehr an einen physischen Ort gebunden“, sondern „zu einer beweglichen Barriere, zu einem losgelösten rechtlichen Konstrukt“ geworden sind. Besonders stark hebt den Aspekt „Migrant*innen als Versuchssubjekte“ und die „Migrationssteuerung der EU als Versuchslabor für neuartige Technologien“ Lise Endregat Hemat in ihrem Beitrag „Wirklich nur Forschung?“ hervor: „Migration wird als eine Gefahr geframed […], wobei sich die Grenzen dessen, was als akzeptabel erachtet wird, verschieben. Solche Prozesse können die Entwicklung außergewöhnlicher Technologie befördern“.
Eine weitere Argumentation zieht sich durch einen Großteil der Beiträge, nämlich die Vorstellung eines gewinnträchtigen und profitorientierten „grenzindustriellen Komplex“ (Molnar) bzw. des „Geschäftsfelds Migrationskontrolle“. Verschiedene Beiträge nennen zwei- bis dreistellige Millionenbeträge für bestimmte Projekte, welche eine Zweck-Mittel-Relation jenseits der Förderung dieser Industrie kaum erkennen lassen. Auch jenseits der Fusion beider Gedanken liegt es durchaus in der juristisch-aktivistischen Tradition der „Cilip“, die aktive Verteidigung der Rechte insbesondere jener in den Mittelpunkt zu stellen, für die der Zugang besonders erschwert ist. So macht der Beitrag von Clemens Arzt durchaus Sinn, in dem er verschiedenste Rechtsquellen, von der Europäischen Menschenrechtskonvention über das Grundgesetz bis hin zum deutschen Strahlenschutzgesetz (was es nicht alles gibt…) nach Möglichkeiten durchforstet, entsprechende Praxen zur „Detektion von Flüchtenden in Fahrzeugen“ anzufechten. Auch der Beitrag von Lucie Audibert, „Warnungen aus Großbritannien“, beschreibt juristische Auseinandersetzungen um verschiedene Maßnahmen des britischen Innenministeriums, mit denen Handys von Asylsuchenden ausgelesen oder diese mit GPS-Tracking überwacht werden. Die so erhobenen Daten können in die Entscheidung über Aufenthaltsperspektive oder Abschiebung einfließen und damit natürlich „das Recht auf Privatsphäre, aber auch auf Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit verletzen“. Es gelingt der Autorin dabei sehr gut, die „weitverbreite Rechtswidrigkeit“, Regelverstöße und Regulierungslücken als bewusste Strategie des britischen Innenministeriums und die von Betroffenen und Menschenrechtsgruppen angestoßenen Verfahren als Gegenstrategie zu rekonstruieren.
Neben den Interessen der entsprechenden Industrie und einem scheinbar sich verselbstständigen Framing von Migration als Bedrohung sprechen die Autor*innen des ersten Beitrags (der den Charakter eines erweiterten Editorials hat) auch den technologischen Solutionismus als ideologische Grundlage dessen an, was beschrieben wird. Damit ist die Vorstellung bzw. Tendenz gemeint, für soziale Phänomene, die als „Problem“ definiert werden, technologische „Lösungen“ zu suchen und zu verfolgen. So heißt es dort u.a.: „Egal ob innenpolitisch oder wenn es um Migration auf EU-Ebene geht, reagiert der neoliberale Staat auf Krisen schnell mit autoritären Mitteln, die er nicht zuletzt technisch umgesetzt sieht. Dann bestimmt sich der Diskurs durch Diskussionen über technisch Machbares und nicht über politisch Umkämpftes“. Schön gesagt auch hier: „Ausgehend von der Idee des Krisenhaften, das mit Migrationsbewegungen einhergeht, verbindet sich vor allem mit vorausschauenden und vorhersagenden Technologien, samt ihrer mathematischen wie physikalischen Verfahren, das Versprechen einer berechenbaren Kontrolle über menschliche Verhaltensweisen“. Lise Endregat Hemat formuliert einen Gedanken, der daran sehr gut anknüpft: Sie fragt sich eher am Rande, was die „Datensammelsysteme“ und „enormen Datenmengen“ denn dazu beitragen (können), „um die strukturellen Probleme zu beheben, die Migration verursachen“. (Im Gesamtkontext ist dabei klar, das Hemat hier auf Fluchtursachen und globale Ungleichheit abzielt und nicht Migration per se als Problem kategorisiert)
Vergleich
Während es sich bei Maus „Sortiermaschinen“ und der Cilip 131 um grundverschiedene Publikationen handelt, weisen sie verschiedene Gemeinsamkeiten auf. Sowohl die Monographie des etablierten Soziologen Mau wie auch die (fast) aktuelle Ausgabe einer Zeitschrift aus dem aktivistischen Umfeld kritischer Jurist*innen (Cilip ist ein Verein, den man durch Mitgliedschaft unterstützen kann) kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen und ergänzen sich, vermutlich unfreiwillig. Beide werfen eher implizit die Frage auf, ob die technologische „Neuerfindung der Grenzen“ auch eine Neuerfindung der Staatlichkeit und ihrer Souveränität ist. Molnar schreibt in der Cilip etwa, dass „die Macht, Innovationen zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen“, „die Kluft zwischen Nord und Süd“ vergrößert. Das ist hier sehr verkürzt wiedergegeben, aber ein Satz, den es sich evtl. lohnt, zweimal zu lesen. Der Blickwinkel der Monographie ist globaler, die Cilip nimmt eher die EU in den Blick und geht hier in interessante Details. Beide liefern spannende Referenzen zu postkolonialen Ansätzen, ohne dass sie selbst diesen zugeordnet werden könnten. Inspiriert durch diese Ansätze gab sich bis vor etwa zehn Jahren die Theorie der (relativen) Autonomie der Migration, die in beiden Publikationen keine offenkundige Erwähnung findet. Zugespitzt besagte sie, dass staatliche Interventionen das Migrationsgeschehen nur begrenzt beeinflussen könnten und die Migrant*innen diese kontinuierlich herausfordern, mitgestalten und unterlaufen würden. Ihre Darstellung als „Versuchssubjekte“ wäre damals womöglich vehement kritisiert worden – die Argumente dafür waren und sind gut. Die „Sortiermaschinen“ waren da bereits Thema, deren Konkretisierung in den beiden behandelten Publikationen könnte jedoch auch Anreiz oder Provokation für ein Update sein zur „Autonomie der Migration“.