IMI-Analyse 2022/25

Eskalationsspiralen

Berlin gibt schwere Waffen für Ukraine frei

von: Martin Kirsch | Veröffentlicht am: 27. April 2022

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Im Lauf des April startete eine neue Phase der Waffenlieferungen aus NATO-Staaten in die Ukraine. Zur Koordination dieser Waffenlieferungen fand am 26. April eine Konferenz auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in der Pfalz statt. Der Einladung des US-Verteidigungsministers Austin folgten rund 40 Verteidigungsminister*innen und Generalstabschefs aus verbündeten Staaten. 

Pünktlich zu dieser Konferenz der Waffenlieferanten verkündet auch Deutschland neue Waffenlieferungen. Aus den Beständen des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann (KMW) sollen Gepard Flugabwehrpanzer an die Ukraine geliefert werden. Das wären die ersten schweren Waffen die Deutschland direkt an die Ukraine schicken würde. Bereits in den letzten Wochen hatte Berlin allerdings durch Ringtausch, Exportgenehmigungen, Ausbildungshilfe und die Positionierung der Bundeswehr die Lieferung schwerer Waffen durch Verbündete ermöglicht.

Waffenlieferungen der Bundeswehr

Seit der Entscheidung der Bundesregierung Ende Februar, in der erstmals Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet nicht im stillen Kämmerlein beschlossen wurden, hat die Bundeswehr eine große Anzahl an sogenannten „leichten Waffen“ an die Ukraine geliefert. Das Wort „leichte Waffen“ ist allerdings irreführend, weil es nichts über die Tödlichkeit dieser Waffensysteme aussagt. Die meisten Kriegstoten weltweit sterben durch Handfeuerwaffen (Gewehre, Pistolen, Maschinengewehre, …), die unter diese Kategorie fallen.

Welche Waffen die Bundeswehr bereits in die Ukraine geliefert hat, ist mittlerweile ein Staatsgeheimnis. Die entsprechenden Informationen können nur von den mit diesem Thema betrauten Parlamentarier*innen in der Geheimschutzstelle des Bundestages eingesehen werden – unter der Bedingung, dass sie Stillschweigen über das Gesehene bewahren.

Trotzdem gibt es mittlerweile Medienberichte, die zumindest einen Teil der gelieferten Waffen auflisten. So berichtet beispielsweise die Zeit unter Berufung auf die Deutsche Presseagentur (DPA) von einer Liste, die aus ukrainischen Regierungskreisen stammen soll. Laut dieser Liste hat Deutschland bereits 2.500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste mit 3.000 Schuss Munition, 100 Maschinengewehre und 15 Bunkerfäuste mit 50 Raketen geliefert. Zudem 100.000 Handgranaten, 2.000 Minen, rund 5.300 Sprengladungen sowie mehr als 16 Millionen Schuss Munition für Handfeuerwaffen. Laut Focus kommen 1.000 Ersatzteile für Maschinengewehre, 100.000 Sprengschnüre und 250.000 Anzünder hinzu.

Bilder aus der Ukraine scheinen zudem Klarheit darüber zu bringen worum es sich bei den 2.000 gelisteten Minen handelt. Wie das Fachportal soldat-und-technik.de berichtet, haben die russischen Streitkräfte in der Ukraine Panzerabwehrrichtminen des Typ DM-22, der fast ausschließlich von der Bundeswehr verwendet wird, erbeutet.

Dieser Vorfall zeigt nur eine der vielen Gefahren von Waffenlieferungen. Schon häufig fielen an Kriegsparteien gelieferte Waffen auch in die Hände der jeweiligen Gegner – zuletzt im massiven Umfang in Afghanistan nach dem Abzug der NATO-Armeen.

Milliarden von Waffenlieferungen

Bereits deutlich unter Druck durch Politiker*innen aus FDP, Grünen und CDU sowie der begleitenden Berichterstattung mehr und schwerere Waffen zu liefern, verkündete Kanzler Scholz am 14. April einen Finanztopf für Waffenlieferungen. Noch in diesem Jahr sollen zusätlich zwei Milliarden Euro für die sogenannte Ertüchtigungsinitiative zur Verfügung stehen. Bereits seit 2016 werden aus diesem Topf Lieferungen militärischer Ausrüstung und Waffen an andere Staaten finanziert.

Deutlich über eine Milliarde ist, z.T. über den Umweg der EU-Friedensfazilität, für die Ukraine vorgesehen. Mit diesem zugesagten Geld soll die Ukraine laut Scholz in die Lage versetzt werden, Waffen, die die Bundeswehr nicht liefern kann, direkt bei der Rüstungsindustrie zu bestellen. Ob das Geld nur in Deutschland, der EU oder in NATO-Staaten ausgegeben werden darf, ist nicht bekannt. Wie bereits für das 100 Milliarden schwere Sondervermögen für die Bundeswehr, sollen auch diese zusätzlichen zwei Milliarden durch weitere Schulden finanziert werden, die dafür sorgen, dass die bereits jetzt hochproblematische Inflation weiter angefeuert wird.

Exportgenehmigungen

Während die politische Debatte um die Lieferung sogenannter „schwerer Waffen“ durch Deutschland weiter tobt, wird eine zweite Komponente in der Debatte fast völlig übersehen. In den letzten zwei Monaten hat Deutschland über Exportgenehmigungen, Unterstützung der Bundeswehr, Ausbildungshilfe, Munitionslieferungen und einen sogenannten Ringtausch bereits eine Vielzahl von Lieferungen sogenannter „schwerer Waffen“ durch verbündete Staaten unterstützt und z.T. überhaupt erst ermöglicht. Eine Phase der Lieferung „schwerer Waffen“ durch NATO-Staaten setzte im April, quasi zeitgleich mit dem russischen Rückzug im Nordosten der Ukraine ein und nahm über die letzten Wochen deutlich an Fahrt auf.

Am 5. April machte die Meldung die Runde, dass Tschechien mehrere Dutzend Kampfpanzer des Typ T-72, der im Warschauer Pakt produziert wurde, an die Ukraine liefern will. Dieses Waffensystem wird nach wie vor nicht nur in den Armeen vieler östlicher NATO-Staaten, sondern auch in der Ukraine eingesetzt. Damit war Tschechien der erste NATO-Staat, der Kampfpanzer in die Ukraine lieferte. Der zweite Teil der Nachricht fand allerdings weniger Platz in der Berichterstattung. Zusätzlich zu den T-72 Kampfpanzern sagte Tschechien auch die Lieferung von knapp 60 BMP-1 Schützenpanzern, ebenfalls aus der Produktion des ehemaligen Warschauer Pakts, zu. Dafür war allerdings eine Exportgenehmigung aus Deutschland nötig, die Berlin bereits Anfang April bereitwillig gab. Die BMP-1 Schützenpanzer stammen aus den Beständen der ehemaligen NVA, was der Bundesregierung über die sogenannte Endverbleibsklausel ein Vetorecht bei Weiterverkauf oder Weitergabe einräumt. Bereits Ende Februar hatte Berlin eine Exportgenehmigung für die Lieferung von neun D-30 Haubitzen aus Estland erteilt. Diese Artilleriegeschütze stammen ebenfalls von der NVA und wurden über Finnland an Estland verkauft.

Auf die tschechische Ankündigung folgte am 16. April die Meldung über eine Warnung aus Moskau, die tschechischen Waffenlieferungen könnten zu „unvorhersehbaren Folgen“ führen.

Auf diese Warnung scheint die tschechische Regierung allerdings nicht viel zu geben. So folgen immer weitere Ankündigungen über Waffenlieferungen wie Artilleriesysteme und das Angebot an die Ukraine, alte oder beschädigte Panzer in Tschechien zu reparieren.

Bundeswehr „ersetzt“ Flugabwehr

Vermutlich beflügelt durch das tschechische Beispiel verkündete das Nachbarland Slowakei am 8. April, dass es sein weitreichendes Flugabwehrraketensystem S-300 aus sowjetischer Produktion an die Ukraine verschenken werde. Dieser Schenkung waren Verhandlungen mit den USA und wochenlange Dementis durch die slowakische Regierung sowie Proteste gegen die Weitergabe vorausgegangen. Im Gegensatz zu den Lieferungen aus Tschechien handelte es sich allerdings nicht um eingelagerte Waffen, sondern um das aktiv in der Nutzung der slowakischen Streitkräfte befindliche Luftverteidigungssystem. An dieser Stelle kommt die Bundeswehr ins Spiel. Bereits Mitte März hatten Deutschland, die Niederlande und die USA eigene Flugabwehrraketensysteme des Typs Patriot in die Slowakei verlegt. Sie ersetzen dort, bedient u.a. von Bundeswehrsoldat*innen, das slowakische S-300 System, was damit für die Lieferung in die Ukraine frei wurde. Wie bereits mit der tschechischen Panzerlieferung folgte auch auf die slowakische Ankündigung eine Warnung aus Moskau, die Lieferung des S-300 Flugabwehrraketensystems anzugreifen.

Ringtausch

Nach einer erneuten Runde teils absurder aber deshalb nicht weniger gefährlicher Debatten über die Ausweitung deutscher Waffenlieferungen, in denen Kanzler Scholz auch aus den Reihen der Regierungskoalition teils scharf angegriffen wurde, folgte am 22.April die Ankündigung, weitere Waffenlieferungen durch Verbündete aktiv zu unterstützen.

Das wohl bekannteste Beispiel dieser Unterstützung ist der sogenannte Ringtausch. Diese Panzerrochade funktioniert so: Das NATO-Mitglied Slowenien wird bis zu 46 Kampfpanzer des Typs M-84, eine jugoslawische Version des T-72, an die Ukraine liefern. Dafür wird die Bundeswehr laut Berichten Schützenpanzer Marder und/oder Radpanzer Fuchs aus eigenen Beständen an Slowenien liefern und die dortigen Soldat*innen ausbilden. Dabei handelt es sich allerdings nicht, wie oft behauptet, um einen Ersatz der Kampfpanzer, sondern um eine Art Entschädigung. Die slowenische Armee hat zwar Kampfpanzer im hohen zweistelligen Bereich auf Lager, allerdings kein aktives Panzerbataillon mit Soldat*innen, die diese aktuell bedienen könnten. Daher werden die aus Deutschland gelieferten Panzerfahrzeuge zur Aufstockung der bestehenden Infanterieverbände genutzt.

Laut dem aktuell in Abstimmung befindlichen Antrag der Regierungskoalition, der am 28. April im Bundestag verabschiedet werden soll, ist geplant, den Ringtausch mit östlichen NATO-Staaten weiter auszubauen. Für künftige Tauschgeschäfte könnte auch die deutsche Rüstungsindustrie ins Spiel kommen. So haben beispielsweise Tschechien und die Slowakei Interesse an den modernen deutschen Schützenpanzern Lynx gezeigt. Zur Überbrückung des Produktionszeitraums von mehren Jahren könnten beispielsweise die 100 Marder Schützenpanzer genutzt werden, die Rheinmetall aus seinen Beständen am liebesten direkt in die Ukraine liefern würde.

Und weil diese Frage oft gestellt wird: Es gibt konkrete Gründe, warum die Schützenpanzer Marder der Bundeswehr an Slowenien, nicht aber an die Ukraine geliefert werden können. Erstens scheint es einen politischen Beschluss innerhalb der NATO zu geben. Auch Großbritannien liefert seine Challanger 2 Kampfpanzer nicht direkt an die Ukraine, sondern an Polen um damit eine polnische Lieferung von T-72 Panzern an die Ukraine zu ermöglichen. Damit werden Waffensysteme an die Ukraine geliefert, die ohne lange Ausbildungszeit und komplizierte Logistikketten direkt im aktuellen Kriegsgeschehen verwendet werden können. Zudem scheint es den Versuch zu geben, Bilder zu vermeiden, auf denen Panzer aus NATO-Produktion direkt in Kämpfe mit der russischen Armee verwickelt sind. Zweitens gibt es ein praktisches Problem, das mit den komplizierten Verstrickungen der Rüstungsindustrie zusammenhängt. Die für den Schützenpanzer Marder nötige Munition wird in der Schweiz produziert. Auch hier greift die bereits erwähnte Endverbleibsklausel.  Bern ist allerdings, aufgrund seiner Neutralität, nicht bereit, der Lieferung dieser Munition in die Ukraine zuzustimmen. Die Marder wären damit quasi nutzlos. Anders verhält es sich mit dem Export der Munition an NATO-Staaten wie die Slowakei.

Ausbildung ukrainischer Soldat*innen

Neben der Präsenz der Bundeswehr in der Slowakei werden deutsche Soldat*innen nach aktuellen Ankündigungen auch weitere Waffenlieferungen aus NATO-Staaten unterstützen bzw. erst ermöglichen.

So kündigten die Niederlande an, eine einstellige Zahl an Artilleriesystemen des Typs Panzerhaubitze 2000 an die Ukraine zu liefern. Während die Niederlande, im Gegensatz zur Bundeswehr, Reserven in diesem Bereich haben, fehlen ihnen allerdings die Ausbildungskapazitäten. Auch die niederländischen Artillerist*innen werden an diesem System an der Artillerieschule der Bundeswehr im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein ausgebildet. Hier sollen künftig auch die ukrainischen Bediener*innen der aus den Niederlanden gelieferten Panzerhaubitzen geschult werden. Zudem wird auch die Munition für die Panzerhaubitze 2000, ohne die das System wertlos wäre, aus Deutschland kommen.

Darüber hinaus kündigten die USA an, insgesamt 90 gezogene Haubitzen des Typs M777 samt Munition und Zugfahrzeugen an die Ukraine zu liefern. Die Ausbildung ukrainischer Soldat*innen für dieses System soll auf dem US-Truppenübungsplatz bei Grafenwöhr in Bayern stattfinden. Zudem kündigte Verteidigungsministerin Lambrecht auf der Konferenz der Waffenlieferanten am 26. April in Ramstein an, auch für diese Ausbildung Personal der Bundeswehr abzustellen.

Somit ist die Bundeswehr direkt an der Lieferung zweier moderner Artilleriesysteme an die Ukraine durch die Niederlande und die USA beteiligt.

Schwere Waffen aus Deutschland

Pünktlich zum Treffen der „westlichen“ Waffenlieferanten in Ramstein am 26. April verkündete Verteidigungsministerin Lambrecht die Lieferung schwerer Waffen direkt aus Deutschland. Die Bundesregierung habe den Export von rund 50 Flugabwehrkanonenpanzern des Typs Gepard freigegeben. Das Waffensystem war bis 2011, als die Bundeswehr verstärkt auf Auslandseinsätze umgestellt wurde, auch dort im Einsatz. Innerhalb der NATO werden die Gepard Panzer in Rumänien weiter genutzt. Lieferant für die Gepards wird allerdings nicht die Bundeswehr, sondern der  Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann (KMW) sein, der entsprechendes Gerät eingelagert hat. Damit wird die Gepard-Lieferung wohl das erste größere Waffengeschäft mit der Ukraine sein, was aus der aufgestockten Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung finanziert wird.

Außenpolitisch zieht Deutschland mit diesem Schritt mit Staaten wie den USA, Großbritannien, Kanada, Frankreich, den Niederlanden und Australien, aber auch Tschechien, Polen, der Slowakei, Slowenien und Rumänien gleich, die bereits in der letzten Woche angekündigt hatten, schwere Waffensysteme zu liefern. Innenpolitisch könnte die Ankündigung den Disput in der Regierungskoalition und auch mit der CDU vorerst beenden. Laut einem Bericht des Tagesspiegel plant die CDU unter diesen Vorzeichen dem Antrag der Ampelkoalition zur Lieferung schwerer Waffen zuzustimmen, der am 28. April im Bundestag verhandelt werden soll.

Auch wenn bisher kein westlicher Staat Kampfpanzer aus NATO-Produktion an die Ukraine geliefert hat, könnte die Freigabe der Flugabwehrpanzer ein Schritt in diese Richtung sein. Laut einem Bericht der Welt vom 25. April hat Rheinmetall den Export von 88 Kampfpanzern des älteren Typs Leopard 1 bei der Bundesregierung beantragt. Der Leopard 1 beruht auf einem mit dem Gepard nahezu identischen Fahrzeug (Wanne, Fahrgestell, Motor). Nach der Ausbildung ukrainischer Soldat*innen zur Bedienung und Wartung des Gepard würde so auch eine Lieferung des Leopard 1 plötlich umsetzbarer erscheinen. Sollte der Druck auf Kanzler Scholz also erneut steigen, könnte dieses Waffensystem als nächstes an der Reihe sein.

Laut einer bisher nicht weiter bestätigten Meldung soll die Bundesregierung auch die Lieferung von 100 schweren LKW freigegeben haben. Die gemeinsam von Rheinmetall und MAN gefertigten LKW des Typ HX81 bestehen aus einer gepanzerten Zugmaschine und einem Tiefladeranhänger. Sie sind geeignet schwere Waffensysteme wie Panzer über weite Strecken zu transportieren. Damit würde die ukrainische Armee in die Lage versetzt, die schweren Waffen, die ihr vermutlich auch künftig in NATO-Staaten entlang der Grenze übergeben werden, schnell in die Kriegsgebiete im Osten und Süden des Landes zu transportieren.

Eskalationsspiralen

Während sich der innerdeutsche Diskurs fast ausschließlich um die kleine Eskalationsspirale zu drehen scheint, welche Partei wann bereit ist wieviele Waffen welches Schweregrades zu liefern, wird auf den großen Bühnen längst über eine ganz andere Eskalationsspirale verhandelt. In einer Pressekonferenz am Rande der Beratungen verkündete Verteidigungsministerin Lambrecht: „mittel- und langfristig müssen wir dafür sorgen, dass die Ukraine über eine gut ausgebildete und gut ausgerüstete Armee verfügt.“ Währenddessen sprach ARD-Korrespondentin Ute Spangenberger davon, dass von dem Treffen der „Coalition of the Willing“ in Ramstein ein „absolutes Signal der Stärke“ ausgegangen sei. Um die weitgesteckten Ziele zu erreichen, soll eine monatlich tagende Kontaktgruppe eingerichtet werden. „Die Kontaktgruppe wird ein Instrument, um unsere Unterstützung zu koordinieren und uns darauf zu konzentrieren, den heutigen Kampf und die kommenden Kämpfe zu gewinnen“, sagte US-Verteidigungsminister Austin gegenüber der Presse.

Ein künftiger Kampf, den die NATO bereits bald, auch über die Ukraine hinaus, gewinnen könnte, ist der immer wahrscheinlicher werdende Beitritt Finnlands und Schwedens zum Verteidigungsbündnis. Ein entsprechender Antrag könnte bereits im Mai eingehen. Unabhängig vom verständlichen Interesse in Teilen der dortigen Bevölkerung, sich vor möglichen Angriffen Russlands schützen zu wollen, könnte dieser Schritt das genaue Gegenteil bewirken. Durch den Beitritt würde die Grenze der NATO bis auf rund 200 Kilometer an Sankt Petersburg heranrücken. Nicht nur in diesem Fall kommen immer heftigere Drohungen in immer kürzeren Abständen aus Moskau.

Am Vorabend der Konferenz in Ramstein hatte der russische Außenminister Lawrow Stellung zur Ausweitung der Waffenlieferungen an die Ukraine bezogen. „Natürlich werden diese Waffen ein legitimes Ziel für die russischen Streitkräfte sein“, verkündete er im russischen Staatsfernsehen. Er warnte mit der Aussage „Die Gefahr ist ernst, sie ist real, sie darf nicht unterschätzt werden“, vor einem möglichen dritten Weltkrieg. Im Verlauf des Interviews bezog er sich auf die Kubakrise 1962. Damals seien die Verhaltensregeln klar gewesen und es hätten eingeübte Kommunikationskanäle zwischen Moskau und Washington existiert. Das sei aktuell nicht mehr der Fall.

Eine ähnliche Position hatte Kanzler Scholz noch vor vier Tagen ebenfalls bezogen. Er hatte verlauten lassen: „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“ Mit der jetzigen Lieferung schwerer Waffen und den Signalen aus Ramstein passiert genau das Gegenteil.

Parallel zur Konferenz der westlichen Koalition in Ramstein hielt sich UN-Generalsekretär Guterres für Gespräche in Moskau auf. Dort betonte er, die UN sei „äußerst daran interessiert, Wege zu finden, um die Bedingungen für einen effektiven Dialog, für einen möglichst baldigen Waffenstillstand und für eine friedliche Lösung zu schaffen“.

Während Guterres in Moskau also darum bemüht war, die Tür für Verhandlungen zumindest einen Spalt weit zu öffnen, setzen Vertreter*innen aus Russland auf eine Rhetorik der Drohungen und Vertreter*innen der NATO bei ihrem Treffen in Ramstein erneut auf die gefährliche Rhetorik des Sieges. Es bleibt zu hoffen, dass der Westen noch in der Lage ist, vor einer möglichen letzten Drohung Moskaus die Signale zu verstehen. Sonst könnte nicht nur der siegestaumelnde Westen dort landen, wo es keine Sieger*innen mehr gibt.