IMI-Standpunkt 2014/036 - in: Onlinezeitung Schattenblick

EU und NATO auf dem Vormarsch – Imperialismus der Ökonomie und der Waffen

von: Onlinezeitung Schattenblick / Martin Hantke | Veröffentlicht am: 23. Juli 2014

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Link zum Interview auf der Seite der Onlinezeitung Schattenblick (Rubrik-Politik-Report-Interview 227): hier.

Der Politologe Martin Hantke gehört dem Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. an. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die NATO, die Militarisierung der EU sowie Großmachtkonflikte und der neue kalte Krieg. Auf dem 18. UZ-Pressefest in Dortmund führte er gemeinsam mit David X. Noack und Sevim Dagdelen in die Diskussionsveranstaltung „100 Jahre Erster Weltkrieg und imperialistische Kriege heute“ ein. Im Anschluß daran beantwortete Martin Hantke dem Schattenblick einige Fragen zum Zusammenhang von Ökonomie und Krieg, den imperialistischen Interessen von EU und USA sowie zur Einkreisung Rußlands und Chinas.

Schattenblick: Wir haben in der vorangegangenen Diskussion darüber gesprochen, daß der Krieg lange vor den eigentlichen Kampfhandlungen beginnt. Wie würdest du das Verhältnis von Frieden und Krieg, von Ökonomie und militärischen Mitteln bewerten?

Martin Hantke: Die forcierte Diskussion über den Einsatz militärischer Mittel hängt unmittelbar mit einer Verschärfung der kapitalistischen Krise zusammen. Dabei wird geopolitisch sondiert, wie sich Kapitalstrategien durchsetzen lassen und Deutschland als Nationalstaat Weltgeltung erlangen kann, um bestimmte Ziele wie Marktöffnung und Zugang zu Rohstoffen zu erreichen. Es gibt somit einen immanenten Zusammenhang von Ökonomie und Krieg.

SB: Man hat zeitweise aus deutscher Sicht argumentiert, daß die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Irak, dem Iran und insbesondere mit Rußland durch eine aggressive Politik der NATO bis hin zu Militärinterventionen beeinträchtigt würden. Traf das zu und war es möglicherweise eine Zwischenetappe, die heute keine Gültigkeit mehr hat?

MH: Es ist in diesem Zusammenhang sehr anschaulich zu beobachten, wie sich der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) insgesamt verhalten. Während der Ost-Ausschuß selbstverständlich sehr kritisch gegenüber jeder Sanktionspolitik und Konfliktverschärfung ist, erklärt der BDI auf der anderen Seite dann doch, daß man jedwede Sanktionen, so sie denn politisch beschlossen werden, natürlich mittragen würde. Einzelne Kapitalgruppen haben also das Interesse, den Konflikt wie jetzt im Falle Rußlands nicht weiter zu verschärfen, aber das Gesamtinteresse, ausgedrückt durch den BDI, kommt letztendlich zu dem Schluß, daß man an einer Konfliktverschärfung partizipieren sollte.

SB: Du hast argumentiert, daß der Feind im eigenen Land steht. In Diskussionsbeiträgen wurde auch die Rolle der USA hervorgehoben. Gab es beispielsweise in der Ukraine einen Gleichklang zwischen den Europäern und den USA oder zeichnete sich dabei eine partielle Interessendivergenz in der Weise ab, daß die EU eine andere Lösung favorisiert hätte?

MH: Ich weiß, daß diese Frage immer wieder diskutiert worden ist. Ich sehe das nicht so, da die Europäische Union mit dem Assoziierungsabkommen den Stein ins Rollen gebracht hat und den alten Präsidenten Janukowitsch regelrecht verhungern ließ. Dieser war nicht gegen das Abkommen, wie es heute oft erscheint, sondern verlangte eine finanzielle Entschädigung für die Folgekosten von der EU, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Das hat man ihm jedoch verweigert und damit noch einmal auf eine ganz klare Zuspitzung gesetzt. Daher sehe ich keine großen Unterschiede zu der Strategie der USA, sondern eher die Gemeinsamkeiten.

Auch was die Unterstützung bestimmter Gruppierungen angeht, wäre ich vorsichtig. In der ukrainischen Opposition wurde die Partei UDAR von der CDU und der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert, und man hat sich von deutscher und EU-Seite sehr stark im Sinne eines Regimewechsels eingemischt, so daß auch da Interessenkollisionen zu den USA nicht erkennbar sind. Das einzige, was man diesbezüglich einräumen kann, ist natürlich, daß es ein Gerangel gab, welche Partei das Präsidentenamt bekommen soll. Man sieht an der Poroschenko-Lösung, daß sich die UDAR mit unserem Boxer Klitschko an der Spitze zurückgezogen hat und jetzt den Juniorpartner abgibt, so daß das im Grunde paradigmatisch ist, was die künftige Machtverteilung in der Ukraine angeht.

SB: Wir haben in der Diskussion auch Formen des flankierenden Auslandseinsatzes deutscher Polizeidienste erörtert. Inwieweit bricht sich damit eine neue Form der Militarisierung Bahn, die aufgrund ihres vermeintlich zivilen Charakters Teilen der Antikriegsbewegung noch nicht in ihrer vollen Bedeutung und Tragweite bewußt ist?

MH: Aufgrund der aus imperialistischer Sicht schlechten Erfahrung des Irakkriegs setzt man für bestimmte Aufgaben und Phasen der Intervention zunehmend auf Outsourcing. So betrieb man in Afghanistan ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Afghanisierung des Krieges, indem man Polizeitruppen ausbildete, die paramilitärischen Charakter haben, und die afghanische Armee alimentierte und schulte, um in dem Konflikt keine westlichen Soldatenleben mehr zu riskieren, sich aber trotzdem mit Geld und Waffen weiterhin intensiv einzumischen.

SB: Wenn man sich die aktuelle Entwicklung in Afghanistan und dem Irak vor Augen führt, mutet sie wie das Gegenteil der ursprünglich proklamierten Neuordnung dieser Staaten an. Würdest du sagen, daß in diesen auf den ersten Blick chaotischen Verhältnissen von Spaltung und Fragmentierung nicht zuletzt eine wesentliche Stoßrichtung der Intervention zum Ausdruck kommt?

MH: Oft wird behauptet, die USA seien gescheitert. Das sehe ich überhaupt nicht so. Das könnte man vielleicht so sehen, wenn man der Auffassung wäre, es sei eins zu eins das Ziel gewesen, diese Staaten zu US-Protektoraten zu machen. Wenn man sich das aber in einem weiteren geopolitischen Kontext anschaut, bestand das Ziel darin, beispielsweise den Irak als Machtfaktor im Nahen und Mittleren Osten zu beseitigen, und das ist nachhaltig gelungen. Was Afghanistan angeht, gibt es ähnliche Diskussionen, das Land bestimmten anderen Mächten als Raum geopolitischer Einflußnahme vorzuenthalten. Auch da war man meines Erachtens gar nicht so traurig über die Entwicklung. Insofern wäre ich da immer etwas vorsichtiger in dem Sinne, daß die vorab erklärten Ziele womöglich gar nicht die tatsächlichen sein könnten. Auch was das aktuelle Vorrücken der ISIS im Irak betrifft, haben die Partner der USA, nämlich die Türkei, Saudi-Arabien und Katar, diese Gruppierung regelrecht stark gemacht, um den Iran als geopolitischen Akteur in der Region zu schwächen. Und dafür paktiert man eben auch mit Kräften, die zu bekämpfen man vorgibt.

SB: Wir haben vorhin auch darüber diskutiert, inwieweit Rußland als Nation das einzige Moment darstellen könnte, das den Vormarsch der NATO aufhält. Wie würdest du das einschätzen?

MH: Da wäre ich insofern sehr zurückhaltend, als ich gegenwärtigdie Karten in diesem Spiel fast ausschließlich in Händen der NATO sehe. Das Moment der Aggression und des Vorrückens liegt bei der NATO und der EU. Ich hatte in der Diskussion die Beispiele Osterweiterung der NATO, aber auch die EU-Schiene der Freihandelsabkommen und militärpolitischen Kooperation genannt und damit eben den Versuch, Staaten wie Georgien, Moldawien oder die Ukraine als geopolitische Frontstaaten gegen Rußland zu etablieren. Ich glaube, in diesem Konflikt hat die NATO im Moment die sehr viel besseren Karten, die sie dann auch ausspielt. Das heißt also, daß man weitere militärische Zuspitzungen zu erwarten hat.

SB: Du hast vorhin in der Debatte beiläufig auch China erwähnt. Würdest du das pazifische Szenario gleichermaßen in den geopolitischen Kontext einer weltweiten Einkreisungsstragegie seitens der USA und ihrer Verbündeten stellen?

MH: Man muß noch nicht einmal Pessimist oder Analytiker sein, um das so zu beschreiben – nicht nur, was das südchinesische Meer angeht, sondern auch mit Blick auf die rüstungspolitische Unterstützung Taiwans, Japans und mit Einschränkungen auch Vietnams. Es gibt eine ganz klare Containment-Strategie der Einkreisung Chinas, und auch das
ist äußerst besorgniserregend, weil es durchaus, wie man im südchinesischen Meer sieht, sehr schnell zu größeren militärischen Konflikten kommen kann.Teil dessen ist übrigens auch, daß es grünes Licht aus den USA zu geben scheint, die friedenspolitischen Bindungen der japanischen Verfassung nach der Niederschlagung des japanischen Militarismus von
der neuen Regierung beseitigen zu lassen, so daß eine Entfesselung des japanischen Rüstungspotentials und der Ausrichtung der japanischen Streitkräfte vor der Tür steht. Das wäre eine weitere besorgniserregende Entwicklung, auch was den Geschichtsrevisionismus
in Japan selbst angeht. Da erlebt man ja, daß der Regierungschef zum ersten Mal an einem Schrein, an dem auch Kriegsverbrechern gehuldigt wird, öffentlich in Erscheinung tritt. Diese gesammelte Absage an die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg steht auch dort im Vordergrund der Reformulierung einer aggressiven Militärpolitik.

SB: Im Zuge der aktuellen Kriegspropaganda macht die Bezichtigung der Kriegsgegner selbst vor einer Pathologisierung nicht halt. Inwieweit findet da eine Form der Denkkontrolle mit dem Ziel statt, bestimmte oppositionelle Positionen auszugrenzen, indem man sie vom Grundsatz her für irrational erklärt?

MH: Es gibt auf jeden Fall den Versuch, Menschen, die sich prominent gegen diese neue Kriegspolitik wenden, zu vereinzeln und als außerhalb eines rationalen Diskurses stehend zu diskreditieren. Verfolgt man die Berichterstattung der Mainstreammedien in den letzten Monaten, läßt sich das sehr gut belegen. Darüber hinaus hat es seit jeher zur Kriegsvorbereitung gehört, daß Kriegsgegner diskursiv ausgeschaltet werden sollen.

SB: Wie erlebst du persönlich derzeit deine Situation als Kriegsgegner?

MH: Als Kriegsgegner sehe ich in aller Deutlichkeit, wie dieses Land auf einen neuen verheerenden Kurs eingestellt wird. Ich hatte ja in der Diskussion schon angedeutet, daß angesichts einer Weltkriegsgefahr im umfassenden Sinne auch den friedensbewegten Menschen eine ganz neue Verantwortung zuwächst, hier einzugreifen.

SB: Martin, vielen Dank für dieses Gespräch.