IMI-Standpunkt 2014/055

Expertenbericht zu Großprojekten der Bundeswehr – Initialzündung für Rüstungsinvestitionen?

von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 9. Oktober 2014

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Am 06.10.2014 wurde das Expertengutachten „Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte“ der Bundeswehr von der Unternehmensberatung KPMG, der Ingenieurgesellschaft P3 und der Kanzlei Taylor Wessing an Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) übergeben.[1] Die darin enthaltene Botschaft wurde in den Medien breit und unmißverständlich wiedergegeben: „Verheerendes Urteil über Rüstungsprojekte“ titelte die Tageszeitung „Die Welt“ beispielsweise in einem ihrer Artikel, der die Ergebnisse des Berichts hinsichtlich der Großprojekte mit den Worten „zu teuer, zu spät, zu schlecht“ zusammenfasste.[2] Spätestens nach dieser Studie ist diese Thematik in der Öffentlichkeit angekommen.

Das Gutachten erschien zu einem Zeitpunkt, an dem bereits seit Wochen in den Medien die Nachrichten nicht zu enden schienen, dass die Ausrüstung der Bundeswehr sich in einem desolaten Zustand befinde,[3] weshalb sogar deren Einsatzfähigkeit in Frage stünde.[4] Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP), warnte öffentlich, die Auslandseinsätze der Bundeswehr seien mit der derzeitigen Ausstattung nicht weiter ausdehnbar.[5]

Die offizielle Linie der Verteidigungsministerin ist, dass Deutschland international – gerade auch militärisch – mehr Präsenz zeigen müsse.[6] Ende August 2014 wurde ein Bundeswehreinsatz im Irak beschlossen, ein weiterer in der Ukraine befindet sich derzeit in Planung. Gegenwärtig befindet sich nach Zählart der Verteidigungsministerin die Bundeswehr in 17 Auslandseinsätzen.[7]

Das Ende 2013 erschienene Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ der Stiftung Wissenschaft und Politik und des German Marshall Fund of the United States fordert die auch von der Verteidigungsministerin vertretene neue Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands ein. Ein Abschnitt dieses Papier behandelt auch die innerstaatliche Dimension der angestrebten Politik und kommt zur Einschätzung, dass Politik und Öffentlichkeit sich darauf einstellen müssten, dass eine größere deutsche Rolle auf globaler Ebene mit einem höheren Aufwand an Ressourcen verbunden sein werde.[8]

Ob der Expertenbericht und der in den Medien in letzter Zeit verstärkt öffentlich formulierte Bedarf an Investitionen in die Bundeswehr tatsächlich zur Erhöhung der entsprechenden Etats führen wird, ist derzeit nicht verlässlich vorherzusagen und wäre spekulativ. Jedoch könnte eine der Wirkungen dieser Studie sein, Verständnis für Rüstungsinvestitionen in der Öffentlichkeit und der Politik zu fördern.

Verschlusssache: 1.200 Seiten Bericht – öffentlich: 52 Seiten

Der offizielle Anlass der am 27.06.2014 vom Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz in Auftrag gegebenen Untersuchung war, die Strukturen und Prozesse im Management der Rüstungsprojekte zu überprüfen, Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen und Transparenz für das Parlament und die Öffentlichkeit herzustellen.[9] Für diese Arbeit sollen die externen Berater ein Honorar von 1,15 Millionen Euro bekommen  haben.[10]

Zumindest was den Anspruch an die Transparenz betrifft, kann sich jeder selbst ein Bild von der Ernsthaftigkeit dieser Absichtserklärung machen: Die Ergebnisse der Analyse wurden in einem Gesamtbericht zusammengefasst, der als Verschlusssache der Stufe „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft wurde. Für die Öffentlichkeit gibt es nur das 52 Seiten umfassende Exzerpt zur Einsicht, das die wesentlichen Ergebnisse des Gesamtgutachtens enthält, die nicht als Verschlusssache eingestuft wurden. Zum Vergleich: Der Gesamtbericht enthält 1.200 Seiten, die von der Leyen übergeben wurden.[11]

Ausdrücklich weisen die Verfasser darauf hin, dass wegen der Einstufung der Quellendokumente als Verschlusssache identifizierte Probleme und Risiken mit Rücksicht auf den Geheimschutz nicht vollumfänglich in diesem Exzerpt wiedergegeben wurden. Die ausführliche und vollständige Übersicht aller Probleme und Risiken müsse daher den jeweiligen Teilgutachten (zu den einzelnen Großprojekten) vorbehalten bleiben, die seit dem 30.09.2014 als Verschlusssache der Geheimhaltungsstufe „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft seien.[12]

Der Gegenstand der Untersuchung waren neun Rüstungsprojekte und -vorhaben mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro.[13] An anderer Stelle ist von 57 Milliarden Euro die Rede; diese Summen machten circa Zweidrittel des Gesamtvolumens der Investitionen im Rüstungsbereich aus.[14] Es handelt sich dabei um folgende Projekte:

▪ Schützenpanzer Puma

▪ Transportflugzeug A400M

▪ Eurofighter

▪ NATO Helikopter (NH 90) einschließlich „Global Deal“

▪ Unterstützungshubschrauber Tiger

▪ Fregatte Klasse 125 (F 125)

▪ Streitkräftegemeinsame Funkausstattung (SVFuA)

▪ Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS)

▪ Signalverarbeitende Luftgestützte Weitreichende Überwachung und Aufklärung (SLWÜA).[15]

Zur Einordnung der Studie ist es wichtig zu wissen, welche Quellen zur Erkenntnisgewinnung genutzt wurden. Die Grundlage der Analyse bildeten die vom Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) bereitgestellten Unterlagen. Die Verfasser des Berichts weisen darauf hin, dass sie es nicht ausschließen können, dass sie bei Kenntnis weiterer Dokumente und Informationen zu einem von dem Gesamtgutachten abweichenden Befund gekommen wären.[16]

Weiterhin ist aufschlussreich, wessen Wahrnehmungen ausschließlich in den Bericht einflossen. Es wurden mehrere zehntausend Seiten bereitgestellte Projektdokumentation und Vertragswerk gelesen sowie zahlreiche Gespräche mit Angehörigen des BMVg geführt. Der Bericht stützt sich also auf die Sichtweise der an den Rüstungsprojekten Beteiligten auf Seiten des Ministeriums und der Bundeswehr. Die Ansichten der Industrie als Produzentin oder von nicht am Prozess beteiligten Dritten wurden nicht einbezogen.[17] 

Wasser auf die Mühlen der Rüstungsindustrie

Nachdem die Einzelprojekte und -vorhaben analysiert wurden, formuliert das Gutachten für das BMVg ein daraus abgeleitetes Leitbild für eine optimierte Rüstungsbeschaffung[18] und gibt 15 projektübergreifende Handlungsempfehlungen ab.[19] Das Gesamtgutachten, aus dem dieses Exzerpt stammt, weise auf deutlich mehr, nämlich auf rund 140 Probleme und Risiken hin und beinhalte ungefähr 180 konkrete und übergreifende Handlungsempfehlungen. Der Bericht kommt zu dem zentralen Ratschlag, dass aufgrund der Analyse der ausgewählten Rüstungsprojekte und -vorhaben eine Optimierung des Rüstungsmanagements in nationalen und internationalen Großprojekten dringend und ohne Verzug geboten sei.[20] Abschließend regt es als eines von vier Grundsätzen für das Leitbild guten Managements von Großprojekten im Verteidigungssektor eine enge professionelle Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer an, die entscheidend für den Erfolg von Großprojekten sei.[21]

Die Studie dürfte Wasser auf die Mühlen der Rüstungsindustrie sein. Denn der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e. V. (BDSV), der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e. V. (BDLI) und der Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) haben eine gemeinsame Erklärung zu diesem Gutachten veröffentlicht. Darin wird ausgeführt, dass wie auch in der Studie gefordert werde, für künftige Diskussions- und Entscheidungsprozesse zwischen dem BMVg und der Industrie eine enge und konstruktive Zusammenarbeit vereinbart worden sei. In der Erklärung heißt es weiter, die Studie bestätige die Notwendigkeit der industrieseitig bereits seit längerem angemahnten ausreichenden Mittelbereitstellung, was sowohl für die Bereiche Forschung und Entwicklung als auch für Beschaffung und Betrieb bereits vorhandener Systeme gelte. Dabei seien sich alle Beteiligten bewusst, dass sich nur in einem engen Schulterschluss zwischen Bundeswehr und der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Lösungen erreichen lassen würden. Die Verbände hätten dem BMVg jedenfalls eine größtmögliche Unterstützung bei der Umsetzung der Experten-Empfehlungen zugesagt.[22] Auch wenn es sich noch nicht deutlich abzeichnet, was und wie aus dieser Studie umgesetzt wird und welche weiteren Folgen dies für Rüstungsinvestitionen haben wird, steht doch fest, dass die Rüstungsindustrie alles andere als unzufrieden mit diesem Gutachten zu sein scheint.

Anmerkungen

[1]     KPMG / P3 Group / Taylor Wessing: Exzerpt. Umfassende Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte, Stand 30. September 2014, www.bmvg.de.

[2]     Verheerendes Urteil über Rüstungsprojekte. Verteidigungsministerin erhält Gutachten, 07.10.2014, www.welt.de.

[3]     Matthias Gebauer / Gerald Traufetter: Desolate Bundeswehr-Ausrüstung: Hersteller warnt vor Mängeln am „Eurofighter“, 30.09.2014, www.spiegel.de; Matthias Gebauer: Probleme bei der Bundeswehr: Hälfte aller Soldatenstuben ist marode, 08.10.2014, www.spiegel.de.

[4]     Sorge um Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, 23.09.2014, www.handelsblatt.com.

[5]     Mängel bei der Bundeswehr: Wehrbeauftragter warnt vor weiteren Auslandseinsätzen, 25.09.2014, www.spiegel.de.

[6]     Ursula von der Leyen: Rede anlässlich der 50. Münchner Sicherheitskonferenz, München, 31.01.2014, www.bmvg.de.

[7]     Ministerin im Bild Interview: Ist unsere Bundeswehr nur noch Schrott, Frau von der Leyen?, Berlin, 24.09.2014, www.bmvg.de.

[8]     Stiftung Wissenschaft und Politik / German Marshall Fund of the United States: Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch, Berlin, September 2013, S. 11.

[9]     KPMG u. a., S. 6.

[10]   Christian Thiels: KPMG soll Rüstungsprojekte prüfen, 28.06.2014, www.tagesschau.de.

[11]   Verheerendes Urteil über Rüstungsprojekte. Verteidigungsministerin erhält Gutachten, 07.10.2014, www.welt.de.

[12]   KPMG u. a., S. 8.

[13]   KPMG u. a., S. 6.

[14]   Gutachter bescheinigen Bundeswehr massive Probleme, 06.10.2014, www.deutschlandfunk.de.

[15]   KPMG u. a., S. 6.

[16]   KPMG u. a., S. 8.

[17]   KPMG u. a., S. 7.

[18]   KPMG u. a., S. 38.

[19]   KPMG u. a., S. 39.

[20]   KPMG u. a., S. 52.

[21]   KPMG u. a. S. 52.

[22]   Gemeinsame Erklärung von BDSV, BDLI und BDI, Berlin, 07.10.2014,  http://augengeradeaus.net/wp-content/uploads/2014/10/Gemeinsame-Erkla%CC%88rung_BDSV-BDLI-und-BDI.pdf.