IMI-Standpunkt 2021/038
Future Combat Air System: Bewilligung im Blindflug
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 25. Juni 2021
Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags wird in der UZ vom 31.6.2021 erscheinen.
Nach monatelangem teils ruppigem Gerangel gab der Haushaltsausschuss am 23. Juni die Gelder für die nächste Projektphase des „Future Combat Air System“ (FCAS) frei. Dabei handelt es sich um ein von Frankreich und Deutschland (mit Spanien als Juniorpartner) entwickeltes Kampfflugzeug mitsamt bewaffneter und unbewaffneter Drohnen, das derzeit als wichtigstes europäisches Rüstungsprojekt gilt. Hörbar erleichtert betonte zum Beispiel der Ingolstädter CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl kurz nach der Abstimmung die Bedeutung des Projektes, dessen Fertigung so ganz nebenbei großteils in dessen Wahlkreis stattfinden soll: „FCAS ist nicht eines unter vielen Rüstungsvorhaben der Bundeswehr. Es ist das strategische Projekt in Europa zur langfristigen Sicherung unserer Souveränität im Bereich der militärischen Luftfahrt. […] An diesem Projekt wird sich entscheiden, ob wir in Europa langfristig noch Kampfflugzeuge selbst bauen oder uns in eine vollständige Abhängigkeit von den USA begeben. „
Mit der Auslieferung wird allerdings nicht vor 2040 gerechnet, die Schätzungen über die gesamten Entwicklungskosten belaufen sich meist auf €100 Mrd. Beantragt wurde nun zunächst einmal ein deutscher Anteil von knapp €4,5 Mrd. (von insgesamt €13 Mrd.) für die Projektphasen 1B und 2 bis zur Fertigstellung eines Prototyps, die auf 2027 terminiert ist. Obwohl es in der SPD zuvor arg rumort hatte, standen die Genossen bei der Abstimmung schlussendlich stramm an der Seite der Union. Sie schreiben sich zwar auf die Fahnen, „klare Bedingungen“ formuliert zu haben, mit denen den vielen Kritikpunkten Rechnung getragen worden sei, aber damit ist es nicht allzu weit her. Die wohl gravierendste Einschränkung dürfte darin bestehen, dass die beantragten €4,5 Mrd. nun noch deutlicher in zwei Margen aufgeteilt wurden (Phase 1b für rund €2 Mrd. und Phase 2 für etwa €2,5 Mrd.). Ursprünglich hätten die Gelder für Phase 2 automatisch freigegeben werden sollen, sobald diverse in Phase 1B erarbeitete „Qualitätskriterien“ erfüllt worden wären, nun ist eine erneute Zustimmung des Haushaltsausschusses erforderlich.
Das ist allerdings nur ein schwacher Trost, denn das Luftkampfsystem ist aus einer Reihe von Gründen hochproblematisch: Es bedeutet zum Beispiel einen weiteren Schritt Richtung kampfdrohnenunterstützter KI-Kriegführung – wie die Sozialdemokraten dies mit ihrer Position vereinbaren können, es gäbe in der Frage der Drohnenbewaffnung weiter Diskussionsbedarf, bleibt ihr Geheimnis. Faktisch haben die Abgeordneten außerdem die Katze im Sack gekauft, da der Bundesrechnungshof kritisierte, dass zum Zeitpunkt der Abstimmung „weder die Konzeptstudie noch die Phase 1A bisher beendet werden konnten und abschließende Ergebnisse insofern nicht vorliegen.“ Ferner könnten die Abgeordneten überhaupt nicht wissen, über was sie abstimmen würden, schließlich konnte „dem Parlament noch kein endverhandeltes Vertragswerk vorgelegt werden“. Deshalb schlussfolgerte der Rechnungshof, das Projekt sei „mit sehr großen Risiken behaftet“.
Schon jetzt sind die Kosten bis zur Fertigstellung eines Prototyps von ursprünglich €9 Mrd. auf €13 Mrd. happig angestiegen, angesichts der angesprochenen Risiken sollte man sich an solche Meldungen wohl gewöhnen. Apropos Geld: Ein weiterer und bei weitem nicht der kleinste Skandal im Kontext der FCAS-Abstimmung bestand im Milliardenpoker von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie legte nämlich den FCAS-Antrag mit dem Verweis zur Abstimmung vor, es sei dafür im Verteidigungshaushalt kein Geld vorhanden – die Botschaft: wenn die Politik das Flugzeug unbedingt möchte, soll sie die Gelder dafür zusätzlich locker machen, andernfalls versenken wir das Projekt. Das saß augenscheinlich, denn am selben Tag wie die Abstimmung über das FCAS wurde auch der Entwurf des Bundeshaushalts 2022 und die Finanzplanung für die Jahre bis 2025 vom Kabinett beschlossen. Darin wurde der Verteidigungshaushalt gegenüber dem Eckwerte-Papier aus dem März um insgesamt €4 Mrd. erhöht, um das FCAS (und andere Rüstungsprojekte) zu finanzieren – für 2022 sind jetzt 50,33 Mrd. (statt €49,30 Mrd.) vorgesehen. Allein deshalb ist die Zustimmung der Abgeordneten ein Armutszeugnis, weil sie der Erpressung der Verteidigungsministerin nachgegeben haben. Als „gutes Ergebnis“ kommentierte Kramp-Karrenbauer denn auch das Resultat der Auseinandersetzungen. Und tatsächlich hat sie hoch gepokert und Milliarden gewonnen.
Schlussendlich war das Projekt wohl tatsächlich „Too Big to Fail”, wie die Regierungsberater der Stiftung Wissenschaft und Politik bereits vor einiger Zeit feststellten. In der Internationalen Politik, dem Zentralorgan des außenpolitischen Establishments im Lande, wurde die Bedeutung des FCAS kürzlich folgendermaßen beschrieben: „Strategisch gesehen wird das Luftkampfsystem der Zukunft der Testfall schlechthin für eine europäische Sicherheitspolitik sein. […] Der Druck auf die deutsche Regierung also ist immens, denn in diesem Sommer tritt FCAS in die entscheidende Planungsphase. […] FCAS war von Beginn an eher ein politisches denn ein militärisches Konzept, und vielleicht liegt darin ein Geburtsfehler. […] FCAS ist keine freiwillige Industriekooperation, sondern ein Projekt der politischen Machtzentren in Paris und Berlin.“