IMI-Analyse 2023/32

Banaler Militarismus

Von süßen Leos und supergeilen Geparden

von: Alexander Kleiß | Veröffentlicht am: 6. Juli 2023

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Es ist der 25. Januar 2023. Erster Tagesordnungspunkt im Bundestag: Befragung des Bundeskanzlers Olaf Scholz. Dieser überzieht seine für eine kurze Berichterstattung vorgesehene Redezeit deutlich und nutzt diese Zeit, um eine umstrittene Entscheidung zu verkünden: Die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern an die Ukraine.

Während viele in der Gesellschaft die Entscheidung aus gutem Grund kritisch sehen, gibt es auch diejenigen, denen es nicht schnell genug gehen konnte mit der Lieferung des todbringenden Militärgeräts. Eine von ihnen: Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sara Nanni. Anlässlich der Lieferung der Kampfpanzer hat sie sich für die Sitzung des Bundestags extra ein Sweatshirt mit Leoparden-Muster angezogen.1 Bereits am Tag zuvor hatte sie sich in einem Nike-Sweatshirt mit Leo-Muster in sozialen Medien präsentiert mit der eindeutigen Botschaft: „Free the Leopards. Just do it.“2 Irgendwie süß und hip (Leo-Muster ist ja zurzeit bis tief in linke Kreise total im Trend) und doch auch ekelhaft – immerhin geht es hier um teure Maschinen aus Metall, die im Grunde nur eines können: Zerstörung und Tod bringen.

Angeknüpft hatte Nanni damit an den Hashtag #FreeTheLeopards, der zuvor auf Twitter bekannt wurde. Militärpropaganda kann offenbar sehr erfolgreich sein, ohne dabei Themen wie Krieg, Tod, Zerstörung, Militär usw. überhaupt direkt aufzugreifen. Kennzeichnend ist, dass Krieg und Militarismus sowie deren Folgeerscheinungen verharmlost werden. Denn: Wer würde den armen Leoparden (oder besser noch: den Leos) ihre Freiheit verwehren? Tierlieb sind wir doch alle irgendwie.

Panzer – Supergeil?

Bereits nach der Lieferung der Gepard-Panzer wenige Monate zuvor hatte sich das ukrainische Verteidigungsministerium bei Deutschland für die Flugabwehrpanzer mit einem Video bedankt: Untermalt mit dem 2014 viral gegangenen Hit „Supergeil“ des Musikers Friedrich Liechtenstein wird Militärgerät im Einsatz gezeigt, das Deutschland zuvor an die Ukraine geliefert hatte, wie das Luftabwehrsystem Iris-T oder der Gepard-Panzer. Dazu wird immer wieder Text eingeblendet: „Super Iris / Super Leopard / Super Defense / Supergeil!“ In einem YouTube-Video3 der WELT wird der Clip besprochen. Die Korrespondentin Tatjana Ohm merkt an, der Clip möge „zwar nicht jedem gefallen“, zeigt sich aber insgesamt beeindruckt. Der Humor könne im Krieg auch „eine Waffe“ sein. Der belustigt bis verschmitzte Kommentar aus dem Studio in Deutschland dazu: „…und eine charmante noch dazu.“

Banaler Militarismus

All dies sind Beispiele für eine Trivialisierung des Militärs in postmodernen Bildergesellschaften. Fabian Virchow und Tanja Thomas prägten zur Erfassung dieses Phänomens das Konzept des „Banal Militarism“ (Banaler Militarismus). 2006 gaben sie den Sammelband „Banal Militarism. Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen“ heraus. Banal Militarism definieren sie darin als die zahlreichen Prozesse, „mittels derer das Militär bzw. Militärisches im weitesten Sinne in den Alltag eingelassen ist und zu seinem (weitgehend) selbstverständlichen Bestandteil gemacht wird/werden soll.“4 Oder anders ausgedrückt: „die vielfältigen Prozeduren der Gewöhnung an und/oder Einübung von Denkmustern, Einstellungen und Verhaltensweisen […], die – mehr oder weniger – mit einem militärischen Habitus verbunden sind“.5 Diese Prozeduren der Gewöhnung an Militarismus erfolgen oft über eine banalisierende oder gar unterhaltsame Darstellung von Krieg und Militär. Der Kulturindustrie schreiben sie dabei eine immer bedeutendere Rolle zu. In den oben genannten Beispielen betrifft dies z.B. soziale Medien, über die Videoclips rasant und mit großer Reichweite verbreitet werden können. Banal Militarism betrifft jedoch auch zahlreiche andere Bereiche des alltäglichen Lebens: vom Kleidungsstil (Stichwort: Leo-Muster, aber auch Camouflage-Kleidung) über die Banalisierung staatlicher Gewalt durch Militärrituale bis hin zu PC-Kriegsspielen, die den spielenden Nutzer*innen „Unterhaltung und dem Militär ein modernes Rekrutierungs- und Sozialisationsinstrument“6 bieten. Manchmal passiert die Banalisierung von Militär und Militarismus eher zufällig und nebenbei, zum Teil wird sie vom Militär aktiv vorangetrieben. Michael Schulze von Glaßer beleuchtet diese Prozesse im Fall von Videospielen sehr aufschlussreich in der IMI-Studie „Die Verbindungen zwischen der Videospielbranche, dem Militär und der Rüstungsindustrie“.7 Dabei führt er mehrere Beispiele für direkte Kooperationen zwischen Videospielhersteller*innen auf der einen Seite und Militär oder Rüstungsindustrie auf der anderen Seite an. Timothy Lenoir, auf dessen Vorarbeit sich Virchow und Thomas bei der Entwicklung des Konzepts des Banal Militarism stützen, spricht an dieser Stelle sogar von einem „Military-Entertainment Complex“.8

Letztlich betrifft der banale Militarismus jedoch so viele Bereiche unseres Alltags, dass es kaum möglich ist, diese hier alle aufzuzählen. Die Veralltäglichung des Militärischen und Kriegerischen findet in einer Vielzahl unspektakulärer Prozesse und Aneignungen statt – oft auch unbewusst. Im oben angesprochenen Sammelband wird banaler Militarismus u.a. am Beispiel von Kinder- und Jugendromanen, Diskursen, Theaterstücken, Militärdenkmälern, Sport, Filmen, Kino, Journalismus, Universitäten oder Popmusik untersucht.9

Das Konzept des banalen Militarismus kann dabei helfen, den Blick für diese vermeintlich unwichtigen Formen der Militarisierung zu weiten. Weil das Militärische aktuell immer weiter ins Zivile eindringt – sei es als Helfer*innen an Corona-Teststationen, durch Plakatwerbung oder auf YouTube, ist es wichtig, sich mit genau diesen Formen der Militarisierung verstärkt auseinanderzusetzen.

Anmerkungen

1 Taz: Kampfpanzerlieferungen in die Ukraine: Das Wendemanöver des Kanzlers. 25.1.2023.

2 Mastodon: Post von Sara Nanni. 24.1.2023.

3 WELT Nachrichtensender: Krieg in der Ukraine: „Super Please“ – Ukraine bittet Deutschland mit Video um Leopard-Panzer. 3.11.2022.

4 Tanja Thomas und Fabian Virchow: Banal Militarism. Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen. 2006, S. 34.

5 Ebd., S. 26.

6 Ebd., S. 39.

8 Timothy Lenoir: „All but War is Simulation: The Military-Entertainment Complex“ in: Configurations 2000 (8), S. 289-335.

9 Thomas und Virchow: 2006.