IMI-Analyse 2014/012 - in: AUSDRUCK (Juni 2014)
Die Rühe-Kommission
Parlamentsrechte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr bald eine Karikatur?
von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 14. April 2014
Es ist eine ganz besondere Situation, in der sich der Bundestag seit der Bildung der sog. Großen Koalition befindet: Das Parlament wird seine Kontrolle gegenüber der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode nur eingeschränkt ausüben können. Denn von den 631 Abgeordneten des neuen Bundestags gehören 504 (circa 80%) den Regierungsparteien und nur 127 der Opposition an (rund 20%). Aufgrund dieser zahlenmäßigen Schwäche sind der Opposition die Wahrnehmung einiger ihrer Rechte verwehrt. Dazu gehört beispielsweise die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 GG, wozu ein Viertel der Abgeordneten benötigt würden, um empfundene Missstände in der Regierungsarbeit öffentlich aufklären zu können. Auch besitzen die Regierungsparteien mit mehr als Zweidrittel der Stimmen die Möglichkeit, das Grundgesetz nach Artikel 79 Abs. 2 GG zu ändern.[1]
Just etwa zur selben Zeit wird von 50 führenden Mitgliedern des außen- und sicherheitspolitischen Establishments ein Papier mit dem Titel „Neue Macht – Neue Verantwortung“ erarbeitet, das von der Stiftung Wissenschaft und Politik und dem German Marshall Fund veröffentlicht wurde. Die Hauptaussage dieses Papiers lautet: Deutschland müsse aufgrund seiner wirtschaftlichen Größe auch mehr (militärische) Verantwortung in der Welt übernehmen. Im Prinzip dieselbe Forderung erheben auch hochrangige Vertreter aus Regierung und Staat. Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärten mehrfach öffentlich, es sei an der Zeit, dass Deutschland international militärisch mehr tun müsse und von seiner scheinbar bisher praktizierten zurückhaltenden Rolle Abstand zu nehmen hätte.[2] Auch Teile der Medien vertreten dieselbe Position und sprechen von der „Verlogenheit der neuen deutschen Außenpolitik“ und der „Nein-Nation“.[3] Eine schwache parlamentarische Opposition gepaart mit der Ankündigung wesentlicher Teile der politischen Elite nach einer neuen offensiven Rolle Deutschlands in der Welt bilden den Kontext, in dem die Einsetzung der Rühe-Kommission zur Überarbeitung (sprich: Beschneidung) der Mitspracherechte des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gesehen werden sollte.
Rühe: Sicherheitspolitische Führungsrolle statt Passivität
Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD beantragten am 11.03.2014 im Deutschen Bundestag die Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“.[4] Übrigens hat der Bundestag seit 1994 ungefähr 240 Mal über Mandate für Auslandseinsätze der Bundeswehr beraten.[5] Am 19.03.2014 beschloss er mit den Stimmen der Regierungskoalition die Einsetzung dieser Kommission.[6] Ihren Vorsitz soll Volker Rühe übernehmen.[7] Der CDU-Politiker ließ bereits im Vorfeld erkennen, dass er die Kommissionsarbeit im Sinne der neuen Rolle Deutschlands und die Sicherung der Parlamentsrechte, wie es im Titel der Kommission heißt, als ihren Abbau interpretieren wird. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Titel „Deutschland muss führen, damit Europa nicht schwächer wird“, beklagte er die „sicherheitspolitische Passivität“ Deutschlands. Es spiele in Afghanistan, Libyen und Mali eine „unwürdige Rolle. Denn militärisch nur das Nötigste und vermeintlich Gesichtswahrende zu tun, bleibt hinter unseren Möglichkeiten zurück.“ Und der ehemalige Verteidigungsminister weiter: „Für die neue Bündnisregierung ist es an der Zeit, die wohlfeile Rhetorik über Deutschlands Verantwortung zu beenden und stattdessen ernsthafte Verantwortung zu übernehmen. […] Wenn Deutschland sich dessen besinnt, gewinnt es nicht nur an Einfluss. Es werden auch immer mehr Partner bereit sein, sich auf arbeitsteilig organisierte oder gemeinsam genutzte militärische Fähigkeiten einzulassen, wie sie Pooling and Sharing in der EU, und Smart Defence sowie das deutsche ‚Rahmennationen-Konzept‘ im Bündnis vorsehen.“[8]
Die Kommission sollte ursprünglich aus insgesamt 16 Mitgliedern bestehen. Davon waren für die Konservativen sieben, für die Sozialdemokraten fünf und für Die Linke und die Grünen jeweils zwei Sitze vorgesehen gewesen.[9] Da aber beide Oppositionsparteien erklärten, nicht teilnehmen zu wollen, wird die Kommission nun lediglich zwölf Mitglieder haben. Vertreter der Oppositionsparteien erklärten den Verzicht damit, nicht als Feigenblatt dienen zu wollen, da es der Regierungskoalition in Wahrheit um die Aufweichung und Schwächung des Parlamentsvorbehalts gehe.[10] In der Tat dürfte das Ziel der Kommission der Abbau der parlamentarischen Entscheidungs- und Kontrollkompetenz in Fragen von Krieg und Frieden sein. Zum besseren Verständnis wird ein kurzer Rückblick auf die Entstehung des Parlamentsvorbehalts und seine stetige Aufwertung durch das Bundesverfassungsgericht präsentiert.
Schlupfloch „Entsendeausschuss“?
Anfang der 1990er Jahre begann die Bundesregierung, die Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets (sog. Out-of-area-Einsätze) einzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht wurde zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bundeswehr-Missionen angerufen und entschied in einem sehr umstrittenen Urteil vom 12.07.1994 zwei für das Verständnis der Legitimation von Bundeswehr-Einsätzen bis heute grundlegende Dinge: Das Gericht sah die Verwendung der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets als grundgesetzkonform an, obwohl diese Deutung in einem klaren Widerspruch zum Wortlaut des Grundgesetzes steht[11] und bestimmte weiterhin, dass das Grundgesetz die Bundesregierung verpflichte, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich die vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Der leitende Gedanke des Gerichts war es damals und in seiner ständigen Rechtsprechung bis heute, „die Bundeswehr als Machtpotential nicht allein der Exekutive zu überlassen“.[12] Das Wort vom „Parlamentsheer“[13] war geboren. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts soll der Parlamentsvorbehalt ein „wirksames Mitentscheidungsrecht“[14] bilden und ein „wesentliches Korrektiv“[15] darstellen, da mit „der Anwendung militärischer Gewalt […] der […] Gestaltungsspielraum der Exekutive“[16] ende. Letztlich obliege dem Bundestag „die Verantwortung für den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr.“[17] Auch in Grenzfällen dürfe angesichts der Funktion und Bedeutung des Parlamentsvorbehalts seine Reichweite „nicht restriktiv bestimmt“[18] werden. Vielmehr sei er im Zweifel „parlamentsfreundlich auszulegen.“[19]
Nicht nur vor dem Hintergrund der militärischen Integration Deutschlands in die NATO, sondern auch im Hinblick auf die Integration der Bundeswehr in den militärischen Teil der EU äußerte sich das Bundesverfassungsgericht im sog. Lissabon-Urteil von 2009 sehr ausführlich zum Bestand des Parlamentsvorbehalts, indem es ihn stark aufwertend „zu dem durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten, unantastbaren Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität“[20] zählte und für „integrationsfest“[21] erklärte. Der Bestand des Parlamentsvorbehalts werde also von dem Vertrag von Lissabon nicht berührt, denn der Vertrag übertrage der EU nach Feststellung des Gerichts „keine Zuständigkeit, auf die Streitkräfte der Mitgliedstaaten ohne Zustimmung des jeweils betroffenen Mitgliedstaates oder seines Parlaments zurückzugreifen.“[22] Zudem könne der Parlamentsvorbehalt „auch nicht […] umgangen werden,“[23] da der „deutsche Vertreter im Rat […] in diesem Fall von Verfassungs wegen verpflichtet [wäre], jeder Beschlusslage die Zustimmung zu verweigern, die den […] Parlamentsvorbehalt des Grundgesetzes verletzen oder umgehen würde.“[24]
Neben dem parlamentarischen Zustimmungsrecht wird vom Bundesverfassungsgericht als Bestandteil des Parlamentsvorbehalts eine gesicherte, frühzeitige Informationsweitergabe an den Bundestag durch die Bundesregierung über geplante und laufende Einsätze vorausgesetzt. Denn dadurch werde „die Beteiligung der Opposition in freier parlamentarischer Debatte“[25] gesichert und es werde „damit auch der öffentlichen Meinung besser möglich, über die politische Reichweite des jeweiligen Einsatzes zu urteilen.“[26]
Der Bundestag hatte durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der Außenpolitik sowie Informations- und Unterrichtungsrechte erlangt – ein Umstand, der laut Auftrag an die Kommission offenbar korrigiert werden soll. Denn ihre Arbeit soll sich unter anderem auf den Aspekt konzentrieren, Möglichkeiten „der Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung nach der Art des Einsatzes“[27] zu untersuchen. Unübersehbar steht der Auftrag der Kommission in Kontrast zum Stellenwert des Parlamentsvorbehalts, den das Bundesverfassungsgericht ihm zuschreibt.
Aber auch dafür scheint es ein Schlupfloch zu geben. Ein Rechtsgutachten weist darauf hin, dass nach einer Stelle im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.07.1994 das Zustimmungsverfahren im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen abgestuft werden könne, wenn die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet sei und vermutet, dass die Kommission diese Passage des Urteils zum Ausgangspunkt für ihre Überlegungen machen werde, wie die Parlamentsbeteiligung abgestuft werden könnte. Hierfür sei die Errichtung eines Parlamentsausschusses eine Option, der bei Einsätzen von untergeordneter Bedeutung die Rolle des Bundestages übernehmen und ständiger Ansprechpartner der Bundesregierung im Zusammenhang mit bewaffneten Auslandseinsätzen werden könne. Ein solcher „Entsendeausschuss“ sei bereits bei den Beratungen zum Parlamentsbeteiligungsgesetz diskutiert worden und könne den Bundestag insbesondere bei routinemäßigen Verlängerungsbeschlüssen oder bei kurzfristig erforderlichen Rettungseinsätzen entlasten, wie es in diesem Gutachten weiter heißt.[28]
Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005): Was steht auf dem Spiel?
Nachdem die Bundesverfassungsrichter in ihrem Urteil vom 12.07.1994 den Parlamentsvorbehalt aus der Taufe gehoben hatten, bestimmten sie, dass es Sache des Gesetzgebers sei, für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten.[29] Dies geschah erst elf Jahre später am 18.03.2005 mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz, ParlBG). Für eine ausführlichere Einschätzung zur Wirksamkeit dieses Gesetzes und seine Behandlung durch die Bundesregierung wird auf die IMI-Studie „Krieg außer Kontrolle. Die Demontage des konstitutiven Parlamentsvorbehalts“ verwiesen.[30] Dort werden insbesondere die mangelhafte Übernahme parlamentsfreundlicher Vorgaben in das Parlamentsbeteiligungsgesetz und seine lückenhafte Einhaltung durch die Bundesregierung anhand verschiedener Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie der neu aufgebauten Division Schnelle Kräfte (DSK) und der neuen Einheit für Cyber-Angriffe vor dem Hintergrund der Integration der Bundeswehr in die neuen NATO-Strukturen (Smart Defence) und in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (Pooling & Sharing) thematisiert. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über den Gesetzesinhalt gegeben, um erkennen zu können, welche parlamentarischen Kontrollrechte auf dem Spiel stehen.
Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt, dass der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb Deutschlands der Zustimmung des Bundestages bedarf (§ 1 Abs. 2 ParlBG). Zudem sichert es dem Bundestag ein Rückholrecht zu, wenn das Parlament seine Zustimmung widerrufen möchte (§ 8 ParlBG). Diese für sich genommen recht starken Regelungen wurden allerdings bereits bei der Formulierung des Gesetzes mit Einschränkungen und Ausnahmen versehen, die seine Wirksamkeit mindern. So wurde zwar gesetzlich definiert, dass ein bewaffneter Einsatz der Zustimmungspflicht unterliegt (§ 2 Abs. 1 ParlBG). Hiervon ausgenommen wurden aber vorbereitende Maßnahmen und Planungen sowie humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen der Bundeswehr (§ 2 Abs. 2 ParlBG). Zudem wurden noch weitere Einschränkungen in das Gesetz aufgenommen.
Bei Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite kann ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren angewandt werden. In diesem Fall gilt die Zustimmung als erteilt, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen mindestens 5% der Abgeordneten eine Befassung des Bundestages verlangen (§ 4 Abs. 1 ParlBG). In der Regel gelten als Einsätze von geringer Intensität und Tragweite auch Erkundungskommandos oder einzelne Soldatinnen und Soldaten, die im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden (§ 4 Abs. 3 ParlBG). Das vereinfachte Zustimmungsverfahren kann auch auf die Verlängerung von Zustimmungsbeschlüssen ohne inhaltliche Änderung angewandt werden (§ 7 Abs. 1 ParlBG). Bei Gefahr im Verzug und bei Einsätzen zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen muss keine vorherige Zustimmung des Bundestages gegeben sein (§ 5 Abs. 1 ParlBG). Jedoch muss der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachgeholt werden (nachträgliches Zustimmungsverfahren) und, im Fall der Antragsablehnung des Bundestags, muss der Einsatz beendet werden (§ 5 Abs. 3 ParlBG). Bei der Verlängerung eines Einsatzes muss die Bundesregierung nur nach Stellung ihres Antrags kurze Fristen abwarten, ob er unwidersprochen bleibt. In diesem Fall, würde der Einsatz als genehmigt gelten. Anderenfalls müsste der Bundestag erneut betraut werden (§ 7 ParlBG).
Obwohl das Gesetz verschiedene Einschränkungen des Zustimmungsvorbehalts enthält, wurden der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag auch Informations- und Unterrichtungspflichten auferlegt, die für eine Transparenz des Einsatzes sorgen sollen. So weist das Gesetz die Verpflichtung der Bundesregierung auf, in ihrem Antrag auf Zustimmung des Bundestages Angaben über den Einsatzauftrag, das Einsatzgebiet, die rechtlichen Grundlagen, die Höchstzahl der eingesetzten Bundeswehrangehörigen, die Fähigkeiten der eingesetzten Streitkräfte und die geplante Dauer und die Kosten des Einsatzes zu machen (§ 3 ParlBG). Ferner beinhaltet das Gesetz die Pflicht der Bundesregierung, den Bundestag regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und die Entwicklungen im Einsatzgebiet zu unterrichten (§ 6 Abs. 1 ParlBG).
Kommissions-Auftrag: „Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung“
Schon die vorherige Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP kündigte in ihrem Koalitionsvertrag vom 26.10.2009 an, Initiativen zur Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes oder zur Schaffung eines Vertrauensgremiums ergreifen zu wollen.[31] Die Ankündigung, das Parlamentsbeteiligungsgesetz ändern zu wollen, kam also nicht aus heiterem Himmel – wohl aber ist der Zeitpunkt bezeichnend, an dem dies geschah.
Häufig ist von Befürwortern des Abbaus von Parlamentsbeteiligungsrechten der Vorwurf zu hören, es behindere oder verzögere zeitlich kritische Militäreinsätze. Die Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH) kam hingegen in einem Positionspapier vom Dezember 2013 zum Schluss, dass es empirisch belegt und in der öffentlichen Debatte Konsens sei, dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz Einsätze bislang nicht behindert habe (in 70 Fällen seit 2005 habe der Bundestag zugestimmt). Gegenteilige Behauptungen seien taktischer Natur, um den politischen Druck zum Abbau der Parlamentsbeteiligung zu erhöhen. In diesem Papier plädieren daher die Autoren gegen eine Schwächung parlamentarischer Rechte.[32]
Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom 27.11.2013 wurde dann unter dem Titel „Verantwortung in der Welt – Auf die Einsätze der Zukunft vorbereitet sein“ der Auftrag an die Kommission und das weitere Verfahren wie folgt bestimmt: „Wir wollen die Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten auch angesichts vermehrter Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit unseren Partnern sicherstellen. Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein. Deshalb wollen wir eine Kommission einsetzen, die binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können. Die Kommission wird darauf aufbauend Handlungsoptionen formulieren.“[33]
Nach dem Antrag von CDU/CSU und SPD an den Bundestag sei es das Ziel der Kommission einen Handlungsbedarf „zur Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes“[34] rechtlich und politisch zu prüfen und darauf aufbauend „Handlungsoptionen möglichst im Konsens“[35] zu formulieren, die in ein „förmliches Gesetzgebungsverfahren eingebracht“[36] werden könnten. Die Arbeit der Kommission solle sich auf die „Untersuchung der verschiedenen im Rahmen von NATO und EU bestehenden und künftig zu erwartenden Formen militärischer Integration“[37] konzentrieren und mögliche „Spannungsverhältnisse zur gegenwärtigen Ausgestaltung der Parlamentsbeteiligung“[38] identifizieren. Des Weiteren solle die Kommission, wie bereits betont, „Möglichkeiten der Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung nach der Art des Einsatzes“[39] untersuchen. Für diese Aufgabe solle sich die Kommission unverzüglich konstituieren und dem Bundestag binnen Jahresfrist ihre Empfehlungen unterbreiten.[40]
Grüne: „integrierte Mandate“ – Linke: Ausbau parlamentarischer Kontrolle
Die beiden nicht an der Kommission teilnehmenden Fraktionen der Grünen und der Linken brachten jeweils eigene Anträge ein, die abgelehnt wurden. So schlugen die Grünen, neben Minderheitenvoten und Möglichkeiten zur Verbesserung der Transparenz, Evaluation und Mitwirkungsrechte des Bundestages, im Wesentlichen die Option integrierter Mandate vor, die nicht nur die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten, sondern auch das gesamte Spektrum politischer und ziviler Schritte unter Einschluss von Polizeibeamten, zivilen Helfern sowie entwicklungspolitischen Maßnahmen umfasse.[41]
Auch der Antrag der Fraktion Die Linke wollte untersuchen, wie die bisherige Unterrichtungspraxis sowie die Mitwirkungsrechte im Sinne größerer Transparenz und stärkerer Kontrollmöglichkeiten parlamentsfreundlich verbessert werden könne; wie angesichts der Weiterentwicklung hoch-technologischer Kriegsführungskapazitäten – bewaffnete unbemannte Waffensysteme – das parlamentarische Entscheidungs- sowie das Kontrollrecht gesichert und ausgebaut werden könne und wie der Einsatz von Spezialkräften jenseits der bisherigen besonderen Unterrichtungspraxis gewährleistet werden könne, die die Abgeordneten befähigt, ihre Kontrollaufgaben wahrnehmen zu können. Abschließend wurde im Antrag der Linken angeregt, die Zustimmung für Auslandseinsätze von einer einfachen Mehrheit im Parlament auf eine Zweidrittelmehrheit anzuheben, um auf diese Weise die Legitimationsqualität zu erhöhen.[42]
Besonders der Gesichtspunkt der spezialisierten Kräfte in der Bundeswehr verdient es, hierauf nochmals gesondert einzugehen. Diese Kräfte sind ebenso wie alle anderen Truppenteile auch der Bundeswehr zugehörig wie alle anderen Truppenteile auch und unterliegen damit dem Kontrollanspruch des Parlaments. In der Praxis unterliegen sie einem von der Bundesregierung im November 2006 vorgeschlagenem und rechtlich nicht fixiertem besonderen Unterrichtungsverfahren, das im Antrag der Linken als „für eine effektive parlamentarische Kontrolle unzureichend“[43] kritisiert wurde.
Denn nach der, in ihren wesentlichen Teilen 2011 beschlossenen, sog. Neuausrichtung der Bundeswehr wurden die spezialisierten Anteile der Bundeswehr erheblich ausgebaut. So wurde gleich eine ganze Division mit dem Namen Division Schnelle Kräfte (DSK) neu aufgestellt, die nach einem Bericht des BMVg vom Mai 2013 das Kommando Spezialkräfte (KSK), die Hubschrauberverbände des Heeres mit ihren Kampfhubschraubern Tiger und die Luftlandebrigade mit ihren Fallschirmjägern beinhalte, die in der Lage sei, luftbewegliche Operationen, spezielle Operationen und spezialisierte Operationen (vor allem militärische Evakuierungsoperationen) durchzuführen.[44] Auch die Marine erhält entsprechende Truppenteile. Dazu gehören das Kommando Spezialkräfte der Marine, das Seebataillon mit Bordeinsatzteams zum „Boarding“ sowie eine Küsteneinsatzkompanie.[45] Die Führung von Operationen der Spezialkräfte wird zukünftig durch die Abteilung Spezialoperationen im Einsatzführungskommando sichergestellt, heißt es im erwähnten Bericht weiter.[46]
Die Regierungskoalition scheint nicht gewillt, diese neuen Spezialkräften einer umfänglichen Parlamentskontrolle zu unterstellen. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Einsätze des Kommandos Spezialkräfte (KSK) sind immer mit einer hohen Gefährdung unserer Spezialkräfte verbunden und unterliegen der Geheimhaltung. Wir werden die Unterrichtung des Parlaments in der bewährten Form sicherstellen“.[47] Das bedeutet, anstatt einer Befassung von 631 Abgeordneten, werden nur die Obmänner der Fraktionen im Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschuss in der Regel alle sechs Monate auf freiwilliger Basis, insgesamt 14 Abgeordnete (das sind rund 2%), über die Einsätze von Spezialkräften unterrichtet.
Fazit
Alles was bisher darüber zu hören war, insbesondere aber auch die Zusammensetzung der Kommission selbst, verheißt nichts Gutes. Neben dem Vorsitzenden Volker Rühe finden sich darin eine Reihe Militärs sowie militärfreundliche Politiker wie etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff. Der hatte seine Vorstellungen zur „Reform“ der parlamentarischen „Mitbestimmung“ bereits vor einiger Zeit veröffentlicht: „Wichtig ist, dass wir wie unsere Verbündeten auf Kommando-, Logistik-, Aufklärungs- oder Ausbildungseinheiten, die ‚geteilt‘ werden, verlässlich zugreifen können. […] Eine wirkungsvolle GSVP [Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik] wird die militärischen Fähigkeiten der einzelnen Staaten in so starkem Maße zusammenlegen und unter geteilte Führung stellen, dass es nicht möglich sein wird, nationale Vorbehalte als Einzelmeinung durchzusetzen. Deutsche Soldaten könnten damit in einen EU-Einsatz gehen, den die deutsche Regierung und der Deutsche Bundestag allein aus eigener Initiative nicht beschlossen hätten. […] Dieser Souveränitätsverzicht betrifft gerade den Bundestag mit seiner im europäischen Vergleich eher starken Mitspracherolle und müsste sich in einer Reform des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr niederschlagen. Der Bundestag muss weiterhin das letzte Wort in Form eines Rückrufvorbehalts bei solchen Entscheidungen behalten.“[48]
Es droht also eine erhebliche Beschneidung parlamentarischer Mitbestimmungsrechte. Die Frage stellt sich allerdings, weshalb dies aus friedenspolitischer Sicht von besonderer Bedeutung ist, wenn, wie oben dargelegt, die aktuelle Gesetzeslage ohnehin keine zeitlichen Verzögerungen mit sich bringt und mit einer Ablehnung eines Einsatzes durch eine Mehrheit des Bundestages wohl kaum zu rechnen sein wird? Die Antwort hierauf könnte in etwa folgendermaßen lauten: „Weil gerade eine parlamentarische Zustimmungspflicht für Auslandseinsätze, wie sie etwa in Deutschland für Bundeswehr-Interventionen existiert, ein zentrales Mittel ist, um eine öffentliche Debatte über den Sinn bzw. Unsinn eines Kriegseinsatzes in Gang zu setzen. Ein Krieg wird nicht ‚legitim‘, wenn er eine ‚legal‘ erforderliche Parlamentszustimmung erhält. Ein Parlamentsvorbehalt ist jedoch ein wesentliches Instrument, um überhaupt die Möglichkeit zu bekommen, die ‚Legitimität‘ solcher Einsätze grundsätzlich kritisieren und in Frage stellen zu können.“[49]
Anmerkungen
[1] Vgl. Bettina Giesecke, Rechte der parlamentarischen Minderheiten im Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag, Infobrief WD 3 – 3010 – 196/13.
[2] Ausführlicher hierzu vgl. Jürgen Wagner, Münchner Sicherheitskonferenz: Generalangriff der Kriegstreiber, IMI-Ausdruck, Februar 2014.
[3] Vgl. Jochen Bittner / Matthias Geis / Jörg Lau / Bernd Ulrich / Ronja Wurmb-Seibl, Deutsche Außenpolitik. Wir tun doch nix …, Zeit Online, 01.04.2013.
[4] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, Deutscher Bundestag, Drucksache 18/766, 18.03.2014.
[5] Vgl. Joachim Gauck, Deutschlands Rolle in der Welt: Anmerkungen zu Verantwortung, Normen und Bündnissen, Rede auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz, München, 31.01.2014.
[6] Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses, a) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Drucksache 18/766 – b) zu dem Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 18/775 – Deutscher Bundestag, Drucksache 18/870, 19.03.2014.
[7] Die weiteren Mitglieder der Kommission seien nach dem Blog Augengeradeaus.net von Thomas Wiegold (20.03.2014): Für die CDU/CSU Andreas Schockenhoff (CDU-Bundestagsabgeordneter), Hans-Peter Uhl (CSU-Bundestagsabgeordneter), Prof. James W. Davis (Politikwissenschaftler, St. Gallen), Prof. Georg Nolte (Jurist, Humboldt Universität, Berlin), Prof. Matthias Herdegen (Jurist, Bonn), Generalleutnant a. D. Rainer Glatz (früherer Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr) und für die SPD Rainer Kolbow (ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium), Niels Annen (SPD-Bundestagsabgeordneter), Rainer Arnold (SPD-Bundestagsabgeordneter), Wolfgang Zeh (Jurist und ehemaliger Bundestags-Direktor), General a. D. Wolfgang Schneiderhan (früherer Generalinspekteur der Bundeswehr).
[8] Volker Rühe, Deutschland muss führen, damit Europa nicht schwächer wird, FAZ, 21.01.2014.
[9] Vgl. Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 2.
[10] Vgl. Thorsten Knuf, Bundeswehrkommission ohne Opposition, Frankfurter Rundschau (Online), 24.03.2014.
[11] In Artikel 87a Abs. 2 GG heißt es: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Eine ausdrückliche Zulassung zum Einsatz der Bundeswehr existiert im Grundgesetz lediglich für die Verwendung im Innern nach den Artikeln 35 und 87a Abs. 3 und 4, hingegen nicht für einen Einsatz außerhalb Deutschlands.
[12] BverfGE 90, 286 [381 f.]; BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 57.
[13] BverfGE 90, 286 [381 f.]; BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 57.
[14] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 58.
[15] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 70.
[16] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 70.
[17] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 70.
[18] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 72 f.
[19] BverfG 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Absatz-Nr. 72 f.
[20] Manuel Brunner und Robert Frau, Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die NATO gegen Karlsruhe und den Bundestag, Legal Tribune Online, 24.05.2012. Zur Bedeutung von Artikel 79 Abs. 3 GG vgl. Michael Sachs, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl., 2011, Art. 79 Rn. 26 ff.
[21] BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.06.2009, Absatz-Nr. 255.
[22] BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.06.2009, Absatz-Nr. 381.
[23] BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.06.2009, Absatz-Nr. 387.
[24] BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.06.2009, Absatz-Nr. 388.
[25] BVerfGE 121, 135 [162].
[26] BVerfGE 121, 135 [162].
[27] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[28] Vgl. Manuel Ladiges, Beteiligung des Parlaments zeitgemäß?, Legal Tribune Online, 15.03.2014.
[29] Vgl. BverfGE 90, 286, Leitsätze Nr. 1, 3a und b.
[30] Vgl. Michael Haid / Tobias Pflüger, Krieg außer Kontrolle. Die Demontage des konstitutiven Parlamentsvorbehalts, IMI-Studie 2013/04.
[31] Vgl. Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und FDP, Wachstum, Bildung, Zusammenhalt, Berlin, 26.10.2009, S. 124.
[32] Vgl. Kommission Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr, Für eine Stärkung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, Positionspapier, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Universität Hamburg, Dezember 2013.
[33] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Deutschlands Zukunft gestalten, Berlin, 27.11.2013, S. 123 f.
[34] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[35] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[36] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[37] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[38] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[39] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 1.
[40] Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO., S. 2.
[41] Vgl. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, Deutscher Bundestag, Drucksache 18/775, 12.03.2014.
[42] Vgl. Antrag der Fraktion Die Linke, Einsetzung einer „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, Deutscher Bundestag, Drucksache 18/839 (neu), 20.03.2014.
[43] Antrag der Fraktion Die Linke, aaO., S. 1.
[44] Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin, 08.05.2013, S. 29.
[45] Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin, 08.05.2013, S. 31.
[46] Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin, 08.05.2013, S. 34.
[47] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Deutschlands Zukunft gestalten, Berlin, 27.11.2013, S. 124.
[48] Schockenhoff, Andreas/Kiesewetter, Roderich: Impulse für Europas Sicherheitspolitik. Die Zeit zum Handeln ist gekommen, in: Internationale Politik 5, September/ Oktober 2012, S. 88-97, S. 96.
[49] Wagner, Jürgen: EUropa außer Kontrolle. Die EU-Außen- und Sicherheitspolitik im parlamentarischen Niemandsland, Informationen zu Politik und Gesellschaft, Nr. 6/August 2013, S. 4.