IMI-Analyse 2015/027 - in: AUSDRUCK (August 2015)

Die Informatik in der modernen Kriegsführung

von: Thomas Gruber | Veröffentlicht am: 6. August 2015

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Die Berührungspunkte der Informatik mit militärischen Interessen sind zahlreich. Nicht wenige Forschungsgebiete der Informatik werden – meist durch Drittmittelprojekte oder Honorarprofessuren – erheblich von der Rüstungsindustrie oder den nationalen Verteidigungsministerien kofinanziert. In den Universitäten entwickelt sich immer wieder punktueller Widerstand, aus dem ein grundlegender Diskurs über die Militarisierung der Wissenschaften hervorgegangen ist.

Wenn Forschung relevant für militärische Zwecke wird, betrifft dies nicht allein die Forschungseinrichtungen und die ihr angehörenden Forschungsgruppen, es wirkt auch auf die Gesellschaft im Ganzen. Forschung mit militärischen Zielen oder militärisch verwendbaren Ergebnissen arbeitet den aktuellen und den zukünftigen Kriegen zu, und diese führen unabdingbar zu einschneidenden Folgen für die Gesellschaft. Hier steht zunächst einmal die Verantwortlichkeit von Wissenschaftler_innen für die Folgen ihrer Forschungsergebnisse auf dem Prüfstand. Aufgrund der Auswirkungen dieser Ergebnisse auf gesellschaftliche Prozesse außerhalb der Universitäten scheint es deshalb notwendig, den Diskurs auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene zu heben.

Trotz einiger medialer Aufmerksamkeit, die vom Pentagon in deutschen Forschungseinrichtungen geförderte militärrelevante Drittmittelprojekte im Jahr 2013 erhielten,[1] bleibt eine gesellschaftliche Diskussion über die universitäre Militärforschung weitgehend aus. Der Blick von außen in den Elfenbeinturm der Wissenschaften scheint ebenso schwer wie der Blick von ihm herab auf die Gesellschaft. Das Ziel dieses Artikels ist es, die Einbettung des Diskurses über Forschung für militärische Zwecke an zivilen Forschungseinrichtungen und über die diesbezügliche Verantwortlichkeit von Forscher_innen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu motivieren. Der Fokus soll daher im Folgenden auf zwei zentralen Aspekten dieser Einbettung liegen:

  1. Ist die Anwendung einer Erkenntnis, einer Methode oder eines Verfahrens der Informatik in der Technologie oder der Methodik der modernen Kriegsführung ohne Weiteres erkennbar? Und weiter: Wo sind diese Technologie und Methodik ohne Forschungsergebnisse aus der Informatik undenkbar?
  2. Welche Fragen und Anforderungen ergeben sich aus dieser Verflechtung bezüglich der Verantwortlichkeit von Forscher_innen? Welche Sonderstellung nehmen die gesellschaftlichen Grundwerte des Friedens und der Wissenschaftsfreiheit in diesem Diskurs ein?

 

Die erste Fragestellung kann aufgrund der Vielfalt militärrelevanter Forschungsergebnisse aus der Informatik nur exemplarisch behandelt werden. Dabei sollen im Folgenden drei prominente Beispiele aus verschiedenen Bereichen der modernen Kriegsführung auf ihre Abhängigkeit von Forschungsergebnissen aus der Informatik überprüft und einige weitere Beispiele dieser Verflechtung gegeben werden.

Die Informatik im Krieg

Als vergleichsweise junges Forschungsfeld arbeitet kriegsrelevante Forschung in der Informatik vorwiegend einer Kriegstechnologie und -methodik zu, die seit dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Mit dem Begriff ‚moderne Kriegsführung‘ werden die aktuellen strategischen Entwicklungen von den historischen Mechanismen des Krieges abgegrenzt. In einer Analyse der historisch einschneidenden Änderungen in der Schlachttaktik und der Modernisierung von Kriegsgerät seit dem Zweiten Weltkrieg[2] lassen sich drei Parallelen in den Anforderungen an die Forschung und Entwicklung für eine moderne Kriegsführung erkennen: die Neu- und Weiterentwicklung von Kriegstechnologie, Methoden für eine kriegsrelevante Informationsakquise sowie Prädiktoren und Analysemodelle zur Unterstützung der Schlachttaktik[3]. In jeder dieser Anforderungen finden sich erhebliche Schnittpunkte zu Forschungsfeldern der Informatik. Gerade in der Steuerung computergestützter Kriegstechnologie sowie der militärischen Informations- und Datenverarbeitung sind diese Überschneidungen am deutlichsten sichtbar – ein Umstand dem auch in den nachfolgenden Beispielen Rechnung getragen werden soll.

Die Erschließung des Weltraums mittels militärisch genutzter Satelliten steht auf der Agenda beinahe jeder so genannten militärischen Großmacht. Die taktischen Vorteile eines eigenen, sicheren Kommunikations-, Aufklärungs- und Navigationssystems im Kriegsfall sind schwer von der Hand zu weisen. Satellitenbilder sind in der Durchführung eines vermeintlich präzisen militärischen Schlags oft eine Voraussetzung. Neben den dazu benötigten Methoden zur Informationsverarbeitung und -übertragung lässt sich an Militärsatelliten darstellen, wie unverzichtbar eine tiefgehende theoretische Forschung in den Bereichen Informatik, Mathematik und Elektrotechnik, hier speziell Regelungstechnik ist. Ohne sie wäre beispielsweise eine ausreichend präzise Bahnsteuerung undenkbar. Ein mit genügender Geschwindigkeit in die Erdumlaufbahn geschossener Körper wird sich ohne weitere Steuerung durch die Triebwerken in eine elliptische Bahn um die Erde begeben, die durch viele Einflussfaktoren bestimmt ist. Für künstliche Satelliten, gerade auch die militärisch genutzten, muss ein vorbestimmte Bahn präzise erreicht werden. Kommunikationssatelliten sollen sich als fest ansteuerbare Punkte geostationär, das heißt über einem fixen Punkt der Erdoberfläche, bewegen. Überwachungssatelliten dagegen sollen sich geosynchron bewegen, um einen gewünschten Bereich der Erdoberfläche möglichst regelmäßig abzudecken. Einen Satelliten präzise auf eine vorbestimmte Bahn zu bringen, ist eine hochkomplexe Aufgabe. Zur Realisierung der gewünschten Flugeigenschaften werden Triebwerke benötigt, die im genau richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Stärke feuern, und das ist ohne eine komplexe algorithmische Unterstützung undenkbar. Bei einer ungewünschten Neigung des Satelliten während des Fluges, sei es durch äußere Einflüsse oder durch eine Fehlzündung der eigenen Triebwerke, muss der Satellit dem Fehlverhalten gegensteuern, da sonst der künstlich erzeugte Orbit verlassen würde. Das dazu implementierte Programm im Steuerungssystem des Flugkörpers muss mathematische Grundlagen der Kontrolltheorie mit der ingeneurswissenschaftlichen Umsetzung in der Regelungstechnik verbinden. Eine zuverlässige, schnell reagierende und minutiös arbeitende Ausgleichssteurung für die Flugbahn des Satelliten ist ohne umfassende theoretische Forschung nicht realisierbar. Die Forschungsergebnisse aus der Informatik bezüglich der flugstabilisierenden und steuernden Algorithmen sind daher eine unverzichtbare Voraussetzung für die Nutzung eines militärischen Satelliten.

Eine Technologie, die neben der Nutzung durch zivile Sicherheitsinstitutionen vor allem in der asymmetrischen Kriegsführung wie in Guerilla- oder Bürgerkriegen Anwendung findet, ist die militärische Überwachung und Spionage. Überwachungs-Hardware des deutschen IT-Sicherheitskonzerns Utimaco wurde beispielsweise an das syrische Assad-Regime verkauft, das diese Ausrüstung zum Ausspionieren syrischer Demonstrant_innen nutzte.[4] Die von Utimaco so genannten Lawful Interception Management Systems (LIMS) sind vollständige funktionale Überwachungssysteme zum Abfangen privater Kommunikation u.a. über E-Mail, SMS und MMS. Verschlüsselte Kommunikation wird dabei mittels eines integrierten LIMS-Decoders gebrochen, und für ihre Weiterverarbeitung werden die gesammelten Kommunikationsdaten vom System wieder verschlüsselt[5] – ein erheblicher kryptographischer Aufwand also, der einer theoretischen Auseinandersetzung mit den verwendeten Kryptosystemen und mit einer algorithmischen Umsetzung der Decodier- und Codiervorgänge bedarf. Solche kryptoanalytischen und kryptographischen Anforderungen sind aktueller Forschungsstand in Mathematik und Informatik, und sie sind daher ohne Forschungsergebnisse aus diesen Disziplinen nicht umsetzbar.

Ein weiteres, viel diskutiertes Beispiel für die Modernisierung der Kriegsführung ist der militärische Einsatz von Drohnen. Überwachungs- oder Kampfdrohnen werden weltweit für Aufklärungs- oder Kriegseinsätze genutzt. Sie tragen zur Entstehung einer Asymmetrie zwischen den Parteien aktueller Konflikte bei. Dabei sind die verwendeten Drohnen nicht einfach ferngesteuerte Kampfflugzeuge, sondern sie sind umfangreich mit schlachtunterstützender Technologie ausgerüstet, die den Pilot_innen die durchzuführenden militärischen Schläge erheblich vereinfacht. Der US-amerikanische Rüstungskonzern Northrop Grumman entwickelt derzeit Drohnen mit einer automatisierten Zielerkennung, die aus den im Einsatzgebiet gesammelten Oberflächendaten selbstständig potentielle militärische Ziele erkennt und diese identifiziert.[6] Eine solche Zielerkennung erfordert zuverlässige Klassifikatoren, die lernfähig sind und fehlertolerant arbeiten – eine typische Problemstellung im Forschungsbereich des maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz. Hier lässt sich auch ohne genaue Kenntnis des Forschungs- und Entwicklungsstands der Drohnenkomponenten ein unmittelbarer Bezug zur Forschung in der Informatik herstellen, ohne die ein so mächtiger Klassifikator nicht realisierbar wäre.

Als weitere Beispiele könnten die Steuerung autonomer Fahrzeuge, die Forschung an augmented reality für das Militär, die Verschlüsselung kriegsrelevanter Daten oder das Brechen etablierter Kryptosysteme genannt werden. All dies sind Beispiele für die vielfältigen Anwendungen informatischer und informationstechnologischer Forschung in der modernen Kriegsführung. Dabei würde eine vollständige Analyse der Verflechtung zwischen Informatik und moderne Kriegsführung ins Uferlose führen.

Der gesellschaftliche Diskurs

Die Methoden der modernen Kriegsführung sind von der Informaik geprägt. Erkennbar ist dies nicht nur für die beteiligten Wissenschaftler_innen, sondern auch bei der Analyse der Kriegstechnologie aus einer gesellschaftskritischen Sicht. Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Technologie stehen dem gesellschaftlichen Grundwert Frieden entgegen. Gelte es dann nicht, die Rolle von Informatiker_innen in aktuellen Kriegen in den allgemeinen Diskurs um den Krieg einzubinden? Was sind die Punkte auf die sich dieser Diskurs stützen würde? Wo gestaltet sich ein breiter gesellschaftlicher Diskurs schwierig? Und welche Lösungsansätze gibt es für diese Problematik?

Eine der zentralen Fragestellung für die Diskussion um friedliche Forschung ist zunächst die Verantwortlichkeit von Forscher_innen: Sind Informatiker_innen für die Nutzung ihrer Forschungsergebnisse verantwortlich, vielleicht sogar, wenn die Anwendung gar nicht ihrer Intention entsprach? Eine militärische (Mit-)Nutzung der Forschungsergebisse in den Grundlagen oder für zivile Anwendungen (Dual-Use) ist kein Novum, doch könnten gerade die Wissenschaftler_innen fachlich am kompetentesten gegen die militärische Nutzung ihrer Forschungsergebnisse argumentieren. Eine solche Ausweitung der Verantwortung wäre also keine utopische Forderung der Gesellschaft an die Forschenden, es wäre die logische Konsequenz einer in allen Teilen nach Frieden strebenden Gesellschaft.

Natürlich gibt es Wissenschaftler_innen, die bewusst und gewollt für militärische Zwecke forschen. Insofern ist außerdem die Rangfolge der Werte Frieden und Wissenschaftsfreiheit zu klären. Denn sollte die Gesellschaft die Kriegsforschung für unverträglich mit ihren Werten erklären, dann ließe sich diese auch von der Wissenschaftsfreiheit ausnehmen, wie es beispielsweise bereits beim Embryonenschutzgesetz der Fall ist.

Auf Grundlage dieser Diskursansätze ließe sich die universitäre Militärforschung auch in die aktuelle Diskussion um Kriegseinsätze und so genannte Friedensmissionen einbinden. Das wäre ein wichtiger politischer Faktor, um auch auf universitärer Ebene gegen die Forschung für militärische Zwecke argumentieren zu können.

Problematik und Lösungsansätze

Während einige Ideen zur Ausgrenzung militärischer Forschung an Universitäten auf institutioneller Ebene existieren, fehlt für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs vor allem eines: die Transparenz. Zivilklauseln, Ethikkommissionen und wissenschaftsethische Reflexion sind institutionelle Lösungsansätze, die zwar dem Ziel friedlicher Forschung zuarbeiten, die öffentliche Diskussion allerdings weitgehend unbeachtet lassen. Mit Geheimhaltungsklauseln versehene oder anderweitig intransparente Forschungsprojekte verhindern bisher die oben geforderte öffentliche Anfechtbarkeit von Forschungsprojekten, die in diesem Sinne fragwürdig sind. Trasparenzklauseln zur Offenlegung von Drittmittelförderung oder Landesgesetze zur Transparenz von Forschungsprojekten[7] scheinen daher unabdingbar.

 

Vorabdruck aus der FIfF Kommunikation 3/2015 (Schwerpunkt Ruestung und Informatik) mit freundlicher Genehmigung des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V.

Anmerkungen

[1] Aus dem Fernsehprogramm „NDR Info” vom 25.11.2013.

[2] vgl. hierzu beispielsweise: David Jordan et al., Understanding Modern Warfare, Cambridge University Press, 2008.

[3] vgl. hierzu: Thomas Gruber, Verquickung mathematischer und informationstechnologischer Forschung an deutschen Forschungseinrichtungen mit der modernen Kriegsführung, Dissertation im Fachbereich Mathematik an der Universuität Bremen, noch unveröffentlicht.

[4] Vgl. hierzu: www.bloomberg.com/news/articles/2011-11-03/syria-crackdown-gets-italy-firm-s-aid-with-u-s-europe-spy-gear.

[5] www.wikileaks.org/spyfiles/docs/UTIMACO-2010-UtimLIMSLawf-en.pdf.

[6] www.northropgrumman.com/Capabilities/Triton/Documents/pageDocuments/Triton_data_sheet.pdf.

[7] wie beispielsweise im März 2015 vom Bremer Senat verabschiedet: http://landesportal.bremen.de/senat/44488385.